Eu­phe­mis­men in der Po­li­tik – (I.) Pro­be­ab­stim­mung

Die Pro­be­ab­stim­mung ist in kei­nem Re­gel- oder gar Ge­set­zes­werk vor­ge­se­hen. Sie ist ein Brauch der po­li­ti­schen Par­tei­en. Vor gro­ssen und als wich­tig de­kla­rier­ten Ge­set­zes­vor­ha­ben wird in den / der Fraktion(en) vor der ei­gent­li­chen Ab­stim­mung im Par­la­ment ei­ne in­ter­ne Ab­stim­mung durch­ge­führt (not­falls meh­re­re; es wird so lan­ge »ge­probt«; bis das Er­geb­nis stimmt!). Die­ses Ver­fah­ren nennt man Pro­be­ab­stim­mung. Der frei ge­wähl­te, de ju­re nur sei­nem Ge­wis­sen ver­ant­wort­li­che Ab­ge­ord­ne­te wird auf Ein­heits­li­nie ge­trimmt.

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Kei­ne Em­pa­thie, nir­gends

Wir ha­ben nach 43 Ta­gen Hanns Mar­tin Schley­ers kläg­li­che und kor­rup­te Exi­stenz be­en­det.

Herr Schmidt, der in sei­nem Macht­kal­kül von An­fang an mit Schley­ers Tod spe­ku­lier­te, kann ihn in der Rue Charles Pe­guy in Mül­hau­sen in ei­nem grü­nen Au­di 100 mit Bad Horn­bur­ger Kenn­zei­chen ab­ho­len. Für un­se­ren Schmerz und un­se­re Wut über die Mas­sa­ker von Mo­ga­di­schu und Stamm­heim ist sein Tod be­deu­tungs­los. An­dre­as, Gud­run, Jan, Irm­gard und uns über­rascht die fa­schi­sti­sche Dra­ma­tur­gie der Im­pe­ria­li­sten zur Ver­nich­tung der Be­frei­ungs­be­we­gung nicht.

Wir wer­den Schmidt und den ihn un­ter­stüt­zen­den Im­pe­ria­li­sten nie das ver­gos­se­ne Blut ver­ges­sen. Der Kampf hat erst be­gon­nen. Frei­heit durch be­waff­ne­ten an­ti­im­pe­ria­li­sti­schen Kampf.

Das ist der Ori­gi­nal-Text des Kom­man­dos »Sieg­fried Haus­ner«. Am 19.10.1977 – al­so vor fast 30 Jah­ren – fand die Po­li­zei am an­ge­ge­be­nen Ort die Lei­che des ent­führ­ten Hanns-Mar­tin Schley­er.

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John Ban­ville: Die See

John Banville: Die See
John Ban­ville: Die See
Der Kunst­hi­sto­ri­ker Max kommt nach ei­nem hal­ben Jahr­hun­dert an die Stät­te sei­nes (schön­sten) Kind­heits­ur­laubs – ir­gend­wo an der bri­ti­schen See – zu­rück. Er quar­tiert sich in die ent­spre­chen­de Pen­si­on ein und es ent­wickelt sich mit der Zeit ein zau­ber­berg­ähn­li­cher Mi­kro­kos­mos: ein lan­ge my­ste­ri­ös blei­ben­der ehe­ma­li­ger Co­lo­nel, die Be­sit­ze­rin des Hau­ses, Miss Va­va­sour, die dann gar nicht die Be­sit­ze­rin ist und noch ein wei­te­res, klei­nes Ge­heim­nis hat (was na­tür­lich hier nicht ver­ra­ten wird) und Max. Sei­ne Frau An­na ist kürz­lich an Krebs ge­stor­ben, sein Be­ruf macht ihm kei­nen Spass mehr (ein Pro­jekt über den Ma­ler Pierre Bon­nard macht schon lan­ge kei­ne sub­stan­ti­el­len Fort­schrit­te mehr) und mit dem Ver­hält­nis zu sei­ner Toch­ter stimmt es auch nicht mehr (der po­ten­ti­el­le Schwie­ger­sohn ist [na­tür­lich!] nicht gut ge­nug).

John Ban­vil­les »Die See« ist bei al­ler Me­lan­cho­lie und ge­le­gent­li­chem Sen­ti­ment kein Be­richt ei­nes selbst­mit­lei­di­gen Hel­den, der in den »be­sten Jah­ren« die ob­li­ga­to­ri­sche Sinn­kri­se be­kommt.

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Jün­ge­rin­nen und Jün­ger

Beim Durch­se­hen al­ter Aus­ga­ben der ZEIT bin ich auf ei­nen in­ter­es­san­ten Ar­ti­kel von Su­san­ne Gasch­ke ge­sto­ssen (Stein des An­sto­sses vom 16. No­vem­ber 2006). Gasch­ke be­schäf­tigt sich mit Enid Bly­ton und dem Phä­no­men der Tra­di­ti­on der eng­li­schen Kin­der- und Ju­gend­li­te­ra­tur. Bly­ton war zu ih­rer Zeit um­strit­ten und galt als all­zu tri­vi­al – was der Po­pu­la­ri­tät kei­nen Ab­bruch tat. Gasch­ke be­rich­tet, dass in den sech­zi­ger und sieb­zi­ger Enid Bly­ton zu­sätz­lich Se­xis­mus und Ras­sis­mus vor­ge­wor­fen wur­de auch des­halb, weil in ih­ren Bü­chern im­mer­zu Mäd­chen die Haus­ar­beit ma­chen und ih­re Bö­se­wich­te stets zu si­ni­strem süd­län­di­schem Aus­se­hen nei­gen.

Zwar kon­sta­tiert Gasch­ke, dass die­se Ein­wän­de durch­aus nicht ganz von der Hand zu wei­sen sei­en – al­ler­dings ist es Fakt, dass sie auch star­ke Mäd­chen­fi­gu­ren ge­schaf­fen hat: Ge­or­gi­na, kurz: Ge­or­ge, aus den »Fünf Freun­den« et­wa, die ge­ra­de­zu als An­ti­typ zur tra­di­tio­nel­len Mäd­chen­rol­le an­ge­legt ist; oder Di­na aus der »Abenteuer«-Serie, die per­ma­nent ge­gen die Be­vor­mun­dung durch ih­ren Bru­der auf­be­gehrt.

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Kreuz­zü­ge

In der ak­tu­el­len ZEIT gibt es ei­nen le­sens­wer­ten Vor­ab­druck aus Sa­bi­ne Rück­erts so­eben er­schie­ne­nem Buch »Un­recht im Na­men des Vol­kes« mit dem Ti­tel: »In­qui­si­ti­on-des-gu­ten-Wil­lens«.

In den 90er Jah­ren rück­te bei uns – über­schwap­pend aus an­gel­säch­si­schen Län­dern – das Ver­bre­chen des se­xu­el­len Miss­brauchs an Kin­dern und Ju­gend­li­chen in den Fo­kus der Öf­fent­lich­keit. Un­glaub­li­che Ab­grün­de ta­ten sich auf. Es kam zu Pro­zes­sen mit De­tails, ge­le­gent­lich sen­sa­ti­ons­lü­stern aus­ge­brei­tet, die in ih­rer Ab­scheu­lich­keit fast un­er­träg­lich wa­ren.

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Hei­sse Luft

Zum Vor­schlag des Bun­des­in­nen­mi­ni­sters Schäub­le, ein neu­es Luft­si­cher­heits­ge­setz auf den Weg zu brin­gen, wel­ches durch die Fest­stel­lung ei­nes »Qua­­si-Kriegs­­­zu­­­stand« den Ab­schuss bei­spiels­wei­se ei­nes Flug­zeu­ges ge­stat­tet, das auf ein Ge­bäu­de ähn­lich dem 11. Spe­tem­ber 2001 zu­fliegt, wur­de ge­stern der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Vol­ker Beck von Bünd­nis 90/Die Grü­nen zi­tiert: Der Ge­setz­ge­ber darf kei­ne Li­zenz zum Tö­ten Un­schul­di­ger in ...

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En­de ei­ner Freund­schaft

Ich ken­ne die­se öden, lang­wei­li­gen Dis­kus­sio­nen, wäh­rend­des­sen fried­lie­ben­de und sich ein­an­der re­spek­tie­ren­de Men­schen in we­ni­gen Au­gen­blicken mu­tier­ten zu feind­se­li­gen, auf im­mer zer­strit­ten mit de­nen, die sie noch vor we­ni­gen Stun­den Freun­de ge­nannt hat­ten: Es geht um das Pro und Con­tra des­sen, was man (un­ge­nau) To­des­stra­fe nennt und in den 70er und 80er Jah­re das be­lieb­te­ste Re­fe­ren­darsdis­kus­si­ons­the­ma ge­we­sen sein muss.

Konn­te man doch in der si­che­ren Hül­le ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft sei­ne po­li­tisch-kor­rek­te Äch­tung mon­stranz­ähn­lich im­mer aufs Neue un­ter Be­weis stel­len und es all den­je­ni­gen zei­gen, die sich der ka­te­go­ri­schen Fest­le­gung auf ei­ner der schein­bar un­ver­rück­ba­ren Po­le ent­zie­hen woll­ten (mei­stens ver­such­ten sie dies an­fangs ar­gu­men­ta­tiv, um dann – nach kur­zer Zeit – vom Wort­schwall nie­der­mo­ra­li­siert zu wer­den). Se­lek­ti­ve Wahr­neh­mun­gen hat­ten auch da­mals schon Kon­junk­tur.

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Zwi­schen den Jah­ren

In der ver­gan­ge­nen Wo­che lief auf Phoe­nix die Wie­der­ho­lung der Do­ku­men­ta­ti­on von Lutz Hach­mei­ster und Gert Sco­bel »Ich, Reich-Ra­­nicki«. So viel über die­sen Film zu sa­gen und zu kri­ti­sie­ren wä­re – ei­ne Sze­ne aus Reich-Ra­­nickis Zeit als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker in Deutsch­land sticht her­aus und be­ein­druckt nach­hal­tig. Er sitzt da ir­gend­wann (ver­mut­lich in den 80er Jah­ren) mit ...

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