Ministerpräsidentin Hannelore Kraft habe ihr Kabinett umgebildet. So vermeldete der Regierungssender WDR heute früh in seinen Radionachrichten. Man fragt sich: Warum? Die Lösung steht in der »Analyse« im WDR-Beitrag von Reiner Kellers. »Lahme Enten« seien ausgetauscht worden, heißt es dort. Und »dringend nötig« sei es in mindestens einem Fall gewesen. Die Ministerpräsidentin habe noch die ...
Frank Schirrmacher: Ungeheuerliche Neuigkeiten – Hrsg. v. Jakob AugsteinDer überraschende und bestürzende Tod des 54jährigen Frank Schirrmacher ist noch nicht einmal ein Jahr her, da erscheint schon ein Band mit seinen Aufsätzen aus den Jahren 1990 bis 2014. Es sind 39 Texte und fünf Gespräche (mit Joachim Fest, dem Albert Speer jr., Ottfried Preußler, Günter Grass [jenes Gespräch von 2006, in dem er seine Mitgliedschaft in einer Einheit der Waffen-SS öffentlich machte] und das Versöhnungsgespräch zwischen Martin Walser, Salomon Korn und Ignatz Bubis nach Walsers Paulskirchenrede 1998 – der längste Beitrag im Buch). Die Ordnung der Texte innerhalb der sieben gewählten Kategorien ist nicht chronologisch; warum, bleibt offen. Die Texte werden ohne erklärende Erläuterungen abgedruckt. Kontexte und Hintergründe muss der Leser gegebenenfalls selber eruieren.
Der Titel des Sammelbandes trifft perfekt Schirrmachers Duktus: »Ungeheuerliche Neuigkeiten«. Herausgegeben ist das Buch von Jakob Augstein, der auch ein kurzes, aber sehr stupendes Vorwort verfasst hat. Die längst eingesetzte Hagiographisierung Schirrmachers insbesondere in weiten Teilen des Kulturjournalismus vermeidet Augstein, allerdings ohne dabei dem großen Kollegen den Respekt zu verweigern. So bezichtigt er Schirrmacher beispielsweise des Alarmismus, was zweifellos den Tatsachen entspricht. Kongenial wenn auch nicht originell der Vergleich mit dem »rasenden Reporter« Egon Erwin Kisch. Wenn man Schirrmachers Texte in dieser Geballtheit hintereinander liest, bemerkt man das Umtriebige, fast Hektische, das Augstein kongenial beschreibt. Stets gilt es, der Erste zu sein, der sich einer am Horizont anbahnenden gesellschaftlichen Diskussion widmet. Und wenn die anderen auf den Zug aufgesprungen waren, winkte schon ein anderes Thema.
Man nennt sie in der Fachsprache »Hidden Champions«. Es sind die heimlichen Weltmarktführer, Unternehmen die sich über Jahre hinweg eine Marktführerschaft in ihrer jeweiligen Branche erarbeitet haben. »Sie beanspruchen, Kunden, Wettbewerber und ihre Märkte durch das Setzen von Standards und Benchmarks zu führen«, so wird im »Handelsblatt« 2012 Hermann Simon aus seinem Buch »Hidden Champions ...
Anton Hunger: BlattkritikEs klingt vielversprechend: Sein Buch »Blattkritik« soll keine populistische Medienschelte sein, so verspricht der Autor Anton Hunger im Vorwort. Und dann schreibt er vom überbordenden moralischen Rigorismus der Journalisten, die sehr oft die Wahrheit biegen, bis die Story passt und sich einen Biotop geschaffen haben, der gerne Gutes von Bösem scheidet. An Beispielen werde gezeigt dass Journalisten Maßstäbe, die sie an andere anlegen, häufig für sich nicht gelten lassen. Sie fühlten sich, so Hunger, zunehmend als die Überlegenen. Das klingt alles sehr gut und vielversprechend. Bei alledem will Hunger seine 17jährige Tätigkeit als Kommunikationschef bei Porsche ausdrücklich nicht direkt thematisieren – was er allerdings vermutlich aus (arbeits-)rechtlichen Gründen auch gar nicht darf. Immerhin lässt er sich zu dem Aperçu verleiten, dass so mancher journalistische Erguss zur am Ende gescheiterten Übernahme von VW durch Porsche noch nicht einmal die Graswurzeln streifte. Da winkt einer mit dem Zaunpfahl, um ihn ganz schnell wieder zu verstecken.
Vor einem Jahr trat Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Über mehr als zwei Monate prasselte damals das mediale Dauerfeuer auf einen amtierenden Bundespräsidenten ein. Michael Götschenberg, Leiter des Hauptstadtbüros von RBB, MDR, Radio Bremen und des Saarländischen Rundfunks, bemüht sich in seinem Buch »Der böse Wulff?« aber nicht nur um die Aufarbeitung der diversen Wulff-Affären (die gelegentlich auch nur lächerliche Affärchen waren), sondern untersucht die Umstände vor bzw. bei der Wahl Wulffs und gibt einen Überblick über die 598 Tage der Präsidentschaft. Dabei zieht er was die Amtszeit angeht ein überaus positives Fazit und mag so gar nicht in die negativen Stimmen der Journalistik einstimmen, die, wie man heute nachlesen kann und Götschenberg auch zeigt, durch die Dynamik der Umstände eingefärbt waren (und immer noch sind).
Thilo Sarrazin: Deutschland braucht den Euro nichtThilo Sarrazins Anti-Euro-Buch »Europa braucht den Euro nicht« zeigt die ökonomischen Dilemmata der Gemeinschaftswährung. Und es zeigt, wohin ein unterlassener Diskurs führen kann.
Wie wäre das eigentlich: Ein Buch von Thilo Sarrazin erscheint – und niemand regt sich darüber auf, bevor er es nicht mindestens gelesen hat?
Schwierig wohl, denn die Wellen zu »Deutschland schafft sich ab« schlagen heute noch hoch. Dabei war es nicht damit getan, Sarrazin an einigen Stellen seinen biologistischen Unsinn vorzuhalten und abzuarbeiten. Man benutzte diese Stellen, um das, was in dem Buch ansonsten angesprochen wurde, per se zu diskreditieren. Bei einem zweiten Buch – zu einem vermeintlich anderen Thema – soll nun diese Vorgehensweise perfektioniert werden. »Halt’s [sic!] Maul« protestiert man dann auch schon vorher – und beweist eine bemerkenswerte Diskussionskultur. Als die Protestler am 20.05. vor der Fernsehsendung »Günther Jauch« entsprechend demonstrierten (Sarrazin war dort zum Gespräch mit Peer Steinbrück geladen), dürften sie unmöglich das Buch gelesen haben, um das es in der Sendung ging. Ihnen und auch den Beobachtern der »Nachdenkseiten« stört so etwas nicht: Im Zweifel haben sie sich schon eine Meinung gebildet bevor das, was sie das, was sie kritisieren, überhaupt kennen. Denn sie wissen es ja: Ein »Rassist« und ein »rechter Sozialdemokrat« im Gespräch – da kann nichts rauskommen. Dabei reagieren sie wie Pawlowsche Hunde und ersetzen Intellekt bereit- und freiwillig mit Affekt.
Ich hatte am Mittwoch (16.05.) ein Leseexemplar vom Verlag zugeschickt bekommen. Es ist kaum möglich, innerhalb von vier Tagen das Buch vernünftig zu lesen, durchzuarbeiten und ein konzises Urteil zu fällen. Und obwohl ich davon ausgehe, dass Leute wie Steinbrück eine etwas längere Zeit zur Verfügung hatten, merkte man dem Gespräch an, dass der Contra-Anwalt erhebliche Lücken offenbarte, was Sarrazins Buch anging und der Autor mit seinen Entgegnungen entsprechend kontern konnte.
Christian Kracht hatte in Zürich aus seinem neuen Buch »Imperium« gelesen. Und alle gingen hin. Aber sie gingen nicht nur hin. Sie berichteten auch. Alle warteten auf den Skandal, den Eklat. Leider blieb er aus. Der Autor hatte sich schon vorher Fragen nach der Lesung verbeten. Schade für die angereiste Journalistik von Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung und dpa. Was nun, da doch nichts passiert war?
Egal sagt sich das Feuilleton. Wenn man schon mal da ist, muss man auch darüber schreiben. Wobei es eigentlich nichts Unergiebigeres gibt als über eine Lesung zu berichten. Der Spiegel macht aus der Not eine Tugend: »Jetzt sprach er«, heißt es ebenso großkotzig wie ungenau. Stefan Kuzmany erzählt zunächst von seinem Abendessen und gibt sich als nicht besonders gut informiert, was er durch ständiges »oder so ähnlich« unterstreichen möchte. Dabei hat er das inkriminierte Buch wenigstens angelesen, was man daran merkt, dass er den Duktus Krachts zu imitieren sucht, wenn auch unbeholfen. »Keine Klärung« vermeldet der Reporter dann am Ende. Der Trost für den Leser: Links daneben kann man »Imperium« direkt im Spiegel-Shop bestellen.
FAZ-Rhetorik* halt: Die »neue« Handke-Biographie »enthüllt« (gibt es auch eine alte, die es verschwiegen hat?), dass Handke »heimlich« bei R. K. war, als dieser bereits per Haftbefehl gesucht war. Kein Wort davon, dass die IFOR R. K. nicht verfolgte und sich dieser noch im Februar 1997 zu Wort meldetete und drohen konnte.
Es fehlt natürlich auch nicht der Hinweis auf die »proserbischen« Äusserungen Handkes und die »umstrittene« Grabrede (es waren, wie in der Biographie auch erwähnt wird, übrigens zwei). Dem Online-Artikel der FAZ ist ein Bild von Handkes Anwesenheit bei der Beerdigung Miloševićs beigefügt. Es trägt den Untertitel »In engem Kontakt.« Mit wem? Mit einem Toten? Oder gar mit dem damals schon über neun Jahre untergetauchten Karadžić?