Wolfgang Welt schreibe »Bruchteilsekundensätze«, so vor einigen Jahren einmal Peter Handke über den Bochumer Autor. Literarisch sind Handke und Welt fast Antipoden und doch schätze Handke diesen als »Pop-Literaten« nur unzureichend charakterisierten Autor, machte sich stark für ihn, dass er im Suhrkamp-Verlag publizieren konnte. Die Prosa von Wolfgang Welt war derb und griffig, aber in den schönsten Momenten lösten sich Augenblicke zeitlupenhaft auf. Da spielte es keine Rolle, ob das Ereignis zehn oder zwanzig Jahre vergangen war. Welt schien dies zu speichern und es kam einem vor, als sei es nicht aus einer (vagen) Erinnerung heraus geschrieben, sondern aus dem was man Wieder-Holung nennen könnte; eine Wieder-Hervorholen eines gelebten Moments.
Das verlieh seinen Büchern etwas wimmelbildhaftes, aber Welt verstand es, die unterschiedlichen Ebenen, die immer seine waren, simultan zu evozieren. Die fünf prallen Jahre zwischen 1979 und 1984 als Welt einer der wildesten und gefürchtetsten Musikkritiker Deutschlands war bilden das Zentrum der ersten drei Romane (»Peggie Sue«, »Der Tick« und »Der Tunnel am Ende des Lichts«). Es ist ein Leben auf der Überholspur, denn Welt war ein Berserker, ein Musikbesessener aber vor allem ein Musikbeseelter. Bei aller Internationalität der Musik war Welt verwurzelt mit seiner Heimatstadt Bochum, was seinen Romanen ein Spannungsfeld zwischen Weltläufigkeit und Ruhrgebiet verschaffte. Untrüglich sein Gespür für Heuchelei; man gibt nicht einfach seine Ideale für Geld auf. Wenn Grönemeyer von »Bochum« sang, kränkte ihn diese Bigotterie. Welt hielt auch mit Kritik am Betrieb nicht hinter dem Berg; nur notdürftig verschleierten die Pseudonyme in seinen Büchern die echten Personen. Schließlich trat 1983 ein erster psychotischer Schub auf. Welt schonte sich in seinen Büchern nicht, sondern beschrieb seine von nun an immer wieder in Schüben auftretenden psychischen Probleme. Er zog sich aus der Szene zurück, schrieb weiter an seiner Prosa und war Nachtwächter im Bochumer Schauspielhaus.
Vor fast genau zwei Jahren traf ich Wolfgang Welt im »Tucholsky« in Bochum. Das Treffen sollte eigentlich schon früher stattfinden, aber er war krank geworden, Verdacht auf Schlaganfall. Einige Tage später schrieb er dann per Mail, dass es doch kein Schlaganfall war. Er war sichtlich gezeichnet von seiner Medikamentierung (was er sofort pro-aktiv anging). Dennoch war er wach; korrigierte und ergänzte wo es notwendig war. Mein Text freute ihn und der Vergleich mit Peter Kurzeck führte dazu, dass man ihn zu einer Gedenkveranstaltung in Kurzecks Heimatdorf einlud.
Wolfgang Welt ist, wie ich gerade lese, am Sonntag in Bochum gestorben.
Irgendwann werdet Ihr begreifen, was für ein toller Autor Wolfgang Welt war.