Geschichte kennt kein letztes Wort. (Willy Brandt)
Ein Riss ging durch deutsche Lande – von Travemünde bis zum einstigen Dreiländereck bei Hof. Über vierzig Jahre. Diese politische wie geographische Teilung trennte Menschen und Regionen. Entstanden war aber auch ein (fast) unbekannter Landschafts-Längsschnitt in beiden Deutschlands.
Das Naturschutzprojekt »Grünes Band« bewahrt einen Grüngürtel, einen Korridor durch stark zerstückelte Landschaft. Dabei handelt es sich um den so genannten Kolonnenweg auf der ehemaligen »Demarkationslinie« in einer Breite zwischen 50 und 200 Metern. Über Jahrzehnte hatte hier nur die Natur »Bewegungsfreiheit«. Es entstand eine Art Wildnis in einer sonst so intensiv genutzten landschaftlichen Umgebung: Brachflächen wechseln sich mit verbuschten Abschnitten ab, Altgrasfluren mit Wald, Flüsse mit Feuchtgebieten und Mooren.
Über Malte Herwigs »Die Flakhelfer« Seit vielen Jahren treibt Malte Herwig ein Thema um: Die Verstrickungen der sogenannten Flakhelfer-Generation in das NS-Regime. Ob im »Spiegel«, dem »Zeit-Magazin«, im »stern« oder in »Deutschlandradio Kultur« – immer wieder überraschte Herwig mit Funden aus Archiven, die das scheinbar Undenkbare doch belegen: Etliche derjenigen, die man (vollkommen zu Recht) ...
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans Höller
Ingeborg Bachmann: KriegstagebuchIngeborg Bachmann hatte mit Schreibmaschine auf »sechs engzeilig beschriebenen DIN-A-4-Blätter[n]« ihre Erlebnisse von März bis Juni 1945 aufgeschrieben, wobei allerdings der erste Eintrag aus dem September 1944 stammen könnte, als Ingeborg Bachmann in die »Lehrerbildungsanstalt« eintrat und in den letzten Monaten des Krieges Hilfs-Lehrerin wurde. Vermutlich schrieb sie diese Seiten aus ihrem (nicht erhaltenen) Tagebuch ab. Sie werden nun mit dem leicht reißerischen Titel »Kriegstagebuch« »erstmals« (Klappentext) veröffentlicht. Es beginnt im Buch auf Seite 9 und endet auf Seite 24. Ab Seite 16 ist der Krieg zu Ende; man erfährt von der britischen Besatzung und deren Administration, von Verhören, Bachmanns eher apathischen Eltern und dem euphorischen Gefühl für den Frieden, welche die fast Neuzehnjährige empfand – ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Erwachsenen im Ort, deren Welt zusammenbrach.
Barbara Hoffmeister: S. Fischer – Der VerlegerIn den 70er Jahren gab es im deutschen Fernsehen eine Sendung mit dem Titel »Das ist ihr Leben«. Prominente wurde unter einem Vorwand in ein Studio gelockt. Dort wartete ein aufgekratzter Moderator mit einem Mäppchen auf sie, ging die einzelnen Stationen des Lebens dieses Prominenten durch, lud ehemalige Freunde und sogenannte Weggefährten des Gastes ein (typische Körperbewegung: die Umarmung des seit Jahren nicht mehr Gesehenen) und frischte die Karrierehöhepunkte auf (seltener die Rückschläge). Das hatte irgendwie den Charme von Klassentreffen, Stammtisch und vorweggenommener Grabpredigt. Unvergessen die Persiflage von Loriot auf diese Sendung, in der der Moderator dem fiktiven Schauspieler »Ted Brown« mangels Verfügbarkeit keinen Schulkameraden aus der eigenen Klasse präsentieren konnte, sondern nur jemanden, der zur gleichen Zeit in einer anderen Stadt zur Schule ging. »Er ist Ihnen also völlig unbekannt« – und trotzdem heute im Studio. »Können wir jetzt gehen« fragt dann irgendwann Ted Brown, als die Rekonstruktionen immer abstruser wurden.
Ein bisschen erinnert Barbara Hoffmeisters Buch »S. Fischer, der Verleger« an diese Situation. Da werden Zitate von Imre Kértesz und Siegfried Unseld in eine Lebensgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts eingestreut und man fragt sich wozu. Zwar vermeidet Hoffmeister die Gattungsbezeichnung »Biografie« und verwendet stattdessen den Begriff der »Lebensbeschreibung«, aber so ganz vermag sie den biografischen Anspruch nicht aufzugeben. Die direkte Quellenlage scheint allerdings mindestens zu bestimmten Lebensphasen Fischers eher dürftig. Hinzu kommt eine vertiefte Verschwiegenheit Fischers. Er hatte weder Tagebuch geschrieben, noch äußerte er sich regelmäßig in der Öffentlichkeit. Daher übt sich die Autorin in Spekulationen, die sie jedoch immerhin als solche kennzeichnet. Dennoch befremden irgendwann die zahllos erscheinenden Konjunktive. Natürlich könnte sich Fischer auf der Weltausstellung am Stand der »Firma S. Reich & Co.« befunden haben. Oder womöglich unter den Schaulustigen irgendeiner Veranstaltung gewesen sein. Wahrscheinlich war Fischer am 29. Juli 1890 bei der Gründungsversammlung der »Freien Bühne« dabei und wenn ja, so weiß Hoffmeister zuverlässig, dürfte ihm die Massenveranstaltung nicht behagt haben. Aber was würde dies bedeuten? Und warum versteifen sich diese Vermutungen ab und an fast zu Unterstellungen?
‘O ihr, die den Glauben ablehnt, [deren Herzen verschleiert sind!] Ich verehre nicht, was ihr verehrt, noch verehrt ihr, was ich verehre! Ich bin kein Verehrer dessen was ihr verehrt, noch seid ihr Verehrer dessen, was ich verehre. Euch eure Religion, und mir meine Religion.’
Als ich das erste Mal davon hörte, dass Pier Paolo Pasolini einen Film über das Matthäusevangelium gemacht hatte, dachte ich, dass dieser Film wohl ein Riesenskandal gewesen sein muss. Schließlich war Pasolini Kommunist, Nonkonformist und vor allem: Atheist. Von seiner Homosexualität, die in vielen europäischen Ländern damals noch ganz offiziell als Verbrechen galt und noch heute von der katholischen Kirche verteufelt wird, ganz zu schweigen. Aber als ich dann zum ersten Mal den Film sah, war ich überrascht. Und verzaubert.
Der Film ist von 1964. Gedreht mit Laienschauspielern und in schwarz-weiß. Nichts wurde hier hinzugefügt; es ging tatsächlich um »Werktreue«. Suggestive Bildsprache und Musik erzeugten eine Stimmung, die einem plötzlich die Chance bot, all dies für wahr zu halten. So auch das naturgemäß schwer zu glaubende Ende. Der intellektuell-korrekte Ausweg einer nur metaphorisch zu verstehenden Auferstehung war plötzlich eine allzu banale Ausrede, der den Zauber dieses Films, dieser Situation, dieser Konstellation mutwillig zerstört hätte. Und so reduzierte Pasolini Jesus von Nazareth nicht auf die Rolle eines Sozialrevolutionärs (diese Sicht gab es freilich auch), sondern zeigte dessen Spiritualität als Gewissheit. Das brachte ihm einiges Unverständnis ein, weil sich viele von Pasolini eine »radikalere« Sichtweise wünschten. Aber radikaler konnte es gar nicht sein, es war nur nicht die »erwartete« Radikalität (sprich: Gegnerschaft). Die Gretchenfrage lautete: War Pasolini wirklich ein Atheist? Die ästhetische Antwort wäre: Was spielt das für eine Rolle?
Ein Buch wie eine Hilfeschrei. Hier schreibt einer, der getrieben ist von einer besseren Welt. Getrieben von dem Aufsprengen eines Teufelsreises mit den Mitteln der Einsicht, des Arguments – und der Empathie. Der Autor ist Avraham Burg, 1955 geboren, ehemaliger Offizier in einer Fallschirmjägereinheit, ehemaliger Vorsitzender der »Jewish Agency« und ehemaliger Knesset-Sprecher (ein vielfach »Ehemaliger« also). Burg ist Sohn eines »Jeckes«, eines Dresdner Universitätsprofessors, der in Deutschland blieb so lange es eben ging, für eine Unterorganisation des Mossad in Paris illegale Einwanderer herausschmuggelte und dafür sogar mit NS-Offizieren verhandelte und später Minister in mehreren israelischer Regierungen wurde und einer arabischen Jüdin, die als Kind nur mit Glück und Hilfe (ihres arabischen Vermieters) dem Hebron-Massaker 1929 entkam. Dieses Buch will er auch verstanden wissen als Gespräch mit seinem (verstorbenen) Vater und als Dialoggrundlage für seine Kinder (uns es gibt berührende Momente der Annäherung und der Bewunderung seinen Eltern gegenüber).
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Avraham Burg: Hitler besiegenVon Johannes Rau stammt der Satz: »Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.« Genau um diese Differenz geht es in dem Buch »Hitler besiegen«: Burg ist ein Patriot, der sich gegen das nationalistisch werdende, sich isolationistisch gebärdende und dabei mehr und mehr in Paranoia verfallende Israel positioniert und stattdessen seine, die Werte seiner Familie, die Werte der Gründerväter, die Werte eines modernen, neuen Judentums, setzen möchte.
Dalai Lama: Meine spirituelle BiographieDas freundliche Gesicht mit dem Lächeln, die etwas zu große Brille, das scheinbar immergleiche Mönchsgewand. Eine Mischung zwischen Kindchenschema, welches den Beschützergeist mobilisiert und einer uns in diesem Ausmaß nicht mehr bekannten Bescheidenheit, vielleicht sogar Askese: Der Wiedererkennungswert des Dalai Lama (Tenzin Gyatso) geht einher mit einem erstaunlichen Zuspruch, auch und insbesondere in der westlichen Kultur. Es gibt Umfragen, die ihm eine höhere Autorität zuweisen als beispielsweise dem Papst (von lokalen Politikern oder Intellektuellen erst gar nicht zu reden). Und auch die hartnäckigsten Zölibatskritiker sprechen dem Dalai Lama nicht die Kompetenz ab, über Liebe und Zuneigung zu sprechen, obwohl das Keuschheitsgelübde essentiell für einen Mönch ist, gehört es doch zu den vier grundlegenden Gelübden – neben dem Verbot zu töten, zu stehen und zu lügen. So stellt er fest, dass die Befriedigung sexueller Wünsche nur vorübergehende Erfüllung bringe (was man für die Nahrungsaufnahme auch sagen könnte) und plädiert dafür dieses Begehren ganz und gar als solches wahrzunehmen und es durch einen Bewusstseinsprozess zu transzendieren. Trotzig und durchaus humorvoll zitiert er einen indischen Gelehrten mit den Worten »Wenn es einen juckt, dann kratzt man sich. Besser, als sich zu kratzen, ist aber, wenn es einen gar nicht juckt.«
Es wäre natürlich ein Fehler, den Zuspruch nur an Äußerlichkeiten festzumachen. So erscheint dieser Mann mit seiner natürlich wirkenden Fröhlichkeit und der im Kern (so scheinbar) einfachen Botschaft gepaart mit einer Nuance Exotismus, die eine vielleicht ernsthafte Beschäftigung mit seinen Thesen womöglich eher behindert, wie ein ferner Onkel, dem man ab und zu gerne zuhört und dessen (mediale) Anwesenheit ein wohliges Gefühl des Verständnisses erzeugt. Zumal er sich auf die Erstellung von Diagnosen beschränkt und keine Imperative aufstellt (was die Rezeption ziemlich bequem macht).
Die Frage, die zur Zeit nicht nur Militärs beschäftigt, wird zum Kristallisationspunkt im Buch des israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld »Die Gesichter des Krieges«: Gibt es einen Ausweg, oder sind reguläre, staatliche Armeen zukünftig zur Ohnmacht gegenüber kleinen, häufig schlecht organisierten Gruppen von Terroristen verdammt? In Bezug auf die derzeit einzig verbliebene Supermacht USA und deren aktueller Kriegsführung im Irak stellt sich die Frage pointierter: Was, wenn nicht einmal eine derart hochgerüstete Militärmacht gegen Terroristen und Guerillas reüssieren kann?
Will man die Gegenwart verstehen, so studiere man die Vergangenheit sagt sich van Creveld und analysiert die Kriege des 20. Jahrhunderts und damit den »Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute« (so der Untertitel). Das Ungewohnte dabei ist, dass nicht nur, wie im Vorwort erläutert, die militärischen Operationen selbst…der zentrale Strang der Fragestellung bleiben, sondern (insbesondere was die Behandlung des Zweiten Weltkriegs angeht) die politischen und sozialen Implikationen fast immer ausgeblendet werden. Dieses speziell für den deutschen Leser ungewohnte Verfahren wurde wohl einerseits gewählt, weil ansonsten der Rahmen der Untersuchung gesprengt worden wäre, andererseits setzt van Creveld schlichtweg ein gewisses historisches Basiswissen voraus.
So wird der Leser zunächst in die Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen acht Großmächten (inklusive Italien), davon fünf in Europa (wenn man Russland nicht hinzurechnet; nur zwei Großmächte waren außerhalb des »alten« Kontinents: die USA und Japan) versetzt. Dabei wird deutlich, dass der Einfluss der Politik auf das Militär damals nur sehr eingeschränkt war. Van Creveld spricht wohl ohne Übertreibung von Parallelwelten, die in der Praxis kaum Berührungspunkte miteinander hatten. Oberkommandierende und Generalstäbe waren hinsichtlich ihrer Entscheidungen vollkommen autark; die Mittelgewährung geschah ohne Auflagen oder Kontrolle. Über die Ausstattung ihrer Armee entschieden sie weitgehend alleine. Im Verlauf der Ersten Weltkrieges (aber auch in den letzten Jahren Nazideutschlands) sollte sich diese »Arbeitsteilung« als schwerwiegender Fehler erweisen, denn erst einmal »ausgebrochen« waren die politischen Akteure nahezu vollständig an den Rand gedrängt (was sich unter anderem in Deutschland 1914 zeigte; Wilhelm II. war danach sowohl militärisch als auch politisch praktisch »machtlos«).
Van Creveld spricht das Wort der »Militärdiktatur« nicht aus, es wird jedoch nahegelegt mindestens was die Jahre ab 1916 in einigen kriegsführenden Staaten angeht. Hinzu kam, dass die Gesellschaften durchaus militarisiert waren; die Armee galt als »Schule der Nation«, Krieg als legitimes Mittel der internationalen Politik. In der Bevölkerung wie unter Intellektuellen gab es eine gewisse kindliche Faszination dem bewaffneten Kampf gegenüber.