Der Sprung ins Dunk­le

"Der Sprung ins Dunkle" - Karikatur von 1867
»Der Sprung ins Dunk­le« – Ka­ri­ka­tur von 1867

Als Ben­ja­min Dis­rae­li (ge­trieben von Wil­liam Glad­stone) im Jahr 1867 im soge­nannten »Re­form Act« im bri­ti­schen Un­ter­haus ei­ne Re­form durch­setz­te die ei­ne so­zia­le Öff­nung des Wahl­rechts bis weit in die Ar­bei­ter­klas­se hin­ein vor­sah (vom frei­en und all­gemeinen Wahl­recht heu­ti­ger Zeit al­ler­dings noch weit ent­fernt), war die Em­pö­rung im viktori­anischen Eng­land ins­beson­dere beim klassenbe­wussten Adel aber auch in der Pu­bli­zi­stik gross. Ein »Sprung ins Dunk­le« war noch fast die freund­lich­ste Be­schrei­bung die­ses als un­ge­heu­er­lich ein­ge­stuf­ten Vor­gangs. »Ar­bei­ter« wur­de über­setzt mit »Mas­se« – und »Mas­se« und »Pö­bel« gal­ten syn­onym. Konn­te man ernst­haft die Ge­schicke ei­nes Lan­des in die Hän­de der Mas­se ge­ben?

Das Un­be­ha­gen an der Mas­se hat die west­li­che Gei­stes­ge­schich­te bis heu­te nicht ganz ver­las­sen; es han­delt sich um ei­nen ur­alten To­pos. Der Bo­gen kann von Pla­ton über den Vor­märz bis Heid­eg­ger und Eli­as Ca­net­ti ge­spannt wer­den – un­ter­schied­li­cher könn­ten die al­le­samt der Mas­sen­kul­tur ge­gen­über skep­ti­schen bis ab­leh­nen­den Den­ker kaum sein (sieht man von den Den­kern ab, die die Mas­se in ih­rem Sin­ne for­men bzw. ma­ni­pu­lie­ren woll­ten).

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»Du hast ei­ne gu­te Stim­me« oder: Ver­such wi­der die Hoch­mü­ti­gen

Plä­doy­er für den Le­ser­kri­ti­ker

1968 schreibt der da­mals 25jährige Schrift­stel­ler Pe­ter Hand­ke über Mar­cel Reich-Ra­nicki (#1):

    Reich-Ra­nicki kann man mit Ein­wän­den nicht kom­men: er kennt die al­te List, sich dumm zu stel­len, weil er nicht ar­gu­men­tie­ren kann (und er ist nie fä­hig zu ar­gu­men­tie­ren, er äu­ßert sich nur mit kräf­ti­gem rhe­to­ri­schem Ge­stus). »Ich ge­ste­he«, lei­tet er dann in der Re­gel sei­ne Sät­ze ein. Nach­dem er aber sei­ne Ver­ständ­nis­lo­sig­keit ein­ge­stan­den hat, zieht er über das Nicht­ver­stan­de­ne her.

Schliess­lich bi­lan­ziert er:

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Hanns-Jo­sef Ort­heil / Klaus Si­blew­ski: Wie Ro­ma­ne ent­ste­hen

Hanns-Josed Ortheil/Klaus Siblewski: Wie Romane entstehen
Hanns-Jo­sed Ortheil/Klaus Si­blew­ski: Wie Ro­ma­ne ent­ste­hen
Je vier Vor­le­sun­gen des Schrift­stel­lers Hanns-Jo­sef Ort­heil und des Lek­tors des Luch­ter­hand Li­te­ra­tur­ver­lags Klaus Si­blew­ski wol­len er­klä­ren »wie Ro­ma­ne ent­ste­hen«. Ort­heils Vor­le­sun­gen ma­chen den An­fang und er über­nimmt es, den Ro­man zu­nächst mit der üb­li­chen De­fi­ni­ti­on als Pro­sa­er­zäh­lung von ei­ner ge­wis­sen Län­ge – 50.000 Wor­te bzw. >500 Sei­ten – ab­zu­gren­zen. Ge­gen En­de der er­sten Vor­le­sung er­gänzt er dies mit Mi­lan Kun­de­ras Um­schrei­bung, die den Ro­man als gro­sse Pro­sa­form be­stimmt, bei der der Au­tor mit­tels ex­pe­ri­men­tel­ler Egos (Fi­gu­ren) ei­ni­gen gro­ssen The­men der Exi­stenz auf der Grund geht. Ex­pe­ri­men­tel­le Li­te­ra­tu­ren bis hin zum »Nou­veau Ro­man« sind mit die­ser De­fi­ni­ti­on al­ler­dings nicht ab­ge­deckt. Die spä­ter vor­ge­nom­me­ne Aus­dif­fe­ren­zie­rung, der Ro­man sei nicht Erschaffung…eines Au­gen­blicks oder ei­ner Sze­ne, son­dern eher die Er­schaf­fung ei­nes poe­ti­schen Uni­ver­sums er­scheint da so­li­der – ob­wohl dann bei­spiels­wei­se die Epen ei­nes Ho­mer in die­sem Sin­ne auch »Ro­ma­ne« wä­ren.

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De­mut und Wut

Preis­ver­ga­be. Und ei­ni­ge un­we­sent­li­che Be­mer­kun­gen.

Hart­näckig wei­ger­te sich der neue Ju­ry­vor­sit­zen­de Burk­hard Spin­nen ein Pau­schal­ur­teil über den ak­tu­el­len »Jahr­gang« beim Bach­mann­preis 2008 ab­zu­ge­ben. Das kön­ne man nicht, so Spin­nen, wenn über­haupt müs­se man zehn, fünf­zehn Jah­re ab­war­ten; es sei­en ja schliess­lich kei­ne Wein­jahr­gän­ge.

Spin­nen stiehlt sich da aus ei­nem Ur­teil her­aus. Das über­rascht nur vor­der­grün­dig. Wür­de er zu­ge­ben, dass das Ni­veau schwach war, kri­ti­siert er auch im­pli­zit die Ju­ro­ren und auch sich sel­ber. Die Ju­ry aber – die­sen Ein­druck be­kam man sehr schnell – ist ziem­lich kri­tik­re­si­stent.

Hin­ter der jo­via­len Fas­sa­de des Mo­de­ra­tors Die­ter Moor (der mit sei­ner zwang­haf­ten Ge­sprächs­füh­rungs­rhe­to­rik nicht nur stör­te, son­dern auch ge­le­gent­lich in un­zu­läs­si­ger Wei­se in den Wett­be­werb ein­griff) schlum­mer­ten die längst aus­ge­tüf­tel­ten Be­wer­tungs­fall­bei­le bei­spiels­wei­se des Wich­tig­tu­ers Ijo­ma Man­gold, der teil­wei­se voll­kom­men ver­wirr­ten (und text­un­si­che­ren) Ur­su­la März und ei­nes fast zwang­haft den Clown ge­ben­den Klaus Nüch­tern.

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Kla­ge über den ab­ge­holz­ten Wald

Klei­ne Weg­zeh­rung für Kla­gen­furt. Ein fast my­ste­riö­ser Ar­ti­kel des »Al­f­red-Kerr-Prei­s­trä­­gers« 2007, dem Li­te­ra­tur­kri­ti­ker Hu­bert Win­kels im »Ta­ges­spie­gel«: Der Kri­ti­ker als drit­ter Gott. In der Be­schwö­rung der gu­ten, al­ten (Kerr-)Zeit (die es – wie im­mer bei sol­chen Rück­blen­den – nie ge­ge­ben hat) und der Aus­lo­bung des grö­ssen­wahn­sin­ni­gen, apo­dik­ti­schen Kri­ti­kers mag ja ein ge­wis­ser Phan­tom­schmerz ei­nes 68er-Ver­­­fech­ters ...

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Nach­le­se 30. In­ge­borg-Bach­mann-Preis: Exo­tis­mus und Au­then­ti­zi­tät

18 Au­toren le­sen ih­re li­te­ra­ri­schen Tex­te vor und an­schlie­ssend dis­ku­tie­ren neun Ju­ro­ren hier­über. Die­ses Set­ting ist die Aus­gangs­po­si­ti­on für den so­ge­nann­ten »In­­­ge­­borg-Bach­­mann-Preis«, volks­tüm­lich auch »Wett­le­sen« ge­nannt (als wä­re je­ner der Sie­ger, der zu­erst fer­tig sei). Ana­chro­ni­sti­scher kann Fern­se­hen nicht sein, als dies zu über­tra­gen. Aber es kann auch – wenn die Bei­trä­ge und Dis­kus­sio­nen »stim­men«– ...

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Das Hei­den­reich-Kaf­fee­kränz­chen: »Le­sen!« im ZDF

Ge­stern wie­der „Le­sen!“ im ZDF mit El­ke Hei­den­reich, der Frau mit dem „gro­ssen Herz für schlech­te Bü­cher“ (Iris Ra­disch).

Die­se Sen­dung zeigt das Elend der Ver­mitt­lung von Li­te­ra­tur durch / im Fern­se­hen. In drei­ssig Mi­nu­ten nu­delt Frau Hei­den­reich ih­re höchst­per­sön­li­che Aus­wahl von Bü­chern her­un­ter. Es sind meist um die 20 – de­zi­dier­te Be­spre­chun­gen sind da na­tür­lich nicht mög­lich. Haupt­sa­che „Le­sen“! (Der läng­ste Part der Ru­he in der Sen­dung ist das Vor­le­sen aus ei­nem Hör­buch – dies­mal Scott Fitz­ge­rald.)

Ih­re Kri­te­ri­en blei­ben da­bei im Dun­keln bzw. sind (ver­mut­lich) an ei­ner vul­gär-äs­the­ti­schen Li­nie zwi­schen Un­ter­hal­tungs­ro­man und po­li­tisch-kor­rek­ter Mi­lieu­pro­sa fest­zu­ma­chen.

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