Ab­dul­razak Gur­nah: Das ver­stei­ner­te Herz

Vor zwei Jah­ren pu­bli­zier­te der Pen­gu­in Ver­lag mit Nach­le­ben den vor­läu­fig letz­ten Ro­man des bri­tisch-san­­si­­ba­ri­­schen Schrift­stel­lers Ab­dul­razak Gur­nah. Mit Das ver­stei­ner­te Herz folgt jetzt der vor­letz­te Ro­man von 2017. Bei­de wur­den von Eva Bon­né über­setzt. Das ver­stei­ner­te Herz spannt ei­nen Bo­gen des Ich-Er­­zäh­­ler Sa­lim, um 1973 her­um ge­bo­ren (das er­rech­net man sich aus dem Er­zähl­ten) ...

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Ab­dul­razak Gur­nah: Die Ab­trün­ni­gen

Der Ein­gang in den Kos­mos des 2006 er­schie­ne­nen Ro­mans Die Ab­trün­ni­gen von Ab­dul­razak Gur­nah ge­lingt so­fort. Es ist das Jahr 1899. Ein voll­kom­men de­hy­drier­ter und ver­wahr­lo­ster »Mzun­gu« (was »Wei­ßer« bzw. »Eu­ro­pä­er« be­deu­tet) liegt »wie ei­ne Ge­stalt aus ei­nem My­thos« er­schöpft auf ei­ner Stra­ße in San­si­bar. Hass­a­na­li, »ein Krä­mer in ei­ner ver­fal­le­nen Stadt am Rand des ...

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Ab­dul­razak Gur­nah: Nach­le­ben

Abdulrazak Gurnah: Nachleben
Ab­dul­razak Gur­nah:
Nach­le­ben

Nach­dem der Pen­gu­in Ver­lag in ra­scher Fol­ge 2021/22 mit »Das ver­lo­re­ne Pa­ra­dies« und »Fer­ne Ge­sta­de« zwei län­ger zu­rück­lie­gen­de Ro­ma­ne (1994 bzw. 2001) des No­bel­preis­trä­gers Ab­dul­razak Gur­nah in deut­scher Spra­che pu­bli­zier­te, liegt nun das 2020 in Groß­bri­tan­ni­en un­ter dem Ti­tel »Af­ter­li­ves« er­schie­ne­ne Buch mit dem Ti­tel »Nach­le­ben« vor. Die Über­set­zung über­nahm dies­mal Eva Bon­né. Nach In­ge Lei­pold und Tho­mas Brück­ner ist dies die drit­te Über­set­ze­rin, was na­tür­lich nicht ide­al ist. Auf ein Glos­sar wur­de dies­mal eben­so ver­zich­tet wie auf ein Nach­wort; er­ste­res ist be­dau­er­lich. Die üb­li­che wie un­sin­ni­ge Trig­ger­war­nung ist al­ler­dings ge­blie­ben.

Der Ro­man spannt ei­nen zeit­li­chen Bo­gen von den 1880ern bis in die 1950er Jah­re. Er spielt zu­meist im heu­ti­gen Tan­sa­nia, zu Be­ginn Deutsch-Ost­afri­ka; am En­de wird der Le­ser noch in die Ade­nau­er-Bun­des­re­pu­blik ge­führt. Die per­so­na­le Er­zähl­per­spek­ti­ve wech­selt im Ver­lauf des Ro­mans mehr­mals. Zu­nächst ist man beim elf­jäh­ri­gen Kha­li­fa, der gu­te Pri­vat­schu­len be­such­te um Buch­füh­rung, Ma­the­ma­tik und Eng­lisch zu er­ler­nen, was dem Va­ter, ei­nem in­di­schen Emi­gran­ten, einst nicht ver­gönnt war. Die Aus­bil­dung fruch­te­te. Kha­li­fa ar­bei­te­te zu­nächst zehn Jah­re bei Geld­ver­lei­hern, bis er dann ein An­ge­bot von ei­nem Kauf­mann er­hielt und dort als Buch­hal­ter und Fak­to­tum be­gann. Sein Chef war es auch, der ihn mit Asha ver­kup­pel­te, ei­ner Schwe­ster der Mut­ter des Kauf­manns. Asha wird als »en­er­gi­sche und ei­gen­sin­ni­ge« Frau be­schrie­ben, die 11 Jah­re jün­ger war. Sie hei­ra­te­ten 1907, als der »Maji-Maji«-Aufstand »in den letz­ten Zü­gen« lag.

Die­ser wur­de von den Deut­schen nie­der­ge­schla­gen und »je kla­rer das Aus­maß des Wi­der­stands ge­gen die deut­sche Herr­schaft wur­de, de­sto bru­ta­ler und un­barm­her­zi­ger fiel die Re­ak­ti­on der Ko­lo­ni­al­macht aus. Als die deut­schen Kom­man­dan­ten er­kann­ten, dass der Re­vol­te mit mi­li­tä­ri­schen Mit­teln al­lein nicht bei­zu­kom­men war, gin­gen sie da­zu über, die Be­völ­ke­rung durch Hun­ger zu un­ter­wer­fen.« Hun­der­tau­sen­de star­ben, aber Kha­li­fa und Asha leb­ten in ei­nem an­de­ren Teil des Lan­des; sie er­fuh­ren nur durch Hö­ren­sa­gen da­von.

Statt­des­sen kam ein jun­ger Mann mit dem Na­men Ily­as in die (fik­ti­ve) Stadt – mit ei­nem Emp­feh­lungs­schrei­ben der deut­schen Be­sat­zung, die es ihm er­mög­lich­te, ei­ne gu­te Stel­le in ei­ner Fa­brik zu fin­den. Er freun­de­te sich mit Kha­li­fa an und als Ily­as sei­ne El­tern nach lan­ger Zeit wie­der be­such­te und nur noch die klei­ne Afi­ya, sei­ne Schwe­ster, an­traf, nahm er sie mit in die Stadt. Die Jah­re ver­gin­gen und der Er­ste Welt­krieg warf sei­ne Schat­ten vor­aus. Es droh­te ein Krieg zwi­schen Deutsch­land und den Bri­ten. Ily­as war ger­ma­no­phil und mel­de­te sich frei­wil­lig zu den As­ka­ri, den Hilfs­trup­pen der Deut­schen, die aus Ein­hei­mi­schen be­stan­den und zu gro­ßer Bru­ta­li­tät neig­ten. Kha­li­fa woll­te ihn zum Blei­ben über­zeu­gen, aber Ily­as ging zur Aus­bil­dung nach Dar­essa­lam. Wie da­mals üb­lich, rech­ne­te er mit bal­di­ger Rück­kehr.

Den Ein­blick in den deutsch-bri­ti­schen Krieg in Ost­afri­ka be­kommt der Le­ser durch die Fi­gur Ham­za, die nun zur Haupt­fi­gur wird. Auch Ham­za (um die Jahr­hun­dert­wen­de ge­bo­ren) mel­de­te sich frei­wil­lig in die Askari-»Schutztruppe«, und ma­ni­pu­lier­te so­gar sein Al­ter, um auf­ge­nom­men zu wer­den. Sehr schnell des­il­lu­sio­niert ob des rau­en Um­gangs dort, hat­te er noch Glück im Un­glück, weil ihn ein deut­scher Ober­leut­nant als Or­don­nanz aus­wähl­te. Spä­ter kom­men wohl noch an­de­re, ho­mo­ero­ti­sche Mo­ti­ve da­zu. Ham­za be­kam Pri­vat­un­ter­richt vom Of­fi­zier, er lern­te le­sen, schrei­ben und die deut­sche Spra­che. Ziel war es, dass Ham­za ir­gend­wann Schil­ler le­sen soll­te. Zu­nächst konn­ten die Deut­schen die Bri­ten noch schla­gen, es gab An­grif­fe, Über­rum­pe­lun­gen und dann wie­der Rück­zü­ge. Aber ir­gend­wann war die Schutz­trup­pe am En­de, vie­le wur­den krank. »Sie er­nähr­ten sich von dem, was sie in Dör­fern und auf Far­men fan­den, sie plün­der­ten und sie be­schlag­nahm­ten, so viel sie konn­ten.« Sie »hin­ter­lie­ßen ein ver­wü­ste­tes Land, auf dem Hun­dert­tau­sen­de Men­schen hun­ger­ten und star­ben, wäh­rend sie selbst im­mer wei­ter in blin­dem und mör­de­ri­schem Ei­fer für ei­ne Sa­che kämpf­ten, de­ren Hin­ter­grund sie nicht kann­ten, die ver­geb­lich war und letzt­lich auf ih­re ei­ge­ne Un­ter­drückung hin­wirk­te.« Aber, so die sar­ka­sti­sche Sen­tenz, die deut­schen Of­fi­zie­re »sorg­ten der­weil für die Wah­rung des eu­ro­päi­schen An­se­hens.« Ham­zas Ein­heit war ir­gend­wann am En­de; vie­le As­ka­ri de­ser­tier­ten. In blind­wü­ti­gem Hass ver­letz­te ein ei­fer- und tob­süch­ti­ger Feld­we­bel Ham­za schwer. Der wur­de in ei­ne deut­sche Mis­si­ons­sta­ti­on ge­bracht, die den Krieg über­stand. Nach vie­len Mo­na­ten mach­te sich Ham­za im­mer noch stark be­ein­träch­tigt durch sei­ne Ver­wun­dung an der Hüf­te auf den Weg in die Stadt, auf der Su­che nach dem Haus, in dem er ver­schleppt wor­den war, be­vor er sich der As­ka­ri-Trup­pe an­ge­schlos­sen hat­te.

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»Be­dürf­nis nach Ver­ständ­nis«

Be­mer­kun­gen über zwei Ro­ma­ne des No­bel­preis­trä­gers Ab­dul­razak Gur­nah Es war schon ei­ne klei­ne Über­ra­schung, als die Schwe­di­sche Aka­de­mie Ab­dul­razak Gur­nah den Li­te­ra­tur­no­bel­preis 2021 zu­sprach. Bin­nen we­ni­ger Mi­nu­ten wa­ren die On­­li­ne-An­ti­­qua­ria­te mit ih­ren Rest­be­stän­den aus­ver­kauft oder ver­lang­ten Mond­prei­se. Der Preis­trä­ger war kei­ner der üb­li­chen »Ver­däch­ti­gen« und in Deutsch­land weit­ge­hend un­be­kannt. Ge­bo­ren wur­de Gur­nah 1948 in San­si­bar, ...

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