Jo­sef Wink­ler: Laß dich heim­gei­gen, Va­ter, oder Den Tod ins Herz mir schrei­be

Josef Winkler: Laß dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe
Jo­sef Wink­ler: Laß dich heim­gei­gen, Va­ter, oder Den Tod ins Herz mir schrei­be

Man glaubt es kaum, aber vor fast 40 Jah­ren be­trat der Kärnt­ner Schrift­stel­ler Jo­sef Wink­ler mit sei­nem wuch­tig-ex­pres­si­ven »Menschenkind«-Roman erst­ma­lig die li­te­ra­ri­sche Büh­ne. In ra­scher Fol­ge er­schie­nen »Der Acker­mann aus Kärn­ten« und »Mut­ter­spra­che« – die »Ackermann«-Trilogie war ge­schaf­fen. Der »Acker­mann« ist des Ich-Er­zäh­lers Va­ter, aber es war na­tür­lich im­mer auch ein Syn­onym für ei­ne bäu­er­li­che Welt, ka­tho­lisch ge­prägt, für ei­ne ge­wis­se Form von Rück­stän­dig­keit ste­hend. Der Er­zäh­ler in die­sen Ro­ma­nen schuf Satz­mäander um Satz­mä­an­der, be­herrsch­te die Kunst der Re­pe­ti­ti­on, über­ließ (li­te­ra­risch) rein gar nichts dem Zu­fall und ver­stand es den Le­ser gleich­zei­tig in Mit­leid, Wut, Ekel und Fas­zi­na­ti­on zu ver­set­zen.

Selbst in ge­hö­ri­ger Ent­fer­nung von Ka­me­ring, je­nem omi­nö­sen Kind­heits­dorf, das mehr ist als nur ein Ort, son­dern für ei­ne Men­ta­li­tät steht, fand der Ich-Er­zäh­ler nir­gend­wo Ru­he oder viel­leicht so­gar Welt­ver­trau­en – we­der in Ita­li­en (hier ent­stan­den zwei Mei­ster­wer­ke) oder Me­xi­ko noch in In­di­en bei der fast my­stisch-kon­tem­pla­ti­ven Be­ob­ach­tung der Be­stat­tungs­ri­ten. Über­all wird er von sei­nem »Ver­fol­gungs­wahn« ein­ge­holt.

Bei al­lem Fu­ror und der spür­ba­ren exi­sten­ti­el­len Not­wen­dig­keit des Prot­ago­ni­sten, sich sei­nen Kind­heits­de­for­ma­tio­nen schrei­bend zu ex­or­zie­ren kann ein ge­nau­es Stu­di­um vor al­lem der im Kärnt­ner Mi­lieu an­ge­sie­del­ten Bü­cher nicht ver­heh­len, dass hier bis­wei­len ei­ne lust­vol­le Selbst­vik­ti­mi­sie­rung in­sze­niert wird.

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Mit Mil­de und Me­lan­cho­lie

Wie Jo­sef Wink­ler sei­nen Er­in­ne­rungs­kos­mos er­wei­tert

»Re­qui­em für ei­nen Va­ter« un­ter­ti­tel­te Jo­sef Wink­ler sei­ne Er­zäh­lung »Rop­pon­gi« aus dem Jahr 2007. Auf ei­ner Vor­trags­rei­se in Ja­pan er­fährt der Ich-Er­zäh­ler, der gro­ße Ähn­lich­kei­ten mit Jo­sef Wink­ler be­sitzt, vom Tod sei­nes Va­ters, je­nem über- und all­mächtigen »Acker­mann aus Kärn­ten« mit dem Wink­ler in sei­nen Bü­chern, vor al­lem in den er­sten Ro­ma­nen, wuch­tig, ex­pres­siv und an­kla­gend groll­te. Der Va­ter sym­bo­li­sier­te En­ge, Ar­cha­ik und Stumpf­sinn, atem­los wird ei­ne schreck­li­che Kind­heit und Ju­gend aus dem schreck­li­chen Dorf Ka­me­ring in Kärn­ten in den 1950er/1960er Jah­ren er­zählt. Der »Acker­mann aus Kärn­ten« wur­de zum Ar­che­typ für ei­ne gan­ze Re­gi­on, ei­ne gan­ze Epo­che. Auf­fal­lend in »Rop­pon­gi« war aber die Mil­de mit der Wink­ler er­zähl­te, ei­ne Mil­de, die zwar die Schrecken der Kind­heit und Ju­gend im­mer wie­der blitz­ar­tig auf­leuch­ten ließ, aber am En­de dann doch vor dem 99jährigen To­ten (Jahr­gang 1905) den Re­spekt nicht ver­sag­te. Der Ich-Er­zäh­ler sei­ner Bü­cher hat­te sich von sei­nem Lei­den eman­zi­piert, los­ge­schrie­ben und konn­te da­mit nun vor­ur­teils­frei­er auf sei­ne Fi­gu­ren blicken und, in Gren­zen, ih­re Mo­ti­va­tio­nen er­for­schen. Die Ex­pres­si­vi­tät ver­schwand nicht, wur­de aber auf­ge­füllt mit an­ek­do­ti­schem. Da­hin­ter durch­aus spür­bar: die Furcht, der Fluch des Va­ters, nach sei­nem Tod kön­ne er, der Sohn, nicht mehr schrei­ben, weil er nie­man­den mehr ha­be, über den er schrei­ben kön­ne, könn­te sich viel­leicht er­fül­len.

Sechs Jah­re spä­ter leuch­tet Wink­ler ei­ne wei­te­re Fa­cet­te sei­nes Kind­heit und Ju­gend aus, die im Ti­tel schon an­klingt: »Mut­ter und der Blei­stift«. Wie so man­ches Wink­ler-Buch ist auch die­se knapp 60seitige Er­zäh­lung ein Tri­pty­chon. Vor­an­ge­stellt ist ihr als ei­ne Art Pro­log ei­ne klei­ne­re Er­zäh­lung (30 Sei­ten) mit dem Ti­tel »Da flog das Wort auf«. Mit Zi­ta­ten von Il­se Ai­chin­ger wird ei­ne dü­ste­re Welt evo­ziert, die nach den Schrecken des Krie­ges (die Groß­mutter müt­ter­li­cher­seits ver­sank in Apa­thie, als sie kurz hin­ter­ein­an­der die Bot­schaft er­reich­te, dass drei ih­rer Söh­ne – 18, 20 und 22 Jah­re alt – im Krieg »ge­fallen« wa­ren) nicht mehr got­tes- son­dern sa­tans­fürch­tig wur­de und (für Wink­ler­sche Ver­hält­nis­se) früh mit 60 Jah­ren an »ge­bro­che­nem Her­zen« starb.

Josef Winkler: Mutter und der Bleistift
Jo­sef Wink­ler:
Mut­ter und der Blei­stift
In »Mut­ter und der Blei­stift« wer­den die Ein­drücke über die Mut­ter des Er­zäh­lers do­mi­nant, ei­ner Mut­ter, die bis­her in den Bü­chern Wink­lers kei­ne we­sent­li­che Rol­le spiel­te. Das könn­te dar­an lie­gen, dass er, der Er­zäh­ler, die Mut­ter scho­nen woll­te und jetzt, nach­dem sie um 2012 ge­stor­ben ist (wenn die Da­ten denn stim­men, wo­bei Wink­ler ein­mal [ab­sichts­voll!] schreibt, die Mut­ter sei mit 86 ge­stor­ben und ein­mal mit 87) mehr er­zäh­len möch­te. Zum an­de­ren war sie für vie­le Jah­re, aus de­nen schließ­lich zwei Jahr­zehnte wur­den, wie ih­re Mut­ter in Apa­thie und Schwer­mut ver­fal­len und träum­te sich da­bei in ei­ne To­ten­welt hin­ein. Zwar er­le­dig­te sie ih­re haus­frau­li­chen Tä­tig­kei­ten (was groß­ar­tig evo­ziert wird, bei­spiels­wei­se wenn sie ihn, den »Seppl«, durch­aus mit In­brunst ver­prü­gel­te), aber al­les nur schwei­gend bzw. na­he­zu schwei­gend, wo­bei es dann pass­te, dass sie am Hof ei­ne taub-stum­me Magd hat­ten, die aber trotz­dem mehr re­de­te als die Mut­ter. Je­des Wort, das die Mut­ter sprach wur­de zum Er­eig­nis, zur Ma­ni­fe­sta­ti­on und ihr »Na!« (Nein) als der Va­ter nach der Ge­burt des Nach­züg­lers mit noch ei­nem wei­te­ren, ei­nem 7. Kind ko­ket­tier­te, grenz­te schon an Auf­leh­nung. Die na­he­zu schwei­gen­de Mut­ter leb­te »völ­lig zurückge­zogen«, d. h. aus­schließ­lich auf dem Hof, be­trat kei­ne an­de­ren Hö­fe im Dorf. Be­su­che gab es auch fast kei­ne (nur die bei­den Schwe­stern ab und an).

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To­sen­de Bil­der­wel­ten – Jo­sef Wink­ler zum 60.

Kurz nach der Pu­bli­ka­ti­on sei­nes Erst­lings­ro­mans »Menschen­kind« 1979 hat­te Jo­sef Wink­ler ei­nen wei­te­ren Text für die Li­te­ra­tur­zeit­schrift »ma­nu­skrip­te« ge­schrie­ben und ver­öf­fent­licht. Er er­scheint heu­te, nach mehr als 30 Jah­ren, »neu durch­ge­se­hen« vom Au­tor, erst­mals als Buch. Aus »Das lä­cheln­de Ge­sicht der To­ten­mas­ke der El­se Las­ker-Schü­­ler« wur­de »Wort­schatz der Nacht«, was scha­de ist, denn der ur­sprüng­li­che ...

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»In der Zeit der Lin­den­blü­te« – Jo­sef Wink­lers Zorn auf Kla­gen­furt

Heu­te ha­ben die Le­sun­gen zum In­ge­borg-Bach­mann-Wett­be­werb 2009 be­gon­nen und 3sat ist live aus Kla­gen­furt da­bei. In der Pau­se dis­ku­tiert man über das Ur­he­ber­recht. Das hat zwar nichts mit dem Bach­mann­preis zu tun, aber er­regt die Ge­mü­ter.

Kein Wort über Jo­sef Wink­lers gest­ri­ge Re­de, die in­zwi­schen auch die Ge­mü­ter er­re­gen dürf­te. Auf der Web­sei­te von »Kul­tur­zeit« fin­det sich al­ler­dings hier­zu bis jetzt nichts.

Da­bei ist Wink­lers Fu­ror bei­ßend:

Die­se Stadt Kla­gen­furt, die sich seit über 30 Jah­ren, jähr­lich im Ju­ni, in der Zeit der Lin­den­blü­te, als deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur­haupt­stadt fei­ern lässt, ist wohl die ein­zi­ge Stadt Mit­tel­eu­ro­pas mit 100 000 Ein­woh­nern, in der es kei­ne ei­ge­ne Stadt­bi­blio­thek gibt, in ei­nem Land, in dem der da­ma­li­ge, in­zwi­schen ein­ge­äscher­te Lan­des­haupt­mann ge­mein­sam mit dem röm.-kath. Par­tei­vor­sit­zen­den der so­ge­nann­ten christ­lich-so­zia­len Volks­par­tei – der vor ei­nem Jahr ei­nen schwe­ren Ver­kehrs­un­fall über­lebt und nach sei­ner Ge­ne­sung im Freun­des­kreis de­muts­voll er­zählt hat, dass ihm, um sei­ne Wor­te zu ge­brau­chen, die »Lour­des-Mit­zi« beim Ver­kehrs­un­fall das Le­ben ge­ret­tet hat -, die­ser Kärnt­ner ÖVP-Vor­sit­zen­de und der ehe­ma­li­ge Kärnt­ner Lan­des­haupt­mann, der sich mit sei­ner Asche aus dem Staub ge­macht hat, ha­ben im ver­gan­ge­nen Jahr beim Ver­kauf der Kärnt­ner Hy­po-Bank ei­nem Vil­la­cher Steu­er­be­ra­ter für sei­ne zwei­mo­na­ti­ge münd­li­che Be­ra­tung ein Ho­no­rar in Hö­he von sechs Mil­lio­nen Eu­ro in räu­be­ri­scher Ma­nier aus Lan­des­ver­mö­gen zu­ge­schanzt. Und höchst ap­pe­tit­li­cher­wei­se ist die­ser Vil­la­cher Steu­er­be­ra­ter auch noch der per­sön­li­che Steu­er­be­ra­ter des Kärnt­ner ÖVP-Po­li­ti­kers, dem him­mel- und gott­sei­dank die Lour­des-Mit­zi bei ei­nem Ver­kehrs­un­fall das Le­ben ge­ret­tet hat. Ge­grüßt seiest du, Ma­ria, Kö­ni­gin der Gü­te, Öl­baum der Barm­her­zig­keit, durch wel­chen uns die Arz­nei des Le­bens zu­kommt!

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Tho­mas Bern­hard: Mei­ne Prei­se

Thomas Bernhard: Meine Preise
Tho­mas Bern­hard: Mei­ne Prei­se

Ei­ne Zeit­rei­se. Ein dé­jà-vu. Er ist wie­der da. Man hält ein neu­es Buch in der Hand, »Mei­ne Prei­se«. Na­tür­lich weiss man – es ist ein nach­ge­las­se­nes Werk. Rai­mund Fellin­ger ord­net es am En­de phi­lo­lo­gisch ein. Um 1980 (viel­leicht 1981) her­um hat­te es Tho­mas Bern­hard fer­tig­ge­stellt; ei­ni­ge Sei­ten des Ty­po­skripts sind fak­si­mi­liert. Für ei­nen kur­zen Nach­mit­tag nur be­ginnt die Wü­ste wie­der zu le­ben. Aber klar, Tho­mas Bern­hard bleibt tot und bis auf wei­te­res sind kei­ne Wun­der zu er­war­ten.

Na­tur­ge­mäss (!) möch­te der Ver­lag ei­ne Art Re­vi­val be­grün­den. Ein neu­es Buch! Zwan­zig­ster To­des­tag! Jo­sef Wink­ler mein­te neu­lich, dass kaum ein Schrift­stel­ler die öster­rei­chi­sche Li­te­ra­tur der 1960er bis 90er Jah­re so be­ein­flusst ha­be wie Tho­mas Bern­hard (zu den Epi­go­nen seufz­te er). Tat­säch­lich war Bern­hard kur­ze Zeit auch der meist­ge­spiel­te Dra­ma­ti­ker auf deutsch­spra­chi­gen Büh­nen. Und heu­te? Bern­hard wer­de von den jun­gen Schrift­stel­lern, so Wink­ler, kaum noch ge­le­sen (ähn­lich wie Hand­ke, aber das ist ein an­de­res The­ma).

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Hand­ke, Rat­ten­tö­ten und Ka­tho­li­zis­mus

Jo­sef Wink­ler, Büch­nerpreis­trä­ger 2008, in Neuss

Nach der Le­sung aus ei­nem Buch »Rop­pon­gi« wur­de Jo­sef Wink­ler aus dem Pu­bli­kum ge­fragt, ob er ei­nen Grund nen­nen kön­ne, war­um so vie­le, ei­gent­lich die mei­sten wort­mäch­tig­sten, zeit­ge­nös­si­schen Schrift­stel­ler deut­scher Spra­che aus Öster­reich kom­men wür­den (Hand­ke, Je­li­nek, Tho­mas Bern­hard und na­tür­lich auch Wink­ler).

Wink­ler über­leg­te kaum, ant­wor­te­te sehr schnell, an­fangs mit ei­ner Art Stot­tern oder, bes­ser, Stam­meln, als hät­te er die Fra­ge schon Wo­chen vor­her ge­wusst. Na­ja, sag­te er, es gä­be doch auch ei­ni­ge sehr gu­te Schrift­stel­ler aus der Schweiz. Ge­läch­ter im Pu­bli­kum. Dann hat­te Wink­ler sei­ne Ge­dan­ken sor­tiert. Hand­ke, Je­li­nek, Bern­hard – das sei­en eu­ro­päi­sche Aus­nah­me­erschei­nun­gen. Ins­be­son­de­re Hand­ke.

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