A. L. Ken­ne­dy: Glei­ssen­des Glück

A. L. Kennedy: Gleissendes Glück
A. L. Ken­ne­dy: Glei­ssen­des Glück

He­len ist ei­ne nor­ma­le Haus­frau. Sie träumt von ei­nem glück­li­chen Le­ben, ar­bei­tet nicht. Ihr Mann ist sel­ten zu Hau­se, trinkt sich ei­nen oder sitzt im Un­ter­hemd vor dem Fern­se­hen. He­len macht Mor­gen­gym­na­stik und lauscht den Le­bens­hil­fen ei­nes ge­wis­sen Pro­fes­sor Gluck (sic!). Der hat ei­ne Me­tho­de ent­wickelt, wie je­der Mensch glück­lich wird oder zu sich sel­ber fin­det oder bei­des oder was an­de­res.

A. L. Ken­ne­dy zeigt uns et­was, was wir seit un­se­rer Kind­heit ken­nen, et­was was wir nur bei an­de­ren se­hen, nie bei uns: das Kli­schee. So gut, so schön. Ei­ne Vor­trags­rei­se des Le­bens­hel­fers nach Deutsch­land nutzt sie, ihn zu be­glei­ten. Ihr Brief hat ihn be­ein­druckt, man trifft sich; der Pro­fes­sor ist auch so, wie man sich im all­ge­mei­nen sol­che Leu­te vor­stellt: ar­ro­gant, her­ab­las­send, kei­ne Zeit.

Man weiss da­mit nach un­ge­fähr 30 Sei­ten, was pas­siert. Der Pro­fes­sor ent­puppt sich als gar nicht so toll, wie er scheint; der Mann prü­gelt sei­ne Frau als er er­fährt, wo sie wirk­lich war, sie flüch­tet zu Gluck, ei­ne zar­te Lie­bes­ban­de be­ginnt (der Pro­fes­sor muss sei­nem La­ster, un­ab­än­der­lich Por­nos sich an­se­hen zu müs­sen, ent­sa­gen und ra­siert statt­des­sen der Frau die Scham­haa­re), usw. usw.

Un­fass­bar ist nicht die Ge­schich­te, die die Schot­tin hier er­zählt. Un­fass­bar ist, wie ein Sam­mel­su­ri­um von Kli­schees, Holz­schnit­ten und Plat­ti­tü­den der­art en­thu­sia­stisch von der Li­te­ra­tur­kri­tik be­spro­chen wer­den konn­te. Das Buch ist oh­ne Spra­che, durch­schau­bar, fast fad. Die Spröd­heit, La­ko­nie, die ei­ne er­zäh­le­ri­sche Grund­hal­tung aus­drücken soll, ist so zäh wie al­tes Brot, was zu lan­ge an der Luft ge­le­gen hat. Das En­de, die fast pu­ber­tär an­mu­ten­de ge­schlecht­li­che Ver­ei­ni­gung zwi­schen der durch glück­li­che Um­stän­de (Selbst­tö­tung) zur Wit­we ge­wor­de­nen Frau und dem „be­kehr­ten“ Glücks­pro­phe­ten schwül­stig. Hät­te man im 19. Jahr­hun­dert ei­nen Ge­schlechts­ver­kehr „be­schrei­ben“ kön­nen, es hät­te so ge­sche­hen kön­nen.

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Fritz H. Din­kel­mann: Das Op­fer

Fritz H. Dinkelmann: Das Opfer
Fritz H. Din­kel­mann: Das Op­fer
Ge­richts­re­por­ta­gen von Fritz H. Din­kel­mann lö­sten bei mir im­mer ein ge­stei­ger­tes In­ter­es­se an den Men­schen aus, die Ver­bre­chen aus­üb­ten. Sie rüt­tel­ten da­bei an die schein­bar so fest in­stal­lier­te „Rechts­ord­nung“, die glaubt, mit der Be­stra­fung ei­ner Straf­tat die­se nach­träg­lich „aus­zu­glei­chen«. Zwar ist al­len Be­tei­lig­ten klar, dass bei­spiels­wei­se bei ei­nem Mord oder Tot­schlag der je­weils Ge­tö­te­te nicht mehr le­ben­dig wird, aber das in uns al­len we­sen­de Ge­fühl der Ra­che (oder ist es der Süh­ne?) muss be­frie­digt wer­den.

Hier­für dient das Straf­recht. Aber es kommt stets zu spät: Die Tat ist längst ge­sche­hen und meist ist das Ge­sche­he­ne un­um­kehr­bar. Dem Pro­zess kommt da­bei die Rol­le des Voll­streckers des Süh­ne­ge­dan­kens zu. In ei­nem Rechts­staat muss es ei­nen Pro­zess ge­ben, um zwei­fels­frei fest­zu­stel­len, ob die Tat vom An­ge­klag­ten tat­säch­lich aus­ge­übt wur­de.

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Rai­nald Goetz: Ab­fall für Al­le

Rainald Goetz: Abfall für Alle
Rai­nald Goetz: Ab­fall für Al­le

Ein Schrift­stel­ler, einst als Pro­vo­ka­teur auf­tre­tend und sich heu­te als Que­ru­lant se­hend (min­de­stens als Schrei­ber, nicht so sehr als All­tags­mensch), ent­deckt das Me­di­um In­ter­net und er­mög­licht es uns, je­den sei­ner Ta­ge schrift­lich dort zu ver­fol­gen. So Rai­nald Goetz 1998 mit ei­nem über ein Jahr an­ge­setz­ten Pro­jekt. So ganz neu ist das na­tür­lich nicht; Ta­ge­bü­cher gibt es seit eh und je, mei­stens sind sie auf­ge­bla­sen – dies meist dann, wenn es sich um mehr oder we­ni­ger er­zwun­ge­ne No­ta­te han­delt, die je­mand ge­macht hat, weil er eben glaub­te je­den Tag et­was schrei­ben zu müs­sen.

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Os­car Peer: Ak­kord

Oscar Peer: Akkord
Os­car Peer: Ak­kord

Nach drei Jah­ren Ge­fäng­nis kommt Si­mon, jetzt 65 Jah­re alt, in sein Dorf zu­rück – Schwei­zer En­ga­din; um 1935 (man muss die Zeit aus dem Er­zählten re­kon­stru­ie­ren). Ein Jagd­un­fall, fahr­läs­si­ge Tö­tung; vie­le Dörf­ler hal­ten es für Mord. Und das ein Jahr nach der Aus­ein­an­der­set­zung im Dorf um die Je­ni­schen, als sich Si­mon mit der Dorf­no­men­kla­tu­ra an­ge­legt hat­te, die sie lie­ber heu­te als mor­gen aus dem Dorf wie­der ver­trie­ben hät­ten. Sei­ne Frau ist wäh­rend des Ge­fäng­nis­auf­ent­halts ver­stor­ben – man hat es ihm nach der Be­er­di­gung mit­ge­teilt.

Si­mon fin­det Un­ter­kunft und Ta­ge­lohn­ar­beit; das Dorf ist hin­sicht­lich sei­ner Per­son ge­spal­ten. Sei­nen (un­aus­ge­spro­che­nen) Wunsch, man mö­ge die­sen Un­fall ver­ges­sen und sich an das er­in­nern, was er vor­her für das Dorf ge­lei­stet hat, wird nicht er­füllt. Trotz der teil­wei­se feind­li­chen Stim­mung möch­te er im Dorf – sei­ner Hei­mat – blei­ben; ei­ne (kur­ze) Be­schäf­ti­gung im Ho­tel der na­he­ge­le­ge­nen Stadt be­frie­digt ihn nicht. Er, Wald­ar­bei­ter Si­mon, der Ein­zel­gän­ger, sucht das Dorf, die Ge­mein­schaft – und lehnt sie gleich­zei­tig ab. Hin- und her­ge­ris­sen freun­det er sich mit Ve­ra an, die für sich und ih­ren Mann „sein“ Haus ge­kauft hat. Die dicke The­re­sa, die al­les vom Dorf weiss, stört ihn aber be­reits mit ih­ren Ge­wiss­hei­ten und Fak­ten.

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Jan Phil­ipp Reemts­ma: Im Kel­ler

Erst im letz­ten Drit­tel sei­nes Bu­ches »Im Kel­ler« er­zählt (be­rich­tet?) Jan Phil­ipp Reemts­ma re­fle­xiv über das ihm Zu­ge­sto­sse­ne wäh­rend sei­ner Ent­füh­rung 1996. Vor­her gibt es ei­ne kur­ze chro­no­lo­gi­sche Ab­fol­ge der Ent­füh­rung, wie sie sich wei­test­ge­hend von au­ssen be­rich­ten lässt, ge­folgt von ei­ner chro­no­lo­gi­schen Er­zäh­lung in der drit­ten Per­son über das Sich-Er­ei­g­­nen­­de. Die­se bei­den Tei­le ha­ben ...

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T. C. Boyle: Amé­ri­ca

Ein viel­ge­rühm­ter Ro­man – aber war­um? An­geb­lich sei das al­le­go­ri­sche, bild­haf­te so stark, so mäch­tig: hie die ein­wan­dern­den Me­xi­ka­ner, die ihr Stück vom Wohl­stand mit­ha­ben wol­len – dort das li­be­ra­le Bür­ger­tum der USA, schliess­lich ka­pi­tu­lie­rend vor den Scharf­ma­chern und Emi­gran­ten­has­sern. Es ist in T. C. Boyl­es »Amé­ri­ca« dann tat­säch­lich so, wie sich Lies­chen Mül­ler im ...

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»...nur noch ge­dul­det« – Der ‘bö­se’ Franz Xa­ver Kroetz

In der Sen­dung „Druck­frisch“ am ver­gan­ge­nen Sonn­tag in der ARD führ­te Den­nis Scheck ein In­ter­view mit Franz Xa­ver Kroetz an­läss­lich sei­nes neu­en Bu­ches „Blut und Bier“.

Vom üb­li­chen Ge­plau­der ent­wickel­te es sich rasch – wie bei Kroetz nicht an­ders zu er­war­ten – zu ei­nem sehr poin­tier­ten »Ge­schimp­fe«.

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Mar­tin Wal­ser: Ein sprin­gen­der Brun­nen

Die Bür­ger­recht­ler der ehe­ma­li­gen DDR über­nah­men einst für sich Ador­nos Prä­mis­se: Es gibt bzw. gab kein gu­tes Le­ben im Schlech­ten. Dies soll­te vor Rein­wa­schun­gen, Weh­kla­gen und nach­träg­li­chem Wi­der­stands­pa­thos spe­zi­ell der ei­ge­nen in­tel­lek­tu­el­len Schicht war­nen. In »Ein wei­tes Feld« hat Gün­ter Grass die­sen Be­griff da­hin­ge­hend um­kreist, als er die DDR ei­ne »kom­mo­de Dik­ta­tur« nen­nen ließ und ...

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