Oli­vi­er Roy: Hei­li­ge Ein­falt

Olivier Roy: Heilige Einfalt

Oli­vi­er Roy: Hei­li­ge Ein­falt

Seit vie­len Jah­ren ist Oli­vi­er Roy als Ex­per­te auf dem Ge­biet des is­la­mi­schen Fa­na­tis­mus, der ge­mein­hin un­ter dem Be­griff des Is­la­mis­mus sub­su­miert wird, be­kannt. Sein neue­stes Buch »Hei­li­ge Ein­falt« (im fran­zö­si­schen: »La sain­te igno­rance«) trägt in­ter­es­san­ter­wei­se den deut­schen Un­ter­ti­tel »Über die po­li­ti­schen Ge­fah­ren ent­wur­zel­ter Re­li­gio­nen«. Da­bei kommt der fran­zö­si­sche Un­ter­ti­tel weit we­ni­ger vor­ein­ge­nom­men da­her und drückt die In­ten­ti­on des Bu­ches bes­ser aus. Dort heißt es (eher be­schrei­bend): »Le temps de la re­li­gi­on sans cul­tu­re«, was mit un­ge­fähr »Die Zeit der Re­li­gio­nen oh­ne Kul­tur« über­setzt wer­den kann.

Roy schreibt be­reits im er­sten Satz, dass sei­ne Aus­füh­run­gen nicht al­lei­ne als Kri­tik am Is­lam und des­sen (so­ge­nann­ter) fun­da­men­ta­li­sti­scher Aus­prä­gun­gen zu le­sen sind. Und so wird die Sicht auf das Chri­sten­tum und den zeit­ge­nös­si­schen Pro­te­stan­tis­mus, der sich im­mer mehr zum Evan­ge­li­ka­lis­mus ra­di­ka­li­siert, aus­ge­wei­tet. Ge­le­gent­lich be­zieht Roy so­gar das Ju­den­tum und den »Hin­du­is­mus« in sei­ne Be­trach­tun­gen ein. Gleich zu Be­ginn wird mit ei­nem all­zu be­lieb­ten Talk­show-To­pos auf­ge­räumt: Es gibt kei­ne »Rück­kehr« des Re­li­giö­sen, son­dern ei­ne Ver­än­de­rung. Wir sind nicht Zeu­gen ei­ner Ex­plo­si­on der Pra­xis, son­dern eher von neu­en For­men der Sicht­bar­keit des Re­li­giö­sen. Das, was wir der­zeit be­ob­ach­ten, ist in er­ster Li­nie die Auf­leh­nung des Gläu­bi­gen, der sei­nen Glau­ben be­droht sieht und mit den kul­tu­rel­len »Her­aus­for­de­run­gen« ei­ner sä­ku­la­ren Ge­sell­schaft Pro­ble­me hat. Da­bei wirkt die Sä­ku­la­ri­sie­rung we­ni­ger in der Wei­se, dass sie die Re­li­gi­on an den Rand drängt, son­dern in­dem sie Re­li­gi­on und Kul­tur von­ein­an­der ent­kop­pelt und die Re­li­gi­on au­to­nom wer­den lässt.
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Vom Macht­kampf

Pres­se­frei­heit und – viel­falt sind ein we­sent­li­cher Kern un­se­rer frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­scher Grund­ord­nung. Um­so schö­ner ist es, das Funk­tio­nie­ren die­ser Viel­falt in der Pra­xis zu be­ob­ach­ten. Da kan­di­diert der am­tie­ren­de Um­welt­mi­ni­ster Nor­bert Rött­gen für den Vor­sitz der CDU in Nord­rhein-West­fa­len. Da­mit gibt es plötz­lich zwei Kan­di­da­ten für die­se Po­si­ti­on, denn der ehe­ma­li­ge NRW-In­te­gra­ti­ons­mi­ni­ster Ar­min La­schet kan­di­diert eben­falls für die­ses Amt. Aus dem voll­kom­men nor­ma­len, de­mo­kra­ti­schen Vor­gang, dass sich für ein Amt meh­re­re Kan­di­da­ten zur Wahl stel­len, wird nun ein Skan­da­lon pro­du­ziert. Es herrscht, so wird sug­ge­riert, »Streit« in der Par­tei. Die am mei­sten ver­wand­te Vo­ka­bel ist nicht die der Kan­di­da­tur, son­dern des »Macht­kamp­fes«. Meh­re­re Kan­di­da­ten für ein Amt, die im de­mo­kra­ti­schen Ver­fah­ren ge­fun­den wer­den, sind dem­nach kei­ne Be­rei­che­rung, son­dern wer­den mit leicht bel­li­zi­sti­schen Vo­ka­beln per se ne­ga­tiv kon­no­tiert.
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Bür­ger­krieg

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 3

In der Sai­son 2002 hat­ten wir ei­nen ara­bi­schen Kol­le­gen, der aus dem Li­ba­non kam. Da­mals war die Li­ste der At­ten­tä­ter vom 11. Sep­tem­ber noch ganz frisch in den Köp­fen: al­les Ara­ber, ei­ner da­von aus dem Li­ba­non. Aber das war ver­mut­lich nicht das Pro­blem, als wir an ei­nem Sams­tag­mit­tag vorm Ein­gang des Ka­De­We stan­den, wo die Mensch­heit zum Ein­kau­fen wu­sel­te. Der Kol­le­ge saß auf dem halb knie­ho­hen Tritt­brett sei­nes Fahr­zeugs und las Zei­tung, (er war der Letz­te in der Rei­he), und ich sah ein et­was äl­te­res Ehe­paar her­an­kom­men, das mich an Rei­se­ka­ta­lo­ge der Fünf­zi­ger Jah­re er­in­ner­te. Ich sah, wie das Ehe­paar auf ihn zu ging und vor ihm ste­hen blieb. Der Kol­le­ge fal­te­te so­fort die Zei­tung zu­sam­men. Das Ehe­paar re­de­te ihn an mit der Fra­ge: »Wo­her kommst Du?« und zeig­te da­bei mit dem Kinn auf ihn.
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Ver-kohlt

Seit heu­te wis­sen wir es ganz ge­nau: 8,8% al­ler Wa­ren, die in die Bun­des­re­pu­blik ein­ge­führt wer­den, kom­men aus Chi­na. Sagt An­ja Kohl in »boer­se im Er­sten« am 09.08.2010 kurz vor 20 Uhr. Man dach­te, das ist mehr. Über­ra­schend ist dann, dass auf Platz 2 die Nie­der­lan­de steht (mit 8,3 %). Hopp­la: So­viel Obst und Ge­mü­se kau­fen wir von den Nie­der­lan­den ein?

ARD Börsensendung vom 09. August 2010: Deutsche Importe

ARD Bör­sen­sen­dung vom 09. Au­gust 2010: Deut­sche Im­por­te



Nein, nicht ganz. Mit ab­ge­senk­ter Stim­me sagt Frau Kohl, dass dies mit dem Ha­fen Rot­ter­dam zu tun ha­be, dem »Tor zu Eu­ro­pa«. Man bleibt ei­ni­ger­ma­ßen ver­dutzt zu­rück und ver­passt dann die an­de­ren Zah­len­spiel­chen fast.

Was Kohl so zag­haft an­deu­tet, ist in Ex­per­ten­krei­sen als »Rot­ter­dam-Ef­fekt« be­kannt. Er ver­fälscht so­wohl Im­port- und Ex­port­sta­ti­sti­ken. Wenn ein Im­por­teur ei­ne Wa­re über Rot­ter­dam be­zieht und auch dort für die EU ein­fuhr­ver­zol­len lässt (»In-Ver­kehr-Brin­gen«), wird die Wa­re sta­ti­stisch hol­län­di­schen Ur­sprungs. Der tat­säch­li­che Ur­sprung der Wa­re bleibt der Im­port-Sta­ti­stik ver­bor­gen. Es kann nicht zwi­schen Her­kunft und Ur­sprung un­ter­schie­den wer­den. Auch im Ex­port gibt es die­sen Ef­fekt, wenn die Wa­re über ei­nen nicht-deut­schen Ha­fen aus­ge­führt wird.

Der »Rot­ter­dam-Ef­fekt« führt da­zu, dass der Han­del in­ner­halb der EU quan­ti­ta­tiv hö­her be­wer­tet wird, als er tat­säch­lich ist. Und die oben ge­nann­te Im­port­quo­te be­zieht sich nur auf die in den Hä­fen der Bun­des­re­pu­blik ein­ge­führ­ten Wa­ren. Der An­teil chi­ne­si­scher Ein­füh­ren dürf­te weit hö­her als 8,8 % lie­gen. Sich­reheits­hal­ber steht ja auch »Schät­zung« drü­ber.

Der 20. Ju­li

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 2

Wir ha­ben 28 Grad, ei­ne hauch­fei­ne Bri­se und ein paar Zier­wölk­chen im Him­mel. Ich ha­be zwei Da­men die Lin­den her­auf­ge­bracht, fah­re durchs Bran­den­bur­ger Tor hin­durch und fin­de den Platz auf der an­de­ren Sei­te, na­ment­lich: den »Platz des 18. März«, (an dem die »Stra­ße des 17. Ju­ni« be­ginnt), ab­ge­sperrt mit rot­wei­ßen Git­tern, hin­ter de­nen al­le fünf Me­ter Po­li­zi­sten und Po­li­zi­stin­nen in schuss­si­che­ren We­sten ste­hen, um die Ab­sper­rung zu si­chern. Un­ter den Bäu­men auf der nord­west­li­chen Sei­te Ein­satz­fahr­zeu­ge der Po­li­zei, eins ne­ben dem an­de­ren, ei­ne Wa­gen­burg ums Ge­löb­nis her­um. Öf­fent­li­ches Ge­löb­nis der Re­kru­ten un­ter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit. Weit­räu­mi­ge Ab­sper­run­gen, Si­cher­heits­zo­nen, Zu­fahr­ten. Von der Ecke Behrenstraße/Ebertstraße, über die nörd­li­che Tier­gar­ten­hälf­te bis zum Bahnof rauf: Al­les dicht. Wei­ter­le­sen

Sa­bi­ne Pe­ters: Feu­er­freund

Sabine Peters: Feuerfreund

Sa­bi­ne Pe­ters: Feu­er­freund

Ma­rie ist 26, Prak­ti­kan­tin in ei­nem Ver­lag und be­geg­net dem Schrift­stel­ler Ru­pert, 59, im De­zem­ber 1986 zum er­sten Mal. Nach dem Tref­fen gibt es ei­nen zor­ni­gen Brief an den Ver­le­ger mit ei­nem freund­li­chen Gruß an die Prak­ti­kan­tin. Man schreibt sich schließ­lich di­rekt, fügt den Brie­fen klei­ne Pre­tio­sen bei; Stein­chen und Fe­dern zum Bei­spiel. Die bei­den wer­den ein Lie­bes­paar, hei­ra­ten und zie­hen ins Rhei­der­land.

Ru­pert ist ein be­kann­ter Schrift­stel­ler und schreibt Hör­spie­le. Ma­rie be­ginnt mit dem Schrei­ben, ver­öf­fent­licht 1990 ihr er­stes Buch. Er ist ein po­li­ti­scher Kopf, der mit RAF-Ge­fan­ge­nen kor­re­spon­diert und sich als Kom­mu­nist be­zeich­net. Er hat ei­ne manch­mal ener­vie­ren­de Ra­di­ka­li­tät, schimpft auf den Klein­bür­ger­dreck an­de­rer (und bei sich selbst) und zieht sich an klei­nen Din­gen hoch, wie bei­spiels­wei­se am Trin­ken von Co­la (sei­ner Frau bringt er sie dann doch vom Ki­osk mit). Wei­ter­le­sen

Jour­na­li­sten sind kei­ne Mei­nungs­e­u­nu­chen

Aus­ge­rech­net in der sich mei­nungs­freu­dig ge­rie­ren­den Blogo­sphä­re stößt das neue En­ga­ge­ment des ZDF-Jour­na­li­sten Stef­fen Sei­bert als zu­künf­ti­ger Re­gie­rungs­spre­cher auf zum Teil dra­sti­sche Ab­leh­nung. So kann man bei­spiels­wei­se nach­le­sen: »Wo Jour­na­li­sten, und sei­en sie vor­mals auch noch so re­gie­rungs­freund­lich ge­we­sen, zu Pro­pa­gan­di­sten wer­den – und das ganz oh­ne sich vor der Öf­fent­lich­keit zu schä­men, oh­ne ei­nen Rest von Ali­bi vor­zu­schie­ben -, da ist die un­auf­dring­li­che Ber­lus­co­ni­sie­rung der Ge­sell­schaft zum Ta­ges­ord­nungs­punkt er­klärt wor­den.«

Was vie­len ge­schichts­ver­ges­se­nen Kom­men­ta­to­ren viel­leicht nicht prä­sent ist: Es gab im­mer schon Jour­na­li­sten, die von ih­rem Amt in die Re­gie­rungs­ad­mi­ni­stra­ti­on wech­sel­ten. Und es wa­ren nicht die schlech­te­sten: Con­rad Ah­lers bei­spiels­wei­se (ein »Spiegel«-Mann und spä­ter, nach Auf­ga­be sei­nes Re­gie­rungs­spre­cher­am­tes, ein po­le­mi­scher Regierungs­kritiker). Oder – eben­falls für die so­zi­al-li­be­ra­le Re­gie­rung, Klaus Böl­ling und Rü­di­ger von Wech­mar. Spä­ter dann für die Kohl-Re­gie­rung Pe­ter Bo­e­nisch und – auch vom ZDF – Fried­helm Ost. Für die Re­gie­rung Schrö­der sprach mit Uwe-Car­sten He­ye auch ein ge­lern­ter Jour­na­list. Wei­ter­le­sen

Jür­gen Pe­ter­sen: Re­prä­sen­ta­ti­on in De­mo­kra­tien

Jürgen Petersen: Repräsentation in Demokratien

Jür­gen Pe­ter­sen:
Re­prä­sen­ta­ti­on in De­mo­kra­tien

»Der Kern mo­der­ner De­mo­kra­tien ist die Repräsent­ation«. So steht es auf dem Rück­deckel des Bu­ches »Re­prä­sen­ta­ti­on in De­mo­kra­tien«. Aber was be­deu­tet das? Wie ver­ste­hen die Re­prä­sen­tan­ten ih­re Re­prä­sen­ta­ti­on? Wem gilt sie? Nur den Wäh­lern oder gar al­len, die sich im geo­gra­fi­schen Be­reich des Re­prä­sen­tan­ten be­fin­den? Wel­cher Art und wel­chen In­hal­tes sind die hand­lungs­struk­tu­rie­ren­den Kon­zeptionen von Re­prä­sen­ta­ti­on in de­mo­kra­ti­schen Syst­emen? Und: Gibt es Un­ter­schie­de zwi­schen den Reprä­sentationsmodellen bei­spiels­wei­se in Deutsch­land und den USA?

Der Au­tor Dr. Jür­gen Pe­ter­sen ist wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter an der Uni­ver­si­tät Frank­furt und Re­se­arch As­so­cia­te am dor­ti­gen Zen­trum für Nord­ame­ri­ka-For­schung (ZENAF). Er ver­sucht die­se Fra­gen zu be­ant­wor­ten und be­dient sich da­bei ei­nes denk­bar ein­fa­chen Mit­tels: der Be­fra­gung. Da­bei steht er vor dem Di­lem­ma, eben­falls ein re­prä­sen­ta­ti­ves Er­geb­nis vor­zu­le­gen, was er durch­aus the­ma­ti­siert, wenn auch nicht ganz über­zeu­gend (da­zu spä­ter). Wei­ter­le­sen