Der Untertitel des Buches lautet »Was ein guter Präsident tun und was er lassen sollte« – und er ist wörtlich gemeint! Madeleine Albright hat eine Art Vademecum für den neuen Präsidenten verfasst (zusammen mit dem von anderen Büchern bereits bekannten Bill Woodward, der in der deutschen Ausgabe erst auf dem Schmutztitel erscheint); einen Ratgeber, der sich insbesondere den Abläufen im »Treibhaus« Washington und der Aussenpolitik widmet.
Das zeugt nicht nur von erstaunlichem Selbstbewusstsein, sondern offenbart auch eine gewisse Pikanterie. Zwar beteuert Albright zu Beginn, dass sie die maskuline Form für »Präsident« nur aus aktuellen Gründen beibehält (und die weibliche Form für den Aussenminister [die Aussenministerin] verwendet), aber durch die Prognose, einen Präsidenten aus ihrer Partei (den Demokraten) ab Januar 2009 im Weissen Haus zu sehen, kann sie eigentlich nur Barack Obama beim Schreiben des Buches im Auge gehabt haben. Denn Hillary Clinton braucht sie weder über die überbordende Bürokratie, noch über illoyale Beamte, die Abgründe im Umgang mit der Presse, die Fallstricke des Nationalen Sicherheitsrates (NSC), die mehr oder weniger bedeutungslose Rolle des Vizepräsidenten in der amerikanischen Verfassung oder die Gewichtung des Aussenministeriums im Verhältnis zum Pentagon aufzuklären – das hat sie in den acht Jahren der Präsidentschaft ihres Mannes gewiss zur Genüge mitbekommen. Obama dürften derartige Verflechtungen (die hier sicherlich nur stark vereinfacht wiedergeben werden; die tatsächlichen Vernetzungen und Seilschaften dürften den potentiellen Leser [1.] schnell ermüden und [2.] für einen Aussenstehenden kaum nachvollziehbar sein) nicht derart präsent sein.
Und so verwundert es dann nicht unbedingt, wenn Hillary Clinton Albright stiekum aus der Vorzeige-Wahlkampfmannschaft entfernt hat. Das hat eventuell den Grund, dass sie glaubt, Albright werde zu stark mit dem (derzeit verhassten) Washingtoner Politestablishment in Verbindung (wie neulich die »Zeit« mutmasste). Es kann aber auch damit zu tun haben, dass Albright das, was sie in dem Buch beschreibt, einer Hillary Clinton nicht so richtig zutraut und ihr dies so zu verstehen geben will.
Immer wieder: Kennedy und Clinton
Dabei gibt es nach der Lektüre keinen Zweifel: Hillarys Mann, Bill Clinton, ist eine Leit- und Schlüsselfigur für Albright. Übertroffen wird diese Verehrung nur durch die Glorifizierung von John F. Kennedy. (Bei den republikanischen Präsidenten lässt sie Respekt und eine gewisse Anerkennung für Reagan anklingen.) Dies führt manchmal zu erstaunlichen, euphemistischen historischen Interpretationen.
So erwähnt Albright nur in einem Passivsatz, dass Kennedy quasi den Grundstein zum Vietnamkrieg gelegt hatte (sie zeichnet ihn gleichsam als einen Antimilitaristen). Die Gründe für die immer steigende Präsenz der USA im damaligen Südvietnam – die umstrittene »Domino-Theorie« Dulles’ bzw. Eisenhowers (sie feierte im amerikanischen Neokonservatismus in Bezug auf die Demokratisierung des Nahen Ostens wieder Auferstehung) – wird vollends unter den Tisch gekehrt. So hat dann Johnson nach dem Attentat auf Kennedy eben nicht den Vietnamkrieg bloss »geerbt« und war – auch das vereinfacht Albright – von seinen eigenen Zweifeln geprägt. Er hat vielmehr entscheidend zur Eskalation beigetragen und unter seiner Präsidentschaft begannen 1965 die Bombardements auf Nordvietnam (dass Johnson einfach nur nicht der erste Verliererpräsident in der Geschichte sein wollte, darf doch keine seriöse Rechtfertigung sein). Dies kann durchaus als Kontinuum von Kennedys »Bollwerk«-Politik gegen den Kommunismus betrachtet werden und entsprach einfach der damaligen Doktrin. Eine übertriebene Heroisierung von Protagonisten trägt meistens wenig zur nüchternen Betrachtung der Geschichte bei.
Albright nimmt sich am Anfang vor, wenig von der Vergangenheit und viel von der Zukunft zu reden. Das hält sie nicht immer ein, weil sie naturgemäss auf Entwicklungen der letzten Jahre Bezug nehmen muss. Ihre Rekurse gehen jedoch teilweise über Lincoln bis Washington zurück. Man kann dabei förmlich mit Händen greifen, wie sehr sie während der Präsidentschaft von George W. Bush gelitten haben muss und einige Male verlässt sie ihre diplomatische Zurückhaltung (gequält wirken da die gelegentlichen Lobe auf die Bush-Regierung, die sich fast nur an Selbstverständlichkeiten festmachen).
Nicht ohne Bigotterie
Da ist dann von einer Beschädigung des guten Namens Amerika die Rede; Bush habe versagt und sie stellt die schiere Inkompetenz der gegenwärtigen Regierung fest. Die USA hätten die moralische Legitimität verloren. Ihren Nachfolgern schreibt sie ins Stammbuch: Armagaddon zu antizipieren ist keine Aussenpolitik und an die Adresse von Colin Powell mag die nüchtern formulierte Feststellung gehen, Loyalität…kann Talent nicht ersetzen (obwohl sie dies in einem anderen Zusammenhang formuliert). All dies nicht frei von Zorn (sie spricht milder von Unmut bzw. Ärger).
Bei dieser Empörung ist viel Bigotterie dabei. Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht das selbe – so kann, ja, in einigen Feldern, muss man argumentieren. Natürlich wird Bush immer als Aggressor der Irakkrieges 2003 gelten. Aber der Krieg 1999, der zum Bombardement Serbiens unter der Federführung der Clinton-Administration führte, war ebenfalls völkerrechtswidrig. Und auch damals wurde mit »Beweismaterial« argumentiert, was sich nachträglich als gefälscht herausstellte. Und wenn Albright – berechtigterweise – die Afghanistan-Politik Bushs scharf attackiert, so übersieht sie nonchalant die offensichtlichen und bis heute bitter nachwirkenden Fehler, die im Kosovo (und auch Bosnien) gemacht wurden. In beiden Fällen ist die Befriedung nur oberflächlich; die Probleme wurden nicht gelöst, sondern höchstens vertagt, in Wirklichkeit aber konserviert.
Eindrücklich aber Albrights Plädoyer, dass die USA sich wieder in multinationale bzw. multilaterale Mechanismen (des Rechts, des Klimaschutzes, der UN, der Menschenrechte) einzubinden habe. Sie entwirft sogar das Modell eines Quartetts euroatlantische[r] politischer Führer (Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und die USA), die eine neue Grundlage für gemeinsame Projekte […] für den globalen Fortschritt spielen sollen. Nüchtern betrachtet reduziert sie damit die G8 auf G4.
Internes aus dem Apparat
Ihre Einblicke in den internen Apparat des Weissen Hauses sind aufschlussreich und ernüchternd zugleich. Es ist vermutlich mehr als nur ein Bonmot, wenn sie den Präsidenten als mehr oder weniger Gefangenen einer Bürokratie sieht, der oft genug droht, von entscheidenden Informationen keine Kenntnis zu erhalten und sich hauptsächlich erst einmal in der Balance zwischen dem NSC (es wird nicht ganz klar, welche Art Zuständigkeit dieses Gremium genau haben soll; Albright erläutert aber eindrucksvoll, wie brillant Kissinger es genutzt hat, so dass der amtierende Aussenminister seinerzeit oft genug gar nicht wahrgenommen wurde), dem Pentagon und dem Aussenministerium zurechtfinden muss. Ist die Entscheidung dann getroffen, hapere es oft genug in der Ausführung. Viermal, so Albright, habe man während der Kuba-Krise 1963 die strikten militärischen Anordnungen Kennedys absorbiert (bzw. diese anders »interpretiert«). Gleichzeitig zitiert sie allerdings auch Truman, der die Bürokratie als Entschuldigung nicht gelten lässt. (»Wenn der Präsident weiss, was er will, kann ihn kein Bürokrat aufhalten«).
Das möchte man der ehemaligen UN-Botschafterin Albright auch zurufen, wenn sie sich in diesem Zusammenhang ein bisschen kleinlaut für ihre Zustimmung im Sicherheitsrat zum Truppenabzug auf dem Höhepunkt der Bürgerkriegsmassaker in Ruanda 1994 rechtfertigt. Der Präsident sei, so Albright, einfach nicht entsprechend informiert gewesen und sie habe ihren Protest an einen Abteilungsleiter des NSC weiterleiten müssen. Eine ausserordentlich unbefriedigende und billige Entgegnung für das eigene Versagen.
»Blutflecken auf dem Fussboden«
Ob der Einblick, der Albright dem Leser einen Türspalt zum Oval Office gestattet, korrekt ist? Deutlich wird jedenfalls (manchmal bis zum Erschrecken): Präsidialdemokratien haben – paradoxerweise gerade in der heutigen Zeit der globalen Nachrichtenpolyphonie – Nachteile gegenüber parlamentarischen Demokratien. Die Entscheidungen, die der Präsident mehr oder weniger aufgrund weniger Berater (die er selber bestimmt und die darüber hinaus keinerlei Legitimation besitzen), alleine und quasi ohne direkte Kontrolle trifft, hängen entscheidend von einer im wesentlichen nicht demokratischen beglaubigten Administration ab. Albright plaudert wohl ein bisschen aus dem Nähkästchen, wenn sie die Gefahr beschreibt, dass sich Berater zu einer Art Desinformationskartell zusammenschliessen und dem Präsidenten entweder Wichtiges verschweigen oder Tatsachen uminterpretieren. Ihr Risiko ist gering – die Entscheidung hat stets der »einsame« Präsident zu treffen und zu verantworten. Der/die Berater winden sich u. U. mit einer damals unklaren Faktenlage heraus.
Der Beispiele für diese Ereignisse gibt es sicherlich genug – auch und gerade in der jüngeren Vergangenheit. Dennoch scheint Albright manchmal allzu arg in ihrer Ratgeberrolle in dem Buch aufzugehen (das zeigt sich auch dann, wenn sie – oft genug – Handlungsmaxime zu den unterschiedlichsten Problemen in vier oder fünf Punkten knapp und knackig, allerdings auch gelegentlich oberflächlich, ausformuliert). Denn auch wenn jemand wie Obama ins Weisse Haus einziehen sollte – ganz so unbedarft ist dieser sicherlich nicht, dass man an jeder Ecke einen missgünstigen Berater wittern oder nach Blutflecken auf dem Fussboden suchen müsste, weil unter der Oberfläche freundlicher Notizen und ziviler Umgangsformen…ein manchmal bösartiger Kampf [brodelt], bei dem es darum geht, den Präsidenten in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen.
Neben den Fallstricken des Regierungs- und Beamtenapparates des Weissen Hauses beschäftigt sich Albright – natürlich! – mit der amerikanischen Aussenpolitik. Zwar stört auch dort eine passagenweise eitle Selbstbeweihräucherung der eigenen Ära (und die Verklärung Clintons, der sich, so Albright einmal unfreiwillig komisch, gegen Ende der Amtszeit aufgearbeitet habe) – und das nicht nur im bereits angesprochenen verklärenden Blick auf den Kosovo-»Einsatz«. Ungeachtet der vereinzelten Widersprüche (…Interventionen in Bürgerkriegen: Finger weg – und dann plädiert sie doch wieder für entsprechende Einmischungen) und bisweilen altklugen Ratschläge (bei militärischen Interventionen: immer auf der Seite der Sieger stehen), ist das Buch zunächst einmal Balsam auf wunde Seele des Europäers, der in den letzten Jahren an der Bush-Politik schier verzweifelt ist.
Albright nimmt den imaginären, neu gewählten Präsidenten fast fürsorglich an das Händchen und zeigt ihm in einem Parforceritt die grosse Welt. Über die (in den USA seit je stark umstrittene) Entwicklungshilfe, die eingestandene Heuchelei der Atommächte, was den Atomwaffensperrvertrag angeht (nach einigen nachdenklichen Tönen fällt sie dann leider in das Grossmachtdenken zurück), dem immer mehr aus dem Blickwinkel der USA verschwindenden Europa (interessant hier ihre Charakterisierung von Frankreich: quietschendes Rad), dem nach wie vor gefährlichen Nahen Osten, Nordkorea (eindrücklich die Schilderungen über ihre Reise nach Nordkorea und Kim-Jong Il; hier ist sie besonders hart, was Bushs Politik angeht, der die »Sonnenscheinpolitik« sabotierte, um Jahre später dann doch all das zu tun, was er vorher negiert hatte), der »Nachbarschaft« Mittel- und Südamerikas bis zur Bewertung von Russland, China (sie sieht die Bedrohung der Vergreisung des Landes), Indien (»strategischer Partner« für Indien setzt sie in Anführungszeichen) und Pakistan – alles wird mindestens kursorisch gestreift.
Nachdenkliches, Versammlung von Allgemeinplätzen und Widersprüchen
Vieles wird stark vereinfacht dargestellt und oft kommt das Buch wie eine Art Fussballstammtisch daher – lauter Bundestrainer dort, die alles besser wissen (am schlimmsten sind ja meistens diejenigen, die früher tatsächlich mittendrin waren). So merkt man an Kleinigkeiten, wie wenig differenziert Albright manchmal vorgeht. Ihr Loblied auf Angela Merkel verknüpft sie mit der Befürchtung, dass ihre wackelige Koalition halte. Den europäischen Kommunismus habe man niedergetrotzt (kein Wort beispielsweise von der Entspannungspolitik oder den Bürgerrechtsbewegungen). Russland sei, so Albright, nie wirklich Teil des Westens gewesen – was immerhin dazu führt, dass sie Russland eine Art Sonderrolle was Demokratisierung angeht, zugesteht (mit George Kennan argumentierend).
Mal ist Diplomatie kein Selbstzweck, dann wiederum singt sie das hohe Lied von Verhandlungsbereitschaft. Mal ist militärische Gewalt am nützlichsten…, wenn sie nicht zum Einsatz kommt, dann wiederum waren kriegerische Massnahmen nach dem Anschlag des 11. September unvermeidlich – warum, sagt sie nicht (und der Afghanistan-Einsatz wird von ihr harsch kritisiert).
Die USA und die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) haben, mit wenigen Ausnahmen, gemeinsam gegen den Totalitarismus gekämpft – aber ich fürchte, Albright muss da ein bisschen nachsitzen und die Geschichte zum Beispiel von Venezuela, Guatemala, Nicaragua oder Chile nach einmal nachlesen. Das gilt auch für die reichlich beschönigende Schilderung der höchsten moralischen Standards, was den Einsatz von Atomwaffen und vor allem der Verhinderung einer atomaren Katastrophe (während des Kalten Krieges) angeht. Zwar hätten die USA als erste und bisher einzige Macht diese Waffen einmal eingesetzt, aber Albright versucht allen Ernstes zu vermitteln, man habe die Kräfte, die man losgelassen habe, auch vorbildlich gebändigt.
Das Scheitern von Camp David bei den Friedensverhandlungen zwischen Arafat und Barak 2000 weist sie ausschliesslich Arafat zu; Clinton sei zu gutmütig gewesen. Merkwürdig dann, wenn sie – in einer der sehr seltenen Momente wirklich Neues erzählt – und berichtet, dass Arafat bei der Ablehnung des mühsam ausgehandelten Kompromisses Tränen in den Augen gehabt habe.
Auch in anderen Feldern verfechtet Albright für die USA typische imperiale Politik. Sie beklagt beispielsweise die Schieflage in der NATO und meint damit die disparitätischen finanziellen Aufwendungen der USA im Verhältnis zu Europa – und drängt auf eine Anpassung der europäischen Beiträge. Zwar bekräftigt sie, dass die USA mehr mit/in der NATO kooperieren sollen (die Worte Kooperation und Vertrauen findet man sehr oft im Buch), aber letztlich eskomptiert sie die Dominanz der USA.
Interessant, dass sie Bushs Präventivschlagpolitik durchaus in der bisherigen US-Politik verankert sieht. Prinzipiell, so Albright, zeige sich da nichts Neues. Man habe im Libanon, in Grenada, Panama, Somalia, im Irak, in Haiti, in Bosnien und im Kosovo in diesem Sinne interveniert. Vollends ausgeblendet wird eine kritische Betrachtung dieser Interventionen. Ein grosser Schwachpunkt: diese Politik wird nicht aufgearbeitet. Soll der künftige US-Präsident alle Fehler noch einmal neu machen?
Nachdenkliches und Unkonventionelles
Einige Aspekte sieht Albright jedoch mit einer erfrischenden Klarheit. Hier würde man sich wirklich wünschen, dass einige von ihren Vorschlägen in eine neue Politik einfliessen möge. Von der Heuchelei in der Weiterverbreitung von Atomwaffen war schon die Rede (Wir predigen, was wir selbst nicht praktizieren). Auch die Wirkungsmächtigkeit von Wirtschaftssanktionen gegen Staaten sieht sie sehr kritisch – und praktisch als wirkungslos an (umso merkwürdiger, dass sie doch immer mal wieder in solchen Mechanismen zurückfällt). Vernünftige Politik bestünde u. a. darin, es gar nicht erst zu solchen Eskalationen kommen zu lassen.
Kurz – zu kurz – beschäftigt sich Albright auch mit der EU. In einer kleinen, aber interessanten, leider nur kursorisch ausgeführten Bemerkung, spricht sie von der EU als dem europäische[n] Experiment, welches eine kritische Phase erreicht habe. Der Prozess der Vereinigung sei zu weit vorangeschritten, um ihn wieder rückgängig zu machen. Die Europäer würden jedoch zu sehr an ihren nationalen Besonderheiten hängen. Ihr Verhältnis zur Institution der 27 ist ambivalent: beeindruckend umfassend oder hoffnungslos schwerfällig. Man darf annehmen, dass diese zurückhaltenden Formulierungen mit Bedacht gewählt sind, aber eine durchaus pessimistische langfristige Prognose stellt.
Ihre Einschätzung zu Südasien (Indien/Pakistan) ist von erfrischender Selbstkritik geprägt (Was können wir für Pakistan tun, nicht, was kann Pakistan für uns tun). Die Kooperation mit Diktatoren als Verbündete sieht sie mindestens ambivalent; einen moralischen Relativismus lehnt sie ab. In der Behandlung des Nahostkonflikts weist sie auf die Friedensinitiative von Saudi-Arabien (2002) und der Arabischen Liga (2007) hin und sieht sie als Gerüst, auf das sich sehr wohl aufbauen lasse. Diese Vorschläge nicht wenigstens einmal aufgegriffen zu haben, stellt für sie ein Fehler dar.
So ganz kann sie natürlich der Bündnisrolle Israels nicht abschwören. Unglücklich hier ihre Formulierung, der Präsident solle sich bei Vertretern der jüdischen Gemeinden in den USA bezüglich der Nahostpolitik politische Rückversicherung einholen. Und gequält die »politisch korrekte« Ergänzung, dies auch mit Vertretern der arabischen Seite in Amerika zu tun; fast ein wenig despektierlich zu sagen, diese Gespräche seien sicherlich kein Frühlingsspaziergang.
Ihre Äusserungen zum Al-Qaida-Terrorismus sind – für US-amerikanische Verhältnisse – geradezu revolutionär. Man kann zwar nicht den Richardson-Massstab anlegen, aber die Unterscheidung zwischen moderat und säkular in Bezug auf politische Diktatoren und die Feststellung, dass Al-Qaidas Hass auch und vor allem auf die säkularen politischen Führer in der arabischen Welt zielt, sind Erkenntnisse, die der heutigen Regierung (und weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung) vollkommen fremd sein dürften. Am Ende wagt sie dann sogar noch eine Art Therapie, in dem sie einen Zusammenschluss gemässigter islamischer Gelehrter zusammenbringen möchte, der die gewalttätigen Methoden der islamistischen Terroristen thematisch blossstellen und als ketzerisch und anti-islamisch ächten soll – und dies in einer breit angelegten medialen Kampagne. So soll quasi das islamische Deckmäntelchen von Bin Laden & Co. decouvriert werden, es müsste auch für den »einfachen Muslim« deutlich werden: Al-Qaida bietet der Welt kein Kalifat, sondern ein Gefängnis an.
Hybris durch Demut ersetzen – so heisst es einmal – sei die Devise (mindestens aussenpolitisch), die der neue Präsident zu vertreten habe. Er müsse wieder mehr zuhören, die Verbündeten einbinden, nicht selbstherrlich sich über die Weltgemeinschaft erheben. Aber Albright ist sich bewusst, dass dies kein leichter Weg sein wird. Eventuell wird es einen neuen Isolationismus geben; sie redet diesem vehement das Wort. Und am Ende dann Appelle – Appelle an das eigene Vertrauen, an die Kraft und den Geist Amerikas und nach drei Schritten Entgegenkommen geht sie zwei wieder zurück, wenn sie schreibt, niemand werde die USA respektieren, wenn wir jedem die Türe aufhalten gemäss dem Motto ‘Nach Ihnen!’. Andererseits muss man in der Führungsrolle – diese wird nicht in Frage gestellt – weder fordernd noch schrill auftreten; wirksamer sind ruhige Überzeugungsarbeit, eine feste Überzeugung und Fairness.
It’s the economy, Madeleine!
Machen wir uns nicht vor: Wenn Albright nicht gerade Details aus ihrer politischen Vergangenheit berichtet, entspricht das aussenpolitische Wissen, was hier zusammengetragen wird, in etwa dem, was ein interessierter Zeitgenosse mit durchschnittlicher Lektüre und einigen Dokumentationen in Funk und Fernsehen problemlos rezipiert hat. Innenpolitische Themen der USA spricht sie gar nicht an. Fast alle Experten sagen aber voraus, dass die Innenpolitik (das Gesundheitssystem beispielsweise) und die heimische wirtschaftliche Situation (Hypothekenkrise inklusive einer drohenden Rezession in Amerika) die Wahlen entscheiden werden. DAS interessiert die Amerikaner, deren notorischer Optimismus ins Wanken geraten scheint. Albright ist allerdings keine ausgewiesene Expertin in diesen Fragen. Und die Themen des vorliegenden Buches interessiert in den USA vermutlich nur eine kleine Minderheit. Schade eigentlich.
Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Im Original wird wohl geschlechtsneutral von »the president« die Rede sein. Insofern kann man, denke ich, nicht den Schluss ziehen, Albright richte sich eher an Obama als an Hillary.
Nicht unbedingt
weil in der deutschen Version durchaus gelegentlich von »Mr. President« die Rede ist. Und im englischen gibt es natürlich »he« und »she«...
Im übrigen beschreibt ausführlich Vorgänge, die Clinton zur Genüge – und noch detailreicher als hier ausgeführt – bekannt sein dürften.
Ich denke nicht, dass potenzielle Präsidenten ihr Herrschaftswissen durch das Lesen der Bücher ihrer Vorgänger und deren Helfer erwerben. Eher wird es im kleinen Kreis in persönlichen Gesprächen weitergegeben. Aber ich kann mir vorstellen, dass durch das Publizieren der eigenen Meinung die breite Öffentlichkeit beeinflusst werden soll, die wiederum durch ihr Wahlverhalten und die sie interessierenden Themen Druck auf die Regierenden machen.
Insbesondere
beim noch amtierenden hätte das ein oder andere Buch aber nicht geschadet...
Also, ich weiß nicht. Ob da ein Buch mehr oder weniger noch was nützen würden bei der Art wie Bush liest?
(Ich weiß, das ist ein Fake, aber zu komisch.)