Ide­al­ty­pus DT

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»Zu Hit­ler fällt mir nichts ein«, schrieb Karl Kraus 1933 und sag­te dann doch ei­ni­ges über ihn.

»Zu Do­nald Trump fällt mir nichts ein«, den­ke ich manch­mal, und mein Über-Ich, das wie im­mer recht hat, wen­det ein, Trump sei nicht Hit­ler, und dann will mir wirk­lich nichts ein­fal­len. Ich glau­be nicht, daß ich, hät­te ich die Mög­lich­keit, mich mit die­sem Mann an ei­nen Kaf­fee­haus­tisch set­zen wür­de. Da ver­ste­he ich Gre­ta Thun­berg gut. Der Mann re­det ja nur über sich, zu sich und zu al­len.

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Zum Ty­pus, der im Ex­em­plar Ge­stalt an­ge­nom­men hat, fällt mir aber doch et­was ein. Er in­ter­es­siert mich, der Ty­pus, weil ich über­zeugt bin, daß der DT, der di­rec­tor té­c­ni­co, wie man in his­pa­ni­schen Län­dern Fuß­ball­trai­ner nennt, der be­ste Re­prä­sen­tant je­nes Men­schen­bilds ist, das der Neo­li­be­ra­lis­mus im Zu­ge der to­ta­len Öko­no­mi­sie­rung der Ge­sell­schaft oh­ne gro­ßes Hal­lo, viel­mehr als »Selbst­ver­ständ­lich­keit«, ver­brei­tet und ein­ge­wur­zelt hat. DT, der Ide­al­ty­pus: ego­istisch, selbst­dar­stel­le­risch, me­di­en­süch­tig, un­ge­bil­det, laut, vul­gär, stets den per­sön­li­chen Ge­winn, d. h. sei­ne Koh­le im Sinn. Ir­gend­wo, ir­gend­wann, es ist Jah­re her, gab es mal ei­ne Dis­kus­si­on, ob ein Land sei­ne po­li­ti­schen Füh­rer ver­dient ha­be oder nicht. Man sagt es nicht gern, nie­mand hört es gern, aber ich glau­be wohl, daß es da ei­ne Wi­der­spie­ge­lung gibt, auch wenn sie ver­zerrt und miß­braucht wer­den kann. Al­ler­dings ist das ei­ne Wech­sel­wir­kung, kei­ne Ein­bahn­wi­der­spie­ge­lung, die Prä­si­den­ten und Kanz­ler spie­geln zu­rück, sie be­stär­ken und be­ein­flus­sen die Mas­se und ge­brau­chen sie mit­tels der Mitt­ler, al­so der Me­di­en, und zwar so di­rekt wie mög­lich, oh­ne Jour­na­li­sten als Dämp­fer da­zwi­schen: Mitt­ler Twit­ter.

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By­ung-Chul Han: Vom Ver­schwin­den der Ri­tua­le

Byung-Chul Han: Vom Verschwinden der Rituale
By­ung-Chul Han:
Vom Ver­schwin­den der Ri­tua­le

Im sehr kur­zen Vor­wort zu sei­nem Buch über das Ver­schwin­den der Ri­tua­le plat­ziert By­ung-Chul Han so et­was wie ei­ne Klar­stel­lung: Es gin­ge nicht dar­um, ei­ne ver­schwun­de­ne Zeit zu be­kla­gen, son­dern es wür­de »oh­ne Nostalgie…eine Ge­nea­lo­gie ih­res Ver­schwin­dens skiz­ziert.«

Das Buch hat nicht ein­mal 130 Sei­ten. Aber die ha­ben es in sich. Wie ein Schmied häm­mern die im zu­wei­len auf­dring­lich da­her­kom­men­den Heid­eg­ger-Duk­tus for­mu­lier­ten Sät­ze auf den Le­ser ein, ei­nem Le­ser, der so­fort zu Glü­hen be­ginnt, ei­ne Mi­schung aus (an­fäng­li­cher) Fas­zi­na­ti­on, Neu­gier und, be­son­ders ge­gen En­de, auch Ver­stö­rung. Doch da­zu spä­ter.

Han wie­der­holt in die­sem Buch ei­ni­ge The­sen sei­ner kultur‑, zi­vi­li­sa­ti­ons- und zeit­kri­ti­schen Sicht­wei­sen und er­wei­tert sie um das Ele­ment der Ri­tua­le und Ze­re­mo­nien. Er gilt als Kri­ti­ker der mo­der­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel, die er mit Ka­pi­ta­lis­mus­kri­tik ver­knüpft. Die In­ter­net­kom­mu­ni­ka­ti­on be­herr­sche nicht nur das Mit­ein­an­der son­dern tra­ge auch noch zur Selbst­aus­beu­tung des ar­bei­ten­den Sub­jekts bei. Der bö­se Ka­pi­ta­list, der sei­ne Mit­ar­bei­ter knech­tet, hat aus­ge­dient. Heu­te be­gibt sich das In­di­vi­du­um sel­ber und frei­wil­lig in Ab­hän­gig­kei­ten. Die­se Kri­tik ist nicht neu; sie wur­de schon vor ei­ni­ger Zeit als »Ko­lo­nia­li­sie­rung der Le­bens­welt« durch die Öko­no­mie be­schrie­ben. Han nennt den Feind ein we­nig ne­bu­lös »neo­li­be­ra­les Re­gime«.

Es fol­gen durch­aus in­ter­es­san­te Ein­sich­ten, bei­spiels­wei­se über das Smart­phone, wel­ches »kein Ding im Sin­ne von Han­nah Are­ndt« sei, weil ihm »die Sel­big­keit, die das Le­ben sta­bi­li­siert« feh­le. Oder die Kom­mer­zia­li­sie­rung von Wer­ten wie Ge­rech­tig­keit, Mensch­lich­keit oder Nach­hal­tig­keit, die leid­lich »öko­no­misch aus­ge­schlach­tet« wür­den. Den Wer­be­spruch »Tee trin­kend die Welt ver­än­dern« ei­nes Fair­trade-Un­ter­neh­mens kom­men­tiert Han sar­ka­stisch: »Welt­ver­än­de­rung durch Kon­sum, das wä­re das En­de der Re­vo­lu­ti­on.« Prä­gnant die Hin­wei­se über die Emo­tio­na­li­sie­rung und »die mit ihr zu­sam­men­hän­gen­de Äs­the­ti­sie­rung der Wa­re«. Das Äs­the­ti­sche wer­de »durch das Öko­no­mi­sche ko­lo­nia­li­siert« (sic!). Auch dies ei­ne hin­läng­lich be­kann­te Kla­ge.

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