Christian Kracht hatte in Zürich aus seinem neuen Buch »Imperium« gelesen. Und alle gingen hin. Aber sie gingen nicht nur hin. Sie berichteten auch. Alle warteten auf den Skandal, den Eklat. Leider blieb er aus. Der Autor hatte sich schon vorher Fragen nach der Lesung verbeten. Schade für die angereiste Journalistik von Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung und dpa. Was nun, da doch nichts passiert war?
Egal sagt sich das Feuilleton. Wenn man schon mal da ist, muss man auch darüber schreiben. Wobei es eigentlich nichts Unergiebigeres gibt als über eine Lesung zu berichten. Der Spiegel macht aus der Not eine Tugend: »Jetzt sprach er«, heißt es ebenso großkotzig wie ungenau. Stefan Kuzmany erzählt zunächst von seinem Abendessen und gibt sich als nicht besonders gut informiert, was er durch ständiges »oder so ähnlich« unterstreichen möchte. Dabei hat er das inkriminierte Buch wenigstens angelesen, was man daran merkt, dass er den Duktus Krachts zu imitieren sucht, wenn auch unbeholfen. »Keine Klärung« vermeldet der Reporter dann am Ende. Der Trost für den Leser: Links daneben kann man »Imperium« direkt im Spiegel-Shop bestellen.
Auch bei Susanne Gmür von der Süddeutschen Zeitung »spricht der Autor«. Schade nur, dass er nicht wirklich »spricht«, sondern nur vorliest, was in diesem Fall ein kleiner, aber feiner Unterschied ist. Susanne Gmür findet, dass Kracht kein »besonders souveräne[r] Typ« sei – was immer das bedeutet (es muss wichtig sein, denn im Online-Artikel ist es auch in der Bildunterschrift vermerkt). Sie ist lesbar unzufrieden und fordert eine »Stellungnahme« des Schriftstellers zu den Vorwürfen ein, er sei ein Adept rechten Gedankenguts. Auf die Idee, dass man absurde oder abstruse oder als absurd oder abstrus eingeschätzte Vorwürfe auch durch Ignorieren kommentiert, kommt Frau Gmür nicht. Was wäre beispielsweise, wenn ich Frau Gmür des Ladendiebstahls bezichtigen würde? Könnte man dann auch eine »Stellungnahme« von ihr anfordern?
Jürg Altwegg von der FAZ bemüht schon die Steigerungsform des Adjektivs »umstritten« in Verbindung mit Christian Kracht, was im Feuilleton-Jargon mindestens so etwas ähnliches wie »angeklagt« bedeutet und an dem Autor vermutlich bis zum Ende seines Lebens kleben bleiben wird, da der Prozeß über Christian K. niemals stattfinden wird. (Im übrigen wäre es interessant, Altweggs »Umstritten«-Barometer zu kennen.) Auch der Korrespondent der FAZ versteht es nicht, warum sich Kracht zum »Unbehagen« von Herrn Diez (in Wirklichkeit eine kräftige Denunziation) nicht äußern wollte, während man bei dpa noch hofft, der Autor möge demnächst die ein oder andere »offene« Frage zulassen. Im Gegensatz zu Frau Gmür, die Kracht mit »sonorer« Stimme vorlesen hörte, las er bei Altwegg »tonlos« und bei Thomas Burmeister, dessen dpa-Meldung von Focus-online und dem Stern übernommen wurde, »sanft«. Über diese Medienvielfalt ist der Leser immer wieder entzückt.
Aus Sicht der Reporter ist der Ärger verständlich. Die 75 Minuten, die Kracht las, waren für sie vermutlich verlorene Zeit. Ihr Warten auf den Skandal wurde nicht belohnt. Kein Störer, nirgends. Daher müssen nun lächerliche Details herangezogen werden, um die eigentlich vollkommen langweilige Lesung aufzupeppen. Dabei wird der Spielverderber, der Autor, der sich Nachfragen verbeten hatte, für seine unkooperative Haltung mit kleinen und kleinsten Invektiven abgestraft.
Da ist natürlich von einer »andächtigen Stille« die Rede. Tatsächlich passt diese Phrase zu jeder Dichterlesung; hier soll das Wort »andächtig« jedoch eine besondere Affinität des Publikums zum »umstrittenen« Autor suggerieren. Altwegg macht eine »gespenstische Weltfremdheit« bei der Lesung auf der »geschützten« Bühne aus. Es bleibt unklar, worin der Schutz in diesem speziellen Fall bestand. Gab es eine Mauer? Oder Bodyguards? Ist die Bühne nicht immer ein »geschützter« Raum? Anders gefragt: Weist man bspw. bei einer Theaterkritik auf eine »geschützte Bühne« hin? Frau Gmür beschäftigte sich mit dem Ort der Lesung (und man erfuhr, dass dort auch schon mal »gekokst« wird) und schildert die »altbacken[e]« Kleidung des Autors. Leider bleibt (1.) ihre Garderobe ungeklärt und (2.) ob Kracht »Berluti«-Schuhe trug oder nicht (wie er dies bei Harald Schmidt durchblicken ließ). Bei der FAZ hört man dem Gläsergeklingel nach (eine wichtige Beobachtung, zweifellos). Übereinstimmend wird berichtet, dass der Autor geraucht hatte. Ja, das war dann doch ein ganz kleines Skandälchen. Aber Altwegg, der sonore Reporter, fand die richtige Metapher: »Nur Rauch, kein Feuer«. Aber das ist leider keine Selbsterkenntnis.
Die seriösen Diskussionen über Kracht finden derzeit nicht im Mainstream-Feuilleton statt. Sondern eher im Netz (beispielsweise hier).
Dann könnte man sich ja in aller Ruhe der Literatur widmen, und ... aber solange es seriöse Diskussionen gibt und man weiß wo sie zu finden sind.
Danke für den Link, Du hattest ihn schon einmal gesetzt und ich ihn verloren. Eine These, die mir zumindest der Vollständigkeit halber fehlt, ist, dass die Verstellungskunst Krachts vielleicht gar keine ist oder sein soll, d.h. von einer realen Ununterscheidbarkeit (oder Unentscheidbarkeit) Zeugnis ablegt. Oder von Desinteresse. Dann wäre es interessant zu wissen woher es kommt.
Die bisherige Diskussion zeigt vielleicht, wie sehr eine rigide moralische oder politische Leserichtung andere Aspekte, Bedeutungen und Interpretationen eines Werks verschwinden lässt (wie sehr das auf Krachts Imperium zutreffen könnte, weiß ich allerdings nicht, da ich das Buch nicht kenne).
Die Diskussion zeigt auch das Elend, den Autor eines fiktionalen Werkes immer mehr mit dessen Inhalt Eins zu setzen – und umgekehrt. »Imperium« alleine, geschrieben von einem unbekannten Herrn X hätte diese Aufmerksamkeit nicht erzielt. Von Christian Kracht geschrieben, bekommt es große Aufmerksamkeit. Nach dem Diez-Artikel wird es zum Hype. Dabei geht man nun den umgekehrten Weg der Interpretation: Man klopft den literarischen Text auf das ab, was man glaubt, dem Autor als politische Gesinnung festgestellt zu haben. Dabei nimmt man das Urteil schon vorweg und sucht nur nach Indizien – ähnlich einem Ermittler, der den Mörder kennt und nun nach Fehlern seines Mordplanes forscht. Wenn dieser Ermittler keine Beweise findet, finden sie zur Not gefälscht. Das ist die »Methode Diez«.
Daher ist die Provokation Krachts, nur aus dem Buch vorzulesen und keine Fragen drumherum zu erlauben, so groß: Die Meute darf ihrem liebsten Spiel – der Konfrontation des Dichters mit ihren eigenen, längst feststehenden Urteilen – nicht frönen. Und man muss sich mit den Lächerlichkeiten im Umfeld begnügen.
Kracht trug bei Schmidt Schuhe von Berluti.
@jfw
Sie haben recht; ich hab’s korrigiert. Danke. (Das kommt davon, wenn man über Sachen schreibt, von denen man keine Ahnung hat und auch nie welche haben möchte.)
Ein bisschen gruselig ist es freilich schon, wie die Medien ein Eigenleben entwickeln! (Das spielt sich ja übrigens, auf metakritischem Niveau, bis zu Ihrem Beitrag hier durch. Denn worum geht’s? Ach, ja: um nichts!) Diese medialen Mechanismen sah man bei der Causa Wulff, meine ich, in besonders bedrohlicher Form (plötzlich war Kai Diekmann der Gute! Schien es nicht für wenige schreckhafte Momente so?); es zeigt sich aber sogar im Herzland der Besonnenheit, oder wie man die eigentliche Aufgabe der Feuilletons beschreiben soll. Was liegt beim IMPERIUM denn eigentlich vor? (Ich orientiere mich an Ihrer Kritik.) Nach all dem Popismus der letzten Jahre ringt die Literatur jetzt wieder um Ernsthaftigkeit oder zumindest doch Standhaftigkeit, und sich auf Traditionen zu besinnen, kann einem natürlich als Konservatismus ausgelegt werden. Und wer dann noch den Skandal möchte, ist im nächsten Schritt beim rechtsgerichteten Gedankengut. Wie Wulff mit seinem Häuschen in Großburgwedel plötzlich als deutscher Berlusconi dastand.
@blogozentriker
Natürlich ist mein Text indirekt der Text um die Texte über das Nichts. Retten kann man mein Vorhaben nur damit, dass es eine mediale Spiegelung ist. Ähnlich wie eine strafbewährte Beleidigung nicht als Beleidigung wiederholt, aber als Tatbestand dann doch irgendwie genannt werden darf.
Die Parallele zu Wulff ist sehr interessant, aber vielleicht aus einem anderen Grund: Zwischenzeitlich, als die Munition gegen Wulff drohte naßzuwerden oder auszugehen, bekam man in Anbetracht der »Bobbycar«- und sonstiger »Skandale« fast schon Mitleid mit ihm. Im Fall Kracht stelle ich ja eine Solidarisierung großer Teile des Feuilletons mit dem Autor fest. Dass dies mitunter die gleiche Gesinnungsonanie ist wie die Elaborate von Diez, ist klar. In der genauen und schönen Besprechung von Uwe Wittstock wird klar, warum es sich nicht um ein »Meisterwerk« handeln kann.
Insgesamt scheinen wir uns in einem Versendungszusammenhang zu bewegen!
Aber wer soll die ganzen Sender noch hören?
Einfach mal abschalten?
Nichts
(Vielleicht taugt’s tatsächlich als soziologische Studie aus dem Liegestuhl, wenn man entspannt alle Metaschleifen aufblättern kann und sonst endlich mal Ruhe ist? – ja, rauf aufs Sonnendeck!)
War ja klar, dass er nicht bereit wäre, sich zu äußern. Seine Äußerungen würden nur die Kritiker bestärken und noch mehr Licht auf sein Werk und seine Sichtweise werfen.
@Azadeh Sepehri
Es ist schwierig: Wenn Kracht sich einem Publikum aussetzt – wie bei den Lesungen – sich aber Fragen verweigert, kann man ihm dies als »unsouverän« oder auch arrogant auslegen (wie geschehen). Wenn er Fragen beantwortet, wird natürlich alles gegen ihn verwendet werden können.
Zwei ähnliche »Fälle« kommen mir da in den Sinn. Zum einen Botho Strauß und sein Essay »Anschwellender Bocksgesang« (s. o. in den Kommentaren). Und zum anderen Peter Handke und seine sogenannten »Serbien-Texte«. Strauß, seit je medial sehr selten präsent, hatte geschwiegen. Nun kann man einen 10 Seiten-Essay auch schlecht vorlesen, aber Strauß hatte sich jeglichen Erklärungen verweigert. Anders Handke, der – entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten – 1996 mit seinem Buch auf Lesereise ging und sich der kontroversen Diskussion stellte (ich habe das selber in Frankfurt erlebt). Auch später hatte Handke immer Stellung bezogen – was ihm gelegentlich nicht gut bekam, da er sich in Wut redete.
Was bei Kracht verstört: Einerseits setzt er sich einem Publikum aus. Andererseits auch wieder nicht. Journalisten und Feuilletonisten können das nicht verstehen. Es ist für sie so, als würde im Restaurant das Essen aufgetischt, aber man darf es nicht verzehren.
@Gregor Keuschnig
Nicht nur aus der Sicht der Journalisten ist ein solches Verhalten unangebracht, auch die Mehrheit der Leser erwartet, bei einer Lesung Fragen stellen zu dürfen und Antworten zu erhalten.
@Azadeh Sepehri
Bei Kracht war im im Vorfeld klar, dass keine Fragen zugelassen werden. Das ist im übrigen das gute Recht jeden Autors; eine Lesung ist keine parlamentarische Aussprache.
Sie haben dahingehend Recht, dass mich eine solche Veranstaltung (d. h. die reine Lesung) überhaupt nicht interessieren würde. Lesen kann ich selber und in einer solchen Atmosphäre von Glasgeklapper und schwatzendem Publikum kann auch die Aura der Stimme des Autors in der Regel keinen höheren Genuss bieten.
Wenn man gelegentlich Lesungen beiwohnt ist es zumeist doch eher erschreckend, welcher Natur die Fragen dann tatsächlich sind. Man kann sie grob in vier Kategorien einteilen: (1.) wird nach dem Anteil des autobiographischen gefragt, (2.) geht um das Echo in den Medien (heftig pro oder contra) und (3.) geht es das Verlangen nach Anekdotischem. Zumeist beginnen die Fragen mit »Ich meine...« und einem nicht enden wollenden Statement. Die meisten haben das Buch nicht gelesen und stellen Fragen nach dem weiteren Fortlauf (das ist 4.). Kurz: es ist eher ernüchternd.
Im »Fall« Kracht wäre (1.) entfallen und fast alles hätte sich um (2.) gedreht. – Und natürlich ist diese Verweigerung auch wieder Teil einer Inszenierung – wer zu schnell zu viel sagt, wird irgendwann nicht mehr gehört. Ich prognostiziere in den nächsten vier Wochen ein »Exklusiv-Interview« in einem Mainstream-Printmedium. (Tippe auf die FAZ oder FAS.)