1968 schreibt der damals 25jährige Schriftsteller Peter Handke über Marcel Reich-Ranicki (#1):
Reich-Ranicki kann man mit Einwänden nicht kommen: er kennt die alte List, sich dumm zu stellen, weil er nicht argumentieren kann (und er ist nie fähig zu argumentieren, er äußert sich nur mit kräftigem rhetorischem Gestus). »Ich gestehe«, leitet er dann in der Regel seine Sätze ein. Nachdem er aber seine Verständnislosigkeit eingestanden hat, zieht er über das Nichtverstandene her.
Hanns-Josed Ortheil/Klaus Siblewski: Wie Romane entstehenJe vier Vorlesungen des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil und des Lektors des Luchterhand Literaturverlags Klaus Siblewski wollen erklären »wie Romane entstehen«. Ortheils Vorlesungen machen den Anfang und er übernimmt es, den Roman zunächst mit der üblichen Definition als Prosaerzählung von einer gewissen Länge – 50.000 Worte bzw. >500 Seiten – abzugrenzen. Gegen Ende der ersten Vorlesung ergänzt er dies mit Milan Kunderas Umschreibung, die den Roman als grosse Prosaform bestimmt, bei der der Autor mittels experimenteller Egos (Figuren) einigen grossen Themen der Existenz auf der Grund geht. Experimentelle Literaturen bis hin zum »Nouveau Roman« sind mit dieser Definition allerdings nicht abgedeckt. Die später vorgenommene Ausdifferenzierung, der Roman sei nicht Erschaffung…eines Augenblicks oder einer Szene, sondern eher die Erschaffung eines poetischen Universums erscheint da solider – obwohl dann beispielsweise die Epen eines Homer in diesem Sinne auch »Romane« wären.
In Düsseldorf ist Wahlkampf. Nicht, dass das Interesse der Bevölkerung riesig wäre. Schliesslich sind noch Sommerferien und die Oberbürgermeisterwahl erst am 31. August. Nach und nach beginnt man sich vielleicht über die komischen Plakate zu wundern, die Leute zeigen, die man noch nie gesehen hat. Und den Brief mit der Wahlbenachrichtigung hat man erst seit ...
Hephaistos, Schmied und griechischer Gott des Feuers, war nicht nur der Erfinder des Streitwagens, sondern auch Erbauer sämtlicher Häuser auf dem Olymp. Er war der einzige Handwerker unter den griechischen Göttern. Aber Hephaistos ist gezeichnet: Er hat einen Klumpfuss. Und in der antiken griechischen Kultur galten körperliche Missbildungen als Schande. Der Klumpfuss des Hephaistos – symbolisiert er bis heute den gesellschaftlichen Wert des Handwerkers? Zeigt Homers Kapitel über Hephaistos in der »Ilias«, dass die materielle häusliche Kultur den Wunsch nach Ruhm und Ehre niemals zu befriedigen vermag? Und hieraus speist sich – trotz der mittelalterlichen Hochphase der Zünfte (die ausführlich behandelt wird) – auch heute noch das Bild des Handwerkers? Und Pandora, jenes »reizende Mädchen«, die mit ihrer Büchse immer auch als Mahnung für den Zorn der Götter steht, als Gegenpol?
Die ganze Diskussion erinnert mich fatal an das Aufkommen der »Do-It-Yourself«-Bewegung, die in Deutschland irgendwann Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre durchbrach. Kern war ja nicht, dass jemand in seinem Häuschen oder Wohnung kleinere Reparaturen vornahm oder der heute noch teilweise in Dörfern praktizierte »Austausch« von Fertigkeiten untereinander (der Schreiner hilft dem Fliesenleger und vice versa).
Hingabe und engagiertes Tun
Es ging um die Ermöglichung einer Autarkie von dem, was (1.) viel Geld kostete und (2.) dann doch qualitativ hinter dem zurückfiel, was man sich vorstellte. Im Wirtschaftswunderland wurde seinerzeit oft genug handwerklich unzureichend gearbeitet (inzwischen werden die ersten Bauten, in den 60er Jahren hastig errichtet, abgerissen). Handwerker sein hiess damals: Man hatte keine Zeit – und nicht genug Fachkräfte. Der Wohnungs- oder gar Häuslebesitzer war mit dem angebotenen nicht mehr zufrieden. Der Heimwerker wurde erschaffen – anfangs belächelt, später wenn nicht bewundert, dann geachtet. Und wie so oft wurde der Trend vom Fernsehen aufgegriffen – und massenkompatibel gemacht. »Vollendet« wurde diese Entwicklung durch die Baumärkte, die dieses Konzept perfekt umsetzten, in dem sie alle Produkte für den Massenverkauf zur Verfügung stellten.
Im Haus der Gesellschaft bewohnen beide Parteien ihre eigene Etage. Die einen müssen sich mit dem Parterre zufriedengeben, die anderen schielen auf die Beletage. Man ist sich fremd, aber keine der beiden Gruppen kann der anderen bestreiten, dass sie dazugehört. Die Ausgeschlossen…gibt es auf jeder Etage. Sie drücken sich herum, solange es geht, unten vermutlich länger als in der Mitte. […] Es kann aber passieren, dass ein Einzelner aufgrund eines »kritischen Lebensereignisses« ins Strudeln gerät und…vor die Tür gesetzt wird. Nach und nach sammeln sich die Ausgeschlossenen im Flur und wissen nicht mehr, wohin sie gehören.
Mit diesem leicht resignativen Bild bilanziert Heinz Bude, Professor für Makrosoziologie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel, seine öffentliche Soziologie »Die Ausgeschlossenen«. Ein Buch, so heisst es im Vorwort, dass nüchtern darstellen will, was Sache ist und explizit nicht nach Vorschlägen sucht. Die Soziologie, so Bude, beweist ihre Stärke immer noch an der Unbekanntheit des sozialen Objekts. (Des Objekts?) Weiter heisst es: Sie erregt Aufmerksamkeit, wenn sie zeigen kann, dass die Dinge anders laufen, als man erwarten würde, und wie es geht, dass es so kommt, wie niemand es will. Nur dann begreife man wirklich, dass das Ganze auch anders sein kann.
Der Naturwissenschaftler Hermann Funk (geboren 1934) verabredet sich im Jahr 2006* mit der Übersetzerin Katharina Fischer. Fischer soll einen englischen Touristen, der sich für die mitteleuropäische
Marcel Beyer: KaltenburgVogelwelt interessiert, durch Dresden und Umgebung führen und sie möchte hierfür ihre ornithologischen Kenntnisse verbessern – sowohl in der Bestimmung der Tiere als auch in der lateinischen und englischen Übersetzung. Funk war jahrelang Assistent von Professor Ludwig Kaltenburg, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Ornithologie – und weit darüber hinaus. Kaltenburg ist auch Verfasser des Buches »Urformen der Angst«, in dem er sich mit der menschlichen Psyche (vielleicht…eher notgedrungen) beschäftigt. Im Laufe des »Unterrichts« kommen die beiden sehr schnell vom eigentlichen Gegenstand ab; sie geraten ins Erinnern, treffen sich noch Monate danach, schlendern durch Dresden und das Elbtal, nehmen alte Gebäude und Gegenden in Augenschein, schauen den Vogelschwärmen zu und verknüpfen dabei ihre Erinnerungen an Zeiten und Personen; sie rekapitulieren und spekulieren und beschwören das Vergangene.
So könnte man in Kürze »Kaltenburg« zusammenfassen und hätte noch nicht einmal annährend den Rahmen dieses Buches entworfen, geschweige denn eine Ahnung bekommen von Marcels Beyers Sprache und Erzählstil.