Beim Durchsehen alter Ausgaben der ZEIT bin ich auf einen interessanten Artikel von Susanne Gaschke gestossen (Stein des Anstosses vom 16. November 2006). Gaschke beschäftigt sich mit Enid Blyton und dem Phänomen der Tradition der englischen Kinder- und Jugendliteratur. Blyton war zu ihrer Zeit umstritten und galt als allzu trivial – was der Popularität keinen Abbruch tat. Gaschke berichtet, dass in den sechziger und siebziger Enid Blyton zusätzlich Sexismus und Rassismus vorgeworfen wurde auch deshalb, weil in ihren Büchern immerzu Mädchen die Hausarbeit machen und ihre Bösewichte stets zu sinistrem südländischem Aussehen neigen.
Zwar konstatiert Gaschke, dass diese Einwände durchaus nicht ganz von der Hand zu weisen seien – allerdings ist es Fakt, dass sie auch starke Mädchenfiguren geschaffen hat: Georgina, kurz: George, aus den »Fünf Freunden« etwa, die geradezu als Antityp zur traditionellen Mädchenrolle angelegt ist; oder Dina aus der »Abenteuer«-Serie, die permanent gegen die Bevormundung durch ihren Bruder aufbegehrt.
So weit – so gut. Eigentlich interessiert mich Enid Blyton nicht; die Bücher sind irgendwie an mir unberührt vorübergegangen. Ich wurde jedoch hellhörig, als ich von der inzwischen in Grossbritannien vorgenommenen »Umschreibung« las:
Blytons britische Verlage haben vor der Welle politischer Korrektheit in den angelsächsischen Ländern kapituliert: In den »Fünf-Freunde«-Büchern müssen jetzt auch Jungen putzen; böse Lehrerinnen ohrfeigen nicht mehr, sondern standpauken; »queer« heißt jetzt »odd« (queer kann in moderner Umgangssprache neben merkwürdig auch homosexuell heißen); die Kinder »Fanny« und »Dick« wurden umgetauft in »Franny« und »Rick«, weil die alten Namen im heutigen Slang als Bezeichnungen für die Geschlechtsorgane verstanden werden könnten.
Das ist, finde ich, weit mehr als nur eine Petitesse. Vor welchen Blüten man bei den politisch korrekten nicht zurückschreckt, erläutert Gaschke noch in einem Beispiel eines englischen Kinderliedes: […] das traditionsreiche englische Kinderlied »Baa, baa, black sheep« aus dem 13.Jahrhundert wird in manchen britischen Kindergärten umgedichtet, um jeden rassistischen Anklang zu vermeiden: »Baa, baa, rainbow sheep« singen die Kleinen dort jetzt.
Da irgendwann alle Trends (und Irrtümer!) aus den angelsächsischen Ländern auch bei uns aufkommen, wird es sicherlich auch hier bald die ersten Wahrheitsminister geben, die vielleicht auch wirkliche Werke der Weltliteratur nach ihren ideologischen Massstäben korrigieren wollen.
Aber halt! Ein Buch – DAS Buch! – ist bereits in den Fängen der PC-Lektoren geraten: Die Bibel. In einem Artikel vom 6. April 2006 berichtet Robert Leicht hierüber: »Kein Wort sie wollen lassen stahn«. Man versucht nichts anderes als die »Bibel in gerechter Sprache«.
Leicht: Ausgangspunkt der Neuübersetzung ist freilich ein Gedanke, dem man sich schlechterdings nicht entziehen kann. Das Christentum hat über Jahrhunderte Frauen und Juden schlecht behandelt..
Aber man schüttet das Kind mit dem Bade aus. Zurecht moniert Leicht bereits die Wortwahl des Projekts an sich: Aber schon die Übertragung des Ausdrucks »inklusive« (also nicht ausgrenzende) in »gerechte« Sprache führt zu Verlegenheiten. In der Einleitung heißt es: »Der Name ›Bibel in gerechter Sprache‹ erhebt nicht den Anspruch, dass diese Übersetzung ›gerecht‹ ist, andere aber ungerecht sind.« Aber wozu dann die Bezeichnung, die gerade so gelesen werden kann – und wohl auch soll?
Im Artikel nennt er einige kleine Beispiele, die die Intention verdeutlichen:
In ihr liest man dann nicht mehr bei Lukas 8, 22, »dass er in ein Boot stieg mit seinen Jüngern«, sondern: »stieg er mit seinen Jüngern und Jüngerinnen in ein Schiff«
[…]
…in der Bergpredigt heißt es nach der Erinnerung an das Tötungsverbot nicht mehr verschärfend: »Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig«, sondern nur noch: »Ich lege euch das heute so aus…« – als habe Jesus von Nazareth die jüdische Schriftweisheit nicht überbieten, sondern nur sagen wollen: »Man kann das auch so sehen…«
[…]
Die neue Übersetzung setzt sich in Amos 8, 2 von »heutigen wissenschaftlichen Übersetzungen« ab, weil deren Formulierung »Das Ende ist gekommen für mein Volk Israel« angeblich das Existenzrecht Israels bestreite. Deshalb sollen wir jetzt lesen: »Reif ist mein Volk Israel. Ich kann es nicht noch einmal verschonen.« In der Lutherbibel heißt es jedoch: »Reif zum Ende ist mein Volk Israel; ich will ihm nichts mehr übersehen.« Das zusätzliche harte Wörtlein vom Ende (des Volkes) findet sich freilich bereits im hebräischen Urtext ausdrücklich…
Es liessen sich sicherlich noch viele solcher Stilblüten finden – das Buch ist übrigens inzwischen erschienen, wie man auf der Webseite lesen kann. (Übrigens unter den Presseveröffentlichungen, die dort verlinkt sind, ist Leichts gemässigt kritischer Artikel merkwürdigerweise nicht zu finden. Soviel zum Thema »Gerechtigkeit« bzw. Objektivität.)
In Anbetracht dessen mutet das Statement des ehemaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner – einer der Mitinitiatoren dieses Projektes –, unfreiwillig komisch an:
Wir brauchen die Bibel in gerechter Sprache, damit das Buch der Bücher wieder so provokativ wird, wie es damals war.
Und ein bisschen merkwürdig mutet es schon an, wenn die prominente Landesbischöfin Margot Käßmann der »Bibel in gerechter Sprache« viele Leser wünscht.1
Man lese sich dieses Statement durch, um zu erkennen, welche Art von Gedankenpolizei uns demnächst vielleicht auch in anderen Bereichen erwartet – in der Literatur (siehe das zunächst harmlos anmutende Beispiel Blyton), der Kunst, der politischen Essayistik, im Journalismus, usw. Wir stehen vermutlich an einem Anfang – die Exzesse, die uns aufgrund des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes noch erwarten dürfen, können leicht in Orwellsche Dimensionen umkippen. Es zeigt übrigens auch, wie wenig man Vertrauen in die interpretatorischen Möglichkeiten des jeweiligen Lesers hat und ihn glaubt derart bevormunden zu müssen. Das ist schauderhaft.
Ergänzung August 2013: Der Link wurde auf der Webseite entfernt. ↩
Ein weites Feld
So sehr der Originalwortlaut wünschenswert ist, bin ich z.B. für Anpassungen der klassischen Literatur an die Rechtschreibreform 1901 dankbar. Das mag nur formaler Natur sein. Wie sieht es dann aber z.B. mit Büchern von Mark Twain aus, die an den europäischen Kulturraum angepasst werden mussten, weil seine haarsträubenden Übertreibungen hier einfach nicht adäquat sind. Man mag weitere Beipiele finden, bei denen es Gründe der Textmodifikation gab.
Im Prinzip gebe ich dir aber Recht. Die Anpassung eines Originaltextes gehört nur in gesegnete Hände und schon lange nicht aus Gründen der political correctness. Ein absurdes Beispiel kenne ich aus einer Spielgruppe meiner Kinder, in der das alte Kinderlied »Ringel, Rangel, Rose« ideologisiert wurde. In »übermorgen Lämmlein schlachten, das soll schreien Mäh!« wurde schlachten durch streicheln ersetzt. Unser Jahrgang hat die zugehörigen Personen wohl vor Augen.
Neuübersetzungen
sind natürlich per se nie schlecht; man lernt mit ihnen u. U. neue Deutungsmöglichkeiten kennen oder. Aber es handelt sich im Fall der »gerechten Bibel« meines Erachtens nicht um eine Neuübersetzung, sondern um Korrekturen, die teilweise aus ideologischen Anschauungen totalitär vorgenommen werden.
Frau Käßmann hält es für zeitgemäss, dass die Arbeiter im Weinberg nicht mehr »müssig« sind, sondern »arbeitslos« und das man nicht von »Knechten und Mägden« spricht, sondern von »Sklavinnen und Sklaven«. Das ist nicht nur hanebüchender Blödsinn, sondern auch noch sinnentstellend.
Diese Form des Tugendwächtertums scheint mir durchaus vergleichbar mit dem, was man gelegentlich aus Ländern wie dem Iran oder Saudi-Arabien hört.
Schlimm
finde ich es da, wo a) der Sinn verändert wird (siehe oben – das mit den Schäfchen ist ja ein Oberoberhammer – hat das die Tierschutzsekte veranlasst?!) und b) wo die Sprache verhunzt wird (»Jünger und Jüngerinnen«, da ist für mich der Tatbestand der Verhunzung bereits erfüllt. Es wäre doch viel einfacher, die Konvention anzupassen statt die Sprache – ein Übereinkommen, dass die männliche Bezeichnung immer auch die weibliche meint, sofern nicht explizit spezifiziert weil beim Polterabend eben keine Frauen dabei waren). Ich glaube, diese Bibel ist der nackte Horror. Es sollen da drin Wörter vorkommen wie »die Geistin«.
Ich habe tatsächlich eine Sekunde überlegt, die »gerechte Bibel« zu kaufen und die »Neuübersetzung« der mir einigermassen bekannten Stellen zu vergleichen. Ich habe es gelassen, da ich (1.) diesen Tugendwächtern nicht noch Geld in die Kasse spülen wollte und (2.) um meine Nerven zu schonen.
Es ist am Rande interessant, dass sich viele evangelische Würdenträger in Deutschland kritisch oder mindestens zögerlich geäussert haben – die prominente Frau Käßmann jedoch reichlich enthusiastisch. Ich werte es eigentlich an eine Anbiederung an das linksliberale Establishment, d. h. die normalerweise atheistisch-agnostischen Grünen-Wähler sollen auf ihre alte Tage noch für die Bibel begeistert werden. Da streicht man das unliebsame, »zweideutige« und inkorrekte einfach heraus; eine Art Ikonoklasmus des 21. Jahrhunderts – nur: wie heisst das bezogen auf Worte?
Neuübersetzungen und “modernisierte“ Ausgaben der Bibel erscheinen ja seit Jahrzehnten immer wieder auf dem Büchermarkt und jede dieser runderneuerten Ausgaben wirkt im Vergleich zur guten alten Luther-Bibel kraftlos und blutarm.
Es ist ja gerade diese luther’sche Sprachgewalt, welche die Faszination der Bibel ausmacht, egal ob man sie gläubig als „Gottes Wort“, oder nur als ein großartiges Buch liest. Neubearbeitungen der Bibel, gar noch, wie von Ihnen dargestellt, im Sinne von „political correctness“ wirken wie Rückzugsgefechte und wie lächerliche (vergebliche) Versuche , sich bei einer uninteressierten Klientel einzuschleimen.
Dass nun zuerst Enid Blytons Kinderbücher politisch korrekt bearbeitet werden, verwundert mich. Da böten doch die weltweit von allen Kindern mit wohligem Gruseln
aufgesogenen Märchen der Gebrüder Grimm ein viel ertragreicheres Feld zur politisch und sozial korrekten Darstellung. Da stimmt doch so gut wie nichts, in diesem Sinne.
Dass nach all diesen Überarbeitungen bald überhaupt keiner mehr liest – egal. Hauptsache politisch korrekt!
@Gregor
Ein Ikonoklasmus der Worte wäre wohl – was sonst? – ein Logoklasmus. Diese Wortprägung wäre auch deshalb genehm, weil »logos« eben nicht nur »Wort«, sondern auch »Geist«, »Sinn« etc. heißt.
Zum eigentlichen Thema: Albern, hirnverbrannt, möglicherweise auch irgendwann gefährlich.
Las söben einen Cartoon: In der »Burgerin Queen« verlangt eine Kundin »Eine Whopperin, Cock Wings und eine Emma«.
Nuja.
@DHK
Danke für die Wortschöpfung (unironisch gemeint)!
Dafür die Sache albern und hirnverbrannt ist, haben sich schon ziemlich viele ihrer angenommen. Mit Landesbischöfin Käßmann (die eine wichtige mediale Multiplikatorin der evangelischen Kirche ist) hat man eine eloquente Befürworterin gefunden. Bisher wurde allerdings m. W. die grosse Medientrommel noch nicht gerührt.
@Gregor
Dafür die Sache albern und hirnverbrannt ist, haben sich schon ziemlich viele ihrer angenommen
Nun ja, uns beiden ist ja ein gewisser Dünkel bisweilen nicht völlig fremd, daher: Gerade dass so viele sich ihrer annehmen, mag ein guter Hinweis daraus sein ‚dass etwas billig (aldi), hirnverbrannt (ein Quizmaster jetzt DOCH nicht Talkmaster!) oder sonstwie trivial (Deutschland sucht den Superstar) ist.
Nicht Beweis, aber Hinweis.
Über die Beziehung zwischen dem indeterministischen Universum und dem monadischen Solipsismus habe ich noch nie viele Leute sich echauffieren gelesen...