Re­né Pfi­ster: Ein fal­sches Wort

René Pfister: Ein falsches Wort
Re­né Pfi­ster: Ein fal­sches Wort

Re­né Pfi­ster ist seit fast zwan­zig Jah­ren in un­ter­schied­li­chen Funk­tio­nen beim Nach­rich­ten­ma­ga­zin Der Spie­gel tä­tig. 2019 geht er für das Ma­ga­zin in die USA. Do­nald Trump war Prä­si­dent und der Wahl­kampf hat­te be­reits be­gon­nen. Er kam mit sei­ner Fa­mi­lie nach Che­vy Cha­se, ei­nem, wie es heißt, li­be­ra­len Stadt­teil Wa­shing­tons. Hier wird die Re­gen­bo­gen­fah­ne ge­hisst und man ge­niert sich für Trump. Aber rasch be­kommt die­ses pa­ra­die­si­sche Bild Ris­se, et­wa wenn ihm je­mand er­zählt, dass sein Sohn in der Schu­le Pro­ble­me be­kommt, weil er nichts da­bei fin­det, dass Wei­ße Dre­ad­locks tra­gen. Pfi­ster er­kennt, dass die Fas­sa­de von Furcht durch­setzt ist. Es ist die Furcht, et­was Fal­sches zu den­ken und zu sa­gen. Denn so­fort droht die so­zia­le Aus­gren­zung – und even­tu­ell Schlim­me­res.

In den letz­ten Jah­ren häu­fen sich in den so frei­heit­lich ge­ben­den Ver­ei­nig­ten Staa­ten die »Fäl­le«, in de­nen ver­meint­lich un­be­dach­te Aus­sa­gen zu weit­rei­chen­den Fol­gen füh­ren. Pfi­ster bün­delt ei­ni­ge die­ser Er­eig­nis­se in sei­nem Buch »Ein Wort zu­viel«. Es ist, so der An­spruch, ein »Re­port« »wie ei­ne neue lin­ke Ideo­lo­gie aus Ame­ri­ka un­se­re Mei­nungs­frei­heit be­droht«.

Die Ka­pi­tel des Bu­ches sind Re­por­ta­gen, die mit­ein­an­der ver­knüpft wer­den. Da wird Ian Buru­ma be­sucht, der we­gen des Pro­te­stes über die Ver­öf­fent­li­chung ei­nes Tex­tes von Ji­an Ghome­shi, der zu Un­recht se­xu­el­ler Über­grif­fe an­ge­klagt war, sei­nen Chef­re­dak­teurs­po­sten bei der New York Re­view of Books auf­gab. Der Geo­phy­si­ker Do­ri­an Ab­bot schil­dert sei­ne Aus­la­dung als Red­ner beim MIT, weil er in ei­nem Text Qua­li­tät über »Di­ver­si­tät« stellt. Pfi­ster ana­ly­siert die neue »Cam­pus Cul­tu­re«, bei der Red­ner be­schimpft und ge­stört wer­den, wenn man es nicht ge­schafft hat, sie aus­zu­la­den und ih­re Bei­trä­ge da­mit zu ver­un­mög­li­chen.

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Jo­sef Braml: Die trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on

Josef Braml: Die transatlantische Illusion
Jo­sef Braml: Die
trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on

»Die trans­at­lan­ti­sche Il­lu­si­on« von Jo­sef Braml war be­reits vor dem Ein­marsch rus­si­scher Trup­pen in der Ukrai­ne ein Best­sel­ler. Der Ver­lag leg­te An­fang März mit ei­ner zwei­ten, ak­tua­li­sier­ten Auf­la­ge nach, in der das Er­eig­nis vom 24. Fe­bru­ar ein­ge­ar­bei­tet wur­de. Braml wird als Ge­ne­ral­se­kre­tär der »Tri­la­te­ra­len Kom­mis­si­on« vor­ge­stellt, ei­ner so­ge­nann­ten Denk­fa­brik (»Thinktank« – bö­se über­setzt mit »Denk­pan­zer«), der – wie dies mit den mei­sten Or­ga­ni­sa­tio­nen die­ser Art so üb­lich zu sein scheint – ei­ni­ge My­then ob ih­rer Aus­wir­kun­gen und Di­men­sio­nen an­haf­ten.

Ent­ge­gen der Er­war­tung, die man nach dem Vor­wort an den Ti­tel hegt, geht es al­ler­dings nicht nur um Si­cher­heits- und Ver­tei­di­gungs­po­li­tik. Der Er­folg des Bu­ches dürf­te sich auch der de­zi­diert kri­ti­schen Sicht auf die USA ver­dan­ken. In fast be­schwö­ren­dem Ton wird aus­ge­führt, dass sich Eu­ro­pa nicht län­ger der »trans­at­lan­ti­schen Il­lu­si­on« hin­ge­ben dür­fe. Die USA, so die The­se, wer­den in na­her Zu­kunft nicht mehr als »Schutz­macht« für »Si­cher­heit und Wohl­stand der Al­ten Welt« zur Ver­fü­gung ste­hen, weil sich der geo­stra­te­gi­sche Fo­kus auf den In­do-pa­zi­fi­schen Raum, ins­be­son­de­re, Chi­na kon­zen­trie­re. Aber eben auch, weil die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sel­ber nicht mehr ei­ne sta­bi­le Macht dar­stel­len.

Als Be­leg hier­für wird der »ame­ri­ka­ni­sche Pa­ti­ent« ei­ner ge­nau­en Un­ter­su­chung un­ter­zo­gen. Nichts wird aus­ge­las­sen. Et­wa die un­zu­läs­si­gen au­ßen­po­li­ti­schen Ein­mi­schun­gen seit den 1950er Jah­ren vor al­lem in Süd­ame­ri­ka (Gua­te­ma­la, Chi­le) und im Na­hen und Mitt­le­ren Osten (von Mossadegh/Iran 1953 bis in die Ge­gen­wart). Als Tief­punkt wird der völ­ker­rechts­wid­ri­ge und mit Lü­gen un­ter­füt­ter­te Irak­krieg 2003 her­aus­ge­stellt. Im­mer­hin wür­den die Af­fä­ren und Miss­grif­fe der Au­ßen­po­li­tik im Nach­hin­ein min­de­stens teil­wei­se öf­fent­lich auf­ge­ar­bei­tet – an­ders als et­wa in Dik­ta­tu­ren.

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»Der Frie­den nach dem Kal­ten Krieg ist vor­bei«

Allen/Hodges/Lindley-French: Future War
Al­len/Hod­ge­s/­Lind­ley-French: Fu­ture War

»Fu­ture War«, das Buch drei­er Mi­li­tär­stra­te­gen, erst­mals 2021 pu­bli­ziert und jetzt in deut­scher Über­set­zung vor­lie­gend, be­kommt durch die rus­si­sche In­va­si­on in die Ukrai­ne zu­sätz­li­che Re­le­vanz. Die Lek­tü­re ist be­un­ru­hi­gend, er­nüch­ternd und an­stren­gend, aber auch loh­nend.

Zwei Ta­ge vor der In­va­si­on rus­si­scher Trup­pen in die Ukrai­ne er­schien das Buch »Fu­ture War – Be­dro­hung und Ver­tei­di­gung Eu­ro­pas« in deut­scher Spra­che. Ge­schrie­ben wur­de es von den bei­den ehe­ma­li­gen US-Ge­ne­rä­len John R. Al­len und Fre­de­rick Ben Hod­ges so­wie dem bri­ti­schen Mi­li­tär­hi­sto­ri­ker Ju­li­an Lind­ley-French. Die deut­sche Über­set­zung stammt von Bet­ti­na Ve­string (der man aus vie­len Grün­den ein gro­ßes Lob zol­len muss). Der Ver­lag weist zu Recht auf die trau­ri­ge Ak­tua­li­tät des Bu­ches hin, wel­ches, so Klaus Nau­mann, ehe­ma­li­ger Ge­ne­ral und Ge­ne­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr, in glück­li­che­ren Zei­ten ge­schrie­ben wor­den sei. Tat­säch­lich er­schien »Fu­ture War« 2021 in der »Ox­ford Uni­ver­si­ty Press«. Die Lek­tü­re zer­streut den Ein­druck rasch, da­mals sei­en we­sent­lich glück­li­che­re Zei­ten ge­we­sen.

Die Kern­the­sen des Bu­ches sind schnell um­ris­sen: Er­stens er­for­dert die Ver­tei­di­gung Eu­ro­pas im zu­künf­ti­gen Krieg ein neu­es, um­fas­sen­des Si­cher­heits­kon­zept, in dem in­di­vi­du­el­le Si­cher­heit und na­tio­na­le Ver­tei­di­gung mit­ein­an­der har­mo­nie­ren. Bei­de sind un­ver­zicht­bar für ei­ne neue Art von Ab­schreckung, die sich im kom­ple­xen Mo­sa­ik der Hybrid‑, Cy­ber- und Hy­per-Kriegs­füh­rung be­wäh­ren muss. Zwei­tens ha­ben die neu­en Tech­no­lo­gien zur Fol­ge, dass sich die Füh­rung mo­der­ner Krie­ge – und folg­lich auch die eu­ro­päi­sche Ver­tei­di­gung – von Grund auf ver­än­dert.

Lei­der sind, so die im­mer wie­der­hol­te Prä­mis­se, die­se Ent­wick­lun­gen durch die Co­vid-19-Pan­de­mie ins­be­son­de­re in Eu­ro­pa, aber auch in den USA, aus dem Fo­kus ge­ra­ten. Die Staa­ten hät­ten, wie es leicht vor­wurfs­voll – vor al­lem in Rich­tung Deutsch­land – heißt, in der Pan­de­mie lie­ber in in­di­vi­du­el­le mensch­li­che Si­cher­heit als in na­tio­na­le Ver­tei­di­gung in­ve­stiert. Da­bei ist die Pan­de­mie nur ein Be­schleu­ni­ger ei­ner eu­ro­päi­schen Brä­sig­keit hin­sicht­lich der Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft zu ver­ste­hen. Die Au­toren spre­chen von ei­nem schwin­del­erre­gen­den Nie­der­gang Eu­ro­pas seit 2010. Es wer­den vier glo­ba­le Me­ga­trends ge­nannt, die Eu­ro­pas Nie­der­gang noch be­schleu­ni­gen könn­ten: Der Kli­ma­wan­del (und die hier­aus ent­ste­hen­de Mas­sen-Mi­gra­ti­on), der de­mo­gra­fi­sche Wan­del (aus­ster­ben­de Ge­sell­schaf­ten), Was­ser- und Res­sour­cen­knapp­heit (bzw. stra­te­gi­sche Ab­hän­gig­kei­ten zu Staa­ten wie Russ­land und Chi­na) und die Ver­schie­bung wirt­schaft­li­cher und mi­li­tä­ri­scher Macht in Rich­tung Asi­en.

Über­be­an­spru­chung der USA

Wäh­rend die USA sich vor al­lem von Chi­nas zu­neh­men­den Ag­gres­sio­nen im süd­pa­zi­fi­schen Meer (ins­be­son­de­re um Tai­wan her­um) zu kon­zen­trie­ren hat und den Blick auf die Kri­sen­si­tua­tio­nen im Mitt­le­ren Osten legt, glau­ben die Eu­ro­pä­er im­mer noch, sich im Zwei­fel auf den, wie es bis­wei­len po­le­misch heißt, ame­ri­ka­ni­schen Steu­er­zah­ler ver­las­sen zu kön­nen. Da­bei dürf­te bei ei­ner Gleich­zei­tig­keit meh­re­rer Kon­flik­te den USA rasch die Res­sour­cen aus­ge­hen und ih­re Prio­ri­tä­ten nicht mehr in Eu­ro­pa zu fin­den sein.

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Kö­nigs­ma­cher und Kon­troll­freak

Ei­ne Be­mer­kun­gen zum Film »Ke­vin Küh­nert und die SPD« von Ka­tha­ri­na Schie­le und Lu­cas Strat­mann

Ir­gend­wann 2019 trifft sich Ke­vin Küh­nert im Rah­men ei­ner Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung mit Phil­ipp Amt­hor, dem vier Jah­re jün­ge­ren Nach­wuchs­star der CDU. Die Le­bens­läu­fe äh­neln sich. Bei­de ha­ben ihr gan­zes bis­he­ri­ges Be­rufs­le­ben in Gre­mi­en von po­li­ti­schen Par­tei­en ver­bracht und dort re­üs­siert. Amt­hor hat im­mer­hin die »Er­ste Ju­ri­sti­sche Prü­fung« ab­sol­viert, Küh­nert ist Stu­di­en­ab­bre­cher. Der auf­merk­sa­me Zu­schau­er er­in­nert sich an ei­ne Sze­ne im Film, dass ein Bild des Kop­fes von Amt­hor an ir­gend­ei­ner Pinn­wand im Wil­ly-Brandt-Haus im Hin­ter­grund se­hen war als sich Küh­nert und sei­ne En­tou­ra­ge Hoch­rech­nun­gen an­schau­ten – ver­mut­lich als Scherz­mit­tel. Amt­hor er­kun­digt sich, war­um ein Film­team da­bei ist und Küh­nert klärt ihn auf, dass dies für ei­ne Lang­zeit-Do­ku­men­ta­ti­on sei; ge­plant bis zur Bun­des­tags­wahl 2021. Er ha­be das auch schon mal über­legt, so Amt­hor, der sich ver­mut­lich sor­gen wür­de, dass die Pri­vat­heit zu kurz kommt. Kein Pro­blem, klärt ihn Küh­nert auf, »wenn ich sa­ge ‘ist nicht’ – dann ist nicht«.

Ge­nau dies muss man in den mehr als drei Stun­den, den der Film »Ke­vin Küh­nert und die SPD« dau­ert (or­dent­lich por­tio­niert auf sechs Fol­gen), im­mer im Au­ge ha­ben: Es ist die ste­ri­le Au­then­ti­zi­tät ei­nes »Best of«, wel­ches Ka­tha­ri­na Schie­le und Lu­cas Strat­mann von Ke­vin Küh­nert zwi­schen 2018 und 2021 mit des­sen Er­laub­nis zei­gen. Es ist ei­ne Si­mu­la­ti­on von Rea­li­tät, ein be­stimm­tes Image trans­por­tie­rend. Ge­zeigt wird je­mand, der per­ma­nent Me­di­en kon­su­miert und sich in den Me­di­en Prä­senz ver­schafft, eben weil er in ei­ner Po­si­ti­on als Ju­so-Vor­sit­zen­der (bis En­de 2020) ge­nau die­se Prä­senz er­hält. Küh­nert, der stän­dig un­ter Strom zu sein scheint, ist Ak­teur in ei­ner selbst­re­fe­ren­ti­el­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­spi­ra­le ei­ner Po­lit­bubble, die nur ei­nen Fix­punkt hat: Ke­vin Küh­nert.

Er macht es den Me­di­en leicht, ist ein dank­ba­rer In­ter­view­part­ner, (fast) stän­dig ver­füg­bar und re­ak­ti­ons­schnell, wenn es dar­um geht, Aus­sa­gen sei­ner Ge­nos­sen und/oder des po­li­ti­schen Geg­ners schlag­zei­len­träch­tig zu kom­men­tie­ren. Wenn er den säch­si­schen Mi­ni­ster­prä­si­den­ten Kret­schmer als »Sprech­au­to­mat« be­zeich­net, so ist dies durch­aus als Di­stanz zu den Phra­sen des Po­lit­be­triebs ge­meint, die Küh­nert im­mer ver­sucht ist, zu um­ge­hen um ei­ge­ne Punk­te zu set­zen.

Bei al­ler In­sze­nie­rung – es gibt sie eben doch, die ehr­li­chen Mo­men­te. Als Küh­nert im Eu­ro­pa­wahl­kampf in der ober­ber­gi­schen Pro­vinz vor­fährt und für ein paar Stun­den das Ba­sis­par­füm in ei­ner Gast­stät­te ein­at­met, bricht er sich noch vor dem Buf­fet auf. Man ver­ab­schie­det ihn herz­lich; er ist wirk­lich ei­ne Art von Hoff­nungs­trä­ger. Als die Au­to­tür zu­schlägt ent­fleucht ihm ein Seuf­zer: »Mei­ne Gü­te«. Und da blitzt die Ver­ach­tung des Funk­tio­närs dem Klein­bür­ger ge­gen­über auf.

Als er in ei­nem ZEIT-In­ter­view 2019 die Kol­lek­ti­vie­rung von Un­ter­neh­men als lang­fri­sti­ges Ziel aus­gibt, um den Ka­pi­ta­lis­mus zu über­win­den, kon­tert er den Wi­der­spruch auch in den ei­ge­nen Rei­hen mit ei­nem trot­zi­gen »das muss­te mal ge­sagt wer­den« und mo­niert, dass der Bei­trag im Netz im­mer noch hin­ter ei­ner Be­zahl­schran­ke ver­bor­gen ist. Wenn hier­zu die In­ter­view­an­fra­gen an­de­rer Me­di­en ex­plo­die­ren, kon­tert Küh­nert dies mit »Aas­geie­rei«, weil die zu er­war­ten­den Fra­ge­stel­lun­gen nicht nach sei­nem Ge­schmack aus­fal­len dürf­ten. Wenn er könn­te, wür­de er auch noch die Fra­gen an sich sel­ber for­mu­lie­ren wol­len. Im­mer­hin wird der »Volks­ver­pet­zer« ge­lobt, der als Si­de­kick zu Küh­nerts Pres­se­spre­cher die In­ter­view-Pas­sa­ge ent­spre­chend deu­tet.

Bei DWDL steht zu le­sen, was Küh­nert zur Do­ku­men­ta­ti­on sag­te: »Vie­le lei­ten ihr Ver­ständ­nis von po­li­ti­schen Pro­zes­sen und Par­la­men­ta­ris­mus von dem ab, was sie in Fil­men und Se­ri­en se­hen, wäh­rend das kon­kre­te Ver­ständ­nis des ei­ge­nen na­tio­na­len oder re­gio­na­len Par­la­ments sehr ge­ring aus­ge­prägt ist.« Wei­ter steht dort, er, al­so Küh­nert, »ha­be zei­gen wol­len, ‘wie Po­li­tik aus­se­hen kann, wenn sie nicht aus dem par­la­men­ta­ri­schen Zu­sam­men­hang her­aus kommt’ «.

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Sahra Wa­gen­knecht: Die Selbst­ge­rech­ten

Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten
Sahra Wa­gen­knecht:
Die Selbst­ge­rech­ten

Sahra Wa­gen­knecht ge­hört in Deutsch­land zwar zu den be­kann­te­sten Po­li­ti­kern der Par­tei Die Lin­ke (hier im wei­te­ren »Links­par­tei« ge­nannt, um die­se von der all­ge­mein­po­li­ti­schen Rich­tung »Lin­ke« ab­zu­gren­zen), aber ist auch ein Bei­spiel da­für, dass Be­kannt­heit, über­par­tei­li­che Be­liebt­heit und Re­spekt nicht au­to­ma­tisch mit Ein­fluss in der je­wei­li­gen Par­tei ver­bun­den ist. Man spricht dann schnell von je­man­den, der »in der fal­schen Par­tei« sei.

Man kann Wa­gen­knecht vie­les vor­wer­fen, aber Angst vor Kon­flik­ten ge­hört nicht da­zu. Trotz ih­rer Ent­mach­tung nebst Ab­lö­sung als Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der Links­par­tei im Bun­des­tag 2019 und dem mehr oder we­ni­ger sicht­ba­ren Schei­tern ei­ner au­ßer­par­la­men­ta­ri­schen, lin­ken Samm­lungs­be­we­gung »auf­ste­hen« wagt sie sich im­mer wie­der ins Ge­tüm­mel. So wur­de sie un­längst zur Spit­zen­kan­di­da­tin der Links­par­tei in NRW ge­wählt, was da­hin­ge­hend in­ter­es­sant ist, weil Wa­gen­knecht ei­gent­lich nichts mit die­sem Bun­des­land zu tun hat. Was sie nicht da­von ab­hält, im Wahl­kreis Düs­sel­dorf II an­zu­tre­ten.

Zum in­ner­par­tei­li­chen Streit­fall wur­de die Kan­di­da­tur un­ter an­de­rem durch die Pu­bli­ka­ti­on ih­res neue­sten Bu­ches »Die Selbst­ge­rech­ten«, in dem Wa­gen­knecht fu­ri­os mit dem so­ge­nann­ten »Links­li­be­ra­lis­mus« ins Ge­richt geht, für den sie bis­wei­len den leicht de­spek­tier­li­chen, aber grif­fi­gen Be­griff »Life­style-Lin­ke« ver­wen­det.

Al­len Be­kennt­nis­sen zum Trotz ist »Die Selbst­ge­rech­ten« bis­wei­len durch­aus auch ei­ne Ab­rech­nung. Da­bei ist es kein Zu­fall, dass es star­ke Über­ein­stim­mun­gen mit Bernd Ste­ge­manns »Die Öf­fent­lich­keit und ih­re Fein­de« gibt – war doch Ste­ge­mann Mit­grün­der und im Vor­stand von »auf­ste­hen«. Wa­gen­knechts Vor­ha­ben geht aber wei­ter. Zwar kri­ti­siert sie zu­nächst auf rund 200 Sei­ten die so­ge­nann­te »lin­ke« Iden­ti­täts­po­li­tik, aber an­schlie­ßend fol­gen auf rund 140 Sei­ten Po­si­tio­nie­run­gen für ei­ne neue, zeit­ge­mä­sse »lin­ke« Po­li­tik, die die­sen Na­men ver­die­nen soll.

Ent­frem­de­te Life­style-Lin­ke

Im Fo­kus von Wa­gen­knechts Kri­tik steht der »Links­li­be­ra­lis­mus«. Da­mit meint sie aus­drück­lich nicht die so­zi­al­li­be­ra­le Po­li­tik­rich­tung der Re­gie­run­gen zwi­schen 1969 und 1982: »Wenn in die­sem Buch von Links­li­be­ra­lis­mus die Re­de ist, ist der Be­griff im­mer im mo­der­nen Ver­ständ­nis als Be­zeich­nung für die Welt­sicht der Life­style-Lin­ken ge­meint und nie in dem frü­he­ren Wort­sinn.« Die­se Un­ter­schei­dung sei wich­tig weil bei­de Denk­rich­tun­gen nichts mit­ein­an­der zu tun hät­ten. Den Be­griff ver­wen­de sie trotz­dem, weil er sich eta­bliert ha­be. Da­mit ver­fährt sie ähn­lich wie in ih­rem Buch »Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus« von 2011, in dem »Neo­li­be­ra­lis­mus« eben­falls in der zeit­ge­nös­si­schen Kon­no­ta­ti­on (vul­go: de­re­gu­lier­tes Wirt­schafts­sy­stem) ver­wen­det wird und nicht im Sin­ne der ordo-li­be­ra­len Ent­wür­fe von Eucken und Mül­ler-Arm­ack (ob­wohl sie die­se er­wähnt).

Die vor­ge­brach­te Dia­gno­se ist bei­lei­be nicht neu: Sich links wäh­nen­de Ak­ti­vi­sten, mehr­heit­lich aka­de­misch aus­ge­bil­det, so­li­de Mit­tel- bis Ober­schicht, groß­städ­tisch, »welt­of­fen und selbst­ver­ständ­lich für Eu­ro­pa, auch wenn je­der un­ter die­sen Schlag­wor­ten et­was an­de­res ver­ste­hen mag«, be­sorgt ums Kli­ma, setzt sich für »Eman­zi­pa­ti­on, Zu­wan­de­rung und se­xu­el­le Min­der­hei­ten ein«. Sie usur­pie­ren den Dis­kurs in­ner­halb der po­li­ti­schen Lin­ken. Der Na­tio­nal­staat ist die­sen »Life­style-Lin­ken« ein Aus­lauf­mo­dell: Man schätzt »Au­to­no­mie und Selbst­ver­wirk­li­chung mehr als Tra­di­ti­on und Ge­mein­schaft. Über­kom­me­ne Wer­te wie Lei­stung, Fleiß und An­stren­gung fin­det [man] un­cool.«

Wa­gen­knecht kon­sta­tiert ei­ne Ent­frem­dung der Lin­ken mit ih­ren po­ten­ti­el­len Wäh­lern: »Frü­her ge­hör­te es zum lin­ken Selbst­ver­ständ­nis, sich in er­ster Li­nie für die we­ni­ger Be­gün­stig­ten ein­zu­set­zen, für Men­schen oh­ne ho­he Bil­dungs­ab­schlüs­se und oh­ne res­sour­cen­star­kes fa­mi­liä­res Hin­ter­land. Heu­te steht das La­bel links meist für ei­ne Po­li­tik, die sich für die Be­lan­ge der aka­de­mi­schen Mit­tel­schicht en­ga­giert und die von die­ser Schicht ge­stal­tet und ge­tra­gen wird.«

Ge­meint ist der bis­wei­len ver­bit­ter­te, in Uni­ver­si­tä­ten aber auch so­zia­len Netz­wer­ken bis hin­ein in die Pu­bli­zi­stik ge­führ­te Kampf für Sprach- und Sprech­ge- bzw. ver­bo­te, vor al­lem je­doch ge­gen ver­meint­li­chen Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­run­gen von Min­der­hei­ten. Er will al­ler­dings, so Wa­gen­knecht, kei­ne recht­li­che Gleich­heit, son­dern ufert aus in »Quo­ten und Di­ver­si­ty, al­so für die un­glei­che Be­hand­lung un­ter­schied­li­cher Grup­pen.« Die Fol­ge: »Der iden­ti­täts­po­li­ti­sche Links­li­be­ra­lis­mus, der die Men­schen da­zu an­hält, ih­re Iden­ti­tät an­hand von Ab­stam­mung, Haut­far­be, Ge­schlecht oder se­xu­el­len Nei­gun­gen zu de­fi­nie­ren, […] spal­tet […] da, wo Zu­sam­men­halt drin­gend not­wen­dig wä­re. Er tut das, in­dem er an­geb­li­che Min­der­hei­ten­in­ter­es­sen fort­lau­fend in Ge­gen­satz zu de­nen der Mehr­heit bringt und An­ge­hö­ri­ge von Min­der­hei­ten da­zu an­hält, sich von der Mehr­heit zu se­pa­rie­ren und un­ter sich zu blei­ben. Nach­voll­zieh­ba­rer­wei­se führt das bei der Mehr­heit ir­gend­wann zu dem Ge­fühl, die ei­ge­nen In­ter­es­sen ih­rer­seits ge­gen die der Min­der­hei­ten be­haup­ten zu müs­sen.« (Her­vor­he­bun­gen S. W.)

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Ba­rack Oba­ma: Ein ver­hei­sse­nes Land

[...] Der Ti­tel könn­te pa­trio­ti­scher nicht sein: »Ein ver­hei­ße­nes Land«. Im (kur­zen) Vor­wort er­klärt Oba­ma, war­um für ihn die USA im­mer noch die­se Zu­wei­sung ver­dient. Die Vo­ka­bel des »ame­ri­ka­ni­schen Traums« ver­wen­det er zwar nicht di­rekt, aber sie wird fei­er­lich um­schrie­ben. Und Oba­ma kann auch Pa­thos, wenn er da­von spricht, »die Mög­lich­keit von Ame­ri­ka« nicht auf­zu­ge­ben, ...

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Ide­al­ty­pus DT

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»Zu Hit­ler fällt mir nichts ein«, schrieb Karl Kraus 1933 und sag­te dann doch ei­ni­ges über ihn.

»Zu Do­nald Trump fällt mir nichts ein«, den­ke ich manch­mal, und mein Über-Ich, das wie im­mer recht hat, wen­det ein, Trump sei nicht Hit­ler, und dann will mir wirk­lich nichts ein­fal­len. Ich glau­be nicht, daß ich, hät­te ich die Mög­lich­keit, mich mit die­sem Mann an ei­nen Kaf­fee­haus­tisch set­zen wür­de. Da ver­ste­he ich Gre­ta Thun­berg gut. Der Mann re­det ja nur über sich, zu sich und zu al­len.

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Zum Ty­pus, der im Ex­em­plar Ge­stalt an­ge­nom­men hat, fällt mir aber doch et­was ein. Er in­ter­es­siert mich, der Ty­pus, weil ich über­zeugt bin, daß der DT, der di­rec­tor té­c­ni­co, wie man in his­pa­ni­schen Län­dern Fuß­ball­trai­ner nennt, der be­ste Re­prä­sen­tant je­nes Men­schen­bilds ist, das der Neo­li­be­ra­lis­mus im Zu­ge der to­ta­len Öko­no­mi­sie­rung der Ge­sell­schaft oh­ne gro­ßes Hal­lo, viel­mehr als »Selbst­ver­ständ­lich­keit«, ver­brei­tet und ein­ge­wur­zelt hat. DT, der Ide­al­ty­pus: ego­istisch, selbst­dar­stel­le­risch, me­di­en­süch­tig, un­ge­bil­det, laut, vul­gär, stets den per­sön­li­chen Ge­winn, d. h. sei­ne Koh­le im Sinn. Ir­gend­wo, ir­gend­wann, es ist Jah­re her, gab es mal ei­ne Dis­kus­si­on, ob ein Land sei­ne po­li­ti­schen Füh­rer ver­dient ha­be oder nicht. Man sagt es nicht gern, nie­mand hört es gern, aber ich glau­be wohl, daß es da ei­ne Wi­der­spie­ge­lung gibt, auch wenn sie ver­zerrt und miß­braucht wer­den kann. Al­ler­dings ist das ei­ne Wech­sel­wir­kung, kei­ne Ein­bahn­wi­der­spie­ge­lung, die Prä­si­den­ten und Kanz­ler spie­geln zu­rück, sie be­stär­ken und be­ein­flus­sen die Mas­se und ge­brau­chen sie mit­tels der Mitt­ler, al­so der Me­di­en, und zwar so di­rekt wie mög­lich, oh­ne Jour­na­li­sten als Dämp­fer da­zwi­schen: Mitt­ler Twit­ter.

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Fra­ge an mei­ne öster­rei­chi­schen Freun­de

Na­he­zu al­le mei­ne Facebook-»Freunde« aus Öster­reich, die sich dort po­li­tisch äu­ßern, wa­ren und sind fast na­tur­ge­mäß ge­gen die Re­gie­rung Kurz ge­we­sen. Die Freu­de war ent­spre­chend groß als es nun hieß, es gibt Neu­wah­len. Man be­zieht na­tür­lich Po­si­ti­on: Ge­gen Kurz, noch mehr ge­gen die FPÖ, eher neu­tral zur SPÖ. So weit, so be­kannt.

Ich ha­be kei­ne Lust, die Face­book-Th­reads zu spren­gen. Da­her fra­ge ich hier im Blog: Wie stellt Ihr Euch ei­gent­lich ei­ne neue Re­gie­rung nach den Neu­wah­len vor? Vor­sicht, denn die Fra­ge ist ehr­lich ge­meint!

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