Car­lo Ma­sa­la: Wenn Russ­land ge­winnt

Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt

Car­lo Ma­sa­la:
Wenn Russ­land ge­winnt

Wenn Russ­land ge­winnt geht in­zwi­schen in die 5. Auf­la­ge und ist, als die­ser Text ent­steht, Platz 1 der Spie­gel-Best­stel­ler­li­ste »Ta­schen­bü­cher Sach­buch« und vom Ver­lag nicht lie­fer­bar. Das liegt na­tür­lich vor al­lem an der Pro­mi­nenz sei­nes Au­tors, Car­lo Ma­sa­la. Der Pro­fes­sor für In­ter­na­tio­na­le Po­li­tik an der Uni­ver­si­tät der Bun­des­wehr ist seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukrai­ne in den Me­di­en om­ni­prä­sent. Es ist un­be­streit­bar Ma­sa­las Ver­dienst, dass er die Not­wen­dig­keit geo­po­li­ti­schen Den­kens als exi­sten­ti­ell wich­ti­gen Teil ei­ner Au­ßen­po­li­tik in den Fo­kus der Öf­fent­lich­keit ge­rückt hat. Sein 2022 über­ar­bei­te­tes Buch Welt­un­ord­nung zeig­te die Ver­wer­fun­gen und Irr­tü­mer des »We­stens« der letz­ten drei­ßig Jah­re auf. Deutsch­land wur­de dar­an er­in­nert, sich sei­ner ei­ge­nen In­ter­es­sen be­wusst zu wer­den.

Ma­sa­la be­für­wor­te­te von Be­ginn an fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung, po­li­ti­sche West­bin­dung und um­fas­sen­de Waf­fen­lie­fe­run­gen für die Ukrai­ne. Das Land soll­te der­art un­ter­stützt wer­den, das für Russ­land die Ko­sten für ei­ne Wei­ter­füh­rung des Krie­ges zu hoch und da­durch Ver­hand­lun­gen auf Au­gen­hö­he mög­lich wä­ren. Den Ein­satz von Atom­waf­fen durch Russ­land schätz­te er eher ge­ring ein. Im Ge­gen­satz zu vie­len Au­gu­ren und Ex­per­ten sprach er al­ler­dings mei­nes Wis­sens nie von ei­nem »Sieg« der Ukrai­ne über Russ­land – wohl wis­send, dass dies il­lu­so­risch wä­re.

Par­al­lel plä­diert Ma­sa­la für ei­ne bes­se­re Aus­stat­tung der Bun­des­wehr und sah im »Zeitenwende«-Sondervermögen erst ei­nen An­fang. Hier kam ei­nem der Ver­gleich mit dem spä­ter recht kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Chri­sti­an Dro­sten wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie in den Sinn (Ma­sa­la lehn­te den Ver­gleich ab). In den so­zia­len Netz­wer­ken zeig­te sich Ma­sa­la bis­wei­len als Hitz­kopf (was auch der Au­tor die­ser Zei­len mit­er­le­ben durf­te).

Nach mehr als drei Jah­ren Zer­mür­bungs­krieg, der von Russ­land nicht nur auf dem Schlacht­feld son­dern auch ge­gen die ukrai­ni­sche Zi­vil­be­völ­ke­rung ge­führt wur­de und dem Prä­si­den­ten­wech­sel von Bi­den nach Trump scheint die La­ge für die Ukrai­ne schwie­ri­ger denn je zu sein. Die USA stel­len nicht nur ih­re mi­li­tä­ri­sche Un­ter­stüt­zung ein, son­dern dro­hen auch mit dem Ent­zug der lo­gi­sti­schen Hil­fe (wie et­wa Star­link oder Ge­heim­dienst­in­for­ma­tio­nen). Es fehlt an Nach­schub von Mu­ni­ti­on. Bis­wei­len liest man, dass die be­reits ge­lie­fer­ten Sy­ste­me wie Ab­wehr­ra­ke­ten von den USA »ab­ge­schal­tet« wur­den und nur noch ein­ge­schränkt nutz­bar sind.

Die Un­ter­stüt­zung, die von den USA in der Ver­gan­gen­heit ge­lei­stet wur­de, ist durch Eu­ro­pa nicht ad­äquat zu kom­pen­sie­ren. Mit­tel­fri­stig droht die Ver­tei­di­gungs­un­fä­hig­keit der Ukrai­ne. Die Fol­gen wä­ren ka­ta­stro­phal. Russ­land könn­te sich er­mu­tigt füh­len, wei­te­re Ter­ri­to­ri­en des Lan­des an­zu­grei­fen. So droht seit ge­rau­mer Zeit durch ei­ne Er­obe­rung Odes­sas die Ukrai­ne vom See­zu­gang ab­zu­schnei­den. Die Fra­ge, die Ma­sa­la auf­wirft, was pas­sie­ren soll­te, wenn Russ­land ge­wön­ne, ist al­so durch­aus rea­li­stisch.

Sze­na­rio März 2028

Ma­sa­las zur Zeit der In­au­gu­ra­ti­on von Do­nald Trump fer­tig­ge­stell­tes Buch er­hebt den An­spruch ein, wie er schreibt, rea­li­sti­sches Sze­na­rio zu ent­wer­fen. Es spielt En­de März 2028. In ei­nem kur­zen Rück­blick wer­den die Er­eig­nis­se ab 2025 re­ka­pi­tu­liert: Die Ukrai­ne hat­te ei­nen Dik­tat­frie­den zu ak­zep­tie­ren, ver­lor 20% ih­res Ge­bie­tes an Russ­land und ver­pflich­te­te sich, nicht der NATO bei­zu­tre­ten. Die Si­cher­heit soll durch ei­ne mul­ti­na­tio­na­le Frie­dens­trup­pe ge­währ­lei­stet wer­den. Be­schlos­sen wur­de ein wirt­schaft­li­ches Auf­bau­pro­gramm für das Land, was je­doch teil­wei­se auch den durch Russ­land ok­ku­pier­ten Ge­bie­ten zu Gu­te kom­men soll. Im­mer wie­der flam­men Schar­müt­zel auf und in den be­setz­ten Ge­bie­ten hat sich ei­ne Par­ti­sa­nen- und Gue­ril­la­ar­mee ge­bil­det. Die Ukrai­ne wur­de in­nen­po­li­tisch in­sta­bil, pro-rus­si­sche Po­li­ti­ker ge­win­nen die Ober­hand. Se­len­skyj rief Neu­wah­len aus und ver­lor. Die USA rich­ten ih­ren Fo­kus auf Asi­en.

In Ma­sa­las Sze­na­rio re­giert 2028 in Frank­reich ein Kan­di­dat der Front Na­tio­na­le. Die Wirt­schafts­la­ge ist in vie­len In­du­strie­na­tio­nen pre­kär. Aber kurz scheint es so, als kön­ne sich das Ver­hält­nis zu Russ­land bes­sern. Pu­tin war nach dem »Frie­den von Genf«, den er in sei­ner Sicht­wei­se als Sieg ver­buch­te, zu­rück­ge­tre­ten. Neu­er Prä­si­dent wur­de der 47jährige Volks­wirt Oleg Ob­mant­schi­kow (na­tür­lich ein fik­ti­ver Na­me), der ein we­nig in Gor­bat­schow-Ma­nier auf den We­sten zu­geht und bei­spiels­wei­se neue Rü­stungs­kon­troll­ver­hand­lun­gen an­regt. Die kriegs­mü­den Eu­ro­pä­er (dar­un­ter die deut­sche SPD) neh­men dies ger­ne zum An­lass, um die Ver­tei­di­gungs­an­stren­gun­gen in Zei­ten knap­per Kas­sen zu über­prü­fen und teil­wei­se zu­rück­zu­neh­men.

Nar­wa und Hii­um­aa

Und dann drin­gen im März 2028 zwei rus­si­sche Bri­ga­den in die 57.000 Ein­woh­ner-Grenz­stadt Nar­wa in Est­land ein und über­neh­men dort nach we­ni­gen Stun­den das Kom­man­do. Nar­wa wird mehr­heit­lich von ei­ner rus­sisch­spra­chi­gen Be­völ­ke­rung be­wohnt. Spä­ter wird die Er­obe­rung da­mit be­grün­det wer­den, dass Est­land die dort le­ben­de rus­si­sche Be­völ­ke­rung dis­kri­mi­niert hat und die Spra­che un­ter­drückt. Gleich­zei­tig wird die stra­te­gisch wich­ti­ge Ost­see­insel Hii­um­aa durch rus­si­sche Trup­pen er­obert. Da­mit kon­trol­liert man den Schiffs­ver­kehr auf der Ost­see. »In nur ei­ner Nacht bringt Russ­land zwei est­ni­sche Städ­te un­ter sei­ne Kon­trol­le und über­rum­pelt die ge­sam­te NATO«, so der Aus­gangs­punkt des Sze­na­ri­os.

Bis auf ei­nen Aus­flug in Ma­li wer­den im wei­te­ren Ver­lauf die po­li­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten und Be­ra­tun­gen der be­tei­lig­ten Par­tei­en aus Wa­shing­ton, Brüs­sel und Mos­kau ge­schil­dert. Wäh­rend der US-Prä­si­dent (Trump wird nicht na­ment­lich er­wähnt) und et­li­che süd­eu­ro­päi­sche Län­der zu­sam­men mit Frank­reich und Un­garn erst ein­mal die wei­te­re Ent­wick­lung ab­war­ten wol­len, ver­stän­digt man sich in Mos­kau auf »Kon­trol­le und Es­ka­la­ti­on«. Ei­ne Ak­ti­on über fin­ni­sches Ge­biet wird ver­wor­fen. Statt­des­sen setzt Russ­land als wei­te­res Zei­chen auf der un­be­wohn­ten und ve­ge­ta­ti­ons­lo­sen Hans-In­sel, die lan­ge ein Streit­ob­jekt zwi­schen Ka­na­da und Dänemark/Grönland war und hisst dort ei­ne rus­si­sche Flag­ge un­ter Mit­hil­fe ei­nes atom­be­trie­be­nen U‑Bootes, was na­tür­lich für Auf­se­hen ge­sorgt hat­te.

Das Kern­stück der Bu­ches ist die Be­geg­nung ei­nes rus­si­schen Spit­zen­di­plo­ma­ten mit dem Na­tio­na­len Si­cher­heits­be­ra­ter der USA in Wa­shing­ton, we­ni­ge Stun­den nach den Be­set­zun­gen. Ma­sa­la sug­ge­riert hier, dass die rei­ne Be­kräf­ti­gung des rus­si­schen Emis­s­ärs, »um je­den Preis« ih­re »im Aus­land le­ben­den Lands­leu­te vor Ver­fol­gung und Un­ter­drückung« zu be­schüt­zen, ge­nügt, dass in der spä­ter er­fol­gen­den NA­TO-Ver­samm­lung Est­land ge­zwun­gen wird, ih­ren An­trag auf Bei­stand zu­rück­zu­zie­hen. Die Schil­de­rung die­ser Zu­sam­men­kunft ist der zwei­te Hö­he­punkt des Sze­na­ri­os. Mit den hier ent­wickel­ten mi­li­tä­risch mög­li­chen Es­ka­la­ti­ons­sze­na­ri­en, wenn et­wa die in Est­land sta­tio­nier­ten US-Sol­da­ten ein­grei­fen wür­den, ist die Ent­schei­dung ein­deu­tig: Für Nar­wa und ei­ne In­sel be­gibt man sich nicht in das Ri­si­ko, ei­nen Drit­ten Welt­krieg an.

Post­kar­te

Auch die hy­bri­den Kriegs­for­men (dar­un­ter der Ab­schuss des Flug­zeugs mit dem Chef des deut­schen Rü­stungs­kon­zerns, der hier ver­ball­hornt »Ruhr­eisen« heißt) und den Ab­len­kungs­ma­nö­vern der Chi­ne­sen vor den Phil­ip­pi­nen wür­den, so die The­se, kei­ne In­ter­ven­ti­on, nicht mal ei­ne Ver­tei­di­gung zur Fol­ge ha­ben. Die NATO wür­de die lo­kal be­grenz­te Ver­let­zung des Ter­ri­to­ri­ums ei­nes ih­rer Mit­glie­der hin­neh­men. Es kommt ei­nem das Bon­mot des 2018 ver­stor­be­nen John Mc­Cain in den Sinn, der nach der Qua­li­tät der Bei­stands­ver­pflich­tun­gen nach Ar­ti­kel 5 ge­fragt, ant­wor­te­te, es kön­ne al­les sein, von der Post­kar­te bis zum Atom­schlag. Nach Ma­sa­las Plan­spiel ist es die Post­kar­te. Er lie­fert noch ein klei­nes Schman­kerl am En­de und ent­lässt den Le­ser zum Nach­wort.

Zwei­fel an der Bünd­nis­treue der USA wur­den im­mer wie­der the­ma­ti­siert. Ich er­in­ne­re mich an ei­ne Epi­so­de aus Hen­ry Kis­sin­gers Buch Staats­kunst. Das pas­si­ve Ver­hal­ten zu ih­ren Ver­bün­de­ten wäh­rend der Su­ez-Kri­se ließ die Skep­sis von Kon­rad Ade­nau­er in Be­zug die Zu­ver­läs­sig­keit der USA wach­sen. Es war an Hen­ry Kis­sin­ger, dem Al­ten un­ter vier Au­gen »die Zu­ver­läs­sig­keit der ame­ri­ka­ni­schen Nu­kle­ar­ga­ran­tie« zu er­läu­tern und sei­ne Äng­ste zu zer­streu­en. Ein paar Jah­re blieb Ade­nau­er über­zeugt. Ob man wirk­lich mit letz­ter Kraft für West-Ber­lin ein­ge­tre­ten wä­re, bleibt glück­li­cher­wei­se ei­ne of­fe­ne Fra­ge.

In Wenn Russ­land ge­winnt gibt es ei­ne Sze­ne aus den Be­ra­tun­gen aus Mos­kau, in der das Ri­si­ko the­ma­ti­siert wird, dass man, soll­te die Stra­te­gie schei­tern, wie »der Schwäch­ling Chruscht­schow da­mals 1962 in der Ku­ba-Kri­se« nach­ge­ben müs­se. Die Ant­wort gab man sich schon vor­her, als der We­sten als »schwach« be­zeich­net wur­de. Geht es nach Ma­sa­la, bleibt die rus­si­sche Dro­hung ein Bluff. Das kann man als die Bot­schaft die­ses zu­wei­len im Brecht’schen Stil ver­fass­ten Sze­na­ri­os an­se­hen.

Im Kal­ten Krieg galt es als aus­ge­macht, dass ein ato­ma­rer Erst­schlag ei­nen um­ge­hen­den, ver­mut­lich stär­ke­ren Zweit­schlag zur Fol­ge hät­te. Von den Groß­mäch­ten aus­ge­hen­de aber re­gio­nal be­grenz­te Kon­flik­te wur­den oh­ne di­rek­te Kon­fron­ta­ti­on ge­führt; we­nig­stens ei­ne Kon­flikt­par­tei war ein »Stell­ver­tre­ter«. Nur ein­mal, 1951 im Ko­rea-Krieg, er­wog der ame­ri­ka­ni­sche Ge­ne­ral Mac­Ar­thur den Ein­satz ei­ner Nu­kle­ar­waf­fe. Er wur­de nicht zu­letzt des­halb von Prä­si­dent Tru­man ab­ge­setzt.

Wenn in­zwi­schen die rei­ne Dro­hung, in ei­nem re­gio­na­len Kon­flikt ei­ne stra­te­gi­sche Atom­waf­fe ein­zu­set­zen, ver­fan­gen soll­te, dann wer­den Atom­mäch­te künf­tig ih­re im­pe­ria­len In­ter­es­sen re­la­tiv ein­fach da­mit durch­set­zen kön­nen. Wenn der­art das Recht des Stär­ke­ren gilt, dürf­ten sich Re­gio­nal­mäch­te ver­stärkt ge­nö­tigt füh­len, in den Be­sitz von Atom­waf­fen zu kom­men.

Sym­bol­po­li­tik statt Stra­te­gie

Ma­sa­la re­fe­riert im Nach­wort über die feh­len­de Stra­te­gie des We­stens im Krieg um die Ukrai­ne. Man hat zwar Waf­fen ge­schickt, aber im­mer erst mit grö­ße­rer Zeit­ver­zö­ge­rung und dann teil­wei­se mit Auf­la­gen. Sich sel­ber spart er da­bei aus, ob­wohl die oben be­schrie­be­ne Si­tua­ti­on, dass die Ukrai­ne Russ­land durch mi­li­tä­ri­sche Er­fol­ge an den Kon­fe­renz­tisch zwin­gen kann, ähn­lich un­prä­zi­se ist, wie die von ihm skiz­zier­ten Po­li­ti­ker­phra­sen. Russ­land spiel­te – und hier­auf weist Ma­sa­la hin – von An­fang an auf ei­ne Er­mat­tung des We­stens. Da­bei agier­te er oh­ne Rück­sicht auf die ei­ge­ne Be­völ­ke­rung, was nur ei­ne Dik­ta­tur kann. Zwar ha­ben Russ­land und die Ukrai­ne ei­ne ähn­li­che, sehr nied­ri­ge Ge­bur­ten­ra­te (1,42 : 1,27), mit der man ei­gent­lich nach Gun­nar Hein­sohn kei­ne Krie­ge führt, aber Russ­land hat mit 143 Mil­lio­nen ge­gen­über 37 Mil­lio­nen ei­ne fast vier Mal grö­ße­re Be­völ­ke­rung.

Viel zu we­nig wird die man­gel­haf­te Stra­te­gie der Re­gie­rung Bi­den un­ter­sucht, die wo­mög­lich nicht dar­an dach­te, die Ukrai­ne zu un­ter­stüt­zen. Als die Rus­sen ih­re In­va­si­on be­gan­nen, bot Bi­den Se­len­skyj und sei­nem Ka­bi­nett die Mög­lich­keit ei­nes ge­si­cher­ten Ab­zugs an. Die­ser lehn­te mit dem iko­nisch ge­wor­de­nen Satz »I need am­muni­ti­on, not a ri­de« ab. Spä­ter gab es die Ver­si­che­run­gen, die Ukrai­ne zu un­ter­stüt­zen »as long as it ta­kes«. Aber es blie­ben ein­ge­schränk­te Un­ter­stüt­zun­gen. Man ver­mied ei­nen voll­ends auf Kon­fron­ta­ti­on ge­rich­te­ten Kurs. Ent­ge­gen al­lem Maul­hel­den­tums kam dies den Eu­ro­pä­ern ent­ge­gen. Die ver­schanz­ten sich größ­ten­teils hin­ter den USA und re­agier­ten nur (die Aus­nah­me bil­de­ten die Bal­ten und Po­len). Als kurz nach Kriegs­be­ginn Draghi, Scholz und Macron im Zug nach Kiew fuh­ren, hat­ten sie nicht Zu­sa­gen für die­ses und je­nes Waf­fen­sy­stem im Ge­päck, son­dern zeig­ten stolz ei­nen Zet­tel, der (in ei­ner un­be­stimmt ge­hal­te­nen Zu­kunft) der Ukrai­ne ei­ne EU-Mit­glied­schaft in Aus­sicht stell­te. Das war ex­em­pla­risch für ei­ne Sym­bol­po­li­tik, die auf ei­nem Schlacht­feld kei­nen Nut­zen hat. Un­end­li­che Ma­le klopf­te man da­nach Se­len­sky­js Schul­tern, aber man be­han­del­te ihn wie ei­nen Pa­ti­en­ten, dem man die le­bens­ret­ten­de Ope­ra­ti­on nicht zu­mu­ten woll­te und statt­des­sen Glo­bu­li ver­schrieb.

Ei­ne Ei­nig­keit auf nied­rig­stem Ni­veau wa­ren der NATO bzw. der EU im Zwei­fel wich­ti­ger, als die For­mu­lie­rung ei­ner ro­bu­sten Stra­te­gie, die dann kon­se­quent hät­te um­ge­setzt wer­den müs­sen. Län­der wie Un­garn und die Tür­kei spiel­ten Katz und Maus mit den eu­ro­päi­schen Mit­tel­mäch­ten. Die NATO woll­te aus ver­ständ­li­chen Grün­den nicht als Kriegs­par­tei er­schei­nen. Viel­leicht hät­te man ei­ne in­for­mel­le Grup­pe au­ßer­halb der be­stehen­den Struk­tu­ren schaf­fen müs­sen. Die Sank­tio­nen ge­gen Russ­land hatten/haben ge­woll­te Schlupf­lö­cher. Wenn in Talk­shows im rus­si­schen Fern­se­hen Atom­bom­ben auf Ber­lin, Lon­don oder War­schau flie­gen ist der frie­dens­be­weg­te Boo­mer schockiert und sucht in Wah­len bei Pu­tin-Apo­lo­ge­ten Schutz.

Bei öf­fent­li­chen Auf­trit­ten va­ri­iert Ma­sa­la zu­wei­len sein Sze­na­rio. Es könn­ten auch, so sei­ne Über­le­gung, wie bei der Be­set­zung der Krim 2014 »klei­ne grü­ne Männ­chen«, al­so kei­ne re­gu­lä­ren Sol­da­ten, über die est­ni­sche Gren­ze ih­re rus­si­schen »Lands­leu­te« »be­schüt­zen« wol­len. Mög­lich ist das. Hier wä­re das Re­sul­tat ver­mut­lich iden­tisch. In ei­nem an­de­ren, von den bei­den Ge­ne­rä­len a. D. John R. Al­len und F. Ben Hod­ges und dem Pu­bli­zi­sten Ju­li­an Lind­ley-French 2021 pu­bli­zier­ten Buch Fu­ture War wird von ei­nem rus­si­schen, kon­ven­tio­nel­len Über­ra­schungs­an­griff auf die bal­ti­schen Staa­ten, un­ter an­de­rem mit Hy­per­schall­ra­ke­ten er­zählt. Mit par­al­lel statt­fin­den­den Cy­ber­at­tacken wür­den zeit­nah Ver­tei­di­gungs­sy­ste­me der NA­TO-Staa­ten aus­ge­schal­tet. Die­ses Plan­spiel wird für 2030 ent­wickelt. In drei­zehn Ta­gen hät­te hier­nach Russ­land das Bal­ti­kum er­obert; ei­ne Ver­tei­di­gung der NATO blie­be fast voll­stän­dig aus und es gibt kei­ne nu­klea­re Ent­geg­nung. Die drei Au­toren er­klä­ren de­zi­diert, wie die NATO sich auf­zu­stel­len hat, um ei­ner sol­che Ent­wick­lung vor­zu­beu­gen. Die zen­tra­le The­se des Bu­ches lau­tet, »dass ei­ne so­li­de na­tio­na­le Ver­tei­di­gung an­ge­sichts der künf­ti­gen Kriegs­füh­rung ein neu­es, um­fas­sen­des Si­cher­heits­kon­zept er­for­dert, bei der in­di­vi­du­el­ler Si­cher­heit und na­tio­na­le Ver­tei­di­gung im Ein­klang ste­hen«.

Der deut­sche Wohl­stand­s­pa­zi­fis­mus

Wenn Russ­land ge­winnt soll ver­mut­lich auf­rüt­teln, aber in sei­ner nüch­ter­nen Ex­tra­po­la­ti­on des Sta­tus quo in die Zu­kunft ver­mit­telt sich ein eher de­pri­mie­ren­des Bild. Selbst wenn man nicht an ei­nen An­griff Russ­lands auf ein NA­TO-Land glaubt, dürf­te der rus­si­sche Im­pe­ria­lis­mus ein dau­er­haf­ter Un­ru­he­fak­tor ins­be­son­de­re was die Ukrai­ne an­geht, blei­ben. Hier sei noch ein­mal die Lek­tü­re von Zbi­gniew Brze­zinskis The Grand Ch­ess­board emp­foh­len, der be­reits 1997 auf die emi­nen­te, geo­po­li­tisch und my­stisch auf­ge­la­de­ne Be­deu­tung der Ukrai­ne für Russ­land hin­ge­wie­sen hat­te. Ähn­lich dürf­te es mit Ge­or­gi­en aus­se­hen. Auch hier wird Russ­land mit al­len Mög­lich­kei­ten auch der hy­bri­den Kriegs­füh­rung ver­su­chen, ei­ne An­nä­he­rung des Lan­des an den We­sten zu ver­hin­dern.

Bleibt die Fra­ge, wenn, wie Ma­sa­la mut­maßt, die Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft im Bünd­nis der­art ge­ring sein soll­te: War­um gibt es dann über­haupt noch die NATO in die­ser Kon­stel­la­ti­on? Und ist dann ei­ne Ver­bes­se­rung der kon­ven­tio­nel­len Auf­rü­stung in Eu­ro­pa und spe­zi­ell in Deutsch­land über­haupt sinn­voll? Zu­mal, wenn ein gro­ßer Teil der deut­schen Be­völ­ke­rung dar­an we­nig oder gar kein In­ter­es­se hat? Wäh­rend die Esten, Li­tau­er oder Po­len für ihr Land und ih­re Frei­heit kämp­fen wür­den, er­rei­chen in Deutsch­land Bü­cher, die sich ex­pli­zit der Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft des Lan­des wi­der­set­zen, Best­sel­ler­sta­tus. Zu­dem ist die Bun­des­wehr prak­tisch von Be­ginn ih­rer Grün­dung 1955 an ei­ne ge­sell­schaft­lich eher un­be­lieb­te, bis­wei­len als über­flüs­sig de­kla­rier­te In­sti­tu­ti­on. Der Akt der Ver­wei­ge­rung des Grund­wehr­dien­stes galt im­mer als be­son­ders pro­gres­siv. Dass die Bun­des­wehr als Ver­tei­di­gungs­ar­mee kon­zi­piert wur­de, blen­de­te man ent­we­der aus, oder lehn­te ei­ne sol­che rund­her­um ab. Aus die­sem Per­so­nen­kreis for­mie­ren sich die­je­ni­gen, die der Ukrai­ne die Ka­pi­tu­la­ti­on na­he­le­gen. Der breit ver­an­ker­te Wohl­stand­s­pa­zi­fis­mus Deutsch­lands ist ein über Jahr­zehn­te, ab­sichts­voll ge­züch­te­tes Pro­dukt ei­nes Ex­or­zis­mus des Na­tio­nal- und vor al­lem des Frei­heits­ge­fühls. Noch heu­te gel­ten vie­ler­orts die deut­sche Fah­ne und Hym­ne als Pro­vo­ka­ti­on. Als 2010 ver­suchs­wei­se ein ge­wis­ser Ro­bert Ha­beck für ei­nen neu­en, lin­ken Pa­trio­tis­mus warb, wur­de er aus den ei­ge­nen Rei­hen kri­ti­siert und zum Teil rü­de be­schimpft.

Car­lo Ma­sa­las Sze­na­rio zeigt, dass nicht nur das ge­sell­schaft­li­che Kli­ma son­dern auch die Po­li­tik des We­stens es­ka­pi­stisch ge­wor­den ist. Die Frie­dens­di­vi­den­de hat mü­de ge­macht. Das zeigt sich auch in den Ver­harm­lo­sun­gen der is­la­mi­sti­schen Be­dro­hun­gen. In Deutsch­land hat es ei­ne ge­wis­se Tra­di­ti­on, sich po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen an­zu­pas­sen: Kai­ser­reich, Na­zi-Dik­ta­tur, SED-Ein­heits­staat. 1989 war die Aus­nah­me, die vie­le bis heu­te glau­ben lässt, man brau­che nur ein paar Ver­samm­lun­gen, um ei­ne Dik­ta­tur zu stür­zen.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Nur ein biss­chen Kri­tik in der Sa­che: »Russ­land spiel­te – und hier­auf weist Ma­sa­la hin – von An­fang an auf ei­ne Er­mat­tung des We­stens.«
    Stimmt mei­nes Wis­sens nicht. Es gab die Pha­se »Ver­hand­lun­gen«, vor 2022, En­de 2021. Kon­tak­te nach Brüs­sel. Brie­fe. War­nun­gen. Da­mals hat man die Eu­ro­pä­er in Mos­kau noch ernst ge­nom­men. Dann gab es die Pha­se »Hau­ruck durchs Ge­büsch«. Der Marsch auf Kiew, mit klei­ner Trup­pe, und die Ver­hand­lun­gen in Istan­bul. Und dann kam das »Spiel«, ab Herbst 2022, sprich der Ab­nut­zungs­krieg, mit der Wet­te auf die Er­mat­tung des We­stens.
    Aber das wä­re nur ein Ein­wand im De­tail. Dass sich Ma­sa­la der Spe­ku­la­ti­on be­dient, ist ei­ne be­trächt­li­che Zu­mu­tung. Geo­po­li­tik?!?! Wohl eher Geo-Po­li­zei-La­ge-Si­mu­la­ti­on. Si­che­rung von gro­ßen, li­be­ral-bü­ro­kra­tisch ver­wal­te­ten Flä­chen, grob an­ge­spro­chen durch das Sym­bol­wort »Eu­ro­pa«... Im­mer­hin kann er da­mit den we­sent­li­chen Punkt ver­deut­li­chen, der uns wirk­lich al­le aus den Socken ge­hau­en hat: die Hyp­no­se aus dem Kal­ten Krieg, wo­nach Atom­waf­fen den ewi­gen Frie­den durch ihr Ab­schreckungs­po­ten­zi­al ga­ran­tie­ren, en­de­te mit ei­nem Schwall Was­ser ins Ge­sicht. Stimmt. Das ha­ben wir al­le über­se­hen. Es­ka­la­ti­ons­dy­na­mi­ken kön­nen macht­po­li­tisch be­spielt wer­den, und die Eu­ro­pä­er be­herr­schen da­von nicht mal das klei­ne Ein­mal-Eins. Ein biss­chen Krieg ist im­mer. Al­les nur ei­ne Fra­ge der Ner­ven.
    Die NATO (so müss­te Ma­sa­la schluss­fol­gern) ist un­taug­lich für die eu­ro­päi­schen Si­cher­heits­in­ter­es­sen, zu­mal auf dem Kon­ti­nent nicht al­le »Werk­zeu­ge des Frie­dens« vor­han­den sind... Wir bräuch­ten näm­lich das gan­ze Sor­ti­ment. Aber das kann der Al­li­anz-Mensch Ma­sa­la na­tür­lich nur ins Kopf­kis­sen flü­stern.
    Ja, und Deutsch­land kann sich ei­gent­lich nur noch in der »Mit­te Eu­ro­pas« ver­stecken. Da­bei kä­men wir stra­te­gisch durch­aus klar, wenn wir das Mu­ster des »klei­nen Krie­ges« un­ter­halb der ato­ma­ren Schwel­le rich­tig ana­ly­sie­ren, bei­spiels­wei­se wie Oberst Reis­ner das sehr gut macht. Dar­an muss man die Rü­stung aus­rich­ten. Aber wir ha­ben kei­ne Po­li­ti­ker, die den Wohl­stands-ver­wirr­ten Rest­deut­schen kom­pli­zier­te Stra­te­gien ver­kau­fen könn­ten. Ma­sa­la ver­sucht wohl die Ab­kür­zung am Per­so­nal vor­bei über das Buch. Auf­rüt­teln der Ge­ne­ral­stän­de. Kei­ne Chan­ce! Jetzt gibt es al­len­falls ei­ne stra­te­gisch schwam­mig be­grün­de­te (aber hof­fent­lich mi­li­tä­risch ei­ni­ger­ma­ßen ef­fi­zi­en­te) kon­ven­tio­nel­le Auf­rü­stung. Kei­ner weiß, wo­hin die Rei­se geht. Sze­na­rio statt Zu­kunft.

  2. Na­ja, die »Ver­hand­lun­gen« vor und nach 2021 wa­ren ja an­ge­lehnt an die Mins­ker Ab­kom­men, die für ei­ne Be­frie­dung sor­gen soll­ten, die nie ein­trat. Die Ver­hand­lun­gen in Istan­bul nach der In­va­si­on wur­den ja von der Ukrai­ne nach But­scha ge­stoppt, was sich heu­te als Feh­ler her­aus­stellt. Spä­te­stens da­nach hät­te »der We­sten« ei­ne Stra­te­gie for­mu­lie­ren müs­sen – aber das ist aus­ge­blie­ben, nicht zu­letzt weil Bi­den bzw. des­sen Re­gie­rung un­be­dingt ei­ne di­rek­te Kon­fron­ta­ti­on mit Russ­land ver­mei­den woll­ten. Die USA hat­ten aus ver­ständ­li­chen Grün­den über­haupt kein In­ter­es­se dar­an. Die Eu­ro­pä­er si­mu­lier­ten Stär­ke, feu­er­ten ähn­lich Fuß­ball-Ul­tras in der Kur­ve die Ame­ri­ka­ner an. Aber sie wa­ren und sind nur ein Hüh­ner­hau­fen.

    Ma­sa­la ist zu sehr in den be­stehen­den Struk­tu­ren ver­haf­tet, um die wach­sen­de Be­deu­tungs­lo­sig­keit der NATO klar be­nen­nen zu wol­len. Als mi­li­tä­ri­scher Er­klä­rer taugt er nicht. Das ist auch nicht sei­ne In­ten­ti­on, weil er weiß, dass das in Deutsch­land kein Pu­bli­kum ha­ben wür­de.

    Ei­ne kon­ven­tio­nel­le Auf­rü­stung in Eu­ro­pa wird si­cher­lich be­stimm­te Ma­te­ri­al­pro­ble­me lö­sen. Aber ei­ner Ge­sell­schaft, die sich mehr­heit­lich wei­gern wür­de, ihr Land zu ver­tei­di­gen, hilft dies halt nicht. Na­tio­nal­be­wußt­sein war ja im­mer »bö­se«. Den Leu­ten jetzt das Ge­gen­teil zu er­klä­ren, fällt schwer.

  3. Der letz­te Punkt ist mir na­tür­lich auf­ge­fal­len. Aus ih­rer Lek­tü­re ge­win­ne ich den Ein­druck, dass Ma­sa­la die Schwä­che des We­stens nur in­tui­tiv er­fasst, und kei­ne so­zio­lo­gi­sche Ana­ly­se dar­an knüpft. Kann gut sein, dass die »pas­siv-ag­gres­si­ve« Bi­den-Ad­mi­ni­stra­ti­on die­sen Wir­kungs­tref­fer aus der Jetzt­zeit noch 3 Jah­re lang ver­schlei­ern half, na­tür­lich in­di­rekt, weil die Scharf­ma­cher-oh­ne-Land in die­ser Kon­stel­la­ti­on leich­tes Spiel hat­ten, in ih­ren je­wei­li­gen Dis­kurs­ha­bi­ta­ten. Was ha­ben wir nicht schon für Krie­ge ge­won­nen, auf dem Pa­pier, in der Talk­show oder im In­ter­net.
    Sie ha­ben die­se Be­trach­tung des ver­un­glück­ten Pa­zi­fis­mus doch dem Buch auf­er­legt, oder?! Ma­sa­la at­met die­se Mal­lai­se »mit­tels Re­fle­xi­on und Sze­na­rio« doch ein­fach weg, wenn ich das rich­tig er­ra­te. Er be­rührt nicht die thy­mo­ti­schen Fra­gen, die mit Krieg und Frie­den ver­bun­den sind.
    Das ist auf je­den Fall das The­ma der Stun­de, das ge­ra­de ge­stern mein jun­ger Schwie­ger­sohn wie­der auf den Tisch brach­te: »Ich weiß nicht, wo­für...!«. Ich muss ge­ste­hen, ab­seits von al­lem Dün­kel und na­tür­lich der ge­fühl­ten geo­po­li­ti­schen Ex­per­ti­se, bin ich eben­falls völ­lig rat­los. Ich er­ach­te das als Ent­zugs­schock, ver­ur­sacht durch ei­nen tri­via­len eu­ro­päi­sie­ren­den Idea­lis­mus, der uns die letz­ten 30 Jah­re nar­ko­ti­siert hat. Was ha­ben wir nicht für Rhe­to­rik er­lebt, wo­für die Leu­te al­les ster­ben wür­den, oder ihr letz­tes Hemd ge­ben. Die Frei­heit. Die Wer­te. Die Men­schen­rech­te. Aber un­ter dem un­ver­meid­li­chen »hy­ste­ri­schen Wer­te-Lack« der west­li­chen Ge­sell­schaft haust doch ein sehr zä­her Op­por­tu­nis­mus. Den kann man nicht eben mal auf Li­nie brin­gen.
    Hier und heu­te kommt ei­ne ideo­lo­gisch oder (sol­len wir es wa­gen) geo-ge­schicht­lich bis­lang völ­lig un­be­kann­te Her­aus­for­de­rung ans Licht... Der Ame­ri­ka­ni­sche In­ter­ven­tio­ni­sti­sche Li­be­ra­lis­mus, aus­ge­hend vom ter­ri­to­ri­al ge­si­cher­ten Kon­ti­nent hat uns wohl völ­lig in die Ir­re ge­führt bzw. blöd wer­den las­sen. Die­ser Li­be­ra­lis­mus ist gar nicht un­ser Mo­dell, weil er auf so­zio­lo­gisch völ­lig an­de­ren Tat­sa­chen be­ruht, und nicht vom Bud­get al­lein be­grenzt wird. Die Ar­mee ist in den U.S.A. ein wich­ti­ger Ar­beit­ge­ber. Und Ar­beit ist bei knap­per So­zi­al­für­sor­ge ein lei­ten­des Kri­te­ri­um bei den Ent­schei­dun­gen jun­ger Er­wach­se­ner, vor­al­lem bei den ein­fa­chen Leu­ten. Nur da­mit kriegt man die in­di­vi­dua­li­sti­sche Tra­jek­to­rie des Li­be­ra­lis­mus ge­bo­gen, zur Su­per­macht, mit dem Ex­port-Schla­ger »Frei­heit«. Aber das ist Ame­ri­ka. Das sind wir nicht. Wir zie­hen es vor, die So­zi­al­haus­hal­te auf­zu­stocken (Mann, ist das »rechts«. Ent­schul­di­gung!) und die Ar­mee auf­zu­lö­sen, weil wir nur noch von Freun­den um­ge­ben sind.
    Des­halb der Rein­fall ins Un­mög­li­che, denn wie könn­ten wir die­se un­an­ge­neh­me jä­he Her­aus­for­de­rung auf die eu­ro­päi­sche Schie­ne brin­gen?! Kurz nach­den­ken... Gar nicht. Da ist die gro­ße Po­li­tik im Weg. Die gro­ße Po­li­tik von ge­stern. Die all­zu leich­te gro­ße Po­li­tik von ge­stern. Wer wird denn nur ein Land ver­tei­di­gen, wenn sich so viel Grö­ße­res an­bie­tet?! Es knackt im Ge­bälk, Herr Ma­sa­la.

  4. Der »ver­un­glück­te Pa­zi­fis­mus« der Deut­schen schwingt na­tür­lich mit, wenn von ei­nem Sze­na­rio, wie es Ma­sa­la ent­wirft, ge­spro­chen wird. Er hält sich da be­deckt, weil er all die Frie­dens­men­schen nicht brüs­kie­ren möch­te; er glaubt, man kön­ne sie über­zeu­gen.

    Der »Wer­te-Lack«, von dem Sie spre­chen, ist ei­ne Aus­ge­burt des Mau­er­falls. So­viel Glück hat­ten wir uns gar nicht mehr zu­ge­traut, da­her die um­fas­sen­de Skep­sis, die nur lang­sam wich. Dann aber schwelg­te man. Auch der 11.9.2001 konn­te dem nichts an­ha­ben; Af­gha­ni­stan war weit weg, die Ter­ror­an­schlä­ge in Eu­ro­pa wur­den zu Kol­la­te­ral­schä­den des mo­der­nen Le­bens ab­ge­tan. Bis heu­te. In­zwi­schen meh­ren sich die Ver­schwö­rungs­theo­rien, Pu­tin könn­te auch hin­ter die­sen bzw. ähn­li­chen An­schlä­gen stecken. Was die­se gan­zen Ja­mes-Bond-Wie­der­ho­lun­gen doch so an­rich­ten kön­nen…

    Dass aus­ge­rech­net Trump den Lin­ken den jahr­zehn­te­lan­gen Traum er­füllt, die NATO wir­kungs­los und die USA wie­der iso­la­tio­ni­stisch zu ma­chen, kön­nen die gar nicht be­grei­fen. Ge­ra­de jetzt hät­ten sie es ger­ne an­ders, wür­den all­zu ger­ne un­ter der ku­sche­li­gen Bett­decke der Ame­ri­ka­ner krie­chen. Im­mer, wenn die Ame­ri­ka­ner iso­la­tio­ni­stisch agier­ten, bra­chen in Eu­ro­pa Krie­ge aus. Da­her das Ge­ba­ren nach 1945 als Su­per­macht. Schlecht war das für uns, wie wir heu­te wis­sen, nicht. Vor al­lem be­quem.

    In­zwi­schen ist Eu­ro­pa we­ni­ger in­ter­es­sant ge­wor­den. Die Zu­kunft liegt in Ost­asi­en. Hier hat die Sa­tu­riert­heit der letz­ten 30 Jah­re noch kei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen. Die Mär, dass der Ka­pi­ta­lis­mus De­mo­kra­tie bringt, ist auch aus­ge­träumt. Chi­na kann nur im­plo­die­ren; auch hier­für gibt es Vor­bil­der. Ich wün­sche mir, das nicht mehr zu er­le­ben.

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