
Irgendwie kennt man Stefan Aust immer schon. Zumindest diejenigen, die sich Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre politisch sozialisierten. In der Nachbearbeitung des RAF-Terrorismus galt Austs »Der Baader-Meinhof-Komplex«, 1985 zum ersten Mal erschienen, früh als Standardwerk. Er schlug damit einen Pflock in die Geschichte des deutschen Linksterrorismus ein, was an seiner speziellen Verfahrensweise nicht nur in diesem Projekt liegt: Aust war und ist immer bereit, in seinen Büchern Fehler zu entfernen und sie auf den aktuellen, neuen Stand der Recherchen zu bringen. »Der Baader-Meinhof-Komplex« ist inzwischen rund 1000 Seiten stark.
Seinen Schreibstil sieht er angelehnt am angelsächsischen Vorbild der »Nonfiction Literature«, d. h. eine »Erzählung, bestehend aus Recherchen, so dicht wie irgend möglich an den Ereignissen, aber lesbar wie ein Roman«. Seine Arbeiten erheben, so Aust selber, nie den Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Das ist allerdings nicht immer unproblematisch.
Aust hat »Zeitreise« als eine Art Arbeitsbiographie konzipiert, in, wenn ich richtig gezählt habe, 182 Häppchen, weitgehend chronologisch erzählt. Es ist auch eine Reminiszenz an die Nachkriegs-Bundesrepublik und deren mehr oder weniger heftigen politischen Eruptionen und Skandale. Aust, 1946 geboren, Angehöriger der »Generation Glück gehabt« (oder auch »Beziehungen gehabt« – denn schon die Bundeswehr blieb ihm aufgrund seiner Kontakte erspart), erzählt zunächst ein bisschen von seiner Familie, insbesondere vom Vater, der etliche Jahre in Kanada war, bevor er dann 15 Jahre später nach Deutschland zurückkehrte. So ganz erfolgreich waren seine Eltern mit ihren Projekten (zuletzt einem Hotel) nicht, aber das wird nur gestreift. Intensiver beschäftigt sich Aust im Buch mit seinen Reitpferden, die im Laufe der Zeit zu einem Rettungsanker für den Menschen Stefan Aust werden.
Aber es geht um die Karriere. Und die beginnt als Redakteur in einer Schülerzeitung recht früh. Aust und seine Freunde bekommen Probleme mit der Schulleitung. Es droht »Zensur«. Aber man ist umtriebig: Die Zeitung wird nicht in sondern vor der Schule verkauft; unterstützt von lokaler Werbung, die er im lokalen Einzelhandel akquiriert. Damit will er den Einfluss der Schulleitung bannen. Die Schwierigkeiten der Schüler werden im Magazin »Panorama« Anlass eines Beitrages. Und schon ist Aust im Geschäft. Vom Praktikanten bei »konkret« arbeitet er sich rasch zum »Chef vom Dienst« hoch, argwöhnisch betrachtet von Ulrike Meinhof, die dort Kolumnen schreibt. Aust ist der sozial und politisch engagierten Linken zu bürgerlich. Was das Ehepaar Röhl/Meinhof nicht davon abhält, Urlaub in ihrem Haus auf Sylt zu machen. Später wird Aust die Meinhof-Kinder aus der Obhut des RAF-Umfeldes nach Deutschland überführen – was natürlich noch einmal ausführlich geschildert wird.
Es ist die Zeit der Studentenunruhen, des Umbruchs. Aust ist mittendrin, aber irgendwie nie involviert; verbleibt in der Beobachterrolle. Eine besondere politische Fixierung hat er, wie er schreibt, nicht. »Man war nicht eigentlich links, eher ein wenig anarcho-liberal, kritisch nach allen Seiten.« Merkwürdig an dieser Stelle das »man«, zumal Aust ansonsten recht gerne mit dem »ich« zur Hand ist. Gegen Ende des Buches, in den 2010er Jahren sagt er ehemaligen linken Journalistenkollegen: »Ich muss nicht so rechts werden wie ihr, weil ich nie so links war wie ihr.«