Zwi­schen den Jah­ren

In der ver­gan­ge­nen Wo­che lief auf Phoe­nix die Wie­der­ho­lung der Do­ku­men­ta­ti­on von Lutz Hach­mei­ster und Gert Sco­bel »Ich, Reich-Ra­nicki«. So viel über die­sen Film zu sa­gen und zu kri­ti­sie­ren wä­re – ei­ne Sze­ne aus Reich-Ra­nickis Zeit als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker in Deutsch­land sticht her­aus und be­ein­druckt nach­hal­tig.

Er sitzt da ir­gend­wann (ver­mut­lich in den 80er Jah­ren) mit dem gross­ar­ti­gen Wolf­gang Koep­pen, den er Zeit sei­nes Le­bens ge­för­dert (und mit mä­ssi­gem Er­folg ge­for­dert) hat und be­fragt ihn sehr um­ständ­lich, re­det von den vie­len Ent­täu­schun­gen, die Koep­pen in sei­nem Le­ben ge­habt ha­be, holt aus, nach der gröss­ten Ent­täu­schung zu fra­gen, hält kurz in­ne und fragt dann: Wann wa­ren Sie glück­lich?

Koep­pen mit leicht schrä­gem, ein­ge­zo­ge­nem Kopf, lä­chelnd, ei­ne Se­kun­de zur Sei­te blickend, dann zu Reich-Ra­nicki, kei­nen Wi­der­spruch dul­dend, pro­vo­kant, aber voll­kom­men glaub­haft, un­prä­ten­ti­ös, fast la­ko­nisch: Nie.

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. kann man mit Ver­laub auch nur un­prä­ten­ti­ös ant­wor­ten.
    Koep­pen hat noch ma­ni­rier­ter ge­ant­wor­tet als der Fra­ge­stel­ler
    ge­fragt hat.Besser kann man kei­nem den Spie­gel vorhalten,der
    sich stets-mit Be­to­nung auf stets- für Durch­laucht per­sön­lich hält.Bravo!

  2. ist we­der däm­lich noch männ­lich – sie ist, wenn man Koep­pens Werk (ins­be­son­de­re die »Tri­lo­gie des Schei­terns«) ge­le­sen hat, auf der Hand lie­gend. Koep­pens Ant­wort ist eben ge­ra­de nicht ma­ni­riert, son­dern glaub­wür­dig; das zeigt sich u. a. auch im be­rühm­ten Koep­pen-In­ter­view von An­dré Mül­ler.

    Ich war üb­ri­gens drauf und dran sie Reich-Ra­nicki ein­mal zu stel­len. Vor rd. 10 Jah­ren war er in ei­ner Ver­an­stal­tung mit Vol­ker Ha­ge. Ha­ge hat den Stich­wort­ge­ber für ihn ge­spielt; man un­ter­hielt sich rd. an­dert­halb Stun­den über Li­te­ra­tur. Da­nach all­ge­mei­ner AUf­bruch; ei­ni­ge Leu­te ka­men zu Ha­ge, zwei, drei zu Reich-Ra­nicki. Plötz­lich sass er aber voll­kom­men al­lei­ne dort mit ei­nem sehr un­nah­ba­ren Ge­sichts­aus­druck. Er war dort mit­ten un­ter Men­schen plötz­lich ein­sam. Ich ging an ihm vor­über – ha­be mich aber nicht ge­traut die­se Fra­ge zu stel­len. War­um soll­te er ei­nem wild­frem­den ei­ne Ant­wort ge­ben?

  3. es mu­tet an, als ob ei­ne kla­re ant­wort auf die­se fra­ge stets merk­wür­dig sei.
    in ei­nem film (ein freund von mir) letzt­lich:
    »bist du glück­lich?« – »klar!«

    das gab mir auch zu den­ken. aber viel­leicht pu­rer neid, weil im grun­de des her­zens ich auch gern mal so ant­wor­ten woll­te.

  4. Die Fra­ge »Bist Du glück­lich?« ist sehr in­tim. Ich wür­de sie ver­mut­lich öf­fent­lich nicht be­ant­wor­ten wol­len. Hin­zu kommt, dass die Ant­wort ja durch­aus Stim­mun­gen un­ter­wor­fen ist. Ein dau­er­haf­tes »Glücks­ge­fühl« kann ich mir zu­min­dest we­der vor­stel­len noch wä­re es ver­mut­lich be­son­ders wün­schens­wert.

    Reich-Ra­nickis Fra­ge »Wann wa­ren SIe glück­lich« ist fast noch in­ti­mer. Koep­pens Re­ak­ti­on ist voll­kom­men er­nüch­ternd. Bei vie­len zeit­ge­nös­si­schen Li­te­ra­ten oder Künst­lern (al­so bei­spiels­wei­se Grass), kä­me bei mir ei­ner sol­chen Ant­wort schnell der Ver­dacht des Po­sie­rens auf; um sich mit der Au­ra des »un­glück­li­chen Künst­lers« zu um­ge­ben. Ich glau­be, El­frie­de Je­li­nek hat auch ein­mal so ähn­lich ge­ant­wor­tet und ob­wohl ich sie als Schrift­stel­le­rin schät­ze (min­de­stens die frü­he­ren Bü­cher), so we­nig ha­be ich es ihr ge­glaubt.

    Koep­pen glau­be ich das.

  5. über den wahr­heits­ge­halt ei­ner sol­chen ant­wort kann man gar nicht mehr viel dis­ku­tie­ren.

    in­tim... mög­li­cher­wei­se ge­ra­te ich da­her auch im­mer in ver­le­gen­heit bei der flos­kel »wie geht es dir?«

    ko­mi­sche mi­schung aus in­ti­mi­tät und ober­fläch­lich­keit ha­ben wir wohl.