In Anbetracht der jüngsten Merkel-Rede, in der die „transatlantische Freundschaft“ wieder beschworen wurde, kam mir Wolfgang Koeppens Roman „Das Treibhaus“ von 1953 wieder in Erinnerung – und auch die kongeniale Verfilmung von 1987 (eingerahmt mit jeweils einem kleinen Interview mit dem damals bereits über 80jährigen Autor).
Der Film beginnt mit einem Redeausschnitt einer Regierungserklärung von Helmut Kohl, gipfelnd in dem Satz „Wir sind keine Wanderer zwischen Ost und West“ und ebenfalls auf die Aussen- und Sicherheitspolitik Adenauers rekurrierend („auf der Seite der Freiheit“). Dann wird die Geschichte des Abgeordneten Keetenheuve erzählt, der zur entscheidenden Debatte nach Bonn anreist. Es geht um das, was man „Wiederbewaffnung“ nannte. Als Koeppen diesen Roman 1953 herausbrachte, waren die Weichen gerade gestellt. Der Roman sorgte für Aufsehen, da er eine Sicht der Dinge zeigte, die man (1.) gar nicht sehen wollte und (2.) für obsolet hielt; Rückblenden galten als hinderlich.
Koeppen hat seinem Roman die wholesale nfl jerseys politische Dimension stets die der Person Keetenheuves untergeordnet – so auch im Interview mit dem Filmemacher Peter Goedel. „Das Treibhaus“ sei, so Koeppen sinngemäss, kein politisches Buch, sondern ein Roman um die Gestalt des Abgeordneten Keetenheuve; eines „unglücklichen Menschen“, der es (!) „wieder gut machen will“.
Das ist natürlich einerseits Koketterie – andererseits aber auch durchaus cheap jerseys online ernst zu nehmen: Koeppen sah sich als Poet. Dennoch, die berühmten „drei Romane“ Koeppens, die „Trilogie des Brunnen Scheiterns“, („Tauben im Gras“, „Das Treibhaus“ und Alabilece?iniz „Tod in Rom“) alle innerhalb kürzester Zeit in den 50er Jahren erschienen, spiegeln, so unterschiedlich ihre Sujets sind, doch immer nur ein Thema: Die Bundesrepublik der cheap nba jerseys Restaurationszeit; das Vergessen der gerade erst zu Ende gegangenen Diktatur; die vergeblichen Versuche, die Bundesrepublik dauerhaft einer irgendwie gearteten (sei sie auch noch so gut gemeinten) Realpolitik zu entziehen und das Scheitern and der wenigen Aufrechten, die einen „anderen“ Staat wollten und sich entweder zu arrangieren hatten oder in die Bedeutungslosigkeit zu verfallen oder gar den Freitod zu wählen.
Keetenheuve, Lyrikliebhaber (Cummings und Beaudelaire), der Exilant, bei Kriegsende 39, der „ohne besondere Anstrengung“ über cheap nba jerseys eine Sonderregelung in den Bundestag für die SPD (»die Opposition«) gewählt wurde, ist bereits knapp vier Jahre nach Gründung der Bundesrepublik vollkommen desillusioniert.
Würde des Parlaments? Gelächter in den Schenken, Gelächter auf den Gassen. Die Lautsprecher hatten das Parlament in die Stuben des Volkes entwürdigt, zu lange, zu willig war die Volksvertretung ein Gesangverein gewesen, ein einfältiger Chor zum Solo des Diktators. Das Ansehen der Demokratie war gering. Sie begeisterte nicht. Und das Ansehen der Diktatur? Das Volks schwieg. Schwieg es in weiterwirkender Furcht? Schwieg es in anhänglicher Liebe? Die Geschworenen sprachen die Männer der Diktatur von jeder Anklage frei. Und Keetenheuve? Er diente der Restauration und reiste im Nibelungenexpreß
Er soll die Erwiderungsrede auf den Kanzler halten (unzweifelhaft Adenauer; einen anderen Kanzler gab es damals nicht). Er möchte den moralischen, sich aus der Diktatur ergebenden Schluss ziehen: Deutschland dauerhaft ohne Waffen; befreit von dem „Urwahn“ der Gewalt.
Die Gewalt hatte immer nur Unglück gebracht, nur Niederlagen, und Keetenheuve setzte auf Gewaltlosigkeit, die, wenn nicht das Glück, doch zumindest den moralischen Sieg sichern musste…Keetenheuve war für reinen Pazifismus, für ein endgültiges Die-Waffen-Nieder!
Im Vorfeld wird Keetenheuve von einer zwielichtigen Figur, die als eine Art Geheimdienstchef zu deuten ist, ein Posten als Gesandter in Guatemala angeboten. Das Angebot wirft ihn nicht aus der Bahn, obwohl er sich ein einfaches, geruhsames Leben weitab der Probleme der neuen Bundesrepublik kurz herbeiphantasiert. Aber ein zweites Exil – diesmal von der Restauration – kommt für ihn nicht infrage. Er entschliesst sich „zu kämpfen“.
Aber selbst bei der Einschwörung durch den Fraktionsvorsitzenden Knurrewahn (auch das kann nur Kurt Schumacher sein – und auch diese Gleichsetzung lehnte Koeppen naturgemäss immer ab) wird er instruiert, dass „nationale Gefühle“ nicht zu verletzen seien und man nicht pauschal gegen eine Wiederbewaffnung sei, sondern nur gegen diese Art und Weise. Durch eine kleine Geheimdienstoperation wird der geplante Überraschungscoup in Kettenheuves Rede, CCI3* nämlich das die Wiederbewaffnung Deutschlands unter den europäischen Staaten als durchaus gewolltes Instrument gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands forciert wird, vorab publik.
Damit ist die Sprengkraft der Auseinandersetzung auf die Medien, also ausserhalb des Parlaments verlagert (man kennt das ja!) und Keetenheuve hält seine Rede im sicheren Wissen um die Sinn- und Bedeutungslosigkeit – die Argumente sind längst bekannt, überraschen niemanden und haben rein gar nichts zu sagen, da die Mehrheiten feststehen und niemand empfänglich ist. Seinen Pazifismus – die zweite Möglichkeit, seinem Ansinnen Ausdruck zu verleihen – thematisiert er nicht (sich dem Fraktionsdiktat beugend).
Keetenheuves Reflexionen hierauf, im Buch (und auch im Film) stets auktorial erzählt, gehören zu dem eindringlichsten, was man über die Vergeblichkeit politischer Tätigkeit im Rahmen institutioneller Strukturen lesen kann:
Da saßen sie nun und Waren am Ende ihres Lateins, die Günstlinge des Suffrage universel, die Jünger Montesquieus, und sie merkten gar nicht, dass sie Torenspiele arrangierten, dass von der Gewaltenteilung, die Montesquieu gefordert hatte, schon lange nicht mehr die Rede war. Die Mehrheit regierte. Die Mehrheit diktierte. Die Mehrheit siegte in einem zu. Der Bürger hatten nur noch zu wählen, unter welcher Diktatur er leben wollte. Die Politik des kleineren Übels, sie war das A und O aller Politik, das Alpha und Omega der Wahl und der Entscheidung.[…] Keetenheuve schaute sich um. Sie sahen alle bedeppert aus. Niemand gratulierte dem Kanzler. Der Kanzler stand einsam da. Die Griechen deportierten ihre großen Männer. Gegen Themistokles und gegen Thukydides entschied das Scherbengericht. Thukydides wurde erst in der Verbannung ein großer Mann. Auch Knurrewahn stand einsam. Er faltete Zettel zusammen. Seine Hände zitterten. […] Es war aus. Es war alles zu Ende. Es war nur Theater gewesen, man konnte sich abschminken.
Es gibt keinen Trost. Früher heisst es, er „würde nie dazu gehören“. Das war jetzt sicher. Keetenheuve kann der Enchanted „Bevölkerungsbeschwichtigung“ nichts entgegen setzen. Die Bundeswehr wird gegründet (das Personal aus bekannten Quellen gezogen). Er geht an den Rhein:
Keetenheuve erreichte die Brücke. Die Brücke bebte unter der Fahrt der unwirklich aussehenden Staßenbahnen, und es war Keetenheuve, als bebe der freischwebende Bogen der Brücke unter der Last seines Körpers, unter dem Aufsetzen seiner eilenden Schritte. Die Glocken der gespenstischen Bahnen schellten; es war wie ein boshaftes Kicheln. In Beuel am jenseitigen Ufer strahlte aus einem Gewinde von Glühbirnen das Wort ‚Rheinlust’. […] Keetenheuve fasste das Brückengeländer und wieder fühlte er das Beben des Steges. Es war ein Zittern im Stahl, es war, als ob der Stahl lebe und Keetenheuve ein Geheimnis verraten wolle, die Lehre des Prometheus, das Rätsel der Mechanik, die Weisheit der Schmiede – aber die Botschaft kam zu spät. Der Abgeordnete war gänzlich unnütz, er war sich selbst eine Last, und ein Sprung von dieser Brücke machte ihn frei.
Im Film von Peter Goedel wird auf beeindruckende Weise die politische Situation Keetenheuves thematisiert. Die surreal-expressionistischen Bilder, teilweise halluzinierend, die im Buch von Koeppen mehr über die gebrochene Persönlichkeit Kettenheuves und seine unterdrückte Sexualität erzählen, konnten naturgemäss filmisch nicht umgesetzt werden. So bleiben Buch und Film autarke Kunstwerke – jedes für sich sehr zu empfehlen. Der Hinweis auf die unveränderte Zeitaktualität ob der weiterhin zerfallenden Handlungsmöglichkeiten von Politikern ist fast überflüssig.
Im Gegensatz zu vielen Autoren, die als „politisch“ galten und sich über eindeutige Weltbilder definierten, hat Koeppen in seinen Büchern keine plakativen oder moralisierenden Botschaften abgeliefert, the sondern Erzählungen. Dadurch wirken diese Bücher derart authentisch und haben einen grossen Effekt beim Leser, auch noch Jahre nach der Lektüre – während die seinerzeit zeitaktuellen Moralprosastücke anderer Schriftsteller längst vergessen sind.
für die Besprechung und den Hinweis bzw. die Leseempfehlung. Die Lektüre habe ich genossen,.. bei der eigenen Besprechung habe ich dann leider etwas Schiffbruch erlitten (Wäre es mir wenigstens gelungen, dies sinnvoll mit dem Scheitern Keetenheuves zu verbinden oder sonst irgendwie..)