Angeregt durch »en-passant« in einem Kommentar wurde ich auf ein kurzes, aber interessantes Gespräch in der FAZ zwischen Hubert Spiegel und den beiden Schriftstellerinnen Sibylle Lewitscharoff und Felicitas Hoppe aufmerksam. Unter dem leicht philisterhaften Titel »Haben Sie Überväter, meine Damen?« entwickelt sich ein erstaunliches Selbstbewusstsein einer Schriftstellergeneration den »alten Garden« gegenüber.
Es geht gleich in medias res und es fallen kühne Sätze, wie hier von Felicitas Hoppe:
Egon Bahr (c Wikipedia)Wenn man die »Tutzinger Rede« [PDF-Dokument] von 1963 von Egon Bahr heute liest und sie gleichzeitig von dem speziellen Thema des »Kalten Krieges« entkoppelt, so kann man den Äusserungen noch viel Nützliches entnehmen. Selten traf ein Titel so genau ins Schwarze: Wandel durch Annäherung. Das galt damals als sensationell, ja revolutionär. Der »Osten« galt als »Feind«; die Adenauer-Ära tat ein übriges an der Verfestigung dieser pauschalen Weltsicht. Und da kam jemand, der zum vorsichtigen (und zielgerichteten) Dialog mit dem »Teufel« aufrief.
Zwei Artikel in der aktuellen ZEIT, die sich mit dem RAF-Terrorismus auseinandersetzen:Peter Schneiders sich aufklärerisch gebender Aufsatz »Rächer wollen sie sein« und Jan Philipp Reemtsmas brillante Analyse »Lust an Gewalt«.
Unterschiedlicher könnten die Texte fast nicht sein – obwohl beide zu einem ähnlichen Resultat kommen. Aber wie so oft ist der Weg mindestens ein Teil des Ziels.
Was sind eigentlich Weblogs? Welche Erwartungen sind mit ihnen verknüpft? Wird mit Weblogs wirklich die Öffentlichkeit demokratisiert? Oder sind diese hohen Erwartungen bereits Makulatur, in dem die Masse der »persönlichen Tagebücher« eher banales, peinliches oder schlichtweg belangloses aufzeigen?
Der Essay von Geert Lovink mit dem Titel Blogging, the nihilist impulse (in deutsch unter dem Titel Digitale Nihilisten bei »Lettre International«, Heft 73, erschienen; Auszüge hier) versucht, diese Fragen zu beantworten. Das Verdienst dieser Untersuchung liegt u. a. darin, dass der Autor um Objektivität bemüht ist; Kassandrarufe über die verlorene Kraft des »Web 2.0« sind ihm ebenso fremd wie die emphatische Ausrufung einer neuen basisdemokratischen Gesellschaftsordnung. Neben Zitate von Experten für digitale Medien gibt es Rekurse u. a. auf Heidegger, Canetti, Baudrillard und (natürlich) Sloterdijk.
Lovink versucht nichts weniger als die Quadratur des Kreises: Den Begriff des Weblogs aus einem Definitions- und Erkennungsgespinst zu entwirren und dann die Zukunft dieses ’neuen Mediums’ vorherzusagen. Dabei ist es ganz klar, dass es durch die Heterogenität des Gegenstandes grobe Verallgemeinerungen gibt und das der Aufsatz gelegentlich ins Schwimmen kommt (in der englischen Sprache scheint sich der Autor besser ausdrücken zu können als im Deutschen). Insofern sollen diese gelegentlich groben Vereinfachungen nicht kritisiert und thematisiert werden; auch diese Betrachtung hier wird aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht alle Verästelungen gleichermassen berücksichtigen können.
»Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? […] Wir brauchen aber Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord…« (Franz Kafka an Oskar Pollak 1904)
Martin von Arndt: ego shooterDer Einstieg: Im Nu. Schon nach den ersten Seiten des Buches kann man sich diesem Sog nicht mehr entziehen, der von Kovács Erzählstrom (eine Niederschrift?) ausgeht. Der Leser taucht mit dem Protagonisten in eine Welt, die er so noch nie gesehen hat. ego shooter ist ein Abenteuer für den Leser; ein Buch, das beisst und sticht.
Und schnell vergisst man die gängigen Klischees der Nerds, die Tag und Nacht vor den Computern hocken und »herumballern«. Kovács ist zwar ein Spieler; ein Profispieler. Er hat vieles über die (deutschen) »Fliegerhelden« des ersten und zweiten Weltkriegs gelesen und spielt nächtelang in speziellen Foren um Punkte und Geld mit entsprechenden Flugsimulatoren. Aber der adler ist ein Mensch, nicht nur ein seelenloser Benutzername. Und es ist das Verdienst von Martin von Arndt, dies in den Vordergrund des Buches zu stellen; ego shooter ist primär kein Psychogramm eines »Ballerspielers«. Es ist eher eine Selbstvergewisserungsschrift eines Menschen, der droht, an der Welt zu verzweifeln (das er es noch nicht ist, macht eine Qualität dieses hochambitionierten und grandiosen Buches aus).
Ein bisschen pseudo-investigativ gibt man sich bei »Report Mainz«: Dabei ist das Grusswort von Christian Klar vom 15.01.07 zur Rosa-Luxemburg-Konferenz, »das dem ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ vorliegt« im Internet einfach herunterzuladen – bei der »Jungen Welt«.
In dieser Diskussion wurde u. a. gefragt, wie sich Christian Klar, der ein Gnadengesuch zur vorzeitigen Entlassung gestellt hat, zur heutigen politischen Situation stellt. Das Grusswort gibt hierüber wenigstens teilweise Auskunft. Ich stelle den Text hier im Original- Wortlaut ein.
Fast genau in der Mitte von Beim Häuten der Zwiebel fragt der Autor (und mit ihm der bis dahin geduldig gefolgte Leser): Was noch ist mir vom Krieg und aus der Zeit des Lagerlebens außer Episoden geblieben, die zu Anekdoten zusammengeschnurrt sind oder als wahre Geschichten variabel bleiben wollen? Eine schöne und treffende Charakterisierung des gesamten Buches. Dass es im vergangenen Sommer überhaupt einen derart grossen Furor auslöste, ist dem verstohlen auf Seite 126 wie beiläufig erwähnten Tatbestand geschuldet, mit dem Günter Grass seine Zugehörigkeit zu einer Einheit der Waffen-SS erwähnt (ja, erwähnt; nicht erzählt). Und weil dies bis Mitte August kaum jemand bemerkt hatte (die Kritiker hatten wohl so genau die Rezensionsexemplare nicht gelesen), kam es im berühmten FAZ-Interview zur Vorab-Beichte.
Endlich hatten diejenigen, denen Grass jahrzehntelang die Leviten oder anderes gelesen hatte, einen Hebel gefunden, mit dem sie das Denkmal stürzen wollten oder glaubten, es zu können.
Ein junger Telefontechniker, Züchter von Dalmatinern im Nebenberuf, kam am frühen Nachmittag, etwas zu früh, von seiner Arbeit nach Hause. Er fand seine Wohnung kahl, vollkommen ausgeräumt. Seine Frau aber stand an der nackten Wand, lehnte mit dem Rücken an, und ihr gegenüber, ebenfalls mit dem Rücken an die Wand gelehnt, stand ein Mann, den er nie zuvor gesehen hatte. Beide atmeten erschöpft in den letzten Zügen eines langen Streits, eines die Affäre beendenden, wie es schien, denn die Worte, die sie jetzt noch wechselten, troffen wie aus einer ausgepreßten Leidenschaftsfrucht und ihr Sinn entglitt ins Abstruse.
Er, dieser Fremde, sagte: Wenn wir die Möbel tiefer ins Zimmer gerückt hätten...Tiefer, ganz tief, nach hinten, noch tiefer...
Seine ihm nicht weniger fremde Frau sagte: Das Zimmer ist nicht so tief, daß man sich irgend etwas hätte vom Leib rücken können. Und schon gar nicht, um es genau zu sagen, mich etwa.
Da bemerkte er an seiner Frau ein vorher nie gesehenes Rucken des Kopfes, und zwar zu dem anderen hin, dem Fremden, so wie man jemanden mit angehobenem Kinn auf- oder herausfordert: Komm Komm Komm! ... lch zeig es dir! Aber nichts kam mehr von der anderen Seite. Sie ruckte den Kopf auffordernd, ohne noch etwas zu erwarten, als sei es ihr schon zur Marotte geworden.