Jens Ditt­mar: So kalt und schön

Jens Dittmar: So kalt und schön

Jens Ditt­mar: So kalt und schön

Wer kennt Jens Ditt­mar? Ei­gent­lich je­der, der Tho­mas Bern­hard et­was in­ten­si­ver ge­le­sen hat. Die von Ditt­mar her­aus­ge­ge­be­ne »Werk­ge­schich­te« in der ak­tua­li­sier­ten Aus­ga­be von 1990 war für mich jah­re­lang wie ei­ne Bi­bel. Chro­no­lo­gisch ist dort je­des Buch, je­der Text Bern­hards auf­ge­führt, mit An­ga­ben zur Auf­la­ge, Hin­wei­se auf Par­al­le­len zu an­de­ren Bern­hard-Tex­ten und, vor al­lem, Aus­zü­gen aus Kri­ti­ken (po­si­ti­ve wie ne­ga­ti­ve). Ei­ne wah­re Fund­gru­be, die auf­zeig­te, wie kon­tro­vers Bern­hard wahr­genommen wur­de – und wie er­folg­reich (im Ver­gleich zu an­de­ren zeit­ge­nös­si­schen Dich­tern). Spä­ter folg­te von Ditt­mar mit »Sehr ge­schätz­te Re­dak­ti­on« ein äu­ßerst ge­lun­ge­nes Kom­pen­di­um mit Le­ser­brie­fen von und über Bern­hard, in dem al­le mög­li­chen (und un­mög­li­chen) Er­re­gun­gen und Skan­da­le um, über und vor al­lem mit Tho­mas Bern­hard auf­ge­li­stet sind. Be­son­ders lehr­reich hier die Le­ser­brie­fe öster­rei­chi­scher Ho­no­ra­tio­ren (fast al­le ge­gen den Dich­ter). Bern­hard wä­re heu­te, so die Über­le­gung nach der Lek­tü­re und den ge­ball­ten Skan­da­len, ein Mei­ster des Shits­torm-Rou­lette in den so­zia­len Me­di­en. Kurz dar­auf pu­bli­zier­te Ditt­mar ei­nen Band über die Salz­bur­ger Jah­re von Tho­mas Bern­hard. Er­schien die »Werk­ge­schich­te« noch bei Suhr­kamp, so gab Ditt­mar sei­ne bei­den an­de­ren Bern­hard-Bü­cher in der »Edi­ti­on S« des »Ver­lags der Öster­rei­chi­schen Staats­drucke­rei« her­aus. Hier hat (hat­te?) sich je­mand ei­nem Dich­ter ver­schrie­ben und um die­sen ver­dient ge­macht. Um­so unver­ständlicher, dass Suhr­kamp die Werk­ge­schich­te nicht mehr neu auf­ge­legt hat­te – just als das In­ter­es­se an Bern­hard wuchs und zeit­wei­se mas­sen­wei­se Epi­go­nen des Öster­rei­chers wie Pil­ze aus dem Bo­den schos­sen.

Seit ei­ni­gen Jah­ren schreibt der Wahl-Liech­ten­stei­ner Jens Ditt­mar nun Ro­ma­ne. Sein neue­stes Buch »So kalt und schön« nennt er kühn (er ist 64) sein »Ver­mächt­nis«. Die­se Aus­sa­ge und ins­be­son­de­re der Un­ter­ti­tel »Ein Son­der­weg« er­in­nern na­tür­lich so­fort an Tho­mas Bern­hards au­to­bio­gra­phi­sche Bü­cher. Aber hier kann Ent­war­nung ge­ge­ben wer­den. Bern­hards Duk­tus wird von Ditt­mar we­der ko­piert noch fort­ge­schrie­ben.

»So kalt und schön« er­zählt die Le­bens­ge­schich­te ei­nes ge­wis­sen Aleph Kraus-Gón­go­ra (ein Künst­ler­na­me; in­spi­riert vom spa­ni­schen Dich­ter Lu­is de Gón­go­ra y Ar­go­te), im wei­te­ren Ver­lauf des Bu­ches oft AKG ab­ge­kürzt. Sie be­ginnt mit AKGs Tod im Ses­sel. Die­ser hat­te wohl mit Guil­lo­ti­ne und Scan­ner be­gon­nen, die Bü­cher sei­ner Bi­blio­thek zu ent­lei­ben und zu di­gi­ta­li­sie­ren (ei­nen Vor­gang für den ich in Er­in­ne­rung an den In­itia­tor die­ser Idee den Be­griff »her­wi­gie­ren« vor­schla­gen möch­te) als ihn der Herz­tod er­eil­te. Nach dem Pro­log, der ei­gent­lich ein Epi­log bzw. Epi­taph ist, be­ginnt die ei­gent­li­che Er­zäh­lung, und zwar »aus dem Nach­lass von Hil­de­gard Klein­schmidt (Temuco/Chile) her­aus­ge­ge­ben, kom­men­tiert und mit An­mer­kun­gen ver­se­hen von Jens Ditt­mar«. Letz­te­rer steu­ert auch die zahl­rei­chen An­mer­kun­gen am En­de des Bu­ches bei. Schließ­lich gibt es ein Nach­wort, in dem die Um­stän­de des Ma­nu­skripts und der Be­ar­bei­tung er­läu­tert wer­den.

Ei­nen »Schel­men­ro­man« nennt der Ver­lag das Buch. Es ist Li­te­ra­tur-Li­te­ra­tur; die­ser AKG er­zählt halb­wegs chro­no­lo­gisch aber mit zahl­rei­chen Ab­schwei­fun­gen sein Le­ben ei­ner Bi­blio­theks­be­kannt­schaft An­drea. Wie die­se In­for­ma­tio­nen dann an Hil­de­gard Klein­schmidt ge­kom­men sind, bleibt ir­gend­wie un­klar, denn Jens Ditt­mar, al­so der so ge­nann­te Jens Ditt­mar in dem Ro­man, hat, wie es im Nach­wort heißt, An­drea aus­fin­dig ge­macht und be­fra­gen kön­nen. Wenn aber die Be­fra­gun­gen in den Text ein­flie­ßen, wie passt dies mit den Auf­zeich­nun­gen von Hil­de­gard Klein­schmidt zu­sam­men?

Ist das wich­tig? Kei­ne Ah­nung. Fest steht: Wer an Rät­sel­spie­len, Scha­ra­den und Mocku­men­ta­ries In­ter­es­se hat, wird hier voll auf sei­ne Ko­sten kom­men. AKG war Lek­tor des Jo­nas-Witt­ling-Ver­la­ges und da­mit ist ei­ne Art »Ze­lig« der deutsch(sprachig)en Li­te­ra­tur­sze­ne ge­fun­den. Er war schein­bar im­mer »da­bei«, kann­te je­den und wenn es über acht Ecken oder sie­ben Brücken ist. Da agie­ren fik­ti­ve Dich­ter, Ver­le­ger und Lek­to­ren ne­ben und mit rea­len, wo­bei die fik­ti­ven Cha­rak­te­re oft­mals ganz viel Ähn­lich­keit mit rea­len Per­so­nen ha­ben. Das Na­me­drop­ping ist enorm; es gibt so­gar ein Personenver­zeichnis al­ler vor­kom­men­den Fi­gu­ren (re­al und fik­tiv bunt ge­mischt) und ei­ne Lebens­chronik, in dem AKGs Le­bens­da­ten mit dem wich­tig­sten hi­sto­ri­schen Er­eig­nis­sen zu­sam­men auf­ge­führt sind. Fast un­zähl­bar die Re­fe­ren­zen und An­spie­lun­gen, für die man wohl ganz schön tief im Be­trieb ge­steckt ha­ben und/oder ei­nen rie­si­gen Le­se­spei­cher in sei­nem Kopf an­ge­legt ha­ben muss. Ne­ben der Apo­stro­phie­rung als »Schel­men­ro­man« ver­dient sich das Buch ganz schnell die eben­falls vom Ver­lag aus­ge­spro­che­ne Ein­stu­fung als »post­mo­dern«. Prä­gnan­ter wä­re wo­mög­lich die Be­zeich­nung »Wim­mel­ro­man« ge­we­sen.

Aber ich muss ge­ste­hen: »So kalt und schön« ist ein Ro­man, der mich voll­kom­men über­for­dert hat. Er hat mich da­her ge­lang­weilt und das nicht we­gen der Red­un­dan­zen zwi­schen End­no­ten und Text oder we­gen des ma­nie­ri­sti­schen Ton­falls des fast mono­logisierenden »Kryp­to­lo­gen« und »Gon­go­ri­sten« AKG, der na­tür­lich zu­wei­len doch an Bern­hards Thea­ter­ma­cher er­in­nert, dann aber we­gen sei­ner Bil­dungs­hu­be­rei auch an Um­ber­to Eco oder an ei­nen ma­gi­schen Rea­lis­mus à la Ro­ber­to Bo­la­ño (den AKG so­gar per­sön­lich ge­kannt hat; AKGs Frau er­eilt dann fast na­tur­ge­mäß das Schick­sal wie im schreck­li­chen Frau­en­mord­ka­pi­tel von »2666«). Und manch­mal schim­mert ein Ge­misch aus Eu­len­spie­gel und Jean Paul zwi­schen bzw. in den Zei­len, denn dass sich AKG nicht ein­fach »im Dickicht der Lap­pa­li­en« ver­liert und nicht so ein däm­li­cher, bes­ser­wis­se­ri­scher Schwät­zer ist, wie un­ser­eins sie viel­leicht in Bi­blio­the­ken trifft, ist schnell klar (und auch wie­der nicht).

Ge­le­gent­lich er­kennt man ja die Par­al­le­len, die Al­le­go­rien (vie­le na­tür­lich dann doch auf T. B., so bei­spiels­wei­se der »Holzfällen«-Skandal) und ist dann auch kur­ze Zeit ein biss­chen stolz. Aber mei­ne Lan­ge­wei­le re­sul­tiert dar­aus, dass ich all die­ser Spie­le­rei­en, die in die­sem Text stecken, ir­gend­wann mü­de bin nach­zu­for­schen. Am En­de bin ich zu un­ge­dul­dig und zu dumm für die­sen text­ge­wor­de­nen Zau­ber­wür­fel, oder, freund­li­cher aus­ge­drückt: da ist ein Au­tor, der zu klug ist, der sei­ne Fi­gu­ren vom Hölz­chen aufs Stöck­chen kom­men lässt und das im­mer hö­her, aber der Au­tor, al­so der rich­ti­ge Jens Ditt­mar, hat ver­ges­sen, dass es Le­ser wie mich gibt, die auf den di­ver­sen Stöck­chen an­ge­kom­men plötz­lich von Schwin­del be­fal­len wer­den, weil man so weit über al­lem schwebt, dass man ein­fach nur das Buch zu­klap­pen und »Frost« auf­schla­gen möch­te oder bei­spiels­wei­se ein Buch des an­de­ren ma­nisch-de­pres­si­ven des 20 Jahr­hun­derts, Her­mann Bur­ger, der zu­wei­len auch in Ditt­mars Ro­man her­vor­lugt, oh­ne na­tür­lich nur mit ei­nem ein­zi­gen Wort er­wähnt zu wer­den und ich bin so stolz die­se Anspielung(en) ver­stan­den zu ha­ben und hof­fe in­stän­dig, dass der Au­tor mir nicht mit­teilt, dass es gar kei­ne Anspielung(en) auf Her­mann Bur­ger in die­sem Buch gibt.

Al­so ich ka­pi­tu­lie­re. Ich ka­pi­tu­lie­re vor die­sem Uni­ver­sal-Le­ser Jens Ditt­mar. Es be­darf an­de­rer Re­zen­sen­ten, die­ses Buch zu wür­di­gen. Ste­fan Zwei­fel bei­spiels­wei­se. Oder Ina Hart­wig. Und ich bit­te nun al­le Le­ser, die klü­ger sind als ich, un­be­dingt die­ses Buch zu kau­fen, zu le­sen und sich mit ihm zu ver­gnü­gen.