Stö­rung der Ge­müt­lich­keit

Über Mal­te Her­wigs »Die Flak­hel­fer«

Malte Herwig: Die Flakhelfer

Mal­te Her­wig: Die Flak­hel­fer

Seit vie­len Jah­ren treibt Mal­te Her­wig ein The­ma um: Die Ver­strickun­gen der so­ge­nann­ten Flak­hel­fer-Ge­ne­ra­ti­on in das NS-Re­gime. Ob im »Spie­gel«, dem »Zeit-Ma­ga­zin«, im »stern« oder in »Deutsch­land­ra­dio Kul­tur« – im­mer wie­der über­rasch­te Her­wig mit Fun­den aus Ar­chi­ven, die das schein­bar Un­denk­ba­re doch be­le­gen: Et­li­che der­jenigen, die man (voll­kom­men zu Recht) als die Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bundes­republik be­zeich­net, wur­den mit 17 oder 18 Jah­ren, al­so 1944 und auch noch 1945 Mit­glied in der NSDAP. Das Buch »Die Flak­hel­fer« ist die Bi­lanz von Her­wigs um­fang­rei­chen Re­cher­chen, Be­geg­nun­gen und Ge­sprä­chen.

Zu Be­ginn von Her­wigs Pu­bli­ka­tio­nen vor ei­ni­gen Jah­ren dach­te ich, dass alt­ge­dien­ten und fast im­mer verdienst­vollen Her­ren (es sind nur Her­ren) ein biss­chen Schmutz hin­ter­her ge­wor­fen wer­den soll. Aber dar­um geht es dem Au­tor nicht; er wehrt sich so­gar ge­gen vor­ei­li­ge Vereinnahmung­en – sei­en es wohl­feil-mo­ra­lin­saure Em­pö­rungs- und/oder Distanzierungs­gesten oder skan­da­li­sie­ren­de Schlag­zei­len­rhe­to­rik. Her­wig möch­te ver­ste­hen, nicht an­kla­gen. Im Pro­log zu die­sem Buch wird er, Jahr­gang 1972, per­sön­lich, er­zählt von sei­nem Groß­va­ter (1880–1944), des­sen Na­zis­mus in der Fa­mi­lie in ei­ner Mi­schung aus Ge­heim­nis­krä­me­rei, Ab­scheu und Scham be­han­delt wur­de. Dem ge­gen­über stellt er sei­nen Va­ter (Jahr­gang 1927; lau­ter spä­te Vä­ter), der sich in Her­mann-Lenz-haf­ter Ma­nier dem Sy­stem mit sanf­ter Träg­heit ent­ge­gen­stemm­te. Dies sei zwar un­he­ro­isch ge­we­sen, aber mit lau­ter fau­len Volks­ge­nos­sen wie ihm wä­re deut­lich we­ni­ger Staat zu ma­chen ge­we­sen, erst recht kein »Tau­send­jäh­ri­ges Reich«, so Her­wig. Es ist die­ses Bild der sanf­ten Sub­ver­si­on, die an Brechts Pa­ra­bel von den »Maß­nah­men ge­gen die Ge­walt« er­in­nert und ei­nem bei der Lek­tü­re des Bu­ches nicht mehr so schnell los­lässt.

–> wei­ter­le­sen bei Glanz und Elend

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich hof­fe, dass ich kei­nen Faux­pas be­ge­he, wenn ich an die­ser Stel­le mei­ne klei­nen An­mer­kun­gen zu der Re­zen­si­on zu Mal­te Her­wigs Buch ab­ge­be. Wenn doch, dann ein­fach lö­schen.
    Zu­erst, wie im­mer ei­ne her­vor­ra­gen­de Re­zen­si­on, de­ren Ur­teil ich voll tei­le.
    Soll­te je­doch die Stel­le zu den Walsers An­wäl­ten nicht viel­leicht doch et­was an­ders ge­le­sen wer­den?
    »Die An­wäl­te ha­ben das Wort. 2012 ver­klag­te Wal­ser vor der Pres­se­kam­mer des Ham­bur­ger Land­ge­richts ei­nen Au­tor auf Un­ter­las­sung meh­re­rer Aus­sa­gen, die ihm Ver­brei­tung an­ti­se­mi­ti­schen und na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen Ge­dan­ken­guts un­ter­stell­ten.
    Die Halt­lo­sig­keit die­ser An­schul­di­gun­gen be­darf kei­ner wei­te­ren Er­ör­te­rung.« S. 279f.
    Ge­ra­de der letz­te Satz scheint mir deut­lich zu ma­chen, dass kei­nes­wegs Her­wig, wie in der Re­zen­si­on un­ter­stellt, der un­ge­nann­te Au­tor war.
    Mit­glied­schaft in der Waf­fen-SS. Ich är­ge­re mich seit lan­gem über die Be­zeich­nung. Grass hat sich frei­wil­lig zur Wehr­macht ge­mel­det, aber nicht zur Waf­fen-SS. Lei­der wird sei­ne Zu­ge­hö­rig­keit stets als Mit­glied­schaft., auch von Her­wig, be­zeich­net. Soll­te man nicht ge­ra­de auch in Ab­gren­zung zur Mit­glied­schaft in der NSDAP hier sprach­lich sau­ber und ge­nau schrei­ben? Da­mit will ich Grass nicht ent­schul­di­gen, aber man ver­sucht da­mit schon, ihn sub­ku­tan in den Dunst­kreis der Ver­bre­chen der SS zu rücken. Bei al­ler Kri­tik, das hat er nicht ver­dient.
    Letz­ter Punkt. Mich hat vor al­lem auch die Chuz­pe von Gen­scher ver­blüfft. Sein Mi­ni­ste­ri­um hat es über 10 Jah­re ver­stan­den, die Über­ga­be der Ak­ten und Do­ku­men­te zu ver­hin­dern und zu ver­zö­gern. Als dann die Rück­ga­be ver­ein­bart wur­de, trat er als Au­ßen­mi­ni­ster zu­rück. Er ging da­mit al­len Fra­gen nach sei­ner Mit­glied­schaft in der NSDAP aus dem Weg.

  2. Dan­ke für den Kom­men­tar; ich ha­be ihn ver­scho­ben und las­se die Kom­men­tar­mög­lich­keit ei­ne Zeit of­fen.

    Ich ha­be die Stel­le nicht voll­stän­dig zi­tiert, weil es mir auf die Par­tei­mit­glied­schaft Walsers an­kam. Dass er kein NS-Ge­dan­ken­gut ver­brei­tet, soll­te sich – mei­ner Mei­nung nach – von selbst ver­ste­hen. Die Hy­ste­rie, die hier ent­stand, ist schwer nach­voll­zieh­bar. Neu­lich noch, bei ei­nem Ra­dio­in­ter­view zum Ge­burts­tag, sprach ihn die Mo­de­ra­to­rin frank und frei an, dass man ihn ja auch ein­mal des An­ti­se­mi­tis­mus be­schul­digt ha­be. Wal­ser war hör­bar in­di­gniert.

    Was den Punkt Zu­ge­hö­rig­keit / Mit­glied­schaft zur Waf­fen-SS bei Grass an­geht: Sie ha­ben voll­kom­men Recht. Ich wer­de mei­nen Text aber jetzt nicht mehr in die­ser Hin­sicht um­än­dern, son­dern in der Zu­kunft dar­auf ach­ten.

    Auch zum Punkt Gen­scher stim­me ich Ih­nen zu. Man darf aber nie ver­ges­sen, dass Gen­scher im­mer ein knall­har­ter Macht­po­li­ti­ker war. Den­ken Sie an die Zeit, als er als In­nen­mi­ni­ster Guil­laume bei Brandt ließ. Gun­ter Hof­mann weist in sei­nem Buch über die Freund­schaft zwi­schen Brandt und Schmidt dar­auf hin, dass Brandt Gen­scher zwei­mal das po­li­ti­sche Über­le­ben er­mög­licht ha­be. Ich den­ke im­mer an die zwie­lich­ti­ge Ak­ti­on bei der Wen­de 1982 zu Kohl. (Und na­tür­lich an sei­nen Vor­stoß, die ju­go­sla­wi­schen Re­pu­bli­ken als selb­stän­di­ge Staa­ten vor dem Ur­teil der EU an­zu­er­ken­nen.)