Die Probeabstimmung ist in keinem Regel- oder gar Gesetzeswerk vorgesehen. Sie ist ein Brauch der politischen Parteien. Vor grossen und als wichtig deklarierten Gesetzesvorhaben wird in den / der Fraktion(en) vor der eigentlichen Abstimmung im Parlament eine interne Abstimmung durchgeführt (notfalls mehrere; es wird so lange »geprobt«; bis das Ergebnis stimmt!). Dieses Verfahren nennt man Probeabstimmung. Der frei gewählte, de jure nur seinem Gewissen verantwortliche Abgeordnete wird auf Einheitslinie getrimmt.
Keine Empathie, nirgends
Herr Schmidt, der in seinem Machtkalkül von Anfang an mit Schleyers Tod spekulierte, kann ihn in der Rue Charles Peguy in Mülhausen in einem grünen Audi 100 mit Bad Hornburger Kennzeichen abholen. Für unseren Schmerz und unsere Wut über die Massaker von Mogadischu und Stammheim ist sein Tod bedeutungslos. Andreas, Gudrun, Jan, Irmgard und uns überrascht die faschistische Dramaturgie der Imperialisten zur Vernichtung der Befreiungsbewegung nicht.
Wir werden Schmidt und den ihn unterstützenden Imperialisten nie das vergossene Blut vergessen. Der Kampf hat erst begonnen. Freiheit durch bewaffneten antiimperialistischen Kampf.
Das ist der Original-Text des Kommandos »Siegfried Hausner«. Am 19.10.1977 – also vor fast 30 Jahren – fand die Polizei am angegebenen Ort die Leiche des entführten Hanns-Martin Schleyer.
John Banville: Die See

John Banvilles »Die See« ist bei aller Melancholie und gelegentlichem Sentiment kein Bericht eines selbstmitleidigen Helden, der in den »besten Jahren« die obligatorische Sinnkrise bekommt.
Jüngerinnen und Jünger
Beim Durchsehen alter Ausgaben der ZEIT bin ich auf einen interessanten Artikel von Susanne Gaschke gestossen (Stein des Anstosses vom 16. November 2006). Gaschke beschäftigt sich mit Enid Blyton und dem Phänomen der Tradition der englischen Kinder- und Jugendliteratur. Blyton war zu ihrer Zeit umstritten und galt als allzu trivial – was der Popularität keinen Abbruch tat. Gaschke berichtet, dass in den sechziger und siebziger Enid Blyton zusätzlich Sexismus und Rassismus vorgeworfen wurde auch deshalb, weil in ihren Büchern immerzu Mädchen die Hausarbeit machen und ihre Bösewichte stets zu sinistrem südländischem Aussehen neigen.
Zwar konstatiert Gaschke, dass diese Einwände durchaus nicht ganz von der Hand zu weisen seien – allerdings ist es Fakt, dass sie auch starke Mädchenfiguren geschaffen hat: Georgina, kurz: George, aus den »Fünf Freunden« etwa, die geradezu als Antityp zur traditionellen Mädchenrolle angelegt ist; oder Dina aus der »Abenteuer«-Serie, die permanent gegen die Bevormundung durch ihren Bruder aufbegehrt.
Kreuzzüge
In der aktuellen ZEIT gibt es einen lesenswerten Vorabdruck aus Sabine Rückerts soeben erschienenem Buch »Unrecht im Namen des Volkes« mit dem Titel: »Inquisition-des-guten-Willens«.
In den 90er Jahren rückte bei uns – überschwappend aus angelsächsischen Ländern – das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in den Fokus der Öffentlichkeit. Unglaubliche Abgründe taten sich auf. Es kam zu Prozessen mit Details, gelegentlich sensationslüstern ausgebreitet, die in ihrer Abscheulichkeit fast unerträglich waren.
Heisse Luft
Zum Vorschlag des Bundesinnenministers Schäuble, ein neues Luftsicherheitsgesetz auf den Weg zu bringen, welches durch die Feststellung eines »Quasi-Kriegszustand« den Abschuss beispielsweise eines Flugzeuges gestattet, das auf ein Gebäude ähnlich dem 11. Spetember 2001 zufliegt, wurde gestern der Bundestagsabgeordnete Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen zitiert: Der Gesetzgeber darf keine Lizenz zum Töten Unschuldiger in ...
Ende einer Freundschaft
Ich kenne diese öden, langweiligen Diskussionen, währenddessen friedliebende und sich einander respektierende Menschen in wenigen Augenblicken mutierten zu feindseligen, auf immer zerstritten mit denen, die sie noch vor wenigen Stunden Freunde genannt hatten: Es geht um das Pro und Contra dessen, was man (ungenau) Todesstrafe nennt und in den 70er und 80er Jahre das beliebteste Referendarsdiskussionsthema gewesen sein muss.
Konnte man doch in der sicheren Hülle einer demokratischen Gesellschaft seine politisch-korrekte Ächtung monstranzähnlich immer aufs Neue unter Beweis stellen und es all denjenigen zeigen, die sich der kategorischen Festlegung auf einer der scheinbar unverrückbaren Pole entziehen wollten (meistens versuchten sie dies anfangs argumentativ, um dann – nach kurzer Zeit – vom Wortschwall niedermoralisiert zu werden). Selektive Wahrnehmungen hatten auch damals schon Konjunktur.
Zwischen den Jahren
In der vergangenen Woche lief auf Phoenix die Wiederholung der Dokumentation von Lutz Hachmeister und Gert Scobel »Ich, Reich-Ranicki«. So viel über diesen Film zu sagen und zu kritisieren wäre – eine Szene aus Reich-Ranickis Zeit als Literaturkritiker in Deutschland sticht heraus und beeindruckt nachhaltig. Er sitzt da irgendwann (vermutlich in den 80er Jahren) mit ...