Wolf­gang Welt

Wolf­gang Welt schrei­be »Bruch­teil­se­kun­den­sät­ze«, so vor ei­ni­gen Jah­ren ein­mal Pe­ter Hand­ke über den Bo­chu­mer Au­tor. Li­te­ra­risch sind Hand­ke und Welt fast An­ti­po­den und doch schät­ze Hand­ke die­sen als »Pop-Li­te­ra­ten« nur un­zu­rei­chend cha­rak­te­ri­sier­ten Au­tor, mach­te sich stark für ihn, dass er im Suhr­­­kamp-Ver­­lag pu­bli­zie­ren konn­te. Die Pro­sa von Wolf­gang Welt war derb und grif­fig, aber in ...

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An­drzej Sta­si­uk: Der Osten

Andrzej Stasiuk: Der Osten
An­drzej Sta­si­uk: Der Osten

»Der Osten«, das neue­ste Buch von An­drzej Sta­si­uk, be­ginnt da­mit, dass die Ein­rich­tung ei­nes al­ten »LPG«-La­dens Stück für Stück zum Ab­trans­port auf­ge­la­den wird. Da­bei ent­zün­den sich beim mit­hel­fen­den Ich-Er­zäh­ler Er­in­ne­run­gen aus den 1970er Jah­ren, als er als Kind vor ei­nem sol­chen La­den mit an­de­ren Men­schen auf Le­bens­mit­tel in ei­ner Schlan­ge war­te­te. Als das Fahr­zeug mit der Wa­re ein­traf, ver­nahm er den Ben­zin­ge­ruch, den er so­fort mit »Frei­heit, Ge­heim­nis und Ver­lan­gen«. Beim Weg­räu­men die­ser al­ten Mö­bel über­kommt ihm nun fast so et­was wie ei­ne Epi­pha­nie über die Din­ge, in de­nen Ge­schich­te und Ge­schich­ten ab­ge­spei­chert sind: »Das Le­ben war in sie [die Din­ge] ein­ge­drun­gen und er­starrt«. Im Ge­gen­stand be­fin­det sich so­zu­sa­gen Ge­schich­te aus mehr als hun­dert Jah­ren in­ku­biert: »Die Zeit der Lem­ken, der Kom­mu­nis­mus und jetzt wir, schwit­zend un­ter der Last«.

Man denkt an Hof­mannst­hals Ro­man »Brie­fe des Zu­rück­ge­kehr­ten«. Der Brief­ro­man spielt An­fang des 20. Jahr­hun­derts. Ein Kauf­mann kommt nach fast zwan­zig Jah­ren nach Deutsch­land zu­rück. Er er­kennt das in­zwi­schen mo­der­ni­sier­te und in­du­stria­li­sier­te Land nicht mehr wie­der. Ein mehr als nur dif­fu­ses Un­be­ha­gen er­greift ihn. Die Men­schen hat­ten sich ver­än­dert, sie wa­ren zu­se­hends ge­prägt »von dem Geld, das sie hat­ten, oder von dem Geld, das and­re hat­ten.« So­gar die Din­ge er­schie­nen ihm ver­wan­delt, durch in­du­stri­el­le Fer­ti­gung kon­tur­los und pro­fa­ni­siert (was man spä­ter »For­dis­mus« nen­nen wird). Be­vor mit Hus­s­erl und Heid­eg­ger die phi­lo­so­phi­sche Phä­no­me­no­lo­gie ent­stand und Ri­chard Sen­nett Be­trach­tun­gen zur fort­schrei­ten­den De­ge­ne­ra­ti­on des Hand­werks (oder, bes­ser, des Wer­kens mit der Hand) vor­nahm, deu­te­te Hof­manns­thal in die­sem Ro­man an, dass Ge­gen­stän­de ih­re Ent­ste­hung und da­mit auch ei­ne Epo­che spie­geln kön­nen. Und so er­geht es auch An­drzej Sta­si­uk, der von sol­chen Din­gen fas­zi­niert ist und sich auf die Rei­se macht und Men­schen trifft, die de­ren Ge­schich­ten er­zäh­len kön­nen.

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Ro­land Schim­mel­p­fen­nig: An ei­nem kla­ren, eis­kal­ten Ja­nu­ar­mor­gen zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts

Roland Schimmelpfennig: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Ro­land Schim­mel­p­fen­nig:
An ei­nem kla­ren, eis­kal­ten Ja­nu­ar­mor­gen zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts

Ein Wolf über­schrei­tet ei­nen ge­fro­re­nen Fluss. Drei Wo­chen spä­ter: To­masz fährt nach Ber­lin zu sei­ner Freun­din Agnieszka. Bei­de kom­men aus Po­len; er ar­bei­tet auf dem Bau, sie hat meh­re­re Jobs, als Putz­frau und Kin­der­mäd­chen, sechs Ta­ge in der Wo­che. Es schneit und es ist kalt und To­masz steht in ei­nem Stau, der meh­re­re Stun­den dau­ern soll. Er steigt aus und da sieht er den Wolf, macht ein Fo­to und das wird bald ganz Ber­lin elek­trisieren. Fast gleich­zei­tig ver­schwin­det ein Mäd­chen, das von sei­ner Mut­ter zu­wei­len ge­schla­gen wird. Sie ist abge­hauen mit dem Nach­bars­jun­gen. Der Bus­fah­rer be­merkt das Feh­len. Wäh­rend­des­sen ge­hen Mäd­chen und Jun­ge durch den Wald, fin­den ei­nen to­ten Jä­ger mit Ge­wehr. Der Va­ter des Jun­gen ist Al­ko­ho­li­ker, hat kürz­lich ei­nen Sui­zid ver­sucht und ist in der Psych­ia­trie. Die El­tern des Mäd­chens sind ge­schie­den; bei­de wa­ren oder sind Künst­ler (ge­we­sen). In wei­te­ren Rol­len: Char­ly und Jacky, ein Ehe­paar, das in Prenz­lau­er Berg ei­nen Ki­osk be­treibt und Dia­lo­ge führt wie in ei­ner RT­LII-Soap, ein Ex-Leh­rer, ei­ne Prak­ti­kan­tin, die über den Wolf für ei­ne Zei­tung et­was schrei­ben soll, ein Chi­le­ne, der Ru­mä­ne ist, ei­ne Frau, die ih­re so­eben ver­stor­be­ne Mut­ter noch ein­mal has­sen darf und da­her de­ren Ta­ge­bü­cher ver­brennt und ein al­tes Ehe­paar.

Es geht um all die­se Fi­gu­ren (und noch ein paar mehr) in Ro­land Schim­mel­p­fen­nigs »An ei­nem kla­ren, eis­kal­ten Ja­nu­ar­mor­gen zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts«. Sie wer­den in ins­ge­samt 103, meist kur­zen sze­ni­schen Ein­spie­lern, ein paar Ta­ge im Fe­bru­ar 2003 in und um Ber­lin aus wech­seln­der Per­spek­ti­ve be­glei­tet. Kern des Bu­ches ist die Aus­reißergeschichte zwei­er Ju­gend­li­cher – des »Mäd­chens« und des »Jun­gen«. So wie die­se bei­den blei­ben vie­le an­de­re Fi­gu­ren in die­sem Buch na­men­los und wenn die Na­men dann doch – mehr oder we­ni­ger zu­fäl­lig – fal­len, wer­den sie nicht ver­wen­det. Da muss der Le­ser zwi­schen dem »Va­ter des Jun­gen«, »Va­ter des Mäd­chens«, »Mut­ter des Jun­gen« und »Mut­ter des Mäd­chens« un­ter­schei­den. Spä­ter kom­men un­ter an­de­ren noch ein Bru­der des Va­ters des Jun­gen und ei­ne Freun­din der Mut­ter des Mäd­chens hin­zu. Das klingt ver­wir­ren­der als es ist. Im Lau­fe des Bu­ches ent­steht dann ei­ne Rei­gen-Struk­tur. Es kommt zu kur­zen oder, sel­te­ner, län­ge­ren Be­geg­nun­gen der Fi­gu­ren mit­ein­an­der. Fast je­der be­kommt es ein­mal mit je­dem zu tun (so­gar das Ge­wehr macht die Run­de) und man könn­te si­cher­lich schö­ne Gra­phi­ken er­stel­len, wer wem wann be­geg­net – wenn es nicht so egal wä­re.

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Fab­jan Haf­ner

Ge­ra­de le­se ich wie zu­fäl­lig dass der Literatur­wissenschaftler, Über­set­zer und Dich­ter Fab­jan Haf­ner ver­stor­ben ist. Haf­ner wur­de nur 49 Jah­re alt. Sein Tod ist un­fass­bar für mich. Na­tür­lich hat­te ich 2008 sein Buch »Pe­ter Hand­ke – Un­ter­wegs in Neun­te Land« ge­le­sen. In mei­ner Hy­bris schick­te ich ihm den Link zu mei­ner Be­spre­chung mit ei­ni­gen Kri­tik­punk­ten ...

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Car­sten Gan­sel: Li­te­ra­tur im Dia­log

Carsten Gansel: Literatur im Dialog
Car­sten Gan­sel:
Li­te­ra­tur im Dia­log

38 Ge­sprä­che von Car­sten Gan­sel mit Schriftsteller­innen und Schrift­stel­lern zwi­schen 1989 und 2014 sind im von Nor­man Ächt­ler im Ver­bre­cher-Ver­lag her­aus­ge­brach­ten Band »Li­te­ra­tur im Dia­log« chro­no­lo­gisch ab­ge­druckt. Gan­sel, 1955 in Gü­strow ge­bo­ren und mit de­zi­diert ost­deut­scher Akademiker­vita, ist seit 1995 Pro­fes­sor für Neue­re Deut­sche Li­te­ra­tur und Ger­ma­ni­sti­sche Li­te­ra­tur- und Me­di­en­di­dak­tik an der Ju­stus-Lie­big-Uni­ver­si­tät Gie­ßen. Die mei­sten Ge­sprä­che aus dem Band wur­den in der DDR- Wo­chen­zeit­schrift »Sonn­tag« bzw. spä­ter in »Der Deutsch­un­ter­richt« ver­öf­fent­licht; ei­ni­ge sind al­ler­dings erst­ma­lig pu­bli­ziert. Das 39. Ge­spräch ist bi­lan­zie­rend und fin­det zwi­schen Car­sten Gan­sel und Nor­man Ächt­ler, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter am Gie­ße­ner In­sti­tut für Ger­ma­ni­stik, statt.

In der in­ter­es­san­ten Ein­lei­tung Ächt­lers, die ei­ni­ge grund­sätz­li­che Fra­gen be­han­delt, et­wa ob es sich um In­ter­views oder Ge­sprä­che han­delt und wie es um die Selbst­in­sze­nie­run­gen der Be­frag­ten be­stellt sein mag, wer­den die »drei Ge­ne­ra­tio­nen« vor­ge­stellt, die Gan­sel in und mit sei­nen In­ter­views zu DDR und Li­te­ra­tur be­frag­te: Die Grün­dungs­ge­nera­ti­on nach 1945, die »Hein­ein­ge­bo­re­nen« (ein Wort von Uwe Kol­be) und die heu­te um die 40jähr­igen, »Hin­ein­ge­schrie­be­nen«. Es kom­men so un­ter­schied­li­che Au­toren wie Ste­fan Heym, Her­mann Kant, Chri­stoph Hein, Chri­sta Wolf, Erich Loest, Ul­rich Plenz­dorf aber auch »west­deut­sche« Stim­men wie Pe­ter Kurz­eck, Nor­bert Gst­rein, Pe­ter Härt­ling, Gün­ter Grass oder Ale­xa Hen­nig von Lan­ge zum Span­nungs­feld von Er­in­ne­rung und Li­te­ra­tur und Po­li­tik und Pu­bli­zi­tät (vor al­lem aber nicht nur im Hin­blick auf die »ge­schlos­se­nen Ge­sell­schaft« der DDR) be­fragt.

Es gibt meh­re­re Grün­de, war­um man die­ses Buch nicht mehr so schnell aus der Hand le­gen mag. So wir­ken Gan­sels Sach- und Fach­kennt­nis­se der je­wei­li­gen Pu­bli­ka­tio­nen der be­frag­ten Au­toren auf ei­ne be­rücken­de Wei­se alt­mo­disch. Man ist es vom dröh­nen­den Feuil­le­ton-Ge­schwa­fel ein­fach nicht mehr ge­wohnt, dass da je­mand tat­säch­lich die Bü­cher ge­le­sen hat und kun­dig (Lektüre-)Eindrücke zu for­mu­lie­ren und ein­zu­brin­gen weiß.

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Ein viel­sei­ti­ger Kunst­schrei­ber

Ma­rio Var­gas Llosa wird acht­zig

Es war fast ein biß­chen spät für die­se Aus­zeich­nung, als Ma­rio Var­gas Llosa 2010 den No­bel­preis für Li­te­ra­tur zu­ge­spro­chen be­kam. Nicht weil er zu alt da­für ge­we­sen wä­re, son­dern weil sein Le­bens­werk da­mals be­reits ei­ne be­ein­drucken­de Zahl an Bü­chern um­faß­te, von de­nen vie­le aus der Ge­schich­te der la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Li­te­ra­tur und ei­ni­ge aus der Welt­li­te­ra­tur nicht mehr weg­zu­den­ken sind. We­ni­ge Wo­chen vor sei­nem 80. Ge­burts­tag er­schien nun ein neu­er Ro­man des pe­rua­ni­schen Au­tors, der in den neun­zi­ger Jah­ren in sei­nem Hei­mat­land spielt, in ei­ner Zeit, als er selbst mit gu­ten Aus­sich­ten für die Prä­si­dent­schaft kan­di­dier­te, wäh­rend sein Geg­ner Al­ber­to Fu­ji­mo­ri, heu­te Ge­fäng­nis­in­sas­se, sich an­schick­te, mit po­pu­li­sti­schen Slo­gans das Land für ein Jahr­zehnt un­ter sei­ne zwei­fel­haf­ten Fit­ti­che zu brin­gen.

Fast drei Jahr­zehn­te vor Var­gas Llosa hat­te sein ko­lum­bia­ni­scher Kol­le­ge Ga­bri­el Gar­cía Már­quez den No­bel­preis er­hal­ten, vor al­lem für ein Buch, den Best­stel­ler Hun­dert Jah­re Ein­sam­keit. Über »Gabo«, mit dem er ei­ne Zeit­lang be­freun­det war, hat­te Var­gas Llosa schon 1971 in Ma­drid sei­ne Dok­tor­ar­beit ab­ge­schlos­sen, Un­ter­ti­tel: »Ge­schich­te ei­nes Got­tes­mords«. Der ge­mor­de­te Gott ist, Var­gas’ In­ter­pre­ta­ti­on zu­fol­ge, die ver­haß­te Wirk­lich­keit, die der Ro­man­cier durch sein fik­tio­na­les Ge­bäu­de er­setzt. Die­se Idee, Wahr­heit durch die kunst­vol­le Lü­ge der Li­te­ra­tur zu ver­mit­teln, ent­wickel­te Var­gas Llosa spä­ter wei­ter, er mach­te sie zum Fun­da­ment sei­nes ei­ge­nen Schaf­fens und nahm sich da­bei un­ter an­de­rem den Uru­gu­ay­er Ju­an Car­los Onet­ti zum Vor­bild. Var­gas Llosa ist nicht zu­letzt ein her­vor­ra­gen­der Es­say­ist, der ei­ne Rei­he von Ge­stal­ten aus Kunst und Li­te­ra­tur mit sel­te­nem Groß­mut por­trä­tier­te. Fragt man, wel­ches sei­ner ei­ge­nen »Lü­gen­ge­spin­ste«, die im­mer auch ei­nen star­ken Ge­halt an zeit­ge­nös­si­scher oder hi­sto­ri­scher Rea­li­tät auf­wei­sen, im Zen­trum sei­nes Schaf­fens steht, fällt die Ant­wort bei sol­cher Viel­falt schwer. Hat man den »to­ta­len Ro­man« Ge­spräch in der Ka­the­dra­le ob sei­ner kom­po­si­to­ri­schen Kühn­heit und der Fül­le an Fi­gu­ren und Sze­nen aus der Dik­ta­tur Ma­nu­el Od­rí­as (1948–1956) be­wun­dert, wo die Haupt­fi­gur (wie Var­gas Llosa selbst) für kur­ze Zeit der kom­mu­ni­sti­schen Ideo­lo­gie an­hängt, so wird man den acht Jah­re spä­ter (1977) er­schie­ne­nen ko­mö­di­an­ti­schen Ro­man Tan­te Ju­lia und der Kunst­schrei­ber mit Stau­nen über die schwank­haf­te Leich­tig­keit le­sen, mit wel­cher ein und der­sel­be Au­tor zu schrei­ben ver­steht.

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Chri­stoph Hein: Glücks­kind mit Va­ter

Christoph Hein: Glückskind mit Vater
Chri­stoph Hein:
Glücks­kind mit Va­ter

In ei­nem Ge­spräch aus dem Jahr 1993 mit Car­sten Gan­sel, das im neu­lich vom Ver­bre­cher-Ver­lag her­aus­ge­ge­be­nen Ge­sprächs­band »Li­te­ra­tur im Dia­log« ab­ge­druckt wur­de, hat­te Chri­stoph Hein sich sel­ber als »Chro­ni­sten« be­zeich­net, der nur das be­schrei­ben kön­ne, was er mit sei­nen Au­gen ge­se­hen ha­be. Sei­nen Chro­ni­sten­sta­tus hat Hein auch da­nach nie auf­ge­ge­ben, ob­wohl er zwischen­zeitlich mit zahl­rei­chen an­de­ren Eti­ket­ten wie »po­li­ti­scher Au­tor« ver­se­hen oder gar un­sin­ni­ger­wei­se als Ost­al­gi­ker be­zeich­net wur­de. Sei­ne Hel­den sei­en al­le­samt »Trotz­köpfe« hieß es ein­mal (als sei dies schon ein literatur­kritisches Kri­te­ri­um); ein an­der­mal ver­or­te­te man sie im in­tel­lek­tu­el­len Mi­lieu. Letz­te­res stimmt nicht, denn »Wil­len­b­rock« war ein bra­ver Au­to­händ­ler, in »In sei­ner frü­hen Kind­heit ein Gar­ten« por­trai­tiert Hein in ei­ner Mi­schung aus Ver­klä­rung und Kitsch den RAF-Ter­ro­ri­sten Wolf­gang Grams und in »Land­nah­me« wird das Le­ben ei­nes Un­ter­neh­mers er­zählt, der sich aus klei­nen Ver­hält­nis­sen hoch­ge­ar­bei­tet hat­te.

Ab­ge­se­hen von ei­nem sich erst im wei­te­ren Ver­lauf er­schlie­ßen­den kur­zen Pro­log be­geg­net man in Chri­stoph Heins neu­em Buch »Glücks­kind mit Va­ter« der Haupt­fi­gur Kon­stan­tin Bog­gosch zu­nächst als 69jährigen Rent­ner in der (ost-)deutschen Pro­vinz mit sei­ner zwei­ten Frau Ma­ri­an­ne, die in­fol­ge ei­ner Hüft­ope­ra­ti­on ge­han­di­capt ist. Bog­gosch ist dort als ehe­ma­li­ger Leh­rer und Schul­di­rek­tor be­kannt und ge­schätzt. Ein run­des Grün­dungs­ju­bi­lä­um des Gym­na­si­ums steht an und ei­ne jun­ge Jour­na­li­stin der Lo­kal­zei­tung möch­te ein In­ter­view mit ihm. Es sol­len al­le noch le­ben­den ehe­ma­li­gen Schul­di­rek­to­ren zu Wort kom­men und auf ei­nem Bild po­sie­ren. Aber Bog­gosch ist mür­risch und weist die Jour­na­li­stin nach kur­zer Be­denk­zeit ab. Sei­ne Welt sei unter­gegangen, sagt er in ei­ner Mi­schung aus Re­si­gna­ti­on und Ver­bit­te­rung. Gleich­zei­tig geht ein Brief vom Fi­nanz­amt an ei­nen ge­wis­sen Kon­stan­tin Mül­ler ein.

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Jörg Ma­ge­nau: Prin­ce­ton 66

Jörg Magenau: Princeton 66
Jörg Ma­ge­nau:
Prin­ce­ton 66

Wie­der so ein Jah­res­tag: Im April 2016 ist es 50 Jah­re her, dass die Grup­pe 47 in Prin­ce­ton zu­sam­men­traf. Die Ta­gung gilt ge­mein­hin als der An­fang vom En­de der Grup­pe, nicht zu­letzt durch Pe­ter Hand­kes State­ment von der »Be­schrei­bungs­im­po­tenz«, die er bei Au­toren wie Kri­tik glei­cher­ma­ßen kon­sta­tier­te. Ein Wut­aus­bruch mit wuch­ti­gen Vo­ka­beln, ein Auf­bäu­men ge­gen das sich ein­ge­rich­te­te Li­te­ra­tur­estab­lish­ment und de­ren Äs­the­tik. Aber was kann man grund­le­gend Neu­es von die­sem Tref­fen er­fah­ren? Ist nicht schon al­les ge­schrie­ben und ge­sagt?

Ja. Und Nein. Jörg Ma­ge­nau ge­lingt mit sei­nem Buch »Prin­ce­ton 66« das Kunst­stück, aus leid­lich be­kann­ten Quel­len ei­ne packen­de und kon­zi­se Zeit­rei­se zu kom­po­nie­ren, die so­wohl die Stim­mung der Ta­gung prä­zi­se re­kon­stru­iert, als auch hi­sto­ri­sche Ein­ord­nun­gen vor­nimmt. Da­bei geht er chro­no­lo­gisch vor, auch wenn es ge­le­gent­li­che zeit­ge­schicht­li­che Ein­schü­be gibt, die, wie sich zeigt, not­wen­dig sind.

Prak­tisch von der er­sten Sei­te an wird der Le­ser hin­ein­ge­saugt. Man spürt die Lust und die Akri­bie des Au­tors sich durch die Auf­zeich­nun­gen der ins­ge­samt 31 Le­sun­gen (nebst Dis­kus­sio­nen), die al­le­samt auf der Web­sei­te der Prin­ce­ton-Uni­ver­si­tät im Ori­gi­nal ge­spei­chert sind, durch­ge­hört zu ha­ben. So er­schei­nen ei­ni­ge die­ser 50 Jah­re al­ten Tex­te plötz­lich in er­staun­li­cher Fri­sche. Ma­ge­nau er­zählt bei­spiels­wei­se über das (eher stei­fe) Dra­ma von Wal­ter Jens, be­tont die Bri­sanz des ero­tisch-def­ti­gen Grass-Ge­dichts und be­gei­stert sich für die Mi­li­tär-Sa­ti­re »Fein­de« von Rein­hard Lettau, die die ge­sam­te Struk­tur des mi­li­tä­ri­schen Den­kens für im­mer ad ab­sur­dum füh­re. Man scheint förm­lich die Er­zäh­lung des grund­sym­pa­thi­schen Pe­ter Bich­sel, das müh­sa­me Le­sen von Hel­ga M. No­vak oder Hand­kes Haupt­satz­an­ein­an­der­rei­hung zu hö­ren. Ähn­li­ches mit den Re­ak­tio­nen der Kri­tik: Der gut ge­öl­te Joa­chim Kai­ser; Wal­ter Jens, dem Wort­zer­tei­ler aus Tü­bin­gen, der nach sei­nem Vor­trag ganz schnell wie­der die Rol­le des Kri­ti­kers über­nahm. Hans May­ers ge­schlif­fe­ne For­mu­lie­run­gen. Dann Mar­cel Reich-Ra­nicki, ein Grob­motoriker des Ur­tei­lens, stets für Hei­ter­keit und gu­te Lau­ne sor­gend, nicht zu­letzt weil er al­len Red­nern recht gab, um al­len zu wi­der­spre­chen. Und der jun­ge Hell­muth Ka­ra­sek, der sich Mü­he gab, im­mer ein we­nig klü­ger zu wir­ken als er war – wo­ge­gen nichts zu sa­gen wä­re, denn das trifft ja auf al­le zu, bei ihm merk­te man es aber.

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