Ministerpräsidentin Hannelore Kraft habe ihr Kabinett umgebildet. So vermeldete der
So lautet vermutlich die amtliche Version. Die FAZ hingegen meldet, dass die drei Minister scheinbar aus »privaten« Gründen selber gegangen sein sollen. Kraft hätte das Kabinett umbilden müssen. Das wäre – nach allen Gesetzen des Journalismus – mindestens eine kleine politische Krise.
Was stimmt also? Denn es ist ein Unterschied, ob eine Regierungschefin aktiv als Handelnde Kabinettsumbildungen vornimmt oder durch Rücktritte dazu gezwungen wird. Die Süddeutsche Zeitung entscheidet sich für einen Zwischenweg; nichts Genaues weiss man nicht. Dafür, dass Journalisten bei jeder Gelegenheit das Gras wachsen hören, ist die Reaktion auf die drei Kabinettsumbildungen in den öffentlich-rechtlichen Medien durchgängig verhalten (um es freundlich zu formulieren).
Auf tagesschau.de ist auf der Titelseite der geplante Börsengang der Schaeffler-Gruppe wichtiger als das Stühlerücken im Kabinett des bevölkerungsstärksten Bundeslandes. heute.de interessiert sich dafür mehr für Pappmöbel auf ihrer Startseite.
Wie sieht es in den Lokalmedien aus? Die sicherlich nicht SPD-freundliche Rheinische Post spricht überraschenderweise ebenfalls nicht von Rücktritten. Ähnlich auch die WAZ. Beide weisen auf die vollen Pensionsansprüche der »lahmen Enten« (siehe oben) hin. Das dürfte bei den kommunalen Stichwahlen am Sonntag sicherlich zu einer guten Wahlbeteiligung führen.
So ganz geplant scheint dann die Kabinettsumbildung nicht gewesen zu sein. Aktuell (14.30 Uhr) ist die Kabinettsliste noch unverändert.
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Dass man vorher kein Gemunkel irgendwo las, nehme ich als Hinweis, dass Frau Kraft das initiiiert hat, mit dem ein oder anderen getreuen. Wie schlau das jetzt so kurz vor der OB-Wahl-Endrunde ist, stelle ich aber mal in Frage.
Als Düsseldorfer weiß man ja seit dem scheinbar zwangsläufigen Ratsbeschluss, dem ehemaligen OB Elbers (CDU) ab sofort EUR 4200/monatlich als Pension zukommen zu lassen, was man ungefähr anstellen muss, damit unsere ehemaligen Würdenträger nicht von heute auf morgen ins Elend abstürzen. Insofern ist man natürlich Frau Kraft dankbar für ihr Warten.
Ratlos stehe ich vor dem Faktum, dass die Meldung des Interimstrainers von Borussia Mönchengladbach für die Medien wichtiger ist als das NRW-Kabinett.
Das der Arbeitsminister ausgewechselt werden sollte, wurde auch in der Öffentlichkeit bzw. in den Medien schon ab dem Frühsommer »gemunkelt«. Ich war deswegen immer darauf gespannt, wer Nachfolger wird und habe damit schon garnicht mehr gerechnet, dass er geht und habe es dann irgendwann als nicht unübliche Spekulation abgetan.
Dass der neue Trainer von Mönchengladbach mehr Aufmerksamkeit in den Printmedien erhält als der Kabinettwechsel, ist ein Ausdruck der entpolitisierung der Bevölkerung, die seit dem Rücktritt Willy Brandts nicht nur in der Wahlbeteiligung sichtbar geworden ist. Für mich haben aber auch die Medien einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung, indem sie die Prioritäten in der Berichterstattung immer mehr an kurzfristigen (möglichen) Auflagensteigerungen ausrichten, als an den nicht immer leicht durchschaubaren politischen Ereignissen oder Zusammenhängen. Vor allem in den letzten Jahren wird immer plakativer und immer weniger nachhaltig und analytisch berichtet. Ob es sich dabei um Feindbilder (z.B. Putin, Krim, Ukraine, Syrien usw.) handelt oder schlicht um PR für die jeweilige Regierung handelt. Manche sagen: »Das Volk ist doof, aber gerissen.« und deswegen mißtrauen immer mehr Menschen den Medien in Deutschland und interessieren sich auch immer mehr für vielleicht »wertfreieren« Meldungen wie z.B. die Meldungen zum neuen Mönchengladbacher Trainer.
Ich selbst staune ja auch immer noch und immer wieder, wie hier im Blog in den meist auf hohem Niveau stattfindenden Diskussionen über Kunst und Literatur das »Feuilleton« der entsprechenden Zeitungen bemüht oder mit einbezogen wird. Ich habe mich seit langem auch davon schon verabschiedet und riskiere es dabei gelassen und mit Gleichmut, möglicherweise als altmodisch oder nicht auf dem Stand der Dinge angesehen zu werden. Für mich sind die meisten in diesem Metier (der Medien) leider nicht kompetent oder korrupt. Oder bestenfalls Lohnschreiber...
Ich selbst staune ja auch immer noch und immer wieder, wie hier im Blog in den meist auf hohem Niveau stattfindenden Diskussionen über Kunst und Literatur das »Feuilleton« der entsprechenden Zeitungen bemüht oder mit einbezogen wird.
Zunächst einmal Dank für das Lob – vor allem natürlich an die Kommentatoren. Interessant ist der Einschub, dass das Feuilleton der Zeitungen »bemüht oder mit einbezogen« würde.
Mich würde interessieren, warum das falsch sein soll. Zum einen gibt es eine Rubrik »Literaturkritik in der Kritik«. Hier ist diese Meta-Text-Arbeit praktisch Programm. Man kann darüber diskutieren, ob in diesem Blog derlei Kritik an der Kritik zuviel gemacht wird. Aber es ist auch abseits dieses Ressorts zuweilen notwendig, den Resonanzraum des Feuilletons der gängigen Medien zu berücksichtigen. Man kann natürlich ein vollkommen autarkes intellektuelles Leben verfechten, aber damit würde ich im Prinzip ähnlich verfahren wie diejenigen, die man kritisiert. Auch die politische Berichterstattung in den Medien kann ich nur kritisieren, wenn ich sie mindestens zur Kenntnis nehme.
Ich glaube übrigens nicht, dass sich in sinkenden Wahlbeteiligungen eine Entpolitisierung zeigen muss. Es gibt mindestens noch zwei andere Erklärungsmöglichkeiten: Zum einen sind die Nichtwähler einfach zufrieden mit dem bestehenden System und sehen keine Notwendigkeit sich zu beteiligen. Oder sie haben resigniert, weil ihnen die Alternativen fehlen. Wenn es darum geht, Veränderungen umzusetzen, steigen Wahlbeteiligungen auch schon einmal, so bspw. 1998 bei der Bundestagswahl als Kohl abgewählt wurde auf 82,2%. Zur Beibehaltung einer Großen Koalition oder wenn in einer Kommune ein Kandidat auf > 70% der Stimmen erwartet wird, bleibt man dann schon einmal zu Hause.
Die Entpolitisierung sehe ich dahingehend, dass Politik als Management-Aufgabe angesehen wird. Richard von Weizsäcker formulierte dies in den 1990er Jahren schon. Sinngemäss meinte er, dass der Bürger seine politischen Ambitionen an die Politik delegiert habe. Diese soll seinen Wohlstand wenn möglich mehren und ihn ansonsten bitte in Ruhe lassen. Die amtierende Kanzlerin hat dieses System perfektioniert.
Es ist natürlich überhaupt nichts falsches daran, hier im Blog das Feuilleton zu bemühen oder mit einzubeziehen. Mit meinem Staunen wollte ich nur zum Ausdruck bringen, dass es hier immer noch soviele Menschen gibt, die noch nicht wie ich resigniert haben und das Feuilleton noch lesen. Und: Das sei erwähnt, sich meist sehr konkret und sachlich damit auseinandersetzen, was aus meiner Sicht neben der intensiven intelektuellen Auseinandersetzung auch immer einen gewissen (zeitlichen) Aufwand bedeutet. Ich denke manchmal, wenn ich hier als interessierter, aber stiller Leser an den Diskussionen »teilnehme«, dass es dieser Mühe so oft nicht wert ist, sich mit dem einen oder anderen Kommentar aus den Printmedien so intensiv auseinanderzusetzen. Aber natürlich ist meine Einstellung dazu etwas resignativ. Diese Einstellung gegenüber den Printmedien wurde als Samen mit dem »Stern« und den Hitlertagebüchern und einige sehr unangenehme persönliche Erfahrungen mit dem »Spiegel« in mir gelegt. Seitdem weiß ich aus erster Hand, wie Artikel entstehen können.
Nicht mehr wählen zu gehen, ist für mich ein sehr unpolitisches Verhalten. Wir haben mittlerweile ein so breites Parteienspektrum, dass eigentlich alles »alternativlos« von rechts bis links abgedeckt sein müßte. Allerdings kenne ich viele frustrierte ehemalige SPD-Wähler, die tatsächlich für sich keine Alternative sehen und nicht mehr zur Wahl gehen.
Ich glaube auch nicht so ganz an die Überlegung, dass es Menschen geben könnte, die aus Zufriedenheit nicht zur Wahl gehen. Wenn ich als politisch bewußter Mensch politisch zufrieden bin, dann sorge ich doch dafür, dass »meine Partei« mit meiner Stimme dazu beiträgt, diesen Zustand zu sichern. Die »Zufriedenheit«, die mich davon abhält ist ebenfalls für mich ein, wie ich finde, nun doch ein unreflektiertes und unpolitisches Verhalten, also eher Bequemlichkeit oder Desinteresse. Dieses Argument der möglicherweise zufriedenen Nichtwähler ist mir zu simpel und wird gerne von den Politiker dazu benutzt, die für mich bedenklich sinkende Wahlbeteiligung schön zu reden.
Das ganze »junge Volk«, was für mich so ab Geburtsjahr 1985 beginnt, kann ja wohl nicht wirklich mit ihrer persönlichen Situation zufrieden sein! Dabei ist egal ob es sich jetzt um die Ausbildungssituation, um die Situation an den Hochschulen oder ganz allgemein um Arbeitsverhältnisse dreht. Ich mag mich irren, aber da überwiegt doch Resignation, verbunden mit politischer Passivität.
Weizsäcker hat aus meiner Sicht Unrecht, wenn er behauptet, der Bürger hat seine politische Ambitionen delegiert. Denn das würde doch bedeuten, dass der Bürger in der Realität Ambitionen hätte und sich eine Partei zur persönlichen Wahl aussucht, oder? Deswegen glaube ich, dass der deutsche Bürger nicht seine Ambitionen an die Politiker delegiert, sondern sich heute oft nur in den TV-Sessel zurücklehnt und seine (politische) Hoffnungen passiv diffus auf die Politiker projiziert. Daher klappt das auch so gut mit Frau Merkel, sie suggeriert, dass sich die Leute bei ihrem »unaufgeregtem« politischen Aktivismus (manche nennen das auch »Inaktivität«), wohl und sicher fühlen dürfen.
U.a. deswegen ist aktuell die Meldung über den neuen Trainer der Borussia für viele bedeutenter als der Wechsel im NRW-Kabinett. Und wenn das keine Entpolitisierung ist...
Ich wünsche Ihnen alle weiterhin die Kraft und die Ausdauer sich hier in diesem Blog auf dem bisherigen Niveau (natürlich auch mit dem Feuilleton!) auseinander zu setzen.
Formal haben Sie Recht, wenn Sie Wahlenthaltungen als unpolitisch charakterisieren. Aber ich stelle mal die These auf, dass »Protestwählen« fast noch unpolitischer ist (ob rechts oder links): Hier wird ein (politisch motivierter) Affekt kanalisiert, obwohl man mit den Ideen der gewählten Partei nicht oder nur rudimentär übereinstimmt. Mir ist jeder zu Hause gebliebener NPD-Wähler lieber als derjenige, der sie aus minderen Motiven (s. o.) ankreuzt. (Wobei man in beiden Fällen nicht die Augen verschließen darf, dass es solche Meinungen gibt.)
Natürlich ist die These der allgemeinen Zufriedenheit nicht zu verallgemeinern. Es gibt auch Frustration bei den Nichtwählern. Was Sie zum Parteienspektrum sagen, stimmt natürlich. Aber eben nur theoretisch: Eine Stimme für eine Partei, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht über die 5%-Hürde kommt, gilt – zu Recht – als verlorene Stimme. Und die Unterschiede zwischen den Unionsparteien und SPD sind auch nur noch marginal. Allzu oft gibt es eine GroKo zwischen Union, SPD und Grünen. Allenfalls die Linke leistet hier abweichende Meinungen, aber vermutlich auch nur, weil es folgenlos ist. Grundsätzliche politische Debatten gibt es in diesem Land seit den 1980er Jahren nicht mehr. Die Zeiten, dass die Bundestagswahlen Richtungswahlen waren, sind seitdem vorbei. Auf der Kommunalebene setzt sich der Eindruck durch, dass die Lokalpolitik nur einen sehr begrenzten Wirkungsspielraum hat.
Von Weizsäckers These entstand, als es die Inflation der Talkshows noch nicht gab. Ich glaube schon, dass es eine Art informellen Vertrag zwischen Wählern und Politik gab bzw. sogar gibt. Die politischen Konsense waren die der politischen und wirtschaftlichen Eliten. Das lief so lange gut, so lange es nicht zu Problemen kam. Nach wie vor gibt es keine fundamentalen politischen Debatten, die geführt werden und den Bürger überzeugen sollen, statt ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Beispiele sind die EU (Osterweiterung, Euro) und jetzt, aktuell, die Flüchtlingsproblematik. Alles ist »alternativlos« oder wird mit Durchhalteparolen zugekleistert (»Wir schaffen das« – es ist schwierig, auf ein »Wir« zu rekurrieren, dass es vorher nicht gab).
Das bedeutet nicht, dass es zu allem sofort Volksabstimmungen zu geben habe. Aber die Furcht der Funktionsträger vor solchen Äußerungen zeigt: Man misstraut den eigenen Überzeugungen und der Kraft der Argumente. Die Legitimation für ihr Handeln alle vier Jahre gerät für viele damit zur Farce.
Das »Wissen« was zu tun sei, der Mangel an offenen Diskussionsprozessen, die oft fehlende Toleranz gegenüber dem, was man nicht hören möchte, eben: Alternativlosigkeit (der schon wieder bemühte Untergang der EU), Korrektheit, Phrase, Emotion, mangelndes Verständnis für die Zuständigkeiten von Politik und Staat, ein unverständliches Misstrauen dem Argument gegenüber, ein Primat der Moral, eine immer wieder seltsam konsensuale, dünne mediale Berichterstattung, usf., all das entfremdet die Bürger von den Politikern, fördert Misstrauen und stärkt jene Parteien, die die leeren Felder besetzen und denen man sie eigentlich nicht hätte überlassen sollen. Da ist vieles hausgemacht, zugleich existiert dafür aber kaum ein Verständnis auf der Ebene der Politik.