Lektüreeindrücke zu Botho Strauß
In den letzten zehn Jahren, nach Herkunft 2014, einer eindrucksvollen Beschwörung und Manifestation der Kindheit und Adoleszenz, ist es um Botho Strauß zunehmend ruhiger geworden. Strauß betrieb nach diesem Erfolg eine erstaunliche Selbstfragmentierung seines Werks. In gleich zwei Büchern stellte er seine Theaterstücke, Romane und Essays als Steinbruch zur Verfügung. Zum einen in der von Heinz Strunk herausgegebenen Anthologie Der zurück in sein Haus gestopfte Jäger und wenig später bei der als »Gedankenbuch« apostrophierten Text- und Genrecollage Allein mit allen, herausgegeben und kompiliert von Sebastian Kleinschmidt. Allein mit allen ist in 17 thematisch sortierten Kapiteln gegliedert, die beispielsweise »Vom Geist: Verstehen, Gestimmtheit«, »Technik, Medien, Künstlichkeit», »Von der Erziehung« oder »Autorschaft, Sprache» überschrieben sind. Hier wurden nun einzelne Absätze, Szenen, Notate, Wahrnehmungs- und Gedankensplitter aus mehr als 30 Werken des Autors ergänzt um 87 damals neuer, bis dahin unpublizierter Einträge zu einem neuen Textgebilde zusammengefügt. In beiden Büchern werden im Anhang jeder einzelne Texteintrag dem entsprechenden Werk zugeordnet.

Im Nachwort nennt Kleinschmidt das entstandene Buch eine »poetische Enzyklopädie Straußscher Wissenskunst«, die als »Kunst des intuitiven Gedankenbaus und der reflexivem Unmittelbarkeit« eingeordnet wird. Tatsächlich erscheinen bekannte Zitate in einem anderen Zusammenhang stehend mitunter trefflicher und schärfer. Die Entbergung aus dem Kontext des Ursprungstextes hin zu einer neuen Kontextualisierung in einen thematischen Bereich ergeben neue, teilweise überraschende Zusammenhänge.
Ein Jahr zuvor bereits hatte Strauß mit Lichter des Toren einen hyperventilierend-zeitkritischen Essay in Form von Gedankensplittern und Aphorismen versucht, in dem er für den notorischen Einzelgänger und Digitalverweigerer nicht nur eine Lanze bricht, sondern sich in eine Form grimmiger Unversöhnlichkeit der Gesellschaft gegenüber versteigt, die er in einem schnöden Mitmachrausch sieht. Nicht wenige nahmen diese bisweilen wütenden Aus- und Einfälle als elitär wahr, attestierten ein »prunkendes Denken« (Thomas Schmid) und tatsächlich verstörte dieses Buch mit seiner bisweilen mürrischen Selbstgewissheit.