»Ju­ri­sti­scher Pups«

Es ist schwie­rig, in der all­ge­mei­nen Skan­da­li­sie­rung um die Frank­fur­ter Rich­te­rin, die dann flugs zum Be­leg für die »Ko­ran­hö­rig­keit« der deut­schen Ju­stiz auf­ge­bla­sen wird, ei­ne be­son­ne­ne, ru­hi­ge Stim­me zu fin­den, die sich dem all­ge­mei­nen Ge­gei­fer nicht an­schliesst. Selbst so li­be­ra­le und nor­ma­ler­wei­se ver­ant­wor­tungs­vol­le Po­li­ti­ker wie Die­ter Wie­fel­spütz von der SPD wa­ren nicht vor vor­schnel­len Ver­ur­tei­lun­gen ge­feit; da woll­te wohl nie­mand zu­rück­ste­hen.

He­ri­bert Prantl stellt in der heu­ti­gen Aus­ga­be der »Süd­deut­schen Zei­tung« klar, dass die »Af­fä­re«, die (von den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen lie­bend ger­ne) als »Kul­tur­kampf« hoch­sti­li­siert wird, nur ein ju­ri­sti­scher Pups ist.

Da­bei lässt Prantl – na­tür­lich! – kei­nen Zwei­fel dar­an, dass die Be­grün­dung der Rich­te­rin gro­ber Un­fug ist. Na­tür­lich darf man sich nicht auf den Ko­ran be­zie­hen, der (je nach Aus­le­gung) häus­li­che Ge­walt recht­fer­ti­gen könn­te. Aber Prantl stellt auch klar:

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Ab­schied von den Al­ten

An­ge­regt durch »en-pas­sant« in ei­nem Kom­men­tar wur­de ich auf ein kur­zes, aber interess­antes Ge­spräch in der FAZ zwi­schen Hu­bert Spie­gel und den bei­den Schrift­stellerinnen Si­byl­le Le­witschar­off und Fe­li­ci­tas Hop­pe auf­merk­sam. Un­ter dem leicht phi­li­ster­haf­ten Ti­tel »Ha­ben Sie Über­vä­ter, mei­ne Da­men?« ent­wickelt sich ein er­staun­li­ches Selbst­be­wusst­sein ei­ner Schrift­steller­ge­nera­ti­on den »al­ten Gar­den« ge­gen­über.

Es geht gleich in me­di­as res und es fal­len küh­ne Sät­ze, wie hier von Fe­li­ci­tas Hop­pe:

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Egon Bahr wird 85

Egon Bahr (c Wikipedia)
Egon Bahr (c Wi­ki­pe­dia)
Wenn man die »Tutz­in­ger Re­de« [PDF-Do­ku­ment] von 1963 von Egon Bahr heu­te liest und sie gleich­zei­tig von dem spe­zi­el­len The­ma des »Kal­ten Krie­ges« ent­kop­pelt, so kann man den Äu­sse­run­gen noch viel Nütz­li­ches ent­neh­men. Sel­ten traf ein Ti­tel so ge­nau ins Schwar­ze: Wan­del durch An­nä­he­rung. Das galt da­mals als sen­sa­tio­nell, ja re­vo­lu­tio­när. Der »Osten« galt als »Feind«; die Ade­nau­er-Ära tat ein üb­ri­ges an der Ver­fe­sti­gung die­ser pau­scha­len Welt­sicht. Und da kam je­mand, der zum vor­sich­ti­gen (und ziel­ge­rich­te­ten) Dia­log mit dem »Teu­fel« auf­rief.

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Selbst­über­hö­hungs­phan­ta­sien und Dumm­heit

Zwei Ar­ti­kel in der ak­tu­el­len ZEIT, die sich mit dem RAF-Ter­ro­ris­mus auseinandersetzen:Peter Schnei­ders sich auf­klä­re­risch ge­ben­der Auf­satz »Rä­cher wol­len sie sein« und Jan Phil­ipp Reemts­mas bril­lan­te Ana­ly­se »Lust an Ge­walt«.

Un­ter­schied­li­cher könn­ten die Tex­te fast nicht sein – ob­wohl bei­de zu ei­nem ähn­li­chen Re­sul­tat kom­men. Aber wie so oft ist der Weg min­de­stens ein Teil des Ziels.

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Di­gi­ta­le Nar­ziss­ten

Was sind ei­gent­lich Web­logs? Wel­che Er­war­tun­gen sind mit ih­nen ver­knüpft? Wird mit Web­logs wirk­lich die Öf­fent­lich­keit de­mo­kra­ti­siert? Oder sind die­se ho­hen Er­war­tun­gen be­reits Ma­ku­la­tur, in dem die Mas­se der »per­sön­li­chen Ta­ge­bü­cher« eher ba­na­les, pein­li­ches oder schlicht­weg be­lang­lo­ses auf­zei­gen?

Der Es­say von Ge­ert Lo­vink mit dem Ti­tel Blog­ging, the ni­hi­list im­pul­se (in deutsch un­ter dem Ti­tel Di­gi­ta­le Ni­hi­li­sten bei »Lett­re In­ter­na­tio­nal«, Heft 73, er­schie­nen; Aus­zü­ge hier) ver­sucht, die­se Fra­gen zu be­ant­wor­ten. Das Ver­dienst die­ser Un­ter­su­chung liegt u. a. dar­in, dass der Au­tor um Ob­jek­ti­vi­tät be­müht ist; Kas­san­dra­ru­fe über die ver­lo­re­ne Kraft des »Web 2.0« sind ihm eben­so fremd wie die em­pha­ti­sche Aus­ru­fung ei­ner neu­en basis­demokratischen Ge­sell­schafts­ord­nung. Ne­ben Zi­ta­te von Ex­per­ten für di­gi­ta­le Me­di­en gibt es Re­kur­se u. a. auf Heid­eg­ger, Ca­net­ti, Bau­dril­lard und (na­tür­lich) Slo­ter­di­jk.

Lo­vink ver­sucht nichts we­ni­ger als die Qua­dra­tur des Krei­ses: Den Be­griff des Web­logs aus ei­nem De­fi­ni­ti­ons- und Er­ken­nungs­ge­spinst zu ent­wir­ren und dann die Zu­kunft die­ses ’neu­en Me­di­ums’ vor­her­zu­sa­gen. Da­bei ist es ganz klar, dass es durch die He­te­ro­ge­ni­tät des Ge­gen­stan­des gro­be Ver­all­ge­mei­ne­run­gen gibt und das der Auf­satz ge­le­gent­lich ins Schwim­men kommt (in der eng­li­schen Spra­che scheint sich der Au­tor bes­ser aus­drücken zu kön­nen als im Deut­schen). In­so­fern sol­len die­se ge­le­gent­lich gro­ben Ver­ein­fa­chun­gen nicht kri­ti­siert und the­ma­ti­siert wer­den; auch die­se Be­trach­tung hier wird aus Grün­den der Über­sicht­lich­keit nicht al­le Ver­äste­lun­gen glei­cher­ma­ssen be­rück­sich­ti­gen kön­nen.

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Mar­tin von Arndt: ego shoo­ter

»Ich glau­be, man soll­te über­haupt nur sol­che Bü­cher le­sen, die ei­nen bei­ßen und ste­chen. Wenn das Buch, das wir le­sen, uns nicht mit ei­nem Faust­schlag auf den Schä­del weckt, wo­zu le­sen wir dann das Buch? […] Wir brau­chen aber Bü­cher, die auf uns wir­ken wie ein Un­glück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod ei­nes, den wir lie­ber hat­ten als uns, wie wenn wir in Wäl­der ver­sto­ßen wür­den, von al­len Men­schen weg, wie ein Selbst­mord…« (Franz Kaf­ka an Os­kar Pol­l­ak 1904)

Martin von Arndt: ego shooter
Mar­tin von Arndt: ego shoo­ter
Der Ein­stieg: Im Nu. Schon nach den er­sten Sei­ten des Bu­ches kann man sich die­sem Sog nicht mehr ent­zie­hen, der von Ko­vács Er­zähl­strom (ei­ne Nie­der­schrift?) aus­geht. Der Le­ser taucht mit dem Prot­ago­ni­sten in ei­ne Welt, die er so noch nie ge­se­hen hat. ego shoo­ter ist ein Aben­teu­er für den Le­ser; ein Buch, das beisst und sticht.

Und schnell ver­gisst man die gän­gi­gen Kli­schees der Nerds, die Tag und Nacht vor den Com­pu­tern hocken und »her­um­bal­lern«. Ko­vács ist zwar ein Spie­ler; ein Pro­fi­spie­ler. Er hat vie­les über die (deut­schen) »Flie­ger­hel­den« des er­sten und zwei­ten Welt­kriegs ge­le­sen und spielt näch­te­lang in spe­zi­el­len Fo­ren um Punk­te und Geld mit ent­spre­chen­den Flug­si­mu­la­to­ren. Aber der ad­ler ist ein Mensch, nicht nur ein see­len­lo­ser Be­nut­zer­na­me. Und es ist das Ver­dienst von Mar­tin von Arndt, dies in den Vor­der­grund des Bu­ches zu stel­len; ego shoo­ter ist pri­mär kein Psy­cho­gramm ei­nes »Bal­ler­spie­lers«. Es ist eher ei­ne Selbst­ver­ge­wis­se­rungs­schrift ei­nes Men­schen, der droht, an der Welt zu ver­zwei­feln (das er es noch nicht ist, macht ei­ne Qua­li­tät die­ses hoch­am­bi­tio­nier­ten und gran­dio­sen Bu­ches aus).

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»Ge­spen­ster der Ent­frem­dung« – Chri­sti­an Klar äu­ssert sich

Ein biss­chen pseu­do-in­ve­sti­ga­tiv gibt man sich bei »Re­port Mainz«: Da­bei ist das Gruss­wort von Chri­sti­an Klar vom 15.01.07 zur Ro­sa-Lu­xem­burg-Kon­fe­renz, »das dem ARD-Po­li­tik­ma­ga­zin REPORT MAINZ vor­liegt« im In­ter­net ein­fach her­un­ter­zu­la­den – bei der »Jun­gen Welt«.

In die­ser Dis­kus­si­on wur­de u. a. ge­fragt, wie sich Chri­sti­an Klar, der ein Gna­den­ge­such zur vor­zei­ti­gen Ent­las­sung ge­stellt hat, zur heu­ti­gen po­li­ti­schen Si­tua­ti­on stellt. Das Gruss­wort gibt hier­über we­nig­stens teil­wei­se Aus­kunft. Ich stel­le den Text hier im Ori­gi­nal- Wort­laut ein.

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Gün­ter Grass: Beim Häu­ten der Zwie­bel

Fast ge­nau in der Mit­te von Beim Häu­ten der Zwie­bel fragt der Au­tor (und mit ihm der bis da­hin ge­dul­dig ge­folg­te Le­ser): Was noch ist mir vom Krieg und aus der Zeit des La­ger­le­bens au­ßer Epi­so­den ge­blie­ben, die zu An­ek­do­ten zu­sam­men­ge­schnurrt sind oder als wah­re Ge­schich­ten va­ria­bel blei­ben wol­len? Ei­ne schö­ne und tref­fen­de Cha­rak­te­ri­sie­rung des ge­sam­ten Bu­ches. Dass es im ver­gan­ge­nen Som­mer über­haupt ei­nen der­art gro­ssen Fu­ror aus­lö­ste, ist dem ver­stoh­len auf Sei­te 126 wie bei­läu­fig er­wähn­ten Tat­be­stand ge­schul­det, mit dem Gün­ter Grass sei­ne Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­ner Ein­heit der Waf­fen-SS er­wähnt (ja, er­wähnt; nicht er­zählt). Und weil dies bis Mit­te Au­gust kaum je­mand be­merkt hat­te (die Kri­ti­ker hat­ten wohl so ge­nau die Re­zen­si­ons­exem­pla­re nicht ge­le­sen), kam es im be­rühm­ten FAZ-In­ter­view zur Vor­ab-Beich­te.

End­lich hat­ten die­je­ni­gen, de­nen Grass jahr­zehn­te­lang die Le­vi­ten oder an­de­res ge­le­sen hat­te, ei­nen He­bel ge­fun­den, mit dem sie das Denk­mal stür­zen woll­ten oder glaub­ten, es zu kön­nen.

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