Sa­bi­ne M. Gru­ber: Chor­pro­be

Sabine M. Gruber. Chorprobe
Sa­bi­ne M. Gru­ber. Chor­pro­be
In ih­rem Ro­man »Be­zie­hungs­rei­se« aus dem Jahr 2012 er­zähl­te Sa­bi­ne M. Gru­ber von So­phia und dem Ver­hält­nis zu ih­rem Ge­lieb­ten Mar­cus. So­phia, glück­lich ver­hei­ra­tet, aber »mehr­liebig« ori­en­tiert, ar­ran­gier­te ihr Drei­ecks­ver­hält­nis akri­bisch und ver­such­te mit Mar­cus mit al­len nur er­denk­li­chen Mit­teln in­klu­si­ve sorg­sam ge­plan­ten Rei­sen (die sie auch noch fast im­mer al­lei­ne be­zahl­te) zu be­tö­ren. Aber nach der kur­zen Er­obe­rungs­pha­se zu Be­ginn straf­te Mar­cus So­phi­as In­itia­ti­ven im­mer mehr mit Nicht­be­ach­tung und Gleich­gül­tig­keit und mach­te da­bei noch ih­re Ver­su­che, sich als Schrift­stel­le­rin zu eta­blie­ren, nie­der, ob­wohl er sel­ber als Re­zen­sent (er blät­ter­te nur die Bü­cher durch) nicht zu re­üs­sie­ren ver­moch­te. Gru­ber ent­warf ge­konnt die­sen vir­tu­el­len De­mü­ti­gungs­raum, in dem sich So­phia trot­zig ein­ge­rich­tet hat­te. Trotz die­ser per­fi­den und hoch­mü­ti­gen Gleich­gül­tig­keit, mit der Mar­cus die­se Be­zie­hung be­trieb, glaub­te So­phia bis zum Schluß an die Mög­lich­keit des Glücks in die­ser of­fe­nen Me­na­ge-à-trois glück­lich le­ben zu kön­nen. Erst als es zur Grenz­über­schrei­tung kam und Mar­cus phy­si­schen Ge­walt an­wand­te, be­en­de­te sie das Ver­hält­nis.

Ei­ne Glücks­su­che wie So­phia ver­folgt auch Cin­dy in Gru­bers neu­em Ro­man »Chor­pro­be«, wenn auch auf ei­nem an­de­ren Feld – dem der Kunst.

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ICH, das Op­fer

oder: Le­ben mit 00

Je­der, der et­was hat oder hat­te, sa­gen wir, ei­nen Part­ner aus ei­nem an­de­ren Land, ei­ne Krank­heit, ein be­stimm­tes Al­ter, ein Kind, meh­re­re Kin­der, Zwil­lin­ge, Fünf­lin­ge oder kein Kind, ei­nen Be­ruf, egal wel­chen, kei­nen Be­ruf, kei­ne Ar­beit, die Er­näh­rung um­ge­stellt, frü­her ei­ne an­de­re Hei­mat, ei­nen Kurs ge­macht, ei­ne Sport­art aus­ge­übt, ei­nen to­ten Ver­wand­ten, Ge­schwi­ster oder kei­ne Ge­schwi­ster, Ad­op­tiv­kin­der, Stief­kin­der, kei­ne El­tern, kran­ke oder bö­se El­tern, mehr­mals ge­hei­ra­tet, ei­ne Sucht oder den Tod über­wunden, al­les ver­lo­ren, ei­nen Sui­zid­ver­such über­lebt, ein Ver­mö­gen oder ei­ne Rei­se ge­macht, ei­nen Geist ge­se­hen, mit To­ten ge­spro­chen; wer im Krieg war oder je­man­den kennt, der im Krieg war, wer aus­ge­wan­dert oder zu­hau­se ge­blie­ben oder von ei­ner Krank­heit ge­ne­sen oder äl­ter ge­wor­den ist; wer ei­nen An­ge­hö­ri­gen hat, der ir­gend­et­was hat, hat­te, ge­tan hat, tut, ist oder war, schreibt dar­über ein Be­trof­fen­heits­buch (...). Oder zu­min­dest ein the­men­be­zo­ge­nes Koch­buch.

Da­mit man ei­ner­seits das ei­ge­ne Pro­blem rasch im Re­gal fin­det und an­de­rer­seits sich auch mit je­dem be­lie­bi­gen Nach­bar­pro­blem iden­ti­fi­zie­ren kann, tra­gen die­se Bü­cher im­mer die­sel­ben Ti­tel:

Le­ben mit 00
Le­ben oh­ne 00
Le­ben trotz 00
00 über­le­ben
Wei­ter­le­ben nach 00
00 und ich
Ich al­lein ge­gen 00
Ta­bu 00
War­um über 00 im­mer noch ge­schwie­gen wird
Das Schwei­gen bre­chen! 00
Ei­ne Ab­rech­nung mit 00
Das un­ter­schätz­te 00
00 geht al­le an (auch wenn nur ich 00 ha­be)

00 steht als Platz­hal­ter für den Na­men ei­ner Krank­heit, ei­nes Zu­stands, ei­nes Um­stands, ei­nes mög­li­cher­wei­se durch­aus schwam­mi­gen Schick­sals, denn selbst­re­dend steht in je­dem die­ser Bü­cher auch ir­gend­wo: jetzt, da es end­lich ei­nen Na­men hat, bin ich er­leich­tert, denn nun neh­me ich mich selbst ernst! Ja, in­zwi­schen schreibt je­der, der ir­gend­ei­ne Er­fah­rung ge­macht hat, je­der, der recht ei­gent­lich un­tot ist, ein sol­ches Be­trof­fen­heits­buch. – Aus: »Le­ben mit 00. Be­trof­fen­heits­li­te­ra­tur«, un­ver­öf­fent­licht, 2008.

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Wolf­gang Herrn­dorf: Bil­der dei­ner gro­ßen Lie­be

Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe
Wolf­gang Herrn­dorf:
Bil­der dei­ner gro­ßen Lie­be

Nicht un­be­dingt das Buch, son­dern die Re­ak­tio­nen hier­auf sind er­staun­lich: Da wird post­hum ein ei­gent­lich »un­voll­ende­ter Ro­man« (Un­ter­ti­tel) von Wolf­gang Herrn­dorf ver­öf­fent­licht und das gan­ze Feuil­le­ton ju­belt hym­nisch und türmt Ver­glei­che auf von Käst­ners »Fa­bi­an« über Noote­booms Phil­ip (»Das Pa­ra­dies ist ne­ben­an« – so lau­te­te der ur­sprüng­li­che Ti­tel die­ses wun­der­ba­ren Bu­ches), Mo­ritz’ »An­ton Rei­ser« (der kommt so­gar ein­mal vor) bis zu Goe­thes Mi­gnon-Fi­gur.

Es ist ein lei­der häu­fig zu be­ob­ach­ten­des Phä­no­men: die tra­gisch oder früh ums Le­ben ge­kom­me­nen Schrift­stel­ler wer­den die Lieb­sten und die Be­sten. Vor­her kaum zur Kennt­nis ge­nom­men, be­kom­men sie ei­ne Wiedergut­machung ge­ra­de­zu auf­ge­drängt. Wolf­gang Herrn­dorf hat die­sen Ge­sin­nungs­wech­sel sel­ber noch mit­er­lebt: Als er sei­ne schwe­re Krank­heit öf­fent­lich mach­te und dar­über im In­ter­net Ta­ge­buch führ­te nah­men plötz­lich die Sym­pa­thie­kund­ge­bun­gen der­art zu, dass dem Au­tor die­se Zu­wen­dung reich­lich su­spekt vor­kam (in »Ar­beit und Struk­tur« nach­zulesen) und mehr ver­stör­te als freu­te. Und nun er­scheint al­so ein nach­ge­las­se­ner Text Herrn­dorfs, 33 epi­so­den­ar­ti­ge, zum Teil nur lo­se mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Ka­pi­tel über ei­ne Aus­rei­ße­rin na­mens Isa, die, das »wis­sen« die Re­zen­sen­ten merk­wür­di­ger­wei­se, 14 oder – wie es ein­mal heißt – 18 Jah­re alt ist (ei­ne der­art ex­pli­zi­te Al­ters­an­ga­be gibt es al­ler­dings nir­gends, nur ein­mal ein ab­schät­zen­der Count­down ei­nes Prot­ago­ni­sten). Isa ist ei­ner Ner­ven­heil­an­stalt oder ein­fach nur ei­nem Heim ent­lau­fen, irrt nun durch Städ­te, Dör­fer, Wäl­der, Fel­der. Au­ßer ih­rer Klei­dung be­sitzt sie nur ein Ta­ge­buch und zwei Ta­blet­ten. Mit der Ein­nah­me der letz­ten Ta­blet­te be­schließt sie, ge­heilt zu sein.

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Bet­ti­na Fischer/Dagmar Fret­ter (Hrsg.): Ei­gent­lich Hei­mat

Bettina Fischer/Dagmar Fretter (Hrsg.): Eigentlich Heimat
Bet­ti­na Fischer/Dagmar Fret­ter (Hrsg.): Ei­gent­lich Hei­mat

Zum 25. Grün­dungs­ju­bi­lä­um der Kunst­stif­tung Nord­rhein West­fa­len wur­de ein Er­zähl­band kon­zi­piert, der, so im Vor­wort, zei­gen soll, »was das Land Nord­rhein-West­fa­len an Li­te­ra­tur zu bie­ten hat«. Her­aus­ge­kom­men ist ein Band mit 29 Er­zäh­lun­gen von Au­torin­nen und Au­toren, die je­weils mit ei­nem Ort in Nord­rhein-West­fa­len ver­knüpft sind; ei­nem Ge­burts­ort, Wohn­ort, Stu­dier­ort, manch­mal auch nur ei­nem Sehn­suchts- und Ver­gan­gen­heits­ort. Ge­plant sei dies nicht ge­we­sen, so die bei­den Her­aus­ge­be­rin­nen Bet­ti­na Fi­scher und Dag­mar Fret­ter, aber am En­de sei­en es mehr als man dach­te Hei­mat­ge­schich­ten ge­wor­den. Um kei­ne Miss­ver­ständ­nis­se auf­kom­men zu las­sen und der dro­hen­den Ver­ein­nah­mung durch den Kitsch ent­ge­gen­zu­wir­ken wur­de wohl der relati­vierende Ti­tel »Ei­gent­lich Hei­mat« ge­fun­den.

Was Se­pa­ra­ti­sten wie Wil­fried Schar­nagl nie ein­leuch­ten wird: Bin­de­strich­län­der sind nicht trotz son­dern we­gen ih­rer Viel­heit, ih­rer He­te­ro­ge­ni­tät, in­ter­es­sant. Das wird im vor­lie­gen­den Band sehr schön sicht­bar, ob­wohl es mit dem Ruhr­ge­biet und dem Groß­raum Köln durch­aus Schwer­punk­te gibt. Zu Be­ginn er­zählt Jörg Al­brecht (»Vor dem Road­movie«) von den Vor­be­rei­tun­gen zur 30-Jahr-Fei­er der leicht dys­to­pisch an­ge­hauch­ten »Ruhr­stadt« (53 Städ­te von Camp Lint­fort [sic!] bis Hamm ha­ben sich zu­sam­men­ge­schlos­sen), die im »näch­sten Jahr«, hier: 2045, an­ste­hen soll und von der Sehn­sucht sei­ner Be­woh­ner, die Zeit vor die­ser Ver­ei­ni­gung, die Zeit des wim­meln­den, un­or­ga­ni­sier­ten »Ruhr­ge­biets«, wie­der auf­le­ben zu las­sen.

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Mit Mil­de und Me­lan­cho­lie

Wie Jo­sef Wink­ler sei­nen Er­in­ne­rungs­kos­mos er­wei­tert

»Re­qui­em für ei­nen Va­ter« un­ter­ti­tel­te Jo­sef Wink­ler sei­ne Er­zäh­lung »Rop­pon­gi« aus dem Jahr 2007. Auf ei­ner Vor­trags­rei­se in Ja­pan er­fährt der Ich-Er­zäh­ler, der gro­ße Ähn­lich­kei­ten mit Jo­sef Wink­ler be­sitzt, vom Tod sei­nes Va­ters, je­nem über- und all­mächtigen »Acker­mann aus Kärn­ten« mit dem Wink­ler in sei­nen Bü­chern, vor al­lem in den er­sten Ro­ma­nen, wuch­tig, ex­pres­siv und an­kla­gend groll­te. Der Va­ter sym­bo­li­sier­te En­ge, Ar­cha­ik und Stumpf­sinn, atem­los wird ei­ne schreck­li­che Kind­heit und Ju­gend aus dem schreck­li­chen Dorf Ka­me­ring in Kärn­ten in den 1950er/1960er Jah­ren er­zählt. Der »Acker­mann aus Kärn­ten« wur­de zum Ar­che­typ für ei­ne gan­ze Re­gi­on, ei­ne gan­ze Epo­che. Auf­fal­lend in »Rop­pon­gi« war aber die Mil­de mit der Wink­ler er­zähl­te, ei­ne Mil­de, die zwar die Schrecken der Kind­heit und Ju­gend im­mer wie­der blitz­ar­tig auf­leuch­ten ließ, aber am En­de dann doch vor dem 99jährigen To­ten (Jahr­gang 1905) den Re­spekt nicht ver­sag­te. Der Ich-Er­zäh­ler sei­ner Bü­cher hat­te sich von sei­nem Lei­den eman­zi­piert, los­ge­schrie­ben und konn­te da­mit nun vor­ur­teils­frei­er auf sei­ne Fi­gu­ren blicken und, in Gren­zen, ih­re Mo­ti­va­tio­nen er­for­schen. Die Ex­pres­si­vi­tät ver­schwand nicht, wur­de aber auf­ge­füllt mit an­ek­do­ti­schem. Da­hin­ter durch­aus spür­bar: die Furcht, der Fluch des Va­ters, nach sei­nem Tod kön­ne er, der Sohn, nicht mehr schrei­ben, weil er nie­man­den mehr ha­be, über den er schrei­ben kön­ne, könn­te sich viel­leicht er­fül­len.

Sechs Jah­re spä­ter leuch­tet Wink­ler ei­ne wei­te­re Fa­cet­te sei­nes Kind­heit und Ju­gend aus, die im Ti­tel schon an­klingt: »Mut­ter und der Blei­stift«. Wie so man­ches Wink­ler-Buch ist auch die­se knapp 60seitige Er­zäh­lung ein Tri­pty­chon. Vor­an­ge­stellt ist ihr als ei­ne Art Pro­log ei­ne klei­ne­re Er­zäh­lung (30 Sei­ten) mit dem Ti­tel »Da flog das Wort auf«. Mit Zi­ta­ten von Il­se Ai­chin­ger wird ei­ne dü­ste­re Welt evo­ziert, die nach den Schrecken des Krie­ges (die Groß­mutter müt­ter­li­cher­seits ver­sank in Apa­thie, als sie kurz hin­ter­ein­an­der die Bot­schaft er­reich­te, dass drei ih­rer Söh­ne – 18, 20 und 22 Jah­re alt – im Krieg »ge­fallen« wa­ren) nicht mehr got­tes- son­dern sa­tans­fürch­tig wur­de und (für Wink­ler­sche Ver­hält­nis­se) früh mit 60 Jah­ren an »ge­bro­che­nem Her­zen« starb.

Josef Winkler: Mutter und der Bleistift
Jo­sef Wink­ler:
Mut­ter und der Blei­stift
In »Mut­ter und der Blei­stift« wer­den die Ein­drücke über die Mut­ter des Er­zäh­lers do­mi­nant, ei­ner Mut­ter, die bis­her in den Bü­chern Wink­lers kei­ne we­sent­li­che Rol­le spiel­te. Das könn­te dar­an lie­gen, dass er, der Er­zäh­ler, die Mut­ter scho­nen woll­te und jetzt, nach­dem sie um 2012 ge­stor­ben ist (wenn die Da­ten denn stim­men, wo­bei Wink­ler ein­mal [ab­sichts­voll!] schreibt, die Mut­ter sei mit 86 ge­stor­ben und ein­mal mit 87) mehr er­zäh­len möch­te. Zum an­de­ren war sie für vie­le Jah­re, aus de­nen schließ­lich zwei Jahr­zehnte wur­den, wie ih­re Mut­ter in Apa­thie und Schwer­mut ver­fal­len und träum­te sich da­bei in ei­ne To­ten­welt hin­ein. Zwar er­le­dig­te sie ih­re haus­frau­li­chen Tä­tig­kei­ten (was groß­ar­tig evo­ziert wird, bei­spiels­wei­se wenn sie ihn, den »Seppl«, durch­aus mit In­brunst ver­prü­gel­te), aber al­les nur schwei­gend bzw. na­he­zu schwei­gend, wo­bei es dann pass­te, dass sie am Hof ei­ne taub-stum­me Magd hat­ten, die aber trotz­dem mehr re­de­te als die Mut­ter. Je­des Wort, das die Mut­ter sprach wur­de zum Er­eig­nis, zur Ma­ni­fe­sta­ti­on und ihr »Na!« (Nein) als der Va­ter nach der Ge­burt des Nach­züg­lers mit noch ei­nem wei­te­ren, ei­nem 7. Kind ko­ket­tier­te, grenz­te schon an Auf­leh­nung. Die na­he­zu schwei­gen­de Mut­ter leb­te »völ­lig zurückge­zogen«, d. h. aus­schließ­lich auf dem Hof, be­trat kei­ne an­de­ren Hö­fe im Dorf. Be­su­che gab es auch fast kei­ne (nur die bei­den Schwe­stern ab und an).

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Wolf­gang Kör­ner: No­wack

Wolfgang Körner: Nowack
Wolf­gang Kör­ner: No­wack

Har­ry S. No­wack lebt im Ruhr­ge­biet, ist frei­er Fo­to­graf und kann sich die Art sei­ner je­wei­li­gen Un­frei­heit da­her aus­su­chen. Wenn er an­nimmt, sei­ne Bil­der wä­ren nicht nur Nach­rich­ten, son­dern gül­ti­ge Deu­tun­gen der Er­eig­nis­se bie­tet er sie Bild­agen­tu­ren oder Lo­kal­zei­tun­gen an. An­son­sten schlägt er sich durch mit klei­nen Auf­trä­gen un­ter an­de­rem auch von der Po­li­zei, der er an­son­sten skep­tisch ge­gen­über­steht, durch. No­wack ist trotz stets dro­hen­der Mit­tel­lo­sig­keit Künst­ler, Bon­vi­vant, Frau­en­held und auch ein biss­chen ein Re­vo­luz­zer, der sich von lin­ken po­li­ti­schen Heils­idealen noch nicht ganz ent­fernt hat. Aber vor al­lem ist No­wack ein Phan­tast, der al­le Er­schei­nun­gen so­fort in sur­rea­le Traum- und auch ge­le­gent­lich Alptraum­szenarien ver­wan­delt und sie un­ent­wirr­bar mit der Rea­li­tät ver­knüpft. Die­se Bil­der, die­se wil­den, psy­che­de­li­schen As­so­zia­ti­ons­ge­wit­ter und skur­ri­le Wirk­lich­keits­ver­zer­run­gen, bil­den den Kern von Wolf­gang Kör­ners Ro­man »No­wack«.

Dreh- und An­gel­punkt von No­wacks Un­ter­neh­mun­gen ist ne­ben sei­ner Kel­ler­woh­nung das Ca­fé Ca­poc­ci, in dem er die mit Spitz­na­men be­zeich­ne­ten Prot­ago­ni­sten trifft: Jack the Rip­per, Dr. Stein, Dr. Sei­ler, Fer­do Gawri­lo­wicz, Dro­gen­pe­ter. Und na­tür­lich die Frau­en, die ent­we­der ir­gend­wann vor sei­ner Tür ste­hen, wie die Sechs­zwölf­tel­jung­frau, die ihn stets in auf­rei­zen­der De­si­gner-Gar­de­ro­be auf­sucht und ih­ren ver­mö­gen­den Mann ver­las­sen will (es kommt dann in ei­ner ur­ko­mi­schen Sze­ne ein we­nig an­ders), das Schreib­ma­schi­nen­mäd­chen Bea­te, die er im Pfand­haus ken­nen- und dann auch lie­ben lernt oder sei­ne Ex-Ge­lieb­te Mo­ni­ka, die er vor al­lem beim Bei­schlaf mit den an­de­ren Frau­en ein­fach nicht ver­ges­sen kann.

Tat­säch­lich ist die Ver­an­ke­rung No­wacks im Ruhr­ge­biet es­sen­ti­ell für die­sen Ro­man. Es geht um lo­ka­le Er­eig­nis­se, die ih­re Schat­ten vor­aus wer­fen: Das so­ge­nann­te Ze­chen­ster­ben und die da­mit ver­bun­de­nen mas­si­ven Än­de­run­gen in der Le­bens- und Ar­beits­welt der Men­schen vor Ort. Da­her kann »No­wack« nicht in Ham­burg oder Mün­chen spie­len. Sei­ne sur­rea­le Bil­der­welt, die im­mer wie­der auf­bricht und prak­tisch kei­ne Sze­ne na­tu­ra­li­stisch zu En­de er­zählt, ist hin­ge­gen jen­seits geo­gra­phi­scher Ver­or­tun­gen.

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Jens Ditt­mar: So kalt und schön

Jens Dittmar: So kalt und schön
Jens Ditt­mar: So kalt und schön
Wer kennt Jens Ditt­mar? Ei­gent­lich je­der, der Tho­mas Bern­hard et­was in­ten­si­ver ge­le­sen hat. Die von Ditt­mar her­aus­ge­ge­be­ne »Werk­ge­schich­te« in der ak­tua­li­sier­ten Aus­ga­be von 1990 war für mich jah­re­lang wie ei­ne Bi­bel. Chro­no­lo­gisch ist dort je­des Buch, je­der Text Bern­hards auf­ge­führt, mit An­ga­ben zur Auf­la­ge, Hin­wei­se auf Par­al­le­len zu an­de­ren Bern­hard-Tex­ten und, vor al­lem, Aus­zü­gen aus Kri­ti­ken (po­si­ti­ve wie ne­ga­ti­ve). Ei­ne wah­re Fund­gru­be, die auf­zeig­te, wie kon­tro­vers Bern­hard wahr­genommen wur­de – und wie er­folg­reich (im Ver­gleich zu an­de­ren zeit­ge­nös­si­schen Dich­tern). Spä­ter folg­te von Ditt­mar mit »Sehr ge­schätz­te Re­dak­ti­on« ein äu­ßerst ge­lun­ge­nes Kom­pen­di­um mit Le­ser­brie­fen von und über Bern­hard, in dem al­le mög­li­chen (und un­mög­li­chen) Er­re­gun­gen und Skan­da­le um, über und vor al­lem mit Tho­mas Bern­hard auf­ge­li­stet sind. Be­son­ders lehr­reich hier die Le­ser­brie­fe öster­rei­chi­scher Ho­no­ra­tio­ren (fast al­le ge­gen den Dich­ter). Bern­hard wä­re heu­te, so die Über­le­gung nach der Lek­tü­re und den ge­ball­ten Skan­da­len, ein Mei­ster des Shits­torm-Rou­lette in den so­zia­len Me­di­en. Kurz dar­auf pu­bli­zier­te Ditt­mar ei­nen Band über die Salz­bur­ger Jah­re von Tho­mas Bern­hard. Er­schien die »Werk­ge­schich­te« noch bei Suhr­kamp, so gab Ditt­mar sei­ne bei­den an­de­ren Bern­hard-Bü­cher in der »Edi­ti­on S« des »Ver­lags der Öster­rei­chi­schen Staats­drucke­rei« her­aus. Hier hat (hat­te?) sich je­mand ei­nem Dich­ter ver­schrie­ben und um die­sen ver­dient ge­macht. Um­so unver­ständlicher, dass Suhr­kamp die Werk­ge­schich­te nicht mehr neu auf­ge­legt hat­te – just als das In­ter­es­se an Bern­hard wuchs und zeit­wei­se mas­sen­wei­se Epi­go­nen des Öster­rei­chers wie Pil­ze aus dem Bo­den schos­sen.

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Mar­tin Mo­se­bach: Das Blut­bu­chen­fest

Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest
Mar­tin Mo­se­bach:
Das Blut­bu­chen­fest

»Das Blut­bu­chen­fest« von Mar­tin Mo­se­bach ist nicht nur ein Ro­man, son­dern auch fast schon ein Film. Man sieht die Bil­der schon vor sich: Den in­sze­nier­ten Ma­nie­ris­mus à la Pe­ter Greena­way. Mo­de­ra­tio­nen wie bei »Leo’s«. Und – das Lo­kal der Fi­gur Mer­zin­ger, in dem die ka­ri­kier­te Up­per­class-Cli­que des Ro­mans ein- und aus­geht: das »Ros­si­ni« von Hel­mut Dietl, zu­mal die »mör­de­ri­sche Fra­ge, wer mit wem schlief« auch hier nicht ganz un­wich­tig ist, ob­wohl es dann doch nicht sehr ver­wir­rend ist.

Mit Non­cha­lance wird der Le­ser in die­se Ge­sell­schaft ein­ge­führt: Da ist ein ge­wis­ser We­re­sch­ni­kow, den man sich viel­leicht als jün­ge­ren Leo­nid Bre­sch­new vor­stel­len kann; ein ziem­li­cher Auf­schnei­der (mit ei­nem nur ihm be­kann­ten klei­nen Ver­mö­gen in der Schweiz), des­sen Ruhm sich pri­mär dar­auf grün­det mit Kis­sin­ger oder Bou­tros-Gha­li zu te­le­pho­nie­ren und, fast noch interes­santer für den Zir­kel: er ist der of­fi­zi­el­le Le­bens­part­ner der schö­nen Ma­ru­scha, de­ren Cha­rak­te­ri­sie­rung als Edel­pro­sti­tu­ier­te un­ter­kom­plex und ein biss­chen spie­ßig wä­re. All­zu ver­ständ­lich ist doch, dass sie für ih­re Mai­so­nette-Woh­nung län­ger schon die Miet­zahlungen ein­stel­lend, auch die Er­stat­tung der Ne­ben­ko­sten als wür­de­lo­sen weil all­zu pro­fa­nen Akt auf­fasst. Be­trof­fen hier­von ist der Ex-Plei­tier Bree­gen, ein et­was hüft­stei­fer Im­mo­bi­li­en­ver­käu­fer und Py­ra­mi­den­spie­ler, der sich zu­letzt mit fünf Jah­ren sei­ne Schu­he hat selb­stän­dig bin­den kön­nen, was ihn nicht dar­an hin­dert, Ma­ruschas Lieb­ha­ber für be­stimm­te Nach­mit­ta­ge zu sein, wäh­rend­des­sen sei­ne Frau sich mit dem Ge­sche­hen, wel­ches sie mit Vi­deo­ka­me­ras um ihr Grund­stück her­um be­ob­ach­tet, ver­gnügt.

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