Al­bert Ca­mus: Der Fall

Albert Camus: Der Fall
Al­bert Ca­mus: Der Fall

Er nennt sich Jean-Bap­ti­ste Cla­mence, lebt in Am­ster­dam und hat sich in der Ma­tro­sen­knei­pe Me­xi­co-Ci­ty im Am­ster­da­mer Stadt­teil Ze­edi­jk, na­he zum Rot­licht­vier­tel, ein­ge­rich­tet. Hier spricht er Tou­ri­sten an, ver­wickelt sie in sei­ne Le­bens­ge­schich­te, er­zeugt Neu­gier. Auf die­se Wei­se trifft sich fünf Ta­ge lang ein Rechts­an­walt aus Pa­ris mit Cla­mance; bei­de, wie es ein­mal heißt, »Kin­der des Jahr­hun­derts«. Die Treff­punk­te va­ri­ie­ren: das Me­xi­co-Ci­ty, beim Spa­zie­ren­ge­hen, auf ei­nem Schiff, ei­ner In­sel und schließ­lich bei sich zu Hau­se. Das ist das Set­ting für Der Fall, Al­bert Ca­mus’ 1956 erst­mals er­schie­ne­ner Ro­man, der nun in ei­ner neu­en Über­set­zung von Gre­te Oster­wald vor­liegt.

Da­bei ist schon die Gen­re­bezeich­nung schwie­rig, denn die knapp ein­hun­dert Sei­ten stel­len eher ei­ne Er­zäh­lung dar. Aber auch stimmt nur teil­wei­se, denn man liest nur den Mo­no­log von Cla­mence, der dem An­walt sei­ne Le­bens- und Mo­ral­ge­schich­te vor­trägt. Ge­le­gent­li­che Ein­wür­fe des Ge­gen­über er­fährt man nur da­durch, dass Cla­mence sie wie­der­holt und dann dar­auf ein­geht. Im Nach­wort ver­weist Iris Ra­disch auf ei­ne Ta­ge­buch­stel­le von Ca­mus, der die­ses li­te­ra­ri­sche Ver­fah­ren als »ei­ne Tech­nik des Thea­ters (den dra­ma­ti­schen Mo­no­log und den im­pli­zi­ten Dia­log), um ei­nen tra­gi­schen Ko­mö­di­an­ten zu be­schrei­ben« spe­zi­fi­ziert. Aber wor­in be­steht die­se Tra­gik?

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Mi­chel Hou­el­le­becq: Ei­ni­ge Mo­na­te in mei­nem Le­ben

Michel Houellebecq: Einige Monate in meinem Leben
Mi­chel Hou­el­le­becq: Ei­ni­ge Mo­na­te in mei­nem Le­ben

Die Däm­me sind ge­bro­chen, die Über­zeu­gungs­ar­beit von Ge­ne­ra­tio­nen von Li­te­ra­ten, Kri­ti­kern, Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lern und Le­sern ist Ma­ku­la­tur. Die Ver­si­che­rung, ja: Er­kennt­nis, dass das na­men­lo­se Er­zähl-Ich ei­nes Ro­mans oder ei­ner Er­zäh­lung nicht iden­tisch ist mit dem Au­tor, der Au­torin wird zu­se­hends pul­ve­ri­siert. En­de der 1970er Jah­re vom fran­zö­si­schen Schrift­stel­ler und Li­te­ra­tur­pro­fes­sor Ser­ge Dou­brov­sky ent­deckt und ge­prägt, be­gann es mit dem Gen­re der Au­to­fik­ti­on. Mit ihm wur­de das im au­to­bio­gra­phi­schen Schrei­ben vor­han­de­ne Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Au­tor und Er­zähl-Ich ver­scho­ben zu Gun­sten der Les­art, dass das »Ich« (na­he­zu) iden­tisch mit dem Au­tor ist. Der li­te­ra­ri­sche Akt lag in der Aus­ge­stal­tung des Er­eig­ne­ten. Bei­spiel­haft für au­to­fik­tio­na­les Schrei­bens ist die 2022 mit dem Li­te­ra­tur­no­bel­preis aus­ge­zeich­ne­te An­nie Er­naux. Ih­rem letz­ten Buch Ein jun­ger Mann stell­te sie ihr Schreib­ge­setz vor­an: »Wenn ich die Din­ge nicht auf­schrei­be, sind sie nicht zu ih­rem En­de ge­kom­men, son­dern wur­den nur er­lebt.«

An­fangs be­grüß­te das Feuil­le­ton die­sen bio­gra­phi­sti­schen An­satz, weil es ihm die lä­sti­ge Su­che nach der Li­te­r­a­ri­zi­tät von Pro­sa­tex­ten er­spar­te. Man brauch­te nur die Le­bens­da­ten des Ver­fas­sers mit dem Ge­schrie­be­nen zu ver­glei­chen. Nach dem (nie wirk­lich re­le­van­ten) »Tod des Au­tors« be­gann die Do­mi­nanz der Ver­schmel­zung zwi­schen Ver­fas­ser und Er­zäh­ler, die Herr­schaft der Au­then­ti­zi­tät und des Plots. Die ak­tu­el­le De­bat­te um Iden­ti­tä­ten ver­stärkt den Trend der Au­to­fik­ti­on, ob­wohl in­zwi­schen längst die mei­sten Kri­ti­ker da­von er­schöpft sind.

Mi­chel Hou­el­le­becq war bis­her kein Au­tor au­to­fik­tio­na­len Schrei­bens. Zwar gab es ver­ein­zelt Par­al­le­len zwi­schen ihm und sei­nen Fi­gu­ren (Li­te­ra­tur­vor­lie­ben oder ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Sicht­wei­sen), aber nie­mand wä­re ernst­haft auf die Idee ge­kom­men, bei­spiels­wei­se den Li­te­ra­tur­pro­fes­sor Fran­çois aus Un­ter­wer­fung als Al­ter ego Hou­el­le­becqs zu se­hen. Mit sei­nem neue­sten Buch mit dem harm­los an­mu­ten­den Ti­tel Ei­ni­ge Mo­na­te in mei­nem Le­ben (Über­set­zung von Ste­phan Klei­ner) sieht das al­les ganz an­ders aus. Hou­el­le­becq zer­stört mit die­sem Buch jeg­li­che Di­stanz zwi­schen sich und dem Er­zähl-Ich, zwi­schen den tat­säch­li­chen Er­eig­nis­sen und den Schil­de­run­gen im Buch. Er schreibt ei­ne ul­ti­ma­ti­ve Nicht­fik­ti­on. Dass das Buch kei­ne Gen­re­bezeich­nung trägt, ist nur kon­se­quent. Der Un­ter­ti­tel lau­tet Ok­to­ber 2022 – März 2023. Aber ein Ta­ge­buch oder Jour­nal ist es auch nicht. Ge­gen En­de spricht er sel­ber von ei­nem »Be­richt«; auf­ge­schrie­ben zwi­schen dem 31. März und dem 16. April 2023.

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Lud­wig Fels: Mit mir hast du kei­ne Chan­ce

Bei Jung & Jung ist un­ter dem schö­nen Ti­tel »Mit mir hast du kei­ne Chan­ce« ei­ne Aus­wahl von 98, teil­wei­se bis­her un­ver­öf­fent­lich­ten Ge­dich­ten von Lud­wig Fels aus den Jah­ren zwi­schen 1973 bis 2018 er­schie­nen. Os­kar Roeh­ler, der Sohn von Klaus Roeh­ler, dem ehe­ma­li­gen Luch­ter­hand-Lek­tor, der Fels’ er­ste Bü­cher pu­bli­zie­ren half, ver­fass­te ein Vor­wort. Die Jour­na­li­stin ...

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Ra­pha­e­la Edel­bau­er: Die In­kom­men­sur­a­blen

Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen
Ra­pha­e­la Edel­bau­er:
Die In­kom­men­sur­a­blen

Der 17jährige Pfer­de­knecht Hans Ranft­ler trifft am 30. Ju­li 1914 aus Ti­rol in Wien ein. Er will He­le­ne Che­resch (*1877), Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin mit »Fach­ge­biet Mas­sen­hy­ste­rien«, mit ei­ner Merk­wür­dig­keit kon­fron­tie­ren und kon­sul­tie­ren: An­de­re Men­schen (auch sol­che, die er nicht kennt), spre­chen zu­wei­len aus, was er, Hans, kurz zu­vor ge­dacht hat­te. Da­hin­ter steckt wohl die Idee von Ge­dan­ken­über­tra­gung. Zu­vor muss er sich je­doch durch die Men­schen­mas­sen am Bahn­hof durch­schla­gen. Da­bei wird er so­fort an­ge­spro­chen, ob er sich nicht frei­wil­lig mel­den möch­te und so ge­nau ver­steht Hans das nicht.

Auf der Stie­ge vor Che­reschs Pra­xis war­tend trifft er Kla­ra Ne­mec, ei­ne Stu­den­tin der Ma­the­ma­tik, die mor­gen ihr Ri­go­ro­sum über in­kom­men­sura­ble Zah­len ab­zu­lie­fern hat. Sie ist, wie sich spä­ter her­aus­stellt, die Lieb­ha­be­rin von He­le­ne Che­resch und so et­was wie ei­ne Mu­se für das, was sie Traum­clu­ster nen­nen. Zehn­tau­send Men­schen sol­len den glei­chen Traum ha­ben, von ei­nem my­ste­riö­sen Wei­ler, ei­ner Art Pa­ra­dies mit dem hei­li­gen Gral, ei­nem omi­nö­sen Lu­ster in ei­ner prunk­vol­len Vil­la; Che­resch un­ter­sucht und ana­ly­siert die Traum­be­rich­te. Hans er­fährt dies durch Adam Graf Je­sen­ky, ei­nem »Asphalt­jüng­ling« und, vor al­lem, Of­fi­ziers­sohn, der be­reits mor­gen im noch nicht ganz er­klär­ten Krieg ge­gen Ser­bi­en und Russ­land ein­zie­hen soll. Er ist ein Freund von Kla­ra und in psy­cho­ana­ly­ti­scher Be­hand­lung. Als Hans schließ­lich bei der Ana­ly­ti­ke­rin vor­spricht, ist sie in­ter­es­siert an sei­nem Fall und ter­mi­niert ihn für den näch­sten Tag, 16 Uhr, zur Sit­zung. Und so neh­men Kla­ra und Adam Hans im Schlepp­tau.

Das ist das Set­ting für Ra­pha­e­la Edel­bau­ers Die In­kom­men­sur­a­blen. Die drei er­le­ben in den näch­sten knapp 24 Stun­den ei­ne Stadt, ein Land, ja: die Welt in Auf­ruhr. Es ist der »letz­te Abend der Mensch­heit«. Zu­wei­len färbt das Pa­thos der sich über­schla­gen­den Ex­tra­blät­ter auf die all­wis­sen­de Er­zäh­le­rin ab. Hans sam­melt die­se Au­gen­blicke, ist nach­ein­an­der Gast bei ei­ner Schön­berg-Pro­be von Adams Mu­sik­ensem­ble (die in ei­ner wü­sten Schlä­ge­rei ob der Sinn­haf­tig­keit sol­cher Pro­ben en­det) und wird an­schlie­ßend zum Abend­essen in Adams El­tern­haus ein­ge­la­den. Dort dis­pu­tiert er mit Ho­no­ra­tio­ren, die an­geb­lich den Kai­ser be­ra­ten, so hef­tig, dass er nicht zum Es­sen kommt. Um ei­nem grö­ße­ren Streit aus dem Weg zu ge­hen, flie­hen die drei in ein eher her­un­ter­ge­kom­me­nes, bor­dell­ähn­li­ches Lo­kal, in dem Kla­ra und ih­re Freun­din be­stens be­kannt sind. Hier spielt die neue Mu­sik, der »Swing« – den es da­mals al­ler­dings noch nicht gab; spä­ter kor­ri­giert (sich) Adam und nennt es »Rag­time«. Die Gä­ste le­ben dort voll­kom­men frei, le­gen sich zum Bei­spiel ein­fach schla­fen, trin­ken oder su­chen Sex. Der ist Amü­se­ment; ei­ne Wa­re (wenn­gleich im­mer die Sy­phi­lis zu dro­hen scheint, die man an­schei­nend am Ge­sicht er­ken­nen kann).

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Knut Ham­sun: Be­noni (Ga­brie­le Haefs)

Sieb­zig Jah­re nach sei­nem Tod dür­fen nun Tex­te von Knut Ham­sun frei pu­bli­ziert wer­den. Dies ist der An­lass, dass es nun ver­mehrt neue Über­set­zun­gen von Ham­suns Ro­ma­nen gibt. Den An­fang mach­te Ul­rich Son­nen­bergs groß­ar­ti­ge Neu­über­tra­gung von Hun­ger. Jetzt liegt im Krö­­ner-Ver­­lag Ga­brie­le Haefs Über­set­zung von Be­noni vor. Schach­spie­ler ken­nen Be­noni als Be­zeich­nung für ei­ne Er­öff­nungs­va­ri­an­te. ...

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Ralf Roth­mann: Theo­rie des Re­gens

Ralf Rothmann: Theorie des Regens
Ralf Roth­mann:
Theo­rie des Re­gens

No­ti­zen, Apho­ris­men, kur­ze Er­eig­nis­split­ter oder ein­fach nur Er­schau­tes und Re­fle­xi­ves von All­täg­li­chem: in den letz­ten Jah­ren zieht mich die­se Form von Li­te­ra­tur im­mer mehr an. Der »gro­ße Ro­man«, die kunst­vol­le »Short-Sto­ry« – schon recht. Aber manch­mal spürt man zu sehr den Wil­len oder auch den Wi­der­wil­len des Au­tors, ei­ne Ge­schich­te vor­an­trei­ben zu müs­sen. Die­ser Zwang ent­fällt in die­ser Kür­zest­pro­sa (die frei­lich an­de­re Fall­stricke auf­weist).

Roth­manns No­ti­zen mit dem ly­ri­schen Ti­tel Theo­rie des Re­gens um­fas­sen den Zeit­raum von 1973 bis 2023, al­so sat­te fünf­zig Jah­re. Da­bei zei­gen die nur et­was mehr als 200 Sei­ten, dass hier ei­ne Aus­wahl vor­liegt. Die Ein­tra­gun­gen sind chro­no­lo­gisch, aber ab und zu stockt die Zeit­fol­ge und Roth­mann be­ginnt zu bi­lan­zie­ren, sich mit dem heu­ti­gen Wis­sen zu er­in­nern, et­wa wenn er »das kal­te, ta­schen­so­zio­lo­gi­sche Men­schen­sor­tie­ren in der Li­te­ra­tur die­ser frü­hen acht­zi­ger Jah­re« kri­ti­siert, üb­ri­gens, wie er be­kennt, »auch zwi­schen mei­nen Zei­len«. Manch­mal wer­den, so hat man das Ge­fühl, be­wusst Jah­res­zah­len ein­ge­fügt, da­mit der Le­ser ei­nen Über­blick er­hält.

Der Vor­teil des nicht son­der­lich mit dem Werk ver­trau­ten ist die Un­vor­ein­ge­nom­men­heit, mit der man die Lek­tü­re be­geht. 1973 ist Roth­mann 20 Jah­re alt, lebt im als eng emp­fun­de­nen West-Ber­lin und ist prak­tisch mit­tel­los. Es ist die Zeit der »Ge­burt des Er­zäh­lers aus der Lieb­lo­sig­keit«, »be­fan­gen in ei­ner ma­ni­schen Au­gen­blick­lich­keit«. Für 600 Mark stellt er sich als Stroh­mann für ei­nen Au­to­käu­fer im Iran zur Ver­fü­gung und macht sich mit an­de­ren Stroh­män­nern und ei­nem Käu­fer auf den Weg nach Te­he­ran. Es ist ei­ne von meh­re­ren Rei­sen, die at­mo­sphä­risch dicht skiz­ziert wer­den. So wie die­ser Ame­ri­ka-Trip zehn Jah­re spä­ter, mit Auf­ent­hal­ten in New York, Me­xi­ko-Ci­ty, Ti­jua­na, Aca­pul­co, schließ­lich Ecua­dor und Pe­ru (zu Zei­ten des »Leuch­ten­den Pfad« ge­fähr­lich). Um­wer­fend dar­in die Epi­so­de ei­ner Ge­birgs­tour mit dem fur­zen­den Fós­fo­ri­to, dem sei­ner­zeit klüg­sten Pferd in Ecua­dor; ei­ne Ge­schich­te mit ei­ner my­sti­schen Poin­te.

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An­drea Gio­ve­ne: Das Haus der Häu­ser

Andrea Giovene: Das Haus der Häuser
An­drea Gio­ve­ne: Das Haus der Häu­ser

Mit dem drit­ten Band Das Haus der Häu­ser setz­te An­drea Gio­ve­ne die fik­ti­ve Au­to­bio­gra­phie des Giu­lia­no di San­se­vero fort. Aber­mals hat der Ga­lia­ni-Ver­lag für sei­ne Neu­auf­la­ge ein stim­mi­ges Bild von Fe­li­ce Cas­o­ra­ti (1883–1963) zu die­sem Ro­man als Co­ver aus­ge­wählt – ein Still­le­ben vol­ler Sym­bol­kraft für die Epo­che, die in die­sem Buch her­vor­schim­mert. Es sind die Jah­re zwi­schen 1934 und 1940, wo­bei der Schwer­punkt auf die vier Jah­re bis 1938 liegt. San­se­vero hat sich nach dem un­ver­hoff­ten Er­be des Groß­va­ters Don Mi­che­le im ka­la­bri­schen Ort Li­cu­di, ei­nem klei­nen Dorf »au­ßer­halb von Zeit und Er­in­ne­rung«, »am äu­ßer­sten Rand der mensch­li­chen Ge­mein­schaft«, mit viel­leicht 200 oder 300 Ein­woh­nern, nie­der­ge­las­sen. Die Haupt­ein­nah­me­quel­le ist der Oli­ven­an­bau. Der größ­te Plan­ta­gen­be­sit­zer ist ein ge­wis­ser Don Calì; auch San­se­vero ge­hö­ren jetzt durch das Er­be ei­ni­ge Oli­ven­bäu­me.

Der näch­ste Ort ist die zehn Ki­lo­me­ter ent­fern­te Stadt San Gio­van­ni. Zwi­schen den bei­den Or­ten exi­stiert kei­ne Stra­ße. Das hält die Be­woh­ner nicht da­von ab, Ri­va­li­tät, ja Feind­schaft, für- bzw. ge­gen­ein­an­der zu emp­fin­den. Wäh­rend Li­cu­di ein fik­ti­ver Ort ist, könn­te es sich bei der Stadt um Cam­po­ra San Gio­van­ni han­deln. Da­für spricht nicht zu­letzt die Wahl des Still­le­ben-Co­vers – es zeigt ro­te Zwie­beln, ei­ne Spe­zia­li­tät der Stadt.

San­se­vero ist jetzt wohl­ha­bend; das einst spar­sa­me Le­ben ist nicht mehr not­wen­dig. Er lebt bei und mit ei­ner Fi­scher­fa­mi­lie und ge­nießt den »fei­er­li­chen Frie­den mit­ein­an­der«. Die Ab­ge­schie­den­heit des Dor­fes ver­setzt ihn in ei­ne an­de­re Stim­mung. Im All­tag herrscht in­ner­halb der Dorf­ge­mein­schaft ei­ne Art Na­tu­ral­wirt­schaft – wer ei­nen Esel, ein Werk­zeug oder ei­ne Dienst­lei­stung braucht, be­kommt sie oh­ne pe­ku­niä­re Ent­loh­nung. Im Ge­gen­zug wird er­war­tet, dass man sich sel­ber eben­so ver­hält. Bald wird auch der Er­zäh­ler ein­ge­bun­den, in dem er Be­hör­den­din­ge oder ein­fach nur Brie­fe für die Dorf­be­woh­ner liest, schreibt oder for­mu­liert (nicht we­ni­ge ha­ben Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge, die aus­ge­wan­dert sind).

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Ab­dul­razak Gur­nah: Die Ab­trün­ni­gen

Der Ein­gang in den Kos­mos des 2006 er­schie­ne­nen Ro­mans Die Ab­trün­ni­gen von Ab­dul­razak Gur­nah ge­lingt so­fort. Es ist das Jahr 1899. Ein voll­kom­men de­hy­drier­ter und ver­wahr­lo­ster »Mzun­gu« (was »Wei­ßer« bzw. »Eu­ro­pä­er« be­deu­tet) liegt »wie ei­ne Ge­stalt aus ei­nem My­thos« er­schöpft auf ei­ner Stra­ße in San­si­bar. Hass­a­na­li, »ein Krä­mer in ei­ner ver­fal­le­nen Stadt am Rand des ...

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