Preisvergabe. Und einige unwesentliche Bemerkungen.
Hartnäckig weigerte sich der neue Juryvorsitzende Burkhard Spinnen ein Pauschalurteil über den aktuellen »Jahrgang« beim Bachmannpreis 2008 abzugeben. Das könne man nicht, so Spinnen, wenn überhaupt müsse man zehn, fünfzehn Jahre abwarten; es seien ja schliesslich keine Weinjahrgänge.
Spinnen stiehlt sich da aus einem Urteil heraus. Das überrascht nur vordergründig. Würde er zugeben, dass das Niveau schwach war, kritisiert er auch implizit die Juroren und auch sich selber. Die Jury aber – diesen Eindruck bekam man sehr schnell – ist ziemlich kritikresistent.
Hinter der jovialen Fassade des Moderators Dieter Moor (der mit seiner zwanghaften Gesprächsführungsrhetorik nicht nur störte, sondern auch gelegentlich in unzulässiger Weise in den Wettbewerb eingriff) schlummerten die längst ausgetüftelten Bewertungsfallbeile beispielsweise des Wichtigtuers Ijoma Mangold, der teilweise vollkommen verwirrten (und textunsicheren) Ursula März und eines fast zwanghaft den Clown gebenden Klaus Nüchtern.
Ilija Trojanow meinte anfangs, die Jury sei wohl von der Konflikt- zur Konsensdiskussion übergegangen. Das mag immanent für grosse Teile des Wettbewerbs gestimmt haben. Den Autoren gegenüber jedoch gab es mehrfach teilweise ungebührliche Missgriffe. So nannte Ijoma Mangold Lenz’ Beitrag »unsympathisch« und »unbedeutend«, hatte bei anderen Erzählungen bestimmte Sujets »dicke« oder zeigte sich »genervt«. Beim Beitrag von Mohafez assoziierte er ‘Feuerwehrmann -> Schlauch -> Phallus’. Selbst Trojanow bemerkte am Ende (ohne Mangold zu nennen), den Schlag unter »der Gürtellinie« der Jury – insbesondere bei der Besprechung zum Beitrag von Pedro Lenz.
Auch Burkhard Spinnen, der sich vor Jahren mit seiner Kauzigkeit einen gewissen Kultstatus erarbeitet hatte, machte als Juryvorsitzender eine unglückliche Figur, schien mit der Bürde überfordert und meinte den professoralen Skeptiker abgeben zu müssen. Als in einer ihren wenigen lichten Momente Ursula März das Herumkritteln bei Rammstedt kritisierte (‘das versteht außerhalb dieses Raumes niemand mehr’) sprach er dünnhäutig von einem gelbträchtigen »Foul«. Und bei Mohafez’ Beitrag meinte er, die Feuerwehr würde durch einen Brand obdachlos gewordene Menschen nicht in Obdachlosenaslye, sondern in Hotels unterbringen. Er, Spinnen, habe das vorher in Anrufen bei der Feuerwehr recherchiert. Leider hatte Spinnen verschwiegen, wo er eine halbe Stunde vorher bei der Erzählung von Heike Geißler nach der Existenz von Engeln recherchiert hatte.
Vollständig disqualifiziert hat sich auch mindestens einmal André Vladimir Heiz, der 2007 noch mit einigen Sottisen aufwarten konnte. Beim Beitrag von Martin von Arndt, dessen Erzählung unter anderem eine Beziehungs- bzw. Ehekrise thematisierte, bemerkte er in pubertärer Diktion: »… wer sich verheiraten will, soll das tun, aber bitte belästigen Sie uns nicht auch noch mit Texten darüber«. Diesen Satz kann man – eben weil er so unglaublich blöde ist – allen literarischen Themen, die einem unangenehm sind, aufkleben: »Wer will, soll das tun, aber bitte belästigen Sie uns nicht auch noch mit Texten darüber«.
Es mag wohlfeil sein, die Jury für die insgesamt mediokre Qualität des diesjährigen Wettbewerbs verantwortlich zu machen. Fakt ist: Sie bestimmt die Teilnehmer (jeder zwei). De jure kann sich jeder (der den Teilnahmebedingungen entspricht) bewerben – de facto suchen die Juroren die Autoren und bitten um einen »Text«. Hierin liegt ein Teil des Problems: Neue Juroren unterstehen einer Hackordnung – die »alten Hasen« bestimmen den Weg. Die Juroren kennen die Beiträge schon Wochen vorher – Absprachen und Diskussionen im Vorfeld sind an der Tagesordnung. Zurück zum alten Verfahren bekäme man keine Juroren mehr – die Angst, sich in der Spontaneität zu blamieren, wäre zu gross. Bei der Qualität der aktuellen Juroren ist diese Angst mehr als begründet.
Also ginge nur noch ein neutrales Auswahlverfahren, wonach die angenommenen, von einer anderen Jury nominierten Beiträge anonymisiert an die Juroren verschickt werden. Es gäbe weniger Möglichkeiten zum veritablen Kuhhandel und sie könnten keine Prominentenboni oder –maluse aussprechen. Erst am Ort selber stellt sich heraus, wessen Erzählung da vorgestellt wird. So verfährt eigentlich fast jeder Provinzwettbewerb – mit einer grösstmöglichen Anonymisierung. Endlich wäre der private Leser und Zuschauer dem Juror (fast) wieder gleichgestellt. Raum für Diskussionen wäre wieder da – Raum für fruchtbares Verirren. Dieses Verfahren würde auch die Qualität der Juroren stärker herausstellen helfen.
Dass Tilman Rammstedt gewonnen hat, ist kein Missgriff. Endlich wurde einmal ein komischer Beitrag ausgezeichnet, der im übrigen nicht nur komisch war, sondern auch Protokoll einer Hassliebe. Mit Markus Orths zeichnete man eine Erzählung aus, die ziemlich schlicht war und mit dem abgegriffenen Topos des Muschelrauschens, welches als Meeresrauschen verklärt wird, endet. So schlicht kann es zugehen. Patrick Findeis’ bäuerliches Setting war auch jurytauglich (Bauerntexte gehen also immer mal wieder). Und Schade und sehr überraschend, dass Mohafez keinen Preis bekommen hat. (Das sagt ja auch was).
Über anderes schweige ich.
Preisprognose
Schwer vorherzusagen, wer den Hauptpreis gewinnt. Einen Preis bekommt in jedem Fall Mohafez. Sicherlich Rammstedt. Vermutlich auch Orths. Vielleicht auch Erdmann Ziegler oder auch Findeis.
Lesungen 28.06.08 – Kurzeindrücke
Anette Selg: Harmlos, bedächtig-gravitätische Urlaubsprosa. Fast gelangweilt gelesen. Einschläfernd.
Tilman Rammstedt: Komische Suada über einen allmächtigen, gerade gestorbenen Großvater; gekonnt, aber auch doppelbödig. Den Großvater nicht dämonisierend.
Ulf Erdmann Ziegler: 60er-Jahre Erinnerungsgeschichte; flott, ironisch, assoziativ; frech. Macht Lust auf mehr.
Pedro Lenz: Monolog; elliptische Suada, dabei aber nicht geschwätzig. Stimmige Rollenprosa. Gefällt mir sehr gut; wunderbar kongenial gelesen. / Mangold fand ihn belanglos (er verwechselte das mit Bronsky); März (wieder einmal) vollkommen überfordert mit der Erzählung – muss von den Kollegen korrigiert werden. Spinnen verweist zu recht auf Lentz (»Muttersprache«); vergaloppiert sich aber mit einer Parallele zu Thomas Bernhard.
Dagrun Hintze: Reflexionen einer frustrierten Journalistin; feuilletonistisch und kulturkritisch. Manchmal etwas larmoyanter Ton. Dennoch überdurchschnittlich (im Verhältnis zu vielen anderen Geschichten heuer).
Subadeh Mohafez: Erzählung eines und über einen Wohnungsbrand; später kleine Liebesgeschichte. Leicht naive Ich-Erzähler-Perspektive. Gelungen – auch in den Bildern.
Heike Geißler: Dröge Erzählung über einen Dorf-Don Juan, der mit seinem Engel spricht und ein Doppelzimmer für sich und ihn nimmt. Kitsch as Kitsch can! – Daneben die von Arndt-Erzählung gehalten: Was müsste die Jury da bei ihm Abbitte leisten! / Mangold findet es »hervorragend«. Nun, bei ihm erstaunt mich inzwischen nichts mehr.
Lesungen 27.06.08 – Kurzeindrücke
Marcus Orths: Ein putzneurotisches Zimmermädchen, kriecht unter das Bett und wird zum »Ecouteur« (Sulzer); erlebt die Welt des jeweiligen Gastes. Originelle Idee, aber unspektakulär erzählt. Am Schluss das tausendfach schon verwendete Bild des Muschel/-Meeresrauschens. – Die Jury stört’s nicht. Sie hat sich entschlossen, zu loben.
Patrick Findeis: Bauernprosa, gelegentlich Bauernfolklore. Betulich erzählt; fast neo-realistisch. – Die Juroren loben über den grünen Klee; März schwadroniert vom Protagonisten als »grosser tragischer Figur« in der Literatur.
Hier bekam man schön demonstriert, wie die Juroren »argumentieren«. Mangold meinte, die bäuerliche Welt sei uns ja kaum noch bekannt. Dennoch habe man gewisse Vorstellungen davon. Als einziger monierte er nun, dass diese Vorstellungen in der Erzählung erfüllt würden. D. h. Mangold ärgert sich darüber, dass von einer Welt, von der er keine Ahnung hat, das beschrieben wird, was er schon anderswo gelesen hat. So weit, so gut. Aber was hat das mit dem Vortrag zu tun? – Später, bei Orths, wird der Exotismus als Vorteil gebucht – weil er neu ist (im Gegensatz zum Bauernroman). So betreibt die Jury letztlich – Wunschkonzert.
Martin von Arndt: Beziehungsgeschichte mit einem genazinohaften Protagonisten. Schöne Bilder, manchmal fast elegisch. Und ironisch. Wunderbar vorgelesen. – Leider in der Diskussion durchgefallen. Die Jury mühte sich nicht einmal ansatzweise um die Sprache, erkannte die Ironie nicht, sondern arbeitete sich an dem Protagonisten ab; teilweise verwechseln sie Autor mit Hauptfigur. Heiz empfahl Oliver Sacks. Oh ja. Der zeigt damit, wieviel er verstanden hat.
Angelika Reitzer: Beziehungsgeschichte – kühl und steril erzählt. Allegorisch; aber irgendwie auch blutleer. (Brillantes Plädoyer von Heiz!)
Clemens J. Setz: Kleines – am Ende sich bedrohlich zuspitzendes – Soziogramm eines Mietshauses mit einer kauzigen Figur verknüpft. Die Hausgemeinschaft entdeckt eine alte Waage als Gegenstand des Vergnügens; Anthropomorphisierung. Interessante Metaphern – teilweise zündend.
Alina Bronsky: Affektiertes Jungmädchengeschwafel aus einer Spätaussiedlerfamilie; voll mit Plattitüden; die Ich-Erzählerin ist 17 Jahre und anscheinend hochbegabt. Leider merkt man das in der Prosa nicht an. Im Sendung-mit-der-Maus-Stil nicht nur geschrieben sondern auch noch vorgelesen. Was hat Mangold nur geritten, einen solch läppischen »Text« vorzuschlagen? (Wie zu erwarten war, finden Leute wie Strigl oder Nüchtern sowas »erfrischend« – was einiges über deren Welt aussagt.)
Thorsten Palzhoff: Rumänien 1990 – Mischung aus Novelle und Reportage. Sehnsucht nach Richard Swartz bekommen, der sowas kann – Palzhoff kann’s nicht. Märchenonkelhafte Folklore; später unergiebige Filmbeschreibung. Ohne Empathie – ohne das, was man doppelten Boden nennt.
Bachmannpreis 2008 – Rück- und Ausblick
Vieles spricht dafür, dass die IT-Kommunarden der »Zentralen Intelligenz Agentur« nicht planen, den Ingeborg-Bachmann-Preis 2008 zu »unterwandern«. Dies gelang nach einigen Anläufen im Jahr 2006 perfekt, als Kathrin Passig, weder vorher noch nachher als erzählende Schriftstellerin in Aktion getreten, die gesamte Konkurrenz mit ihrer Geschichte düpierte und nicht nur den angepeilten Publikumspreis (mit gehöriger Unterstützung ihrer Freunde) gewann, sondern auch von der Jury den Hauptpreis zugesprochen bekam.
Wieder einmal war der Bachmann-Preis in der Krise. Der Skandal, der so oft in Klagenfurt zuschlug (und Künstler initiierte – zum Beispiel Rainald Goetz – oder ruinierte – wie Urs Allemann), ging diesmal nicht von den Beiträgen oder der Performance aus, sondern von der offensichtlichen Manipulierbarkeit dieser Veranstaltung, die damit vorgeführt bekam, dass da nicht die grosse, weite Welt war, sondern eben nur ein ganz gewöhnlicher Wettbewerb, in dem 1000 Stimmen 10000 Euro einbringen können. (Das machte sich Peter Licht dann 2007 noch einmal zu Nutze, als er mit seiner läppischen Darbietung reüssierte.)
Klagenfurt war tatsächlich auf ein schwaches Niveau abgefallen, was sich jedoch in den Jahren zuvor schon ankündigte. Das hatte zum einen den Grund darin, dass selbst nur halbwegs bekannte Autoren die Gefahr, leer auszugehen als zu stark empfanden. Zum anderen bemerkte man oft genug die latente Überforderung der Juroren, die entweder aus einem hässlichen Entlein noch einen edlen Schwan konstruieren wollten oder einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht sahen. Nach »ich« dürfte das meistgebrauchte Wort in den Diskussionen um die Lesungen »Text« sein. Für diejenigen, die sich dort als Jury versuchen, ist eben alles »Text«; für die Medien sowieso. Das ist aber ein Teil des Problems von Rezeption von Literatur. »Text« ist ja auch die Gebrauchsanleitung einer Waschmaschine.
Die Frequenz der teilweise frappierenden Fehlbeurteilungen durch die Juroren ist beachtlich. Mir unvergesslich, als Thomas Hettche als Juror einmal seine Kollegen fast verzweifelt bat, den Zauber des gerade Gehörten doch nicht zu zerreden. Sehr gute Texte beispielsweise von Alban Nikolai Herbst, Katharina Hacker, Josef Winkler (1996; 1979 Jurypreis), Peter Stamm, Arno Geiger, Wolfgang Herrndorf oder Sasa Stanisic erhielten von der Jury nicht nur keinen Preis, sondern wurden mit teils inquisitorischer Ekstase frustrierter Germanisten auseinandergenommen (Herrndorf [IM der ZIA?] und Stanisic bekamen immerhin den Zuschauerpreis). Und die klägliche Demontage von Iris Radisch dem Beitrag von Björn Kern im vergangenen Jahr gegenüber dürfte noch präsent sein.
Schreibschulgestählt und fad
Dennoch: Der Gehalt der präsentierten, häufig schreibschulgestählten Prosa oszillierte in den letzten Jahren oft genug zwischen plüschigem Wohlstandskinderkitsch, oberflächlich-belanglosem Behauptungsprosageplätscher und der idiosynkratischen Hypochondrie einer Generation, die scheinbar versuchte eine Art »neue Innerlichkeit« zu simulieren, wo doch nur Leere und Empathielosigkeit vorherrschte. Statt diese jedoch zu erzählen, glaubten sie, die blosse Schilderung reiche aus, um Literatur zu erzeugen. Die Juroren, die ja diese Auswahl getroffen hatten, retteten sich einige Zeit darin, dies mit dem Gerede von »Authentizität« und Realismus zu beweihräuchern. Natürlich ist es für jemanden, der tagaus, tagein mit der Lektüre von Büchern verbringt, manchmal sicherlich ganz interessant, beispielsweise eine (schablonenhaft erzählte) Bürowelt vorgesetzt zu bekommen. Die Frage, warum Literatur aber Wirklichkeit abbilden soll, warum Authentizität bereits als Leistung gilt und worin sich dann diese Art von Geschreibe von einer Reportage unterscheidet – all dies blieb unbeantwortet. Jurorenentscheidungen sind – ähnlich wie Schiedsrichterentscheidungen im Fussball – unbefragbar. (In den Feuilletons bemerkte der aufmerksame Leser häufig genug Monate später, dass das Buch des Autors, dessen »Text« so hoch gelobt wurde oft nur noch sehr reservierte Urteile bekam – und umgekehrt: Autoren, deren Beiträge arg zerrupft wurden, erschienen plötzlich im milderen Licht – merkwürdige Kehre; späte Einsicht?)
Kritiker vs. Autoren
Nach und nach verabschiedeten sich auch die sogenannten Grosskritiker aus der Jury. Von Matt und Karasek schon früh, dann Demetz, Isenschmid, Ruoss, Scheck (war nur sehr kurz dabei), Corino (immer mal wieder) und jetzt Radisch – um nur eine Auswahl aus den jüngeren Jahren zu nennen (freilich gab es vorher mit den Granden Reich-Ranicki & Co. den Versuch, die Gruppe 47 in Klagenfurt zu revitalisieren, was nur momentweise gelang). Andere, wie Hubert Winkels, widerstehen der Versuchung. Mit März, Mangold und Nüchtern sind nur drei (von heuer sieben Juroren) aktive »Feuilletonisten« in der aktuellen Jury. Drei Juroren sind das, was man gemeinhin als »Autoren« bezeichnet. Daniela Strigl als siebte ist die einzig noch verbliebene Wissenschaftlerin. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Autoren als Juroren oft eine genauere Replik formulieren können, ohne sich in ad-hominem-Diskussionen zu verlieren. Vielleicht profitiert der Diskurs davon (ohne dass jetzt ein Werfen mit Wattebäuschen einsetzen muss). Burkhard Spinnen als Juryvorsitzender geniesst bei vielen schon einen Kultstatus. Und die zuweilen rätselhaften Gedankensplitter von André Vladimir Heiz aus dem vergangenen Jahr waren zweifellos eine Bereicherung.
Vor einigen Jahren hatte man beschlossen, dass den Juroren alle »Texte« einige Tage vor dem Wettbewerb zugehen. Damit beraubte man der Diskussion die Spontaneität – beispielsweise sich auch einmal emotional zu einem Urteil hinreissen zu lassen, was ein bisschen jenseits adaptierter Bewertungsschablonen lag. Einige Juroren nutzten das für Google-Recherchen, die sich kleinlich an falschen Bezügen zur Realität abarbeiteten (der 18. Juli war kein Dienstag!). Manche waren selbst hierzu zu faul, wie beispielsweise anlässlich der Erzählung von Gregor Hens, die von der Gleichzeitigkeit eines Erdbebens in Costa Rica und dem Staatsbesuch John F. Kennedys dort handelte. In dem diese Koinzidenz als schlichtweg als unrealistisch abgetan wurde, obwohl sie tatsächlich der Wahrheit entsprach, brauchte man sich nicht mehr weiter mit der Erzählung auseinandersetzen. Der einzige Vorteil dieses Modus, dass die Jury von Anfang an die jeweiligen Beiträge im Kontext des Wettbewerbs bewerten kann und abwegige Parallelen vermeidet, wurde kaum bemerkt.
Wobei eines natürlich klar sein müsste: Die Illusion, »der Beste« gewinne bei einem solchen Wettbewerb, ist natürlich naiv. Die Klagenfurt-Verächter speisen ihre Gegnerschaft aus dem generell unter Intellektuellen vorherrschenden Skepsis, ihre Leistung einer bewertenden Kritik zu unterziehen – ein Wettbewerb erinnert sie zu sehr an Sport. Ihre Verachtung zeigen sie allerdings nicht im Ignorieren der Veranstaltung, sondern in ihrer Verspottung.
Andere subsumieren Klagenfurt gerne pejorativ als »Wettlesen«. Das sind meist diejenigen, die »Leser« mit »Bücherwurm« übersetzen und statt »Lesen« »Verschlingen« sagen. Ihre intellektuelle Beschränktheit gipfelt im Goutieren der Lesetips von Elke Heidenreich, deren Sendung »Lesen!« sie in ihrer kruden Einfältigkeit mit einer Literatursendung verwechseln.
Kleiner Rückblick – und nun?
Bei allem Unbill der letzten Jahre: Ich verdanke Klagenfurt eine Menge Entdeckungen. Der wortgewaltige Andreas Maier, der stille Jan Lurvink (noch nicht einmal auf die »short-list« gekommen), die schöne und kluge Aglaja Veteranyi, deren unterschwellige Schwermut in ihrem Romanauszug die Juroren nicht erkannt hatten, Gregor Hens und John von Düffel sowieso. Aber auch die von mir goutierten Preisträger Michael Lentz (für sein famoses Lesen von »Muttersterben«) und Jan Peter Bremer (das düster-melancholische Bild eines Diktators in »Der Fürst spricht«).
Und wie sieht es 2008 aus? Der geneigte Leser hat im Moment nur die Möglichkeit, sich die Videofilme der Autoren anzusehen. Eigentlich auch ein überflüssiges Ritual: Autoren in zweieinhalb Minuten Stellungnahmen zur Welt, zur Literatur, zum eigenen Schreiben, usw. abzufordern. Zwei sind mir bekannt – Martin von Arndt (dessen fulminanter Roman »ego shooter« immer noch präsent ist) und Ulf Erdmann Ziegler, von dem ich irgendwann irgendwo einmal etwas gelesen habe. Es spricht unbedingt gegen mich, von den anderen nichts gehört zu haben. Zumal ja – seit Passigs Sieg – unbeschriebene Blätter nicht mehr erwünscht sind.
Es mag sein, dass die Filme etwas über die Teilnehmer aussagen. Mir ist das ehrlich gesagt suspekt. Es lenkt mich vom Eigentlichen zu sehr ab. Die ehemalige Jurorin Ilma Rakusa meinte einmal, sie habe gerne Informationen über den Autor. Ich finde, diese Informationen häufig störend. Später ja – jetzt eher nein.
Dennoch habe ich nicht widerstanden: Alina Bronsky karikiert den »Betrieb«; Heike Geißler befindet, dass die Einzige, die sie beim Schreiben stört, sie selber ist; Pedro Lenz ist ein lautmalerischer Schriftsteller und Dichter; Dagrun Hintze hat den Jury-Jargon bereits sehr verinnerlicht und vermutlich 2011 Juryorsitzende; Angelika Reitze kopiert irgendwie Jelinek und Streeruwitz; Tillmann Ramstedt schreibt zwischen 5 und 9 Uhr. Neugierig macht mich dann Markus Orths, der keinen Film hat machen lassen (wie weiland Andreas Maier [aber es gab später noch den ein oder anderen »Verweigerer«]). Und Thorsten Palzhoff, dessen Film in der Befragung anderer und deren Widersprüche diese Art Filme schön karikiert. Am Ende hat Martin von Arndt für mich den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn er von dem Glück in der Kunst und der Demut und – gleichzeitig – seiner Wut spricht.
Demut und Wut – das charakterisiert schön auch meine Regungen der letzten Jahre bei der Betrachtung der Lesungen und Diskussionen. Und deshalb schaut man wieder. (Und bitte, Herr Moor, ich schätze sie ja als sprachgewandten Moderator, aber nicht hier – danke.)
Intelligenzmaßnahmen
Ja, die gute Kathrin und ihre ZIA. Ich finde es bis heute herrlich, daß der Aufschrei gegen diese »Maßnahme« v.a. von denen kam, die selbst herrlich und selbstherrlich mauscheln und nun eine Seilschaftskonkurrenz spürten. Damals ist nichts anderes geschehen, als was immer und überall in diesem Kultursumpf geschieht: die sogenannten Großverlage drücken mit Finanzkraft – schließlich gehören sie auch zu den Hauptsponsoren in Klagenfurt, davon möchte man ja auch etwas haben (deshalb kennen sie im Vorfeld, entgegen der Wettbewerbsregeln, bereits die Texte aller Autoren, nicht nur ihrer eigenen Verlage) – und Medienmacht »ihre« Leute durch. Und natürlich mögen sie es nicht, wenn man ihnen dabei in die Karten schaut oder in die Suppe spuckt. Wirklich übelgenommen haben sie der Passig wohl auch nur, daß sie für ihre schon Auserwählten dann noch einmal ein Jahr zuwarten mußten. Das ist ärgerlich, weil schlecht für den Verkauf. Der Leser ist ein Kurzzeitgedächtnis auf zwei Beinen.
Hinzu kam ja, dass der Passig-»Text« 2006 auch wirklich das beste war. Aber in der Praxis ist es ja meist so, dass es die Lehrer nicht mögen, wenn die »Schüler« es ihnen gleich tun. Sie wirkte allerdings ziemlich amüsiert, da Teile der Jury sie sofort vereinnahmen wollten und als grosse Dichterin feierten.
Nur kurz zu den Autoren...
wie jedes Jahr ausführlichere, dazu mit Textproben versehene Vorstellung in VOLLTEXT.
Allerdings weiß auch ich am liebsten erst mal eher weniger über die Autoren – wenn sie mich dann überzeugen, gerne mehr. (Neugieirg gemacht mit seinem Text [einem Romanauszug, glaube ich] hat mich erst mal Markus Orths.)
***
Eigentlich wollte ich auch mal was Ausführlicheres über Klagenfurt schreiben, fand es dann aber müßig im Gedanken an den eh alljährlich einsetzenden, unvermeidlichen Chor von Stimmen. Für mein Gefühl hat es seinen Ausnahmecharakter verloren – und wird also jetzt auch tatsächlich (mit den Kürzungen) konsumierbarer.
Ich meine, man sollte eher den potenziellen Irrtümern mehr Raum geben, dem Außenseiter-Wahnsinn, dem »Inkommensurablen« der Schrift. Obwohl es immer wieder schöne Entdeckungen gibt (Xaver Bayer!!!), steht für mich der Grundton der allermeisten neueren Veröffentlichungen auf »mau«.
Ich muss gestehen, dass mir die letzten Jahre der Wettbewerb zu lang war. Jeder Juror musste fast auch etwas zum »Text« sagen, kaum einer verzichtete; es war arg redundant. Und das was gesagt wurde, war oft genug entweder banal oder schlichtweg am Thema vorbei (Radisch; Ebel).
Ich kann inhaltlich zu diesem in die Jahre gekommenen Spektakel leider garnichts sagen, nur soviel aber,
dass ich Ihren Titel »Demut & Wut sehr inspirierend finde!
Danke
Ich find’s immer wieder interessant.
Zu Ihren kritischen Anmerkungen kann ich mich nicht äußern, da ich nur heute Nachmittag die letzten drei Lesungen gesehen bzw. angehört habe. Dass Frau Blackconti und ich dabei ausgerechnet den Siegerbeitrag von Tillmann Rammstedt erwischten, war reiner Zufall. Jedenfalls haben wir mit offenem Mund und zunehmend amüsiert-interessiert dem Stakkatovortrag von der ambivalenten Enkel-Großvater-Beziehung gelauscht und fanden das richtig gut. Blöd fanden wir dagegen die so aufgesetzt konstruierte Kritik Burkhard Spinnens, die Geschichte bestände aus genial kombinierten Versatzstücken, die er, Spinnen, allesamt schon mal irgendwo gelesen oder sonstwie mitbekommen habe. Ja und? Leben geht so und alles ist irgendwie schon mal beschrieben worden, nur von einem besser, oder aus ungewöhnlicher Perspektive, und vom anderen halt banal , kurz: schlechter. Das macht ja wohl den Unterschied aus bei Literatur. Auf Den „Kaiser von China“ jedenfalls sind wir jetzt neugierig geworden.
Vorsatz zu meinen zukünftigen Nachtragungen
Verschlankungen? Tja, jetzt habe ich noch keinen Text gehört – aber fühle mich schon genervt. Vom Moor (und seiner anscheinend nicht zu entkommenden Schuldigkeit und überhaupt der unvermeidlichen Eitelkeit dieser überflüssigen Nebenfiguren...) und den Ritualien, die alle AUCH noch bedient werden müssen, weil es eben der Apparat und das Format so verlangt – am besten alles einmal Hinausfegen und von vorn begonnen.
Aber das würden andere dann wohl wieder gleich nutzen, die Generalsfrage zu stellen und wäre also für diese kleine Nische ungeregelten Texts womöglich der Todesstoß.
IST es aber noch eine Nische? Womöglich fürchte ich nur selbst die immer weitere Entzauberung von etwas, das mir mal wichtig war, auf das ich mich mal gefreut habe.
Wenn man schon entschlackt, könnte man doch versuchsweise mal all diese Nebenfiguren weglassen (wie etwa in Kulturzeit endlich auch mal die alles nur verstellenden »Moderatoren« mit ihren ewigen Erwartbarkeiten): All die Erklär- und Kommentiertöne der überflüssigsten Kolportagen sind letztlich nur bewusstseins-mediale Umweltverschmutzung, und man muss sich doch mal fragen, ob es soviele Neulinge die solcher medialen Vermittlung bedürfen, noch geben kann!
Bitte nur noch den eigentlichen Beitrag!
Bitte nur noch den Text!
Früher, wenn mich der Text langweilte, habe ich mir öfter die Kritikerrunde angehört um zu sehen, ob meine Bedenken oder meine Begeisterung mit-formuiert wurden, oder ob jemanden einen neuen Gedanken dazu beitragen konnte. Aber ich stimme vorab zu (schon die ganze Vorberichterstattung, brav wie zu jedem Event hat etwas Nervendes): Nicht mal Burkard Spinnen ist noch, was er mal war!
Ich glaube, diesmal werde ich eher nur die Texte hören. Und die vielleicht nicht mal zu Ende. Ich muss nicht mehr alles wissen, was irgend jemandem berichtenserwert erscheint (nicht mal die Peinlichkeiten der Vorfilmchen – ich habe germekt, sie nehmen mich oft ungut gegen den Autoren und seinen noch unbekannten Text ein, so blöde sind sie).
Angesichts übervoller Supermarktregale muss ich auch meine Auswahl treffen und lernen das Zuviel effizienter zu vermeiden. Ich sollte es endlich gelernt haben.
»immer weitere Entzauberung«
Ja, das trifft es. Ich frage mich: Ist es nun eine Entzauberung bei mir? Ist das allzu routiniert geworden? Fehlt der, also mein naiver, kindlicher Blick?
Was ich nicht gedacht hätte ist die Hermetik, die da offensichtlich entstanden ist. Sieben statt neun und weniger Zeit vor Ort: Da muss vorher schon kontaktet werden. Teilweise kamen mir die Jurydiskussionen wie schlecht inszenierte Schauprozesse vor. Teilweise wie übereifrige Ordnungsamtskontrolleure, die, wenn sie nichts finden, noch wütener werden. Und dieser Moor! Und dieses Getue, man müsse sich hier auf die »Texte« einlassen – als würden sie nicht alle schon die Beiträge wochen‑, monatelang vorher kennen.
Ich habe noch Sendungen gesehen, als die Beiträge allen neu waren (freilich, auch da hat es sicher Manipulationen gegeben). Aber die Diskussionen waren frischer, belebender. Auch da Fehlen den »Grosskritiker« war nicht so vorteilhaft, wie ich mir das dachte.
Ein Wettbewerb, der in die Jahre gekommen ist – schreibt ein Kommentator hier. Ich glaube, er hat recht. Aber vielleicht bin auch ich in die Jahre gekommen?
Es wurde alles gesagt,
etwas Neues kann ich eigentlich gar nicht hinzufügen. Es war ein einziges Ärgernis von A bis Z, mit Ausnahme der gerechtfertigten Wahl des Siegertextes. Und nochmals sei gesagt: besonders die »Kritik« (wenn man das überhaupt noch so nennen darf) gegenüber Martin von Arndt und Pedro Lenz waren schlichtweg unter jedem Hund und absolut respektlos – zudem nicht gerechtfertigt, selbst wenn sie sachlich und mit Anstand vorgebracht worden wäre.
Zwei Dinge noch, die mich ausserdem auf die Palme brachten: erstens Burkhard Spinnens mehrmaliges Beteuern, dass Klagenfurt nichts mit Markttauglichkeit der Literatur zu tun hätte, wo es praktisch ausschliesslich darum geht; zweitens das ewige Gedöns der Jury, dass Literatur »realistisch« zu sein habe – wer will »Realismus« lesen?!? Ich jedenfalls nicht. Da könnte ich geradesogut Sims am Computer spielen anstatt ein Buch zu lesen.
Das Highlight (neben den wenigen wirklich grossen Texten) waren Ilija Trojanows luzide Kommentare.
Und an Gregor Keuschnig ein grosses Lob und Dankeschön für diese ebenso luzide Berichterstattung. Das ist jedenfalls ein Zückerchen, alle Jahre wieder die eigene Lebenserwartung durch erhöhten Blutdruck zu verkürzen. (Aber wir werden alle länger leben als dieser Wettbewerb!)
Noch ein kurzer Nachklapp
Ich stelle mir manchmal den jungen Franz Kafka da vor. Oder – warum nicht? – Kleist. Würde man bei Kafkas Verwandlung auch das Rechercheergebnis präsentieren, dass noch nie eine Mensch als Insekt aufgewacht ist? Würde man beim Erdbeben von Chili nachgegoogelt haben, dass es zum Zeitpunkt der Geschichte dort vielleicht gar kein Erdbeben gegeben hat? Und Frau Strigl (jemand, der Literatur in zwei Tagen rund dreihundertmal als »Text« bezeichnet, weil ihr vor lauter Phantasielosigkeit nicht anderes mehr einfällt) findet noch einen falschen Konjunktiv? Oder – man stelle sich das mal vor – bei Goethe monieren, dass sich doch niemand in einen Hund verwandeln kann – Herr Spinnen hat hierfür doch extra beim Berliner Zoo recherchiert.
Martin Walser zitiert in seiner interessanten Rede zum 60jährigen Bestehen der Bayerischen Akademie der Schönen Künste eine Besprechung von Alfred Kerr aus dem Jahr 1913 über einen sehr bekannten Roman eines sehr berühmten Dichters. Kerr schrieb (nach Walsers Zitat): »...ich finde hier einen verhüllten Kitschling...Wenig Blut und viel Haltung. Schwaches Deutsch...alles im Grunde musiklos...schleichend geschoben...alles zusammengedrockst...Bemerkenswert, daß er so oft Angaben über einen Dichter macht, ohne just ein solcher zu sein.«
Die Lösung steht hier: Thomas Mann: Tod in Venedig
Hatte mir gestern Abend die erste Lesung angesehen, diese ins Medial-»urbahn legend«-überhöhte Polit- & Reportage-Ding – gefiel mir von der Idee eigentlich gut, dazu dieser starke Bachmann-Bezug (zu Celan), und genug exotisch-historisches Material lag auch da drin...
Aber die Ausführung fand ich dann auch betulich bis zur Putzigkeit, viel Redundanz, sprachlich uninspiriert etc.
Mein Gedanke will aber auch an Ihren anschließen: Könnte man sich das Extravagante entlegenen Geistes heute denn noch leisten – ja, könnte man es an-erkennen? (Der Einzelne sicher, aber könnte es sich innerhalb des derart Vor-Geregelten Settings durchsetzen? Gäbe es genug unverstellten Geist, es sich ereignen zu lassen?)
Vor Monaten hatte »edit« (Lit-Mag aus Leipzig) mal das Experiment gestartet, Kafkas »Broskwa-Skizze« verschiedenen Lektoren vorzulegen – von Kafka blieb da nicht mehr viel. Kann sein, man muss »das Falsche« erst mal ausmerzen, bevor man es dann wieder zulassen kann. Aber die Stromlinienförmigkeit als Form bringt es nun auch nicht. Der Mainstream – müsste ihn nicht mit Mahlstrom übersetzen?
All die guten Zureder und Auskenner, die angeblich mit dem Richtigen vertrauten usw., die lektoren und Veröffentlicher, dazu dieser Medienabrieb... der »Betrieb« frisst sich irgendwie selbst. Oder?
Schade.
(Übrigens wohltuend noch mal als entscheidender Vorteil bei Aufzeichnungen ist eben, dass man Onkel Moor et. al. und das ganze Drumherum fast überspringen kann... )
Das erinnert mich
an einen zwar trivialen, aber irgendwie treffenden Film: Zurück an den Absender. Wie im Link erläutert, handelt es sich um einen Pförtner in einem Verlag (Rudolf Platte), der die abgelehnten Romanmanuskripte wieder zurückschicken muss. Durch Zufall fällt ihm ein Skript in die Hände, er liest es und findet es toll. Irgendwie gelingt es ihm, seinen Chef zu überzeugen. Das Buch wird ein Sensationserfolg. Der Verleger meint nun, den Pförtner sozusagen als Lektor anstellen zu müssen, was natürlich Argwohn bei den bisherigen Lektoren hervorruft. Die legen ihm ein »Kuckucksei« ins Nest – Hemingway – und ergötzen sich an des Pförtners Ablehnung.
Dieser Film ist von 1981 (ich erinnere mich merkwürdigerweise heute irgendwie alter Filme) und ich glaube, dass er auch heute noch viel aussagt (übrigens auch über die Kraft und Kraftlosigkeit von so etwas wie Blogs). Einerseits ist dem Dilettanten (ich bn ja selber auch einer) eine gewisse Naivität eigen, die den »Eingeweihten« irgendwann abhanden gekommen ist. Andererseits suggeriert der Film, dass dieser »Zauber« des »Idioten« nicht von Dauer ist – beim nächsten »Fall« versagt er.
Ich glaube zwar nicht, dass dieser Zauber sich so schnell verflüchtigt (das musste wohl aus dramaturgischen Gründen sein), aber das eine Integration in so etwas wie »Betrieb« Blicke trüben und Urteile verändern kann – dessen bin ich mir ziemlich sicher. Und das dies nicht unbedingt von Vorteil ist, auch. Ich halte allerdings dagegen, dass es sich nicht um einen Automatismus handeln muss (Parallelen gibt es in der Politik – wenn eine Oppositionspartei irgendwann in die Regierung kommt und in den Institutionalisierungen unter Umständen versinkt). Und vielleicht deshalb so viele Käuze im »Betrieb«, die aber – ob sie wollen oder nicht – irgendwann immer vereinnahmt werden.
Ich will nicht verhehlen, dass mich dieser Film – trotz seiner ästhetisch eher bescheidenen Ausführung – immer wieder beschäftigt hat. Denn es ist ja theoretisch nicht sicher, dass jemand, der Hemingway abgelehnt hat, für immer und ewig ein Versager ist. Und irren müsste jeder dürfen. Und irgendwie glaube ich, dass der Pförtner zu schlecht weggekommen ist. Einem Gericht gehören doch auch Laienrichter an, oder?
Schauen Sie eigentlich auch die Diskussionen? Machen Sie sich auf etwas gefasst. Ijoma Mangold mutiert im Laufe des Bewerbs zum Dieter Bohlen von Klagenfurt.
Laienrichter
Letzlich leben alle „Urteile“ ja auch durch ihre Umstrittenheit bzw. den Weg, sie zu gewinnen. Ich finde Ihren Einfall in dem Zusammenhang sehr schlüssig.
(Übrigens, apropos „alte Filme“: mir kommen überraschend genug oft auch welche... Und bei Hemingway, nie ein Favorit von mir, muss ich immer an Arno Schmidt denken, der ihn damals auf seine kauzige Art ablehnte: „...stinkt mich an“. Und wer wäre heute mehr präsent? Der weltläufige, aber schon historische H. oder der kleinteilig-solpsistische, zumindest aber doch oft originelle Kleinbürger S.? )
Soll sagen, dass alle Urteile ja auch ihre Bedingtheit in sich tragen, dass einem das aber als sogar eventuell bewusstes Wissen darum nicht weiterhilft. Außerdem gehört eine gewisse Portion Blindheit dazu, um so mehr zum ästhtetischen Urteil, da man unmöglich alles Relevante jederzeit mit-berechnen kann. (Heimlich bewundere ich immer die Unumstößlichkeit von Leuten wie Boris Groys oder Bazon Brock, aber zweifeln will ich doch!)
Ich hatte, glaube ich, auch vergessen darauf hinzuweisen, dass die Lektoren den Verfassernamen zu „Broskwa“ natürlich nicht kannten. Aber das verschärft die Frage: Kann man dem Text-Gott Kafka, dem Souverän von zugleich weitgehendster Textverschlankung und Extremausdeutbarkeit kleinmäklerisch in die Grammatik fahren, die Satz-Musik (die ich immerhin bei ihm höre)? Oder wie könnte man erkennen, dass hier erst einmal ein anderer Geist am Werke ist, dem man per se Großmütigkeit schuldig wäre? Und dass man daran die eigene Weitsicht wachsen sähe?
Das verweist noch mal auf den „Kauz“, für dessen Moment an Andersartigkeit ich erst mal einen Vorschuss an Toleranz zahle... während das gleich auf gut temperierter Tonlage Gelungene mich unfroh stimmt.
Ich würde also sagen – so lautet aber auch eh die gut mittelmäßige (also meine) Erkenntnis schon lang -, jeder Berufsrichter wäre auch ein Laienrichter und weiß um seine blinden Flecken.
(Mangold war mir bisher gar nicht so unangenehm aufgefallen. Er hat halt eben auch sein Besteck und putzt viel an dessen rhetorischem Silber; dass er sich dann auch mal platt zu werden erlaubt – nun ja. Sogar der dröhnend-lustige Nüchtern ist manchmal wirklich originell. Nur das Prof. Spinnen neuerdings soooo uninspiriert wirkt... )
Textgötter
Muss denn Literatur einer richtigen Grammatik gehorchen? Müssen immer alle Bilder »sitzen«? Kann es nicht vielmehr sein, dass ein falscher Ausdruck, ein fehlerhaftes Bild, eine vielleicht oder nur scheinbar verunglückte Metapher gerade aus einem Text Literatur erst machen? Kann es nicht sein, dass Literarizität erst durch das Opake, Unwägbare, vielleicht Drastische erst erzeugt wird? (Mir ist das neulich bei Berkéwicz so gegangen – es erschien mir viel zu leicht, dieses Buch einfach niederzumachen. Und dann habe ich es gelesen als Literatur, nicht als Text.)
Das wäre doch die Aufgabe einer Jury: so etwas herauszuarbeiten, überhaupt erst einmal zu suchen. Stattdessen suchen sie wie fetthaarige Deutschlehrer in falschen Konjunktiven herum oder »recherchieren« tumben »Tatort«-Kommissaren gleich, die sich in ihren Ermittlungen mit einem Milieu konfrontiert sehen, welches sie nur mit stereotypischen Klischees bedenken können.