Mal­te Her­wig: Der gro­sse Ka­l­a­nag

Malte Herwig: Der grosse Kalanag
Mal­te Her­wig: Der gro­sse Ka­l­a­nag

2013 leg­te der Au­tor Mal­te Her­wig ei­ne ein­drucks­voll re­cher­chier­te Stu­die zur so­ge­nann­ten »Flak­hel­fer«- Ge­ne­ra­ti­on vor, aus der her­vor­ging, dass et­li­che der­je­ni­gen, die man (voll­kom­men zu Recht) als die Säu­len der neu­en, de­mo­kra­ti­schen und plu­ra­li­sti­schen Bun­des­re­pu­blik be­zeich­ne­te, mit 17 oder 18 Jah­ren, al­so 1944 und auch noch 1945, Mit­glied in der NSDAP ge­wor­den wa­ren. Und dies, so das Er­geb­nis der Nach­for­schun­gen, mit ih­rem je­weils aus­drück­li­chem Wis­sen, da es kei­ne »au­to­ma­ti­schen« Par­tei­mit­glied­schaf­ten gab. Her­wig ging es da­bei nicht um die Dif­fa­mie­rung der Le­bens­lei­stung von Men­schen wie Hans-Diet­rich Gen­scher, Die­ter Hil­de­brandt, Wal­ter Jens oder Die­ter Wel­lers­hoff (um nur ei­ni­ge zu nen­nen). Was ihn um­trieb war das be­haup­te­te oder wo­mög­lich im Lau­fe der Zeit tat­säch­lich ein­ge­tre­te­ne Ver­ges­sen. Selbst ein­deu­ti­ge Be­le­ge ver­moch­ten bei den mei­sten kein Ein­se­hen zu er­zeu­gen. Die Em­pö­rung der Be­wun­de­rer der Prot­ago­ni­sten ließ er nicht gel­ten. Bio­gra­fien dürf­ten nicht ge­glät­tet wer­den, sie soll­ten ge­ra­de in ih­rer Wi­der­sprüch­lich­keit ge­zeigt wer­den, um die Lei­stun­gen da­nach rich­tig be­ur­tei­len zu kön­nen.

Hat­ten sie nach 1945 über­haupt ei­ne an­de­re Wahl als das Schwei­gen? Was wä­re aus ei­nem Gün­ter Grass ge­wor­den, wenn er bei­spiels­wei­se in­ner­halb der Grup­pe 47 sei­ne Dienst­zeit in ei­ner SS-Pan­zer­di­vi­si­on frei­mü­tig zu­ge­ge­ben hät­te? Hät­te Hans-Diet­rich Gen­scher In­nen- und spä­ter Au­ßen­mi­ni­ster wer­den kön­nen, wenn sei­ne NSDAP-Mit­glied­schaft be­kannt ge­wor­den wä­re? War das En­ga­ge­ment für die neue deut­sche De­mo­kra­tie ei­ne Form der Süh­ne, ei­ne Form der Bu­ße im An­ge­sicht ei­ner le­bens­lang emp­fun­de­nen und/oder spä­ter ver­dräng­ten Scham?

Her­wig scheint fas­zi­niert zu sein von die­ser Form der Ver­wand­lungs­fä­hig­keit von Men­schen. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter ver­ant­wor­te­te er ei­nen wun­der­ba­ren Pod­cast über die so­ge­nann­ten Hit­ler-Ta­ge­bü­cher. Der Ver­wand­lungs­künst­ler hieß dies­mal Kon­rad Ku­jau, der sich als ima­gi­nä­rer Adolf Hit­ler in ei­ne Art Rausch ge­schrie­ben hat­te. Auf­klä­re­risch woll­te die­ser Fäl­scher nicht wir­ken, son­dern nur sein Ver­mö­gen auf­bes­sern. Da­her be­trog er. Die Op­fer wa­ren zu­nächst ein gut­gläu­bi­ger Jour­na­list, der die Sto­ry sei­nes Le­bens wit­ter­te und ein paar Blatt­ma­cher. Spä­ter dann Mil­lio­nen Le­ser.

Und nun legt der Tho­mas-Mann-Ken­ner und Pe­ter-Hand­ke-Bio­graph Mal­te Her­wig ei­ne Le­bens­be­schrei­bung über ei­nen ge­wis­sen Hel­mut Schrei­ber vor, der sich einst »Ka­la Nag« und dann, in den 1950er Jah­ren, »Der gro­ße Ka­l­a­nag« nann­te.

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519 Ta­ge

John Bolton: Der Raum, in dem alles geschah
John Bol­ton:
Der Raum, in dem al­les
ge­schah

John Bol­tons Er­leb­nis­se als Na­tio­na­ler Si­cher­heits­be­ra­ter von Do­nald Trump

John Ro­bert Bol­ton, 1948 ge­bo­ren, war ei­gent­lich seit den 1980er-Jah­ren im­mer in der Re­gie­rung der USA, wenn ein Re­pu­bli­ka­ner Prä­si­dent war. Da er un­ter Ge­or­ge W. Bush zum »UNO-Bot­schaf­ter« er­nannt wur­de (per Prä­si­di­al­de­kret, nach­dem er vor­her im Kon­gress, de­ren Mit­glie­der Bol­ton Clowns nennt, durch­ge­fal­len war), wird »Herr Bot­schaf­ter Bol­ton« als An­re­de in der Ad­mi­ni­stra­ti­on ver­wen­det.

Als Trump 2016 Prä­si­dent ge­wor­den war, gab es früh Ge­rüch­te, dass Bol­ton aber­mals ei­ne ge­wich­ti­ge Rol­le im neu­en Ka­bi­nett spie­len soll­te. Ent­ge­gen der An­ti-Estab­lish­ment-Kam­pa­gne Trumps konn­te die­ser na­tür­lich nicht in al­len Po­si­tio­nen neue Kräf­te ein­set­zen. In sei­nem Buch Der Raum, in dem al­les ge­schah, wel­ches im we­sent­li­chen die 519 Ta­ge von April 2018 bis Sep­tem­ber 2019 als Na­tio­na­ler Si­cher­heits­be­ra­ter der Trump-Re­gie­rung um­fasst, gibt es denn auch ein län­ge­res Ein­lei­tungs­ka­pi­tel, in dem er schil­dert, wie es zu die­ser Er­nen­nung kam.

Zu­nächst be­kun­det Bol­ton, dass er im Wahl­kampf 2016 kei­ne be­son­de­re Rol­le ge­spielt ha­be. Er wur­de kalt er­wischt vom Sieg Trumps, was sich dar­in zeig­te, dass er in si­che­rer Er­war­tung von Hil­la­ry Clin­tons Sieg zu Bett ging. Prak­tisch so­fort er­kann­te der Rou­ti­nier die Schwie­rig­kei­ten der Leu­te um Trump, si­che­re Per­so­nal­ent­schei­dun­gen zu tref­fen. So wur­de die UN-Bot­schaf­te­rin von Trump in den Mi­ni­ster­rang er­ho­ben – ein schwe­rer Feh­ler, so Bol­ton, weil da­durch Kom­pe­ten­zen des Au­ßen­mi­ni­ste­ri­ums un­nö­tig ab­ge­ge­ben wur­den. Den­noch wur­de Bol­tons Na­me prak­tisch so­fort ge­nannt, wenn es um die Be­set­zung wich­ti­ger Äm­ter ging. Da­bei war er, wie er ein we­nig ko­kett an­gibt, aus­ge­la­stet: Se­ni­or Fel­low am Ame­ri­can En­ter­pri­se In­sti­tu­te, Kom­men­ta­tor bei Fox News, re­gel­mä­ßi­ger Red­ner, Rechts­be­ra­ter in ei­ner gro­ßen An­walts­kanz­lei, Mit­glied von Un­ter­neh­mens­vor­stän­den, lei­ten­der Be­ra­ter ei­ner glo­ba­len Pri­va­te-Equi­ty-Fir­ma und Au­tor von Mei­nungs­ar­ti­keln mit ei­ner Häu­fig­keit von et­wa ei­nem pro Wo­che. (Be­zeich­nend am Ran­de, dass der Kom­men­ta­tor und Au­tor von Mei­nungs­ar­ti­keln im ge­sam­ten Buch von Jour­na­li­sten als Pres­se­mob oder, leicht mil­der, Pres­se­meu­te schreibt.)

Der Schnurr­bart

Akri­bisch li­stet er al­le for­mel­len und in­for­mel­len Tref­fen mit Trump und sei­nen Be­ra­tern auf, in de­nen es dar­um ging, wel­che Po­si­ti­on er in der Re­gie­rung fin­den soll­te. Bol­ton fa­vo­ri­siert zwei Po­si­tio­nen: Au­ßen­mi­ni­ster oder Na­tio­na­ler Si­cher­heits­be­ra­ter. Ein stell­ver­tre­ten­der Mi­ni­ster­job, der ihm rasch an­ge­bo­ten wird, kommt für ihn nicht in­fra­ge. Das Au­ßen­mi­ni­ste­ri­um müs­se im üb­ri­gen ei­ner Kul­tur­re­vo­lu­ti­on un­ter­zo­gen wer­den, so sein Cre­do. Nach acht Jah­ren Oba­ma wä­re viel zu re­pa­rie­ren, aber auch schon vor­her sei­en in­sti­tu­tio­nel­le Feh­ler be­gan­gen wor­den.

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Hu­go von Kupf­fer: Re­por­terstreif­zü­ge

Hugo von Kupffer: Reporterstreifzüge
Hu­go von Kupf­fer: Re­por­terstreif­zü­ge

Hu­go von Kupf­fer (1853–1928) ent­stamm­te ei­ner bal­tisch-deut­schen Adels­fa­mi­lie. Der Va­ter war Phy­si­ker und Me­teo­ro­lo­ge. 1858 zog die Fa­mi­lie dau­er­haft von St. Pe­ters­burg nach Dres­den um. Nach dem Ab­itur stu­dier­te von Kupf­fer zu­nächst Me­di­zin, dann »Schö­ne Wis­sen­schaf­ten«, al­so Li­te­ra­tur. Bei­de Stu­di­en­gän­ge brach er ab. In ihm reif­te für kur­ze Zeit der Wunsch, Schrift­stel­ler zu wer­den. Fa­mi­liä­re An­ge­le­gen­hei­ten führ­ten ihn zwi­schen 1875 bis 1879 in die USA. Er ar­bei­te­te beim »New York He­rald« und lern­te das ame­ri­ka­ni­sche Pres­se­we­sen ken­nen. Hier zähl­te der Tat­sa­chen­be­richt, die Un­mit­tel­bar­keit des Er­leb­nis­ses mehr als ein kri­ti­scher oder phi­lo­so­phisch an­ge­hauch­ter Kom­men­tar. Nach sei­ner Rück­kehr ging er nach Ber­lin und traf dort Al­fred Scherl, der ei­ne neue Zei­tung grün­den woll­te. Schnell wur­de man sich han­dels­ei­nig: Von Kupf­fer wird – mit 30 Jah­ren – Chef­re­dak­teur vom »Ber­li­ner Lo­kal-An­zei­ger«. Die er­ste Aus­ga­be er­scheint am 4. No­vem­ber 1883. Die Po­si­ti­on wird von Kupf­fer un­ge­ach­tet des spä­te­ren Ver­le­ger­wech­sels (1914 über­nimmt das Im­pe­ri­um von Al­fred Hu­gen­berg den »Lo­kal-An­zei­ger«) bis zu sei­nem Tod ins­ge­samt 45 Jah­ren aus­üben.

Der »Ber­li­ner Lo­kal-An­zei­ger« ver­stand sich als un­po­li­tisch und »über­par­tei­lich« und rich­te­te sich an »al­le Schich­ten der Ge­sell­schaft«. Der Le­ser soll­te »von den wich­tig­sten Vor­komm­nis­sen im Staat und in der Stadt in Kennt­nis« ge­setzt wer­den. Schnell ent­wickel­te er sich zu ei­ner »der meist­ge­le­se­nen Ta­ges­zei­tun­gen Ber­lins und da­mit zu ei­ner fe­sten In­sti­tu­ti­on« des boo­men­den Ber­lin. 1911 be­trug die Auf­la­ge 300.000 Ex­em­pla­re (bei rd. 2 Mil­lio­nen Ein­woh­nern).

All die­se In­for­ma­tio­nen ent­nimmt man dem in­struk­ti­ven Nach­wort von Fa­bi­an Mauch zum Sam­mel­band von Hu­go von Kupf­fers »Re­por­terstreif­zü­ge« (ei­gent­lich »Re­por­ter-Streif­zü­ge«). Mauch ist auch Her­aus­ge­ber. Wir ler­nen, dass die mei­sten Tex­te im »Lo­kal-An­zei­ger« oh­ne Nen­nung des Ver­fas­sers pu­bli­ziert wur­den. Für sei­ne Re­por­ta­gen ver­wen­de­te von Kupf­fer das Pseud­onym des »Ber­li­ner Be­ob­ach­ters«. Er woll­te, wie es im Un­ter­ti­tel heisst, »un­ge­schmink­te Bil­der aus der Reichs­haupt­stadt« lie­fern. Im von Mauch her­aus­ge­ge­be­nen, im Düs­sel­dor­fer Li­li­en­feld-Ver­lag auf­ge­leg­ten Buch, sind ins­ge­samt 25 Re­por­ta­gen ab­ge­druckt. Die­se wa­ren zwi­schen 1886 und 1888 und dann noch­mals, in ei­ner Art zwei­ter Staf­fel, zwi­schen 1890 und 1892, ver­fasst wor­den. Än­de­run­gen zum Ori­gi­nal er­folg­ten nur sehr spar­sam und in ein­deu­ti­gen Fäl­len. Es wur­de auch die Or­tho­gra­phie der da­ma­li­gen Zeit bei­be­hal­ten, was zu­nächst manch­mal stut­zen lässt. Man ge­wöhnt sich dann je­doch ver­blüf­fend schnell.

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Kar­sten Kram­pitz: 1976 – Die DDR in der Kri­se

Karsten Krampitz: 1976
Kar­sten Kram­pitz: 1976

»1976« lau­tet der Ti­tel. Dar­un­ter »Die DDR in der Kri­se«. Da schüt­telt man sich erst ein­mal als in West­deutsch­land so­zia­li­sier­ter Mensch. 1976? Nicht et­was 1989? Gut, die Bier­mann-Aus­bür­ge­rung ist noch prä­sent. Und mit ein we­nig Nach­den­ken auch noch der Ar­rest für Ro­bert Ha­ve­mann. Schon schwie­ri­ger wird es mit der Er­in­ne­rung an die Selbst­ver­bren­nung des Pfar­rers Os­kar Brü­se­witz. Ver­ges­sen (falls je­mals ge­wusst) die Kon­fe­renz der kom­mu­ni­sti­schen Par­tei­en in Ost-Ber­lin. Noch exo­ti­scher: der IX. Par­tei­tag der SED. Und das Hon­ecker von Stoph das Amt des Staats­rats­vor­sit­zen­den über­nahm und da­mit die voll­kom­me­ne Macht­fül­le bei­der Äm­ter (General­sekretär der SED und fak­ti­sches Staats­ober­haupt) auf sich ver­ei­nig­te, hat­te man da­mals nicht mit­be­kom­men – zu deut­lich war die Au­ßen­wahr­neh­mung auf Hon­ecker ge­rich­tet.

All das ge­schah 1976. Und Kar­sten Kram­pitz fin­det noch wei­te­re in­ter­es­san­te Be­ge­ben­hei­ten aus die­sem Jahr wie den Tod von Mi­cha­el Gar­ten­schlä­ger, ei­nem DDR-Flücht­ling, der vom We­sten aus wie­der in das DDR-Grenz­ge­biet ein­drang und Selbst­schuss­an­la­gen de­mon­tier­te und ver­äu­ßer­te. Er wur­de bei ei­ner sol­chen Ak­ti­on er­schos­sen. Da wa­ren die Olym­pi­schen Som­mer­spie­le 1976 in Mont­re­al, bei de­nen der DDR mit Platz 2 im Me­dail­len­spie­gel hin­ter der So­wjet­uni­on end­gül­tig der Durch­bruch als Sport­welt­macht ge­lang; nie mehr – auch bei den Boy­kott-Spie­len 1980 – er­reich­te man so vie­le Gold­me­dail­len. Au­ßen­po­li­tisch pein­lich wur­de der Tod ei­nes ita­lie­ni­schen LKW-Fah­rers an der deutsch-deut­schen Gren­ze, der sich le­dig­lich im Grenz­ge­biet ver­irrt hat­te – und auch noch Kom­mu­nist war. Span­nend Kram­pitz’ Fund­stück ei­nes Gedächtnis­protokolls des da­mals 35jährigen Pfar­rers Lo­thar Vos­berg, der den Be­such zwei­er MfS-Män­ner re­ka­pi­tu­lier­te und an sei­ne Vor­ge­setz­ten mel­de­te.

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Hasen‑, vor­mals Gift­gas­in­sel

Die Pal­men ha­ben ih­re Köp­fe wirk­lich an der Him­mels­decke und zei­gen mit den zahl­lo­sen star­ren Fin­gern ih­rer vie­len Hän­de nach un­ten, wo sich zwi­schen Erd­lö­chern Ha­sen und Men­schen tum­meln. Die Hoch­lei­tungs­strom­ma­sten auf An­hö­hen und Gip­feln ma­chen Männ­chen, wäh­rend sie ein­an­der an Sei­len, die vom Schwimm­becken aus be­trach­tet wie Spinn­fä­den aus­se­hen, über die In­seln der Mee­res­bucht lei­ten. Die Häu­ser, die sich einst in die Ve­ge­ta­ti­on füg­ten oder ihr trotz­ten, sind ver­schwun­den, Op­fer der Kriegs­fa­bri­ken und Aus­sichts­tür­me, der La­ger­plät­ze und Ram­pen und Bun­ker, die ih­rer­seits ver­schwun­den sind, nicht ganz zwar, die Re­ste Rui­nen Fun­da­men­te sind von Schling­pflan­zen Bü­schen Spinn­we­ben um­hüllt, von Ha­sen be­wohnt wie auch der Shin­to-Schrein, der mit Be­ginn der Kriegs­pro­duk­ti­on hier­her­kam, weil das zu­sam­men­ge­hö­ren muß­te: Ten­no, Shin­to und Krieg.

Giftgasfabrik © Leopold Federmair
Gift­gas­fa­brik

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Wie dann doch al­les schief­ge­gan­gen ist: Chri­sto­pher Clarks Schlaf­wand­ler

Christopher Clark: The Sleepwalkers
Chri­sto­pher Clark:
The Sleep­wal­kers
Der Er­folg von Clarks »Schlaf­wand­lern« (Spie­gel-Top10; Nr. 1‑Bestseller auf Ama­zon) in Deutsch­land ist auch ein Tri­umph des Mar­ke­tings und der stra­te­gi­schen Pro­dukt­pla­nung. Ge­nau zum rich­ti­gen Zeit­punkt, am An­fang des gro­ßen Ge­denk­ma­ra­thons zum WWI, wird das Buch mit um­fang­rei­chen Wer­be- und PR-Ma­te­ria­li­en in den über­re­gio­na­len Feuil­le­tons plat­ziert, die ge­schickt die Neu­ro­sen rechts-bür­ger­li­cher deut­scher Pu­bli­zi­sten und des AfD-wäh­len­den Teils des Pu­bli­kums be­die­nen. Ein Ver­gleich der »Blurbs«, die das eng­li­sche Ori­gi­nal be­wer­ben, und der Sprech­bla­sen auf der deut­schen Über­set­zung ist hier sehr in­struk­tiv. (Mein Text be­zieht sich auf die eng­li­sche Ta­schen­aus­ga­be Chri­sto­pher Clark, The Sleep­wal­kers. How Eu­ro­pe Went to War in 1914, Lon­don: Pen­gu­in Books, 2013) Gleich vor­weg: Clark schreibt kei­ne Apo­lo­gie des Kai­ser­rei­ches.

Tat­säch­lich las­sen sich die gut 560 Sei­ten rei­ner Text (oh­ne Fuß­no­ten) her­vor­ra­gend le­sen. Ana­ly­ti­sche Pas­sa­gen, zum Bei­spiel zur kom­ple­xen und kom­pli­zier­ten Struk­tur der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in den be­tei­lig­ten Staa­ten und de­ren Be­deu­tung für die tat­säch­li­chen Hand­lun­gen und de­ren Ab­läu­fe, sind ge­schickt in die er­zäh­le­ri­schen Pas­sa­gen in­te­griert. Dass Clark wirk­lich gut er­zäh­len kann, ist ein gro­ßes Plus des Bu­ches: Ent­scheidende Epi­so­den auf dem Weg in den Krieg wer­den sehr pla­stisch, die Haupt­akteure wer­den in klei­nen Vi­gnet­ten vor­ge­stellt. So ist man qua­si live da­bei, als ser­bi­sche Put­schi­sten Kö­nig Alex­an­dar und Kö­ni­gin Dra­ga ab­schlach­ten und dann ei­ni­ge der Kö­nigs­mör­der Jah­re spä­ter die Sa­ra­je­vo-At­ten­tä­ter re­kru­tie­ren oder beim Be­such des fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Poin­ca­ré in Ruß­land wäh­rend der Hoch­zeit der Ju­li-Kri­se 1914, in­klu­si­ve des Ner­ven­zu­sam­men­bruchs des fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­chefs Vi­via­ni.

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Der Gro­sse Krieg

Er­spart prak­tisch al­les an­de­re zum 1.Weltkrieg: Her­fried Mün­k­ler http://t.co/B9PomlFXLI

— frank­schirr­ma­cher (@fr_schirrmacher) 28. Ja­nu­ar 2014

»Er­spart prak­tisch al­les an­de­re zum 1.Weltkrieg: Her­fried Mün­k­ler« twit­ter­te Frank Schirr­ma­cher am 28. Ja­nu­ar 2014 und ver­link­te auf ein In­ter­view mit dem Au­tor in der FAZ. Ich kann das nicht be­ur­tei­len. Ne­ben ei­ni­gen ober­fläch­li­chen, zu­wei­len effekt­hascherischen Ge­denk­sen­dun­gen in Ra­dio und Fern­se­hen ha­be ich ne­ben Her­fried Mün­k­lers Buch »Der Gro­sse Krieg – Die Welt 1914–1918« nur noch Ernst Pi­pers »Nacht über Eu­ro­pa« ge­le­sen.

Die Bü­cher sind kaum mit­ein­an­der ver­gleich­bar. Mün­k­ler lie­fert ei­ne Ge­samt­über­sicht des Krie­ges auf rund 780 Sei­ten mit 70 Sei­ten klein­ge­druck­ter An­mer­kun­gen. Die Biblio­graphie am En­de des Bu­ches – sat­te 40, eben­falls klein­ge­druck­te Sei­ten mit über 800 Li­te­ra­tur­ver­wei­sen – bie­tet für na­he­zu je­des The­ma zum Er­sten Welt­krieg – und sei es noch so spe­zi­ell – Ver­tie­fungs­mög­lich­kei­ten. Pi­per bie­tet mit Pro­log und Ex­kur­sen 15 Auf­sät­ze auf 485 Sei­ten mit mehr als 50 Sei­ten An­mer­kungs­teil. Da­bei stellt er ein­zel­ne Aspek­te des Krie­ges in den Vor­der­grund wie die Kriegs­lust der In­tel­lek­tu­el­len, die Rol­le der Schweiz und das Wü­ten der Deut­schen in Bel­gi­en. De­tail­lier­te mi­li­tä­ri­sche und geo­stra­te­gi­sche Er­läu­te­run­gen feh­len da­ge­gen.

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Die Mit­te Deutsch­lands im Wech­sel der Zei­ten

Ge­schich­te kennt kein letz­tes Wort. (Wil­ly Brandt)

 

Ein Riss ging durch deut­sche Lan­de – von Tra­ve­mün­de bis zum ein­sti­gen Drei­län­der­eck bei Hof. Über vier­zig Jah­re. Die­se po­li­ti­sche wie geo­gra­phi­sche Tei­lung trenn­te Men­schen und Re­gio­nen. Ent­stan­den war aber auch ein (fast) un­be­kann­ter Land­schafts-Längs­schnitt in bei­den Deutsch­lands.

Grenzübergänge - Info Tafel in Mödlareuth (Foto © R. Lüdde)
Grenz­über­gän­ge – In­fo Ta­fel in Möd­lareuth (Fo­to © R. Lüd­de)
Aus al­ten Kul­tur­land­schaf­ten wa­ren Grenz­ge­bie­te ge­wor­den und nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung 1990 aus dem ein­sti­gen To­des­strei­fen ein Le­bens­band: Ein über 1393 Ki­lo­me­ter lan­ges mit 17 Na­tur­räu­men ver­bundenes »Grü­nes Band« zieht sich in­zwi­schen durch die Mit­te Deutsch­lands: ge­schütz­te Land­stri­che, un­mit­tel­bar am ehe­ma­li­gen Grenz­ver­lauf.

Das Na­tur­schutz­pro­jekt »Grü­nes Band« be­wahrt ei­nen Grün­gür­tel, ei­nen Kor­ri­dor durch stark zer­stückelte Land­schaft. Da­bei han­delt es sich um den so ge­nann­ten Ko­lon­nen­weg auf der ehe­ma­li­gen »De­mar­ka­ti­ons­li­nie« in ei­ner Brei­te zwi­schen 50 und 200 Me­tern. Über Jahr­zehn­te hat­te hier nur die Na­tur »Be­we­gungs­frei­heit«. Es ent­stand ei­ne Art Wild­nis in ei­ner sonst so in­ten­siv ge­nutz­ten land­schaftlichen Um­ge­bung: Brach­flä­chen wech­seln sich mit ver­busch­ten Ab­schnit­ten ab, Altgras­fluren mit Wald, Flüs­se mit Feucht­ge­bie­ten und Moo­ren.

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