Phil­ipp Thei­sohn: Den­ken nach Bo­tho Strauß

Philipp Theisohn: Denken nach Botho Strauß
Phil­ipp Thei­sohn:
Den­ken nach Bo­tho Strauß

Phil­ipp Thei­sohn ist Pro­fes­sor für Neue­re Deut­sche Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Zü­rich, gibt die Ge­samt­aus­ga­be von Je­re­mi­as Gott­helf her­aus, ver­ant­wor­tet Sam­mel­bän­de zu Ge­org Tra­kl und Gott­fried Kel­ler, sitzt der Theo­dor Storm-Ge­sell­schaft vor und schreibt über »au­ßer­ir­di­sche Li­te­ra­tur«, was zu­gleich ei­ner sei­ner For­schungs­schwer­punk­te ist. Und jetzt er­scheint in der Rei­he Fröh­li­che Wis­sen­schaft bei Matthes & Seitz sein Buch Den­ken nach Bo­tho Strauß – pas­send zum 80. Ge­burts­tag des Dich­ters am 2. De­zem­ber.

Nein, Thei­sohn ver­fällt nicht der Un­sit­te, sei­ne ver­streu­ten Auf­sät­ze und Es­says zu­sam­men­ge­fasst zu ha­ben. Das Buch ist ak­tu­ell. Zwei Mal be­such­te er Strauß in der Ucker­mark, un­ter­nahm Wan­de­run­gen mit ihm. Er traf Edith Cle­ver in Ber­lin, schau­te sich ei­ne Auf­zeich­nung von Strauß’ Tri­lo­gie des Wie­der­se­hens an (von nun galt er als ar­ri­viert) und gibt Un­ter­hal­tun­gen mit Freun­din­nen und Freun­den über Strauß wie­der, un­ter an­de­rem mit Frank Wit­zel.

Der Ver­lag be­wirbt das knapp 150 Sei­ten um­fas­sen­de Buch als »sehr per­sön­li­chen Es­say«. Man be­fürch­tet da­bei zu­nächst Schlim­mes, ein Schwär­men oder Schwel­gen, ei­ne Kom­pli­zen­schaft oder gar Ver­tei­di­gungs­re­de mit dem als schwie­rig und – wie könn­te es an­ders sein? – »um­strit­ten« ge­kenn­zeich­ne­ten Au­tor.

Das al­les trifft glück­li­cher­wei­se nicht zu. Zu Be­ginn re­ka­pi­tu­liert Thei­sohn sei­ne Zeit­ge­nos­sen­schaft, als Strauß’ An­schwel­len­der Bocks­ge­sang 1993 durch die Feuil­le­tons gei­ster­te und ab­ge­kan­zelt wur­de. Er war da­mals Stu­dent, ent­zog sich weit­ge­hend dem öf­fent­li­chen Ent­set­zen und voll­zog die in­zwi­schen aus­geu­fer­te De­bat­te erst Jah­re spä­ter nach. Wer nun die x‑te In­ter­pre­ta­ti­on er­war­tet, geht fehl. Statt­des­sen ei­ne knap­pe Fest­stel­lung: »Bis heu­te er­ach­te ich den Text vor­ran­gig als Schau­spiel, die Feuil­le­ton­le­ser und ‑schrei­ber als Chor.« Da ist es nur fol­ge­rich­tig, wenn Thei­sohn die im­mer wie­der­leh­ren­de Dis­kus­si­on um die »po­li­ti­sche Ver­or­tung« von Bo­tho Strauß »in­tel­lek­tu­ell we­nig frucht­bar« fin­det.

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»Beim Ver­las­sen der Spra­che bit­te die Tür hin­ter sich schlie­ßen.«

Lek­tü­re­ein­drücke zu Bo­tho Strauß

In den letz­ten zehn Jah­ren, nach Her­kunft 2014, ei­ner ein­drucks­vol­len Be­schwö­rung und Ma­ni­fe­sta­ti­on der Kind­heit und Ado­les­zenz, ist es um Bo­tho Strauß zu­neh­mend ru­hi­ger ge­wor­den. Strauß be­trieb nach die­sem Er­folg ei­ne er­staun­li­che Selbst­frag­men­tie­rung sei­nes Werks. In gleich zwei Bü­chern stell­te er sei­ne Thea­ter­stücke, Ro­ma­ne und Es­says als Stein­bruch zur Ver­fü­gung. Zum ei­nen in der von Heinz Strunk her­aus­ge­ge­be­nen An­tho­lo­gie Der zu­rück in sein Haus ge­stopf­te Jä­ger und we­nig spä­ter bei der als »Ge­dan­ken­buch« apo­stro­phier­ten Text- und Gen­re­col­la­ge Al­lein mit al­len, her­aus­ge­ge­ben und kom­pi­liert von Se­ba­sti­an Klein­schmidt. Al­lein mit al­len ist in 17 the­ma­tisch sor­tier­ten Ka­pi­teln ge­glie­dert, die bei­spiels­wei­se »Vom Geist: Ver­ste­hen, Ge­stimmt­heit«, »Tech­nik, Me­di­en, Künst­lich­keit», »Von der Er­zie­hung« oder »Au­tor­schaft, Spra­che» über­schrie­ben sind. Hier wur­den nun ein­zel­ne Ab­sät­ze, Sze­nen, No­ta­te, Wahr­neh­mungs- und Ge­dan­ken­split­ter aus mehr als 30 Wer­ken des Au­tors er­gänzt um 87 da­mals neu­er, bis da­hin un­pu­bli­zier­ter Ein­trä­ge zu ei­nem neu­en Text­ge­bil­de zu­sam­men­ge­fügt. In bei­den Bü­chern wer­den im An­hang je­der ein­zel­ne Text­ein­trag dem ent­spre­chen­den Werk zu­ge­ord­net.

Botho Strauss: Allein mit allen
Bo­tho Strauss: Al­lein mit al­len

Im Nach­wort nennt Klein­schmidt das ent­stan­de­ne Buch ei­ne »poe­ti­sche En­zy­klo­pä­die Strauß­scher Wis­sens­kunst«, die als »Kunst des in­tui­ti­ven Ge­dan­ken­baus und der re­fle­xi­vem Un­mit­tel­bar­keit« ein­ge­ord­net wird. Tat­säch­lich er­schei­nen be­kann­te Zi­ta­te in ei­nem an­de­ren Zu­sam­men­hang ste­hend mit­un­ter treff­li­cher und schär­fer. Die Ent­ber­gung aus dem Kon­text des Ur­sprungs­tex­tes hin zu ei­ner neu­en Kon­tex­tua­li­sie­rung in ei­nen the­ma­ti­schen Be­reich er­ge­ben neue, teil­wei­se über­ra­schen­de Zu­sam­men­hän­ge.

Ein Jahr zu­vor be­reits hat­te Strauß mit Lich­ter des To­ren ei­nen hy­per­ven­ti­lie­rend-zeit­kri­ti­schen Es­say in Form von Ge­dan­ken­split­tern und Apho­ris­men ver­sucht, in dem er für den no­to­ri­schen Ein­zel­gän­ger und Di­gi­tal­ver­wei­ge­rer nicht nur ei­ne Lan­ze bricht, son­dern sich in ei­ne Form grim­mi­ger Un­ver­söhn­lich­keit der Ge­sell­schaft ge­gen­über ver­steigt, die er in ei­nem schnö­den Mit­mach­rausch sieht. Nicht we­ni­ge nah­men die­se bis­wei­len wü­ten­den Aus- und Ein­fäl­le als eli­tär wahr, at­te­stier­ten ein »prun­ken­des Den­ken« (Tho­mas Schmid) und tat­säch­lich ver­stör­te die­ses Buch mit sei­ner bis­wei­len mür­ri­schen Selbst­ge­wiss­heit.

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Jür­gen Bro­koff: Li­te­ra­tur­streit und Bocks­ge­sang

Im Rah­men der Rei­he »Klei­ne Schrif­ten zur li­te­ra­ri­schen Äs­the­tik und Her­me­neu­tik« im Wal­l­­stein-Ver­­lag ist als Band 7 Jür­gen Bro­koffs Stu­die »Li­te­ra­tur­streit und Bocks­ge­sang« er­schie­nen. Zu­nächst ist man ob des Ti­tels ver­blüfft, um dann rasch fest­zu­stel­len, dass es tat­säch­lich um zwei Er­eig­nis­se der Li­te­ra­tur­re­zep­ti­on der Bun­des­re­pu­blik han­delt, die in­zwi­schen fast 30 Jah­re zu­rück­lie­gen. Ana­ly­siert wird zum ...

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Gräu­el der Ge­gen­wart ‑9/11-

(← 8/11)

Ich weiß nicht, ob Den­ken dem Han­deln eher för­der­lich oder ab­träg­lich ist; nach mei­ner per­sön­li­chen Er­fah­rung oft letz­te­res, aber nicht im­mer, und gu­te Hand­lun­gen kom­men ganz oh­ne Nach­den­ken sel­ten zu­stan­de. Ham­let, der Prinz von Dä­ne­mark, ver­kör­pert die Tat­feind­lich­keit des Den­kens, das zu­meist ein Zwei­feln ist. Das Schwie­ri­ge, sagt ein an­de­rer Fürst der Thea­ter­ge­schich­te, Kö­nig Pri­mis­laus von Böh­men, in ei­nem Dra­ma Grill­par­zers, das Schwie­ri­ge sei nicht die Tat, son­dern der Ent­schluß, und der wird durch das Den­ken, wie Pri­mis­laus selbst durch sein Zö­gern er­weist, be­hin­dert. Den­kend kann man je­de Men­ge Hy­po­the­sen auf­stel­len, doch bei der Ver­wirk­li­chung ei­nes Vor­ha­bens gilt es, mit ei­nem Schlag »die tau­send Fä­den zu zer­rei­ßen, an de­nen Zu­fall und Ge­wohn­heit führt.« Ent­schlüs­se wer­den in der Re­gel durch Nach­den­ken vor­be­rei­tet, aber auch ver­zö­gert, und nicht sel­ten ver­hin­dert (wo­für Mu­sils Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten ein ein­zi­ges, viel­fäl­ti­ges Groß­bei­spiel ist).

»Nichts ist mo­bi­li­sie­ren­der als das Den­ken«: die­ser froh­ge­mu­te Satz prangt auf ei­ner Sei­te ziem­lich ge­nau in der Mit­te von Der Ter­ror der Öko­no­mie. Und gleich im näch­sten Schritt de­kla­riert For­re­ster die Iden­ti­tät von Den­ken und Han­deln. Die Dif­fe­renz ist be­sei­tigt. Das Wort »mo­bi­li­sie­ren« ak­tua­li­siert po­li­ti­sche Kon­no­ta­tio­nen1; nicht ir­gend­ein Han­deln ist ge­meint, kei­ne sport­li­che Ak­ti­vi­tät, et­wa Fuß­ball, was die zo­nards mitt­ler­wei­le bes­ser kön­nen als die pe­tits blancs, son­dern ge­sell­schaft­lich be­deut­sa­mes Han­deln. In wei­te­rer Fol­ge er­zählt For­re­ster von ei­nem Kon­greß in Graz, Öster­reich, wo an­no 1978 ein Teil­neh­mer ein State­ment ab­gab, das auf die For­de­rung hin­aus­lief, man sol­le hier nicht von Mall­ar­mé spre­chen, son­dern von Ma­schi­nen­ge­weh­ren. For­re­ster ver­tei­digt ge­gen­über die­ser Ta­bu­la-ra­sa-Hal­tung den po­li­ti­schen Sinn li­te­ra­ri­scher Bil­dung, be­an­sprucht aber zu­gleich Ef­fi­zi­enz und Ra­di­ka­li­tät für ihr An­lie­gen und ge­langt schließ­lich zu ei­nem Satz, der wie­der­um als Slo­gan die­nen kann: »Mall­ar­mé ist ein MG!«

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  1. In seinem Essay Die totale Mobilmachung phantasiert Ernst Jünger von einem "Arbeitsstaat", der die logische politische Konsequenz der generalisierten Verschmelzung von Mensch und Maschine, von Organischem und Mechanischem sei. Diese Vision verwirklicht sich heute, allerdings im Bereich der Nanotechnik, der smarten elektronisch gesteuerten Maschinen, die "der Mensch" ständig in Reichweite oder im Körper implantiert hat. Dienstleistungsanbieter und öffentlichen Institutionen verlangen von allen den Besitz eines Smartphones. Der Arbeits- bzw. Arbeiterstaat jedoch wurde Ende des 20. Jahrhunderts endgültig entsorgt. 

Bo­tho Strauß: Der Fort­füh­rer

Botho Strauss: Der Fortführer
Bo­tho Strauss: Der Fort­füh­rer

Vom Idio­ten (idio­tes) über den Höh­len­be­woh­ner zum »Fort­füh­rer« – der Rei­gen der re­fle­xiv-apho­ri­sti­schen, bis­wei­len zeit- und kul­tur­kri­ti­schen No­ta­te von Bo­tho Strauß, die fast ein ei­ge­nes Gen­re kre­ieren, geht wei­ter. Be­zeich­nen­der­wei­se sind die­se drei Bü­cher in drei ver­schie­de­nen Ver­la­gen pu­bli­ziert wor­den; ein­zig »Oni­rit­ti«, das kryp­tisch­ste der drei, ist in Strauß’ Haus­ver­lag Han­ser er­schie­nen.

Schon das Co­ver vom »Fort­füh­rer« ver­wei­gert sich in sei­ner Na­tur­lei­nen-Op­tik jeg­li­chen De­si­gnat­ti­tü­den. Wüss­te man es nicht bes­ser, könn­te es sich auch um ein Buch aus den 1950er Jah­ren han­deln. Nicht nur an die­ser Klei­nig­keit ist spür­bar, wie der Au­tor mit den fast schon re­flex­haft da­her­kom­men­den Zu­schrei­bun­gen des Li­te­ra­tur­be­triebs spielt. Da­bei wird die selbst­re­fle­xi­ve Nach­denk­lich­keit, die hin­ter den zu­wei­len trot­zi­gen Ein­las­sun­gen steckt, ge­flis­sent­lich über­se­hen. »Ich ha­be nie mit­ten im Le­ben ge­stan­den«, stellt Strauß an ei­ner Stel­le fest. Er le­be »als Trouvaille…von Trou­vail­len« heißt es an­de­ren­orts. Sich selbst ver­or­tet der Dich­ter al­so weit drau­ßen, jen­seits von Kum­pel­haf­tig­keit und Trend­set­ting.

Ei­gent­lich han­delt es sich bei Strauß’ neue­stem Buch um zwei Bü­cher. In »Zwi­schen Jetzt und Nu« wer­den in vier­zehn Ka­pi­teln in der Form von Pro­sa­ge­dich­ten »bit­ter­ste Fünk­chen« (Strauß) ge­zün­det, die zum Teil ähn­lich my­stisch-sur­re­al klin­gen wie in »Oni­rit­ti«. Strauß zeigt sich dies­mal vor al­lem als ein »Ge­fan­ge­ner sei­nes Zun­gen­schlags«, plä­diert vol­ler Lei­den­schaft für ei­ne Spra­che, die »glüht wie feu­ri­ges Ei­sen kurz vor der Schmel­ze«, macht es sich ab­sichts­voll un­ge­müt­lich in ei­ner »Hüt­te aus Alt­spra­che« und er­zählt ei­ne Men­ge skur­ri­ler Din­ge, wie et­wa ei­ne Per­son, die ihr Le­ben lang die Ker­ne der Kir­schen auf­ge­ho­ben hat, die sie ge­ges­sen hat­te. Er se­ziert ei­nen Blu­men­strauß, ent­deckt an ei­nem Sand­strand ein­hun­dert Jah­re al­te Mul­den von Frau­en, fei­ert das »Wun­der der Er­schöp­fung«, dif­fe­ren­ziert zwi­schen Nichs­tuer und Fau­len­zer, ent­deckt die »Gottver­lassenheit des Dis­ku­tie­rens«, macht Kin­der zu »Er­fah­rungs­ur­alten«, die »erst zu klei­nen Er­wach­se­nen [wer­den], wenn sie an der Er­fah­rungs­ar­mut der Er­wach­se­nen teil­neh­men und teil­neh­men müs­sen« und ent­wickelt ei­ne Dys­to­pie über ei­ne Han­dy-App, die bei Per­so­nen auf Wunsch »aus­ge­such­te Er­in­ne­rungs­zo­nen mit Dun­kel­stof­fen ‘be­schießt’, al­so schwärzt«.

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Bo­tho Strauß: Oni­rit­ti

Botho Strauß: Oniritti - Höhenbilder
Bo­tho Strauß:
Oni­rit­ti – Hö­hen­bil­der

Un­längst konn­te man le­sen, dass bei der Be­sied­lung des Mars durch Erd­be­woh­ner (op­ti­mi­sti­sche Pla­nun­gen se­hen dies ab 2025 vor) auf Häu­ser ver­zich­tet wer­den muss. Me­teo­ri­ten­schau­er, Sand­stür­me, Temperaturschwan­kungen und Welt­raum­strah­lun­gen ma­chen dies un­mög­lich. Statt­des­sen müss­ten die Erd­lin­ge in La­va­höh­len und ‑kra­tern le­ben, die es auf dem ro­ten Pla­ne­ten auch in grö­sse­rer An­zahl zu ge­ben scheint. Ein be­rühm­ter Ar­chi­tekt hat hier­zu be­reits ent­spre­chen­de Ent­wür­fe vor­ge­legt. Am En­de des ver­mut­lich größ­ten tech­no­lo­gisch-zi­vi­li­sa­to­ri­schen Ak­tes der Mensch­heit wä­re der Ho­mo sa­pi­ens wie­der ein Höh­len­be­woh­ner.

Es ist eher un­wahr­schein­lich, das Bo­tho Strauß beim Schrei­ben sei­nes neu­en Bu­ches »Oni­rit­ti – Höh­len­bil­der« die­ses Bild vor Au­gen hat­te. Er de­fi­niert Oni­rit­ti als »Bild­schrif­ten auf der Höh­len­wand der Nacht«, er­wähnt ei­nen Ge­dan­ken von An­dré Le­roi-Gour­han über die Höh­len­bil­der von Las­caux, schickt den Le­ser gleich zu Be­ginn in das »Un­ter­ir­di­sche Reich Agh­ar­ti« und da­nach nach »Id­le Ci­ty«, dem »Mär­chen­reich der ge­brech­li­chen See­len«, phan­tas­ma­go­riert von »ge­hei­men Grot­ten« und ent­deckt ein »Ha­des­äqui­va­lent«.

Die Höh­le, bei Pla­ton einst Sinn­bild für das un­freie In­di­vi­du­um, ist hier nicht mehr der Ort der Ma­ni­pu­la­ti­on und des (fal­schen) Scheins, son­dern wird zum Exil der letz­ten (den­ken­den) Men­schen um­ge­wer­tet. Er­klomm Za­ra­thu­stra den Berg so haust Strauß in der Höh­le. Die Schat­ten- und Trug­bil­der fin­det er in ei­ner an­de­ren, ei­ner vir­tu­el­len Welt, die die rea­le Welt zu usur­pie­ren droht oder be­reits usur­piert hat. »Schon ver­strickt oder nur ver­netzt« lau­tet denn auch leicht süf­fi­sant ein­mal die Fra­ge. Der Ver­netz­te ist der Ge­fan­ge­ne des 21. Jahr­hun­derts und Rück­zug die neue Bür­ger­pflicht.

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Und ewig grüsst das Skan­da­lon

Ob tö­rich­ter Un­sinn oder ein­fach nur an­de­rer Stand­punkt: Es geht im­mer gleich ums Gan­ze, wenn das Feuil­le­ton­ge­richt tagt und ih­re Adep­ten sich em­pö­ren dür­fen.

»So wie ein Dich­ter po­li­tisch wir­ken will, muß er sich ei­ner Par­tei hin­ge­ben; und so­wie er die­ses tut, ist er als Po­et ver­lo­ren; er muß sei­nem frei­en Gei­ste, sei­nem un­be­fan­ge­nen Über­blick Le­be­wohl sa­gen und da­ge­gen die Kap­pe der Bor­niert­heit und des blin­den Has­ses über die Oh­ren zie­hen.«

Kaum ein Wort aus Goe­thes Ge­sprä­chen mit Ecker­mann dürf­te häu­fi­ger zi­tiert wor­den sein, wenn es wie­der ein­mal dar­um ging ei­nem Schrift­stel­ler sei­ne po­li­ti­schen Ver­feh­lun­gen oder ein­fach nur Fett­näpf­chen nach­zu­wei­sen. Fast im­mer gin­gen sol­che Vor­wür­fe da­mit ein­her, ihm/ihr auch gleich noch die li­te­ra­ri­sche Re­pu­ta­ti­on in to­to ab­zu­spre­chen.

Be­trach­tet man nur ein­mal die letz­ten ein­hun­dert Jah­re so ist die Ket­te der po­li­tisch in­kri­mi­nier­ten Schrift­stel­ler be­acht­lich. Man den­ke nur ein­mal an die Schrif­ten ei­nes ge­wis­sen Tho­mas Mann 1914, je­ne »Ge­dan­ken im Krie­ge«, die sich spä­ter noch in ei­nem Kon­vo­lut mit dem süf­fi­san­ten Ti­tel »Be­mer­kun­gen ei­nes Un­po­li­ti­schen« er­wei­ter­ten. Mann war da­mals – im Ge­gen­satz zu sei­nem Bru­der Hein­rich – ein ra­di­ka­ler Ver­fech­ter der deut­schen »Kul­tur«, die er der »Zi­vi­li­sa­ti­on« bei­spiels­wei­se der Fran­zo­sen als völ­lig über­le­gen an­sah. Et­was, was heu­te nichts an­de­res als Kopf­schüt­teln er­zeugt. Hin­ge­gen die Fra­ge, wel­cher der bei­den – Tho­mas oder Hein­rich – denn am En­de der sprach­mäch­ti­ge­re Dich­ter ge­we­sen sei, ziem­lich ein­deu­tig be­ant­wor­tet wird.

Die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen

Ich kür­ze die Dis­kus­si­on ab und nen­ne nur die Li­ste der üb­li­chen Ver­däch­ti­gen wie Ham­sun, Benn, Pound, Cé­li­ne, Jün­ger, T. S. Eli­ot auf der rech­ten oder Ara­gon, Bloch, Sart­re und Feucht­wan­ger auf der lin­ken Sei­te. Ich er­läu­te­re nicht im De­tail die Na­zi-Treue Ham­suns, sei­nen Hit­ler-Nach­ruf, der ihn in Nor­we­gen, sei­ner Hei­mat, zur per­so­na non gra­ta mach­te. Ich di­ver­si­fi­zie­re nicht Ez­ra Pounds Mus­so­li­ni-Fas­zi­na­ti­on, sei­nen Mo­der­ne-Hass, sein Lieb­äu­geln mit dem Fa­schis­mus und sei­ne un­mensch­li­che Be­hand­lung, die man ihm da­nach hat an­ge­dei­hen las­sen. Und ich schwel­ge auch nicht in De­tails über die Gu­lag-Schön­red­ner, die bis in die 1970er Jah­re Sta­lin und Kon­sor­ten für die bes­se­ren Po­li­ti­ker hiel­ten als die »Im­pe­ria­li­sten« in den USA.

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Schwarm und Idi­ot

Phi­lo­so­phi­sches und Apho­ri­sti­sches von By­ung-Chul Han und Bo­tho Strauß

In sei­nem Buch »Lich­ter des To­ren – Der Idi­ot und sei­ne Zeit« (LT; 2013) fin­det Bo­tho Strauß ei­ne kon­zi­se For­mu­lie­rung für das Phä­no­men des Schwarms im In­ter­net: »Netz-Schwär­me sind kei­ne kon­su­mi­sti­sche Mas­se, son­dern las­sen in kor­re­lier­ten Pro­zes­sen do­mi­nan­te Leit­sy­ste­me ent­ste­hen, die im Kern die­sel­be Bot­schaft ver­brei­ten – in Mei­nun­gen, Vor­lie­ben, Ver­dam­mun­gen und Di­rek­ti­ven.« (LT 79)

Byung-Chul Han: Im Schwarm - Ansichten eines Digitalen
By­ung-Chul Han: Im Schwarm –
An­sich­ten ei­nes Di­gi­ta­len

Die­se Form ei­ner De­fi­ni­ti­on ist in Strauß’ an­son­sten meist sen­ten­ziö­sem Buch un­ge­wöhn­lich. Es könn­te je­doch als Leit­spruch auch über den un­längst er­schie­ne­nen Es­say »Im Schwarm – An­sich­ten des Di­gi­ta­len« von By­ung-Chul Han ste­hen (IS; 2013). Wo Strauß et­was ne­bu­lös vom »Plu­ri­mi-Fak­tor« schreibt, der »das Ho­he zu­gun­sten des Brei­ten« ab­wer­te (LT 32), spricht Han vom Schwarm. Wie Strauß un­ter­schei­det Han Mas­se von Schwarm und spricht zu­nächst neu­tral von Men­ge. »Die neue Men­ge heißt der di­gi­ta­le Schwarm« (IS 19). Die Un­ter­schie­de zur Mas­se sind im­ma­nent. Der Schwarm hat, so die The­se, kei­ne See­le, kei­nen Geist. See­le sei »ver­sam­melnd«, so Han, der Schwarm be­stehe je­doch aus »ver­ein­zel­ten In­di­vi­du­en«. Ei­ne Mas­se »of­fen­bart Ei­gen­schaf­ten, die auf die Ein­zel­nen nicht zu­rück­zu­füh­ren sind. Die ein­zel­nen ver­schmel­zen zu ei­ner neu­en Ein­heit« (IS 19). Das Gan­ze ist eben mehr als die Sum­me sei­ner Tei­le. Die In­di­vi­du­en des Schwarms »ent­wickeln kein Wir.« Sie blie­ben al­lei­ne: »Elek­tro­ni­sche Me­di­en…ver­sam­meln Men­schen, wäh­rend die di­gi­ta­len Me­di­en sie ver­ein­zeln.« Der Schwarm­teil­neh­mer, der ho­mo di­gi­ta­lis, sei kein Nie­mand, son­dern ein Je­mand, »der sich aus­stellt und um Auf­merk­sam­keit buhlt«. Für Strauß ist der Schwarm so­gar be­droh­lich: »Wenn sich der Geist des Schwarms als Ord­nungs­macht eta­bliert, schlägt die Stun­de der Insur­gen­ten« (LT 41), so heißt es ein we­nig be­droh­lich.

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