Av­ra­ham Burg: Hit­ler be­sie­gen

Ein Buch wie ei­ne Hil­fe­schrei. Hier schreibt ei­ner, der ge­trie­ben ist von ei­ner bes­se­ren Welt. Ge­trie­ben von dem Auf­spren­gen ei­nes Teu­fels­rei­ses mit den Mit­teln der Ein­sicht, des Ar­gu­ments – und der Em­pa­thie. Der Au­tor ist Av­ra­ham Burg, 1955 ge­bo­ren, ehe­ma­li­ger Of­fi­zier in ei­ner Fall­schirm­jä­ger­ein­heit, ehe­ma­li­ger Vor­sit­zen­der der »Je­wish Agen­cy« und ehe­ma­li­ger Knes­set-Spre­cher (ein viel­fach »Ehe­ma­li­ger« al­so). Burg ist Sohn ei­nes »Jeckes«, ei­nes Dresd­ner Uni­ver­si­täts­pro­fes­sors, der in Deutsch­land blieb so lan­ge es eben ging, für ei­ne Un­ter­or­ga­ni­sa­ti­on des Mos­sad in Pa­ris il­le­ga­le Ein­wan­de­rer her­aus­schmug­gel­te und da­für so­gar mit NS-Of­fi­zie­ren ver­han­del­te und spä­ter Mi­ni­ster in meh­re­ren is­rae­li­scher Re­gie­run­gen wur­de und ei­ner ara­bi­schen Jü­din, die als Kind nur mit Glück und Hil­fe (ih­res ara­bi­schen Ver­mie­ters) dem He­bron-Mas­sa­ker 1929 ent­kam. Die­ses Buch will er auch ver­stan­den wis­sen als Ge­spräch mit sei­nem (ver­stor­be­nen) Va­ter und als Dia­log­grund­la­ge für sei­ne Kin­der (uns es gibt be­rüh­ren­de Mo­men­te der An­nä­he­rung und der Be­wun­de­rung sei­nen El­tern ge­gen­über).

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Avraham Burg: Hitler besiegen

Av­ra­ham Burg: Hit­ler be­sie­gen

Von Jo­han­nes Rau stammt der Satz: »Ein Pa­tri­ot ist je­mand, der sein Va­ter­land liebt. Ein Na­tio­na­list ist je­mand, der die Va­ter­län­der der an­de­ren ver­ach­tet.« Ge­nau um die­se Dif­fe­renz geht es in dem Buch »Hit­ler be­sie­gen«: Burg ist ein Pa­tri­ot, der sich ge­gen das na­tio­na­li­stisch wer­den­de, sich iso­la­tio­ni­stisch ge­bär­den­de und da­bei mehr und mehr in Pa­ra­noia ver­fal­len­de Is­ra­el po­si­tio­niert und statt­des­sen sei­ne, die Wer­te sei­ner Fa­mi­lie, die Wer­te der Grün­der­vä­ter, die Wer­te ei­nes mo­der­nen, neu­en Ju­den­tums, set­zen möch­te.

Burgs The­se: Is­ra­el hat in den 60er Jah­ren ei­ne men­ta­le Kehrt­wen­dung sei­ner Iden­ti­tät voll­zo­gen. Die Sho­ah, der mil­lio­nen­fa­che Mord der Na­tio­nal­so­zia­li­sten an den Ju­den, wur­de zum Grün­dungs­my­thos des Staa­tes Is­ra­el my­sti­fi­ziert und be­stimm­te im­mer mehr weit über das nor­ma­le Ge­den­ken hin­aus die po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen des Staa­tes. Zwar gibt auch Burg zu: Is­ra­el ent­stand aus der Asche und oh­ne die Sho­ah hät­te es – so die The­se – den Staat Is­ra­el in die­ser Form (und in die­ser Hi­sto­rie) nicht ge­ge­ben. Aber es gab nie den Ver­such ei­ner hi­sto­ri­schen Auf­ar­bei­tung die­ses un­ge­heu­er­li­chen Vor­gangs, der sich jen­seits vor­her fest­ge­leg­ter Ri­tua­le ab­spiel­te. Statt­des­sen ent­wickel­te Is­ra­el sich zu ei­ner mul­ti­t­rau­ma­ti­schen Ge­sell­schaft, ei­ner Ko­ali­ti­on al­ler ih­rer Op­fer, die ih­re schlimm­sten Er­leb­nis­se zu ih­rer zen­tra­len exi­sten­zi­el­len Er­fah­rung mach­ten.

Eich­mann-Pro­zess als In­itia­ti­ons­ri­tu­al

Aus­führ­lich be­schreibt Burg die­sen Pro­zess und dringt da­bei tief in die Grün­dungs­ge­schich­te des Staa­tes Is­ra­el ein. Es gibt ei­nen klei­nen Über­blick der Ge­schich­te der Ju­den im 20. Jahr­hun­dert. Zwei Er­eig­nis­se der 60er Jah­re wa­ren letzt­lich für die heu­ti­ge Si­tua­ti­on be­stim­mend: Der Pro­zess ge­gen Adolf Eich­mann 1961 und der Sechs-Ta­ge-Krieg 1967 (der zu ei­nem mi­li­tä­ri­schen Tri­umph für Is­ra­el wur­de).

Der Eich­mann-Pro­zess war ein In­itia­ti­ons­ri­tu­al, in dem Is­ra­el sich als Op­fer be­stä­tig­te. Er be­grün­de­te die is­rae­li­sche Vik­ti­ma­ti­on. Burg ver­tritt die Mei­nung, der Pro­zess hät­te da­mals als in­ter­na­tio­na­les Tri­bu­nal in­ter­na­tio­na­li­siert wer­den müs­sen und zi­tiert in die­sem Zu­sam­men­hang Han­nah Are­ndts Po­le­mik von Ben-Gu­ri­ons »Schau­pro­zess«. Aus­führ­lich setzt sich Burg mit der da­mals dis­ku­tier­ten Mög­lich­keit aus­ein­an­der, Eich­manns To­des­ur­teil in ei­ne Be­gna­di­gung zu über­füh­ren. Er zi­tiert aus Mit­schrif­ten von Re­gie­rungs­sit­zun­gen (in de­nen un­ter an­de­rem auch sein Va­ter, Jo­sef Burg, zu Wort kommt [als Mann der Mit­te]). Der Au­tor ver­tritt die The­se, Eich­manns To­des­ur­teil hät­te in ei­ne le­bens­lan­ge Ge­fäng­nis­stra­fe über­führt wer­den sol­len (es gab so­gar Dis­kus­sio­nen dar­über, ihn nach der Ver­ur­tei­lung frei­zu­las­sen und ihn mit sei­ner Schuld le­ben zu las­sen). Ob­wohl strik­ter To­des­stra­fen-Geg­ner ver­steht Burg durch­aus, war­um es zu ei­ner Be­gna­di­gung nicht ge­kom­men ist, denn Eich­manns Tod soll­te das En­de der Sho­ah und den Be­ginn der Post-Sho­ah-Pe­ri­ode sym­bo­li­sie­ren. Aus Grün­den, die aus­führ­lich be­han­delt wer­den, ist dann klar: In Wirk­lich­keit pas­sier­te das Ge­gen­teil. Statt­des­sen ent­wickel­te sich im Lau­fe der Jahr­zehn­te ei­ne Art Sho­ah Estab­lish­ment, wel­ches an­ders­lau­ten­de, be­däch­ti­ge und kri­tisch-ana­ly­ti­sche The­sen wie bei­spiels­wei­se die von Han­nah Are­ndt zum Eich­mann-Pro­zess we­der zur Kennt­nis nahm, ge­schwei­ge denn sei­ner­zeit in Is­ra­el über­haupt pu­bli­zier­te.

Der groß­ar­ti­ge mi­li­tä­ri­sche Er­folg des Sechs­ta­ge­krie­ges war das zwei­te ein­schnei­den­de Er­eig­nis; ei­ne Art Pyr­rhus-Sieg, den Burg da er­kennt. Von nun an schritt die Mi­li­ta­ri­sie­rung des is­rae­li­schen Po­li­tik vor­an; nur un­ter­bro­chen von ei­ner kur­zen Pha­se des Os­lo-Pro­zes­ses in den 90er Jah­ren (dem Über­gangs­jahr­zehnt), die bru­tal durch die Er­mor­dung Yitz­hak Ra­b­ins be­en­det wur­de.

Da­vor und da­nach wur­de die Ge­fahr ei­ner per­ma­nent vi­ru­len­ten zwei­ten Sho­ah als Droh­po­ten­ti­al im­ple­men­tiert. Die Sho­ah ist un­ser Le­ben, wir wol­len sie nicht ver­ges­sen und las­sen nicht zu, dass je­mand uns ver­gisst. Wir ha­ben die Sho­ah aus ih­rem hi­sto­ri­schen Kon­text ge­ris­sen und zur Ent­schul­di­gung und Trieb­kraft jeg­li­chen Han­delns ge­macht. Al­les wird mit der Sho­ah ver­gli­chen, er­scheint ne­ben ihr zwer­gen­haft klein und ist da­her er­laubt: sei­en es Zäu­ne, Be­la­ge­run­gen, Ein­kes­se­lun­gen, Nah­rungs­mit­tel- und Was­ser­ent­zug oder un­ge­klär­te Tö­tun­gen. Al­les ist er­laubt, weil wir die Sho­ah durch­ge­macht ha­ben und nie­mand uns sa­gen darf, was wir zu tun ha­ben. Nach­träg­lich bür­ger­te Is­ra­el die 6 Mil­lio­nen Tote[n] ein Jeg­li­ches Han­deln wird nun durch die Sho­ah be­stimmt und le­gi­ti­miert. Burg fasst die­se Hal­tung zu­sam­men: Die Sho­ah ist ein­ma­lig, sie ist nur uns zu­ge­sto­ßen; kon­ta­mi­niert un­se­re Sho­ah nicht mit den Pro­ble­men an­de­rer Völ­ker.

Au­ßen­po­li­tik und ri­tua­li­sier­tes Ge­den­ken

Au­ßen­po­li­tisch sieht Burg Is­ra­el in ei­ner durch­aus be­son­de­ren Rol­le, ge­ra­de wenn man die Ge­schich­te Ernst neh­men wür­de. Ein apa­thi­sches Is­ra­el und ein pas­si­ves jü­di­sches Volk tra­gen mehr Ver­ant­wor­tung als an­de­re, die sich der Un­tä­tig­keit schul­dig ma­chen. Auch hier zeigt die Rea­li­tät eher das Ge­gen­teil. Is­ra­els Au­ßen­po­li­tik un­ter­stütz­te das süd­afri­ka­ni­sche Apart­heid-Re­gime bis zu des­sen Zu­sam­men­bruch. Im Streit zwi­schen der Tür­kei und Ar­me­ni­en um die Be­wer­tung der tür­ki­schen Mas­sa­ker der Jah­re 1915–17 als Ge­no­zid sprang man der tür­ki­schen Re­gie­rung bei. Burg macht Is­ra­el auch als Mi­loše­vić-Un­ter­stüt­zer wäh­rend der ju­go­sla­wi­schen Se­zes­si­ons­krie­ge aus. Mit die­ser Art von Po­li­tik iso­lier­te sich Is­ra­el von tief­grei­fen­den Welt­pro­zes­sen und wur­de zum Leug­ner des Ho­lo­causts an an­de­ren Völ­kern. Dü­ster der Schluss aus die­ser Art von Ar­ro­ganz und Ge­schichts­ver­ges­sen­heit, die nur sich sel­ber als Op­fer ge­riert und kal­te In­ter­es­sen­po­li­tik be­treibt: Wer den Ho­lo­caust an an­de­ren ver­leug­net, wird letzt­lich er­le­ben, dass sein ei­ge­ner Ho­lo­caust ver­leug­net wird. Ein Satz, der na­tur­ge­mäss ver­stört, aber oh­ne Zwei­fel aus ei­ner gro­ssen Ver­zweif­lung re­sul­tiert.

Har­te Wor­te fin­det er auch, was die ri­tua­li­ser­te Ge­denk- und Fei­er­kul­tur in Is­ra­el an­geht. Sie ist voll­kom­men ge­prägt von der Sho­ah; selbst einst re­li­giö­se Fe­ste wer­den ent­spre­chend »auf­ge­la­den«. Wir stutz­ten un­se­re grau­en­vol­le Ho­lo­caust-Er­fah­rung zu­recht, bis sie in ei­ni­ge der tra­di­tio­nel­len jü­di­schen Mu­ster pass­te, und füg­ten ihr un­se­ren ei­ge­nen Sym­bo­lis­mus hin­zu. Burg be­haup­tet, dass die Sho­ah im is­rae­li­schen Le­ben in­zwi­schen prä­sen­ter als Gott sei. Aus­län­di­sche Staats­be­su­cher wer­den zum Be­such nach Yad Vas­hem ver­pflich­tet, die­ser Pfahl, an den wir un­se­re Gä­ste stel­len, um ih­nen un­se­re ex­klu­si­ven Sho­ah-Wer­te ein­zu­trich­tern, in Wahr­heit sei Yad Vas­hem, so wie es be­nutzt wird, das größ­te Mo­nu­ment na­tio­na­ler Ohn­macht, ein Denk­mal der mo­ra­li­schen Taub- und Stumpf­heit ge­gen­über an­de­ren. Ein­drück­lich plä­diert er für ei­ne Neu­aus­rich­tung: Yad Vas­hem soll Sitz des in­ter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs wer­den und es sol­len dort Pro­zes­se ge­gen po­ten­ti­el­le Völ­ker­mör­der statt­fin­den.

Burg bi­lan­ziert den Sta­tus quo des Lan­des mit ei­ner Mi­schung zwi­schen Er­schrecken und Ver­zweif­lung: Wir ha­ben die Sho­ah aus ih­rer hei­li­gen Po­si­ti­on ge­holt und in ein In­stru­ment ge­wöhn­li­cher und so­gar ab­ge­dro­sche­ner Po­li­tik ver­wan­delt. Wir ha­ben die Sho­ah zu ei­nem Mit­tel im Dien­ste des jü­di­schen Vol­kes ge­macht. Der Schuld­kom­plex es Nicht­er­ken­nens der Ge­fahr ei­ner sich ab­zeich­nen­den Ver­fol­gung wur­de über­führt in ei­nen Op­fer­my­thos. Dies führ­te zu ab­sur­den, teil­wei­se ge­schichts­ver­bie­gen­den Wahr­neh­mun­gen. Burg fragt in die­sem Zu­sam­men­hang warum…Israel die War­schau­er Re­bel­len post­hum [ad­op­tier­te], ob­wohl es vor der Staats­grün­dung so we­nig un­ter­nom­men hat­te – so­weit sich über­haupt et­was hät­te tun las­sen -, um ih­nen ge­gen die Kräf­te der Ver­nich­tung und des To­des zu hel­fen? Der Auf­stand im War­schau­er Ghet­to wur­de als »is­rae­lisch« de­kla­riert, weil er gut in die Sho­ah-Ver­ein­nah­mung pass­te. Die heu­ti­ge is­rae­li­sche Ge­sell­schaft be­merkt da­bei gar nicht, so Burg, wie noch mehr als 60 Jah­re nach sei­nem Tod Hit­ler und sei­ne Scher­gen Re­ak­tio­nen und Ver­hal­tens­wei­sen be­stim­men (Burg kon­sta­tiert dies üb­ri­gens auch in Be­zug auf die ame­ri­ka­ni­schen Ju­den). Die Fol­gen sind ka­ta­stro­phal nicht nur für das Selbst­ver­ständ­nis ei­ner Na­ti­on, son­dern auch für das Zu­sam­men­le­ben mit den Nach­barn, die nur als Fein­de wahr­ge­nom­men wer­den: In Is­ra­el wie auch in Ame­ri­ka führ­te der Schuld­kom­plex über die Sho­ah zu ei­ner na­tio­na­len Be­ses­sen­heit von über­zo­ge­ner Si­cher­heits­po­li­tik, zu ei­nem Macht­stre­ben, das oft in pri­mi­ti­ve Kriegs­lust über­geht.

Fa­ta­le Mi­schung von Mi­li­tär und Re­li­gi­on

Un­ver­blümt kon­sta­tiert Burg: Wir müs­sen zu­ge­ben, dass das heu­ti­ge Is­ra­el und sei­ne Po­li­tik zum wach­sen­den Hass auf Ju­den bei­tra­gen, un­ter an­de­rem weil Ju­den und Israelis…zu Schlä­gern ge­wor­den sind. Na­tür­lich lehnt Burg den ver­gleich des is­rae­li­schen Be­sat­zungs­po­li­tik mit den Na­tio­nal­so­zia­li­sten ve­he­ment ab; nichts wä­re un­hi­sto­ri­scher als solch ein Blöd­sinn. Aber ein ge­de­mü­tig­tes, ver­folg­tes Volk [kann] sei­nen schlimm­sten Pei­ni­gern ähn­lich wer­den. Und über­deut­lich heißt es dann: Ver­gan­ge­ne Un­ter­drückung ver­leiht dem be­frei­ten Volk kei­ne mo­ra­lisch wei­ße We­ste, eher im Ge­gen­teil. Kei­nen Ge­dan­ken ver­schwen­det Av­ra­ham Burg dar­an, dass die­se Sät­ze als An­ti­se­mi­tis­mus aus­ge­legt wer­den könn­ten (Zi­ta­te in fal­sche Kon­tex­te stel­len und/oder Bei­fall von der »fal­schen Sei­te« er­hal­ten – das ist im­mer ein Ri­si­ko.) Ta­bui­sie­run­gen aus fal­scher Zu­rück­hal­tung, die ver­mut­lich sel­ber zu lan­ge prak­ti­ziert hat, lehnt er ab. Burg nutzt die­se die »Frei­heit« des »Ehe­ma­li­gen«, end­lich nicht nur in ver­ba­len Pla­ce­bos re­den zu müs­sen (wo­bei die­ses Ver­ständ­nis ei­nes Amts­trä­gers durch­aus am­bi­va­len­te Ge­füh­le zu­rück­lässt und all­zu leicht als wohl­fei­le Aus­re­de ge­le­sen wer­den könn­te).

Hart geht Burg mit den or­tho­do­xen Ju­den ins Ge­richt (ins­be­son­de­re und ex­em­pla­risch mit Rab­bi Yitz­hak Ginz­burg), die Is­ra­el mehr und mehr – auch po­li­tisch – be­ein­flus­sen. Für ihn sind es …grau­sa­me Kid­nap­per die­ser wun­der­ba­ren Kul­tur und nicht ih­re au­then­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten. Aber noch schlim­mer als der schlei­chen­de po­li­ti­sche Be­deu­tungs­ge­winn die­ser ei­gent­lich ra­di­ka­len Min­der­heit ist die Durch­drin­gung der dis­kur­si­ven In­to­le­ranz der is­rae­li­schen Ge­sell­schaft. Burg ver­an­schau­licht dies an ei­ner fik­ti­ven Dis­kus­si­on mit sei­nem ver­stor­be­nen Va­ter. In Punk­ten, in de­nen wir un­ter­schied­li­cher Mei­nung wä­ren (be­son­ders was sein Ein­tre­ten für den re­li­giö­sen Cha­rak­ter des Staa­tes an­geht), wür­de er mit mir wie ein Ju­de dis­ku­tie­ren, nicht wie ein Is­rae­li. Der Is­rae­li wür­de die Hand wie zum Schlag he­ben und zi­schen: »Wo­für hälst du dich ei­gent­lich?«, und so­bald er mich (durch sein per­sön­li­ches Ve­to) dis­qua­li­fi­ziert hät­te, wür­de er sich von mei­nen Fra­gen nicht mehr be­trof­fen füh­len. Der tal­mu­di­sche Ju­de wür­de da­ge­gen zu ver­ste­hen ver­su­chen: »Wor­um geht es dir hier ei­gent­lich?« Er wür­de mir auf den Grund mei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on fol­gen und sich ent­schei­den, ob er mei­ne Vor­schlä­ge an­nimmt und sei­ne Mei­nung än­dert, oder ob er zu sei­nem Stand­punkt zu­rück­kehrt. In Wahr­heit, so Burgs The­se, ver­ra­ten die Or­tho­do­xen und Hard­li­ner die Wer­te, für die ver­meint­lich sug­ge­rie­ren ein­zu­tre­ten. Burg be­kennt sich zu sei­ner Angst vor ei­nem Is­ra­el der Rab­bis und Ge­ne­rä­le und er­kennt durch­aus er­schrecken­de Ele­men­te von Ras­sis­mus in der ak­tu­el­len is­rae­li­schen Ge­sell­schaft (in­ter­es­sant sei­ne Aus­füh­run­gen zum At­tri­but »ara­bisch«).

Mit ei­nem neu­en Ju­den­tum aus dem „men­ta­len Ge­fäng­nis“

Selbst bei den ei­ge­nen Kin­dern be­ob­ach­tet Burg Ver­än­de­run­gen, so­bald sie von den Pflicht­rei­sen von eu­ro­päi­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern wie­der­keh­ren. Die In­fil­tra­ti­on scheint per­fekt zu sein; er do­ku­men­tiert dies auch. Sie führt zu ei­ner Wa­gen­burg­men­ta­li­tät und zu emo­tio­na­ler Ver­här­tung. Burg setzt dem sei­ne po­li­ti­sche Sicht ent­ge­gen: Es droht kei­ne wei­te­re Sho­ah; Is­ra­el ist ei­ne öko­no­misch, mi­li­tä­risch und au­ßen­po­li­tisch ge­fe­stig­te Grö­ße mit den USA als si­che­ren Bünd­nis­part­ner. Er ver­langt ein Zu­ge­hen auf die Nach­barn. Die Ara­ber müss­ten von der Nazi-Rolle…die wir ih­nen zu­ge­wie­sen ha­ben be­freit wer­den. Heu­te sind wir nicht nur Rich­ter, son­dern auch Her­ren über das Land, aber un­ser Ur­teil ist hart, un­ge­recht und er­bar­mungs­los. Zwar sei es un­mög­lich, nach Jahr­zehn­ten die pa­lä­sti­nen­si­schen Flücht­lin­ge in ih­re Häu­ser und Ge­bie­te wie­der zu­rück kom­men zu las­sen, aber sie müss­ten ent­spre­chend ent­schä­digt wer­den, so dass ein Neu­an­fang mög­lich ist.

Statt ewig zu­rück­zu­schau­en, muss nach vor­ne ge­blickt wer­den. Ich bin zu­tiefst über­zeugt, wenn wir die mo­der­ne is­rae­li­sche Iden­ti­tät nicht auf Op­ti­mis­mus, Glau­ben an die Men­schen und vol­les Ver­trau­en in die Völ­ker­fa­mi­lie grün­den, ha­ben wir auf lan­ge Sicht kei­ne Exi­stenz- und Über­le­bens­chan­ce – nicht als Ge­sell­schaft in ei­nem Staat, nicht als Staat in der Welt und nicht als Na­ti­on in der Zu­kunft. Die Pa­lä­sti­nen­ser müss­ten ei­ne Um­ar­mung des Frie­dens spü­ren. Burg plä­diert für ei­ne Spi­ra­le des Fort­schritts und Ge­den­kens, ei­ne Syn­the­se aus Kreis und Li­nie, aus Ver­än­de­rung und Kon­ti­nui­tät. Is­ra­el müs­se end­lich Ausch­witz ver­las­sen, da es ein men­ta­les Ge­fäng­nis sei. Er­in­ne­rung zwar be­wah­ren, aber in der Ge­gen­wart le­ben und die Zu­kunft ge­stal­ten. Undstatt ei­ner ein­di­men­sio­na­len Fahrt in ei­ne Zeit und an ei­nen Ort des Schmer­zes, der De­mü­ti­gung und Ver­nich­tung – Burg spricht hier die Fahr­ten von is­rae­li­schen Schü­lern in Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger an – möch­te ich ei­ne mehr­di­men­sio­na­le Rei­se zu Hoff­nung und Ver­trau­en vor­schla­gen. Hier ent­wirft er ei­ne ganz neue Rei­se­rou­te durch Eu­ro­pa, be­gin­nend im spa­ni­schen An­da­lu­si­en, um hier die Hoch­kul­tur des Is­lam aus dem Mit­tel­al­ter zu stu­die­ren über die Bal­lungs­zen­tren mus­li­mi­scher Ein­wan­de­rer in Eu­ro­pa; ei­ne Rund­rei­se durch die von Kon­fron­ta­ti­on ge­präg­te Ge­schich­te der Ju­den und Ara­ber.

Burg schreibt gro­ße Wor­te, aber wich­ti­ge De­tails blei­ben lei­der un­kon­kret. Wie soll bei­spiels­wei­se der Ge­sin­nungs­wan­del in der is­rae­li­schen Ge­sell­schaft ent­ste­hen? Er stellt kri­stall­kla­re Dia­gno­sen, wäh­rend die The­ra­pien eher all­ge­mein blei­ben. Er be­müht sich red­lich, tritt für die Neu­erfin­dung und Er­neue­rung ei­nes Plu­ra­lis­mus der jü­di­schen Re­li­gi­on ein, die in ein Ju­den­tum der Lie­be mün­den und das ge­ne­ti­sche Ju­den­tum er­set­zen soll. Burg ent­wirft neue Fei­er­ta­ge, die Ge­den­ken und Zu­kunfts­er­war­tung mit­ein­an­der in Ein­klang brin­gen sol­len und nicht nur in bedeutungslose[n]…Ritualen und ob­ses­si­ven Vor­schrif­ten »ab­ge­fei­ert« wer­den. Er plä­diert für ei­nen in­ter­re­li­giö­sen Dia­log (durch­aus an­ge­lehnt an Ideen von Hans Küng, auch wenn er ihn nicht na­ment­lich nennt). Hier scheint Burg die In­no­va­ti­ons­kräf­te von Re­li­gio­nen deut­lich zu über­schät­zen.

Par­al­le­len zum Bis­marck-Deutsch­land?

Zu gro­ßen Kon­fron­ta­tio­nen in Is­ra­el führ­ten die Aus­füh­run­gen Burgs, in dem er das ak­tu­el­le Is­ra­el mit dem deut­schen Kai­ser­reich von 1870 (hier wie dort be­grün­det ein kru­der, Tei­le der Be­völ­ke­rung sy­ste­ma­tisch aus­schlie­ßen­der Mi­li­ta­ris­mus ei­ne Na­ti­on) und der Wei­ma­rer Re­pu­blik (ei­ne Art Ent­gren­zung der po­li­ti­schen Kul­tur auf nied­ri­ge In­stink­tap­pel­le, bei­spiels­wei­se fest­ge­macht an der Be­schimp­fung der so­ge­nann­ten »No­vem­ber­ver­bre­cher« in der Wei­ma­rer Re­pu­blik Deutsch­lands ge­gen die pro­vi­so­ri­sche Re­gie­rung, die den Waf­fen­still­stand im er­sten Welt­krieg aus­han­del­te – und der ad­äqua­ten De­nun­zia­ti­on als so­ge­nann­te »Oslover­bre­cher« im ra­di­ka­len Mi­lieu Is­ra­els ge­gen die Frie­dens­un­ter­händ­ler 1993–95) ver­gleicht und Par­al­le­len fest­stellt. Im Vor­wort zur deut­schen Aus­ga­be er­läu­tert er noch ein­mal sei­ne Grün­de da­für. Die Par­al­le­len sind ge­wagt, aber in­ter­es­sant. Den­noch bleibt die Fra­ge, ob man das Buch nicht bes­ser ex­akt um die­sen Ex­kurs hät­te re­du­zie­ren und die hi­sto­ri­schen Ana­lo­gien se­pa­rat und viel­leicht ein biss­chen ein­dring­li­cher er­läu­tern sol­len. We­ni­ger wä­re hier viel­leicht mehr ge­we­sen.

Und ei­ne Al­le­go­rie bleibt be­son­ders haf­ten: Als Burg mit ei­nem sei­ner Söh­ne in Ber­lin ist und da un­ser Rück­flug sich ver­zö­ger­te, hat­ten wir, Va­ter und Sohn, un­ver­hofft ein paar Stun­den Zeit und gin­gen in den Ber­li­ner Zoo. Wäh­rend Noam um die Ha­bi­ta­te exo­ti­scher Tie­re strolch­te, saß ich da und schau­te den ge­fan­ge­nen Af­fen zu. Al­le spran­gen leb­haft und ver­spielt von ei­nem Ast zum an­de­ren. Mit ei­ner Hand hiel­ten sie sich fest, streck­ten die an­de­re nach dem näch­sten Ast aus und han­gel­ten sich wei­ter. Ein Af­fe saß al­lein ab­seits und misch­te sich nicht un­ter die an­de­ren. Ich er­kun­dig­te mich bei ei­nem vor­bei­ge­hen­den Tier­pfle­ger, was das Tier ha­be. »Er ist an­ders«, ant­wor­te­te er. »Er kann nicht klet­tern, weil er Angst hat, den Ast los­zu­las­sen. Wenn man sich mit bei­den Hän­den an dem Ast fest­hält, kann man nicht klet­tern. Das ist sein Schick­sal. Er sitzt den gan­zen Tag auf dem Bo­den wie ein Trau­ern­der, der vom Le­ben um ihn her­um iso­liert ist.«

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Burgs Buch ist kei­ne der­be Po­le­mik, kei­ne wut­schnau­ben­de Ab­rech­nung mit po­li­ti­schen Geg­nern oder wohl­fei­le Phil­ip­pi­ka ge­gen den is­rae­li­schen Zeit­geist. Wer ge­nau liest, stellt fest, wie be­hut­sam er die Ak­zen­te zu set­zen ver­sucht. Zwar ist die Spra­che in der Dia­gno­se des Zu­stands Is­ra­els deut­lich, aber gleich­zei­tig so ge­wählt, dass sie nicht ver­letzt, es sei denn, man be­trach­tet be­reits die Fest­stel­lung des be­schrie­be­nen Zu­stands als Sa­kri­leg. »Hit­ler be­sie­gen« ist trotz ei­ni­ger Red­un­dan­zen ein sehr le­sens­wer­tes, ein auf­rüt­teln­des Buch. Burg gibt zu, dass sei­ne Mei­nung der­zeit ei­ne Min­der­hei­ten­mei­nung in Is­ra­el ist. Ge­ra­de des­halb be­wun­dert man sei­nen Op­ti­mis­mus: Wir wer­den es schaf­fen steht ja ein­mal fast trot­zig. Er hat die­ses Buch trotz der zu er­war­ten­den feind­se­li­gen Re­ak­tio­nen ge­schrie­ben, trotz der ver­ba­len An­ar­chie, die er der­zeit in Is­ra­el aus­macht – weil er letzt­lich doch der Kraft des Ar­gu­men­tes ver­traut. Man hat nach der Lek­tü­re das Ge­fühl, dass man die­ses Ver­trau­en bit­ter nö­tig ha­ben wird.

Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

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  1. Ich den­ke auch, dass Eich­mann ei­gent­lich den Wen­de­punkt in der ge­sam­ten Ge­schich­te des na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen Ho­lo­causts dar­stel­len soll­te. An ihm wur­de so­zu­sa­gen ein Ex­em­pel sta­tu­iert, dass es den­je­ni­gen, die mei­nen ei­ne phi­lo­so­phisch fun­dier­te An­sicht (er hat sich ja, so weit ich weiß, auf Im­ma­nu­el Kant be­zo­gen) für nie­de­re Zwecke – mir fällt ge­ra­de kein bes­se­rer Be­griff ein, aber ich den­ke, ich wer­de da­mit nie­man­den ver­let­zen – zu miss­brau­chen, der ge­sell­schaft­li­che Rück­halt und die An­er­ken­nung der­sel­ben ver­währt blei­ben soll­te.
    Ich wür­de den Eich­mann-Pro­zess als das letz­te gro­ße Schei­tern ei­ner voll­kom­men un­sin­ni­gen Ideo­lo­gie de­kla­rie­ren.

    »Burg schreibt gro­ße Wor­te, aber wich­ti­ge De­tails blei­ben lei­der un­kon­kret. Wie soll bei­spiels­wei­se der Ge­sin­nungs­wan­del in der is­rae­li­schen Ge­sell­schaft ent­ste­hen? Er stellt kri­stall­kla­re Dia­gno­sen, wäh­rend die The­ra­pien eher all­ge­mein blei­ben.«:

    Mei­nes Er­ach­tens KANN man auch gar kei­ne kon­kre­ten »The­ra­pien« auf­wer­fen. Das ist ein Pro­zess, wie er all­ge­mei­ner nicht sein könn­te. Um die­ses Ge­dan­ken­gut wirk­lich an der Wur­zel zu tref­fen, muss man schon am Keim in den Köp­fen der heu­ti­gen Ju­den, bzw. Is­rea­li­ten an­set­zen. Klar, ich ge­be Ih­nen Recht, statt gro­ße Wor­te soll­ten da lie­ber gro­ße Ta­ten be­schrie­ben ste­hen. Aber er könn­te hun­der­te kon­kre­te Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge nen­nen oder ein all­ge­mei­nes Prin­zip, das WIR selbst (bzw. die Is­rea­li­ten) dann an den em­pi­ri­schen Sach­ver­hal­ten in con­cre­to an­wen­den müs­sen. Ich ha­be das Buch zwar nicht ge­le­sen, aber der all­ge­mei­ne im­pli­zier­te Im­pe­ra­tiv, die Haupt­in­ten­ti­on al­so, steht mei­nes Er­ach­tens als Un­ter­ti­tel ex­pli­zit auf dem Co­ver. Die Be­grün­dung da­für wird dann IM Buch ge­nannt.

  2. In­wie­fern der Eich­mann-Pro­zess ein Do­ku­ment des Schei­terns der NS-Ideo­lo­gie sein soll, ver­ste­he ich nicht. Die­se Aus­sa­ge im­pli­ziert ja fast, dass oh­ne die­sen Pro­zess die Ideo­lo­gie nicht ge­schei­tert wä­re.

    Ich glau­be, dass Han­nah Are­ndt den ent­schei­den­den Im­puls für ei­ne neue Re­zep­ti­on des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus im be­son­de­ren (aber auch an­de­rer Dik­ta­tur­for­men im spe­zi­el­len) ge­legt hat, der heu­te noch viel zu we­nig be­rück­sich­tigt wird: Nicht nur die »Gro­ssen« ha­ben Ver­ant­wor­tung (und so­mit Schuld). Dies war die al­leg­mei­ne Mei­nung nach den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen. Den Al­li­ier­ten dien­te dies als Recht­fer­ti­gung für ih­ren lo­sen Um­gang mit Ent­na­zi­fi­zie­run­gen und den Deut­schen als be­que­me Po­si­ti­on, die sie von je­der wei­te­ren Ver­ant­wor­tung frei­sprach.

    Die »Gro­ssen« wa­ren wa­ren aber auf brei­tet­ste Un­ter­stüt­zung an­ge­wie­sen. Eich­mann war der In­be­griff des Ap­pa­rat­schicks; des will­li­gen Be­fehls­emp­fän­gers (der ver­mut­lich man­gels gei­sti­ger Po­tenz die Ideo­lo­gie auf­ge­so­gen und zu sei­ner ge­macht hat). Er or­ga­ni­sier­te die »Lo­gi­stik«, war ad­mi­ni­stra­ti­ver Voll­strecker. Oh­ne Leu­te wie er, hät­ten die Himm­lers und Hit­lers sa­gen kön­nen, was sie wol­len. Sie be­folg­ten die (ne­bu­lös ge­hal­te­nen) Be­feh­le; teil­wei­se in vor­aus­ei­len­dem Ge­hor­sam. Oh­ne sie wä­ren Hit­lers Pa­ro­len wir­kungs­los ge­blie­ben. Die­sen Aspekt sieht Burg voll­kom­men un­ter­be­lich­tet (er kri­ti­siert die Pro­zess­füh­rung stark).

    Die Dä­mo­ni­sie­rung der Tä­ter (der »Klei­nen« und der »Gro­ssen«) ist kon­tra­pro­duk­tiv für ei­ne wie auch im­mer ge­ar­te­te »Auf­ar­bei­tung«. Das war – na­tür­lich grob ver­ein­facht jetzt dar­ge­stellt – ei­ne der Schluss­fol­ge­run­gen von Are­ndt. Ei­ne Ent-Dä­mo­ni­sie­rung be­deu­tet aber auch un­an­ge­neh­me Schlüs­se. Plötz­lich wer­den die Scher­gen ent­ge­gen der In­ten­ti­on – zu Men­schen. Sie wer­den auf »un­se­re« Ebe­ne so­zu­sa­gen zu­rück­ge­holt. Und dan be­ginnt das Gru­seln erst.

    Sie ha­ben wohl Recht: ich tue Burg ei­ne we­nig Un­recht. mehr als das, was er ge­schrie­ben hat, kann er ver­mut­lich nicht schrei­ben. Ich ha­be viel­leicht so­gar ver­ges­sen zu er­wäh­nen, dass sein Buch aus­ge­spro­chen mu­tig ist. Und das zeigt dann den wah­ren Ernst der La­ge.

  3. Be­züg­lich des Eich­mann-Pro­zes­ses ha­ben Sie mich an­schei­nend miss­ver­stan­den. Ich mein­te nicht des­sen per­sön­li­che or­ga­ni­sa­to­ri­sche Be­deu­tung im drit­ten Reich, son­dern ich be­zog mich viel eher auf die In­ten­si­tät sei­ner ideo­lo­gi­schen Über­zeu­gung. Und da war Eich­mann si­cher – wie Sie ja auch sag­ten – ei­ner der Gro­ßen (oder zu­min­dest ei­ner der BEKANNTEN Gro­ßen). Den mög­li­cher­wei­se man­geln­den Ver­stand las­se ich mal au­ßen vor...
    Ich den­ke, dass von der ge­sell­schaft­li­chen Be­deu­tung her der Eich­mann-Pro­zess ein Mei­len­stein in der Hi­sto­rie der Ent­na­zi­fie­rung ist. Mei­nes Er­ach­tens ist ER das Bei­spiel schlecht­hin für ei­ne un­durch­dach­te und eng­stir­ni­ge Welt­an­schau­ung. ER woll­te doch die Dog­men der »Ober­na­zis« mit ei­ner be­grün­de­ten und an­er­kann­ten Phi­lo­so­phie ver­ein­ba­ren und ist da­bei über sei­ne ei­ge­ne »Schlau­ig­keit« ge­stol­pert.
    Dar­um se­he ich hier­drin ei­ne gro­ße Sym­bol­kraft, ein Ap­pell, der al­len ver­lau­tet, dass der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus die fal­sche Ein­stel­lung ist. Falls mei­ne vor­he­ri­ge Aus­sa­ge tat­säch­lich miss­ver­ständ­lich sein kann, möch­te ich mich für den un­be­frie­di­gen­den Aus­druck ent­schul­di­gen.

    Mei­ner Mei­nung nach soll­te man das The­ma NS lie­ber vor­sich­tig be­han­deln, an­statt es ganz und gar links lie­gen zu las­sen. Ich neh­me da­mit Burg in Schutz, weil er na­tür­lich nicht je­den Aspekt ei­nes sub­ti­len und gut durch­or­ga­ni­sier­ten Sy­ste­mes in An­griff neh­men kann.

  4. Ei­ne wun­der­bar ein­fühl­sa­me Zu­sam­men­fas­sung die­ses, so legt es Dei­ne Re­zen­si­on je­den­falls na­he, sehr klu­gen Bu­ches. Al­lein ei­ne Über­le­gung Burgs, von Dir in ei­nem Satz be­schrie­ben , Zi­tat:

    „Zwar sei es un­mög­lich, nach Jahr­zehn­ten die pa­lä­sti­nen­si­schen Flücht­lin­ge in ih­re Häu­ser und Ge­bie­te wie­der zu­rück kom­men zu las­sen, aber sie müss­ten ent­spre­chend ent­schä­digt wer­den, so dass ein Neu­an­fang mög­lich ist.“,

    bie­tet vie­le An­satz­mög­lich­kei­ten zur Lö­sung der Pa­lä­sti­nen­ser­fra­ge, wenn sich die of­fi­zi­el­le Po­li­tik Is­ra­els we­nig­stens zu die­ser Ein­sicht durch­rin­gen könn­te.