A.d.L.e.R: Aus dem Leben einer Rikschafahrerin – Nr. 3
In der Saison 2002 hatten wir einen arabischen Kollegen, der aus dem Libanon kam. Damals war die Liste der Attentäter vom 11. September noch ganz frisch in den Köpfen: alles Araber, einer davon aus dem Libanon. Aber das war vermutlich nicht das Problem, als wir an einem Samstagmittag vorm Eingang des KaDeWe standen, wo die Menschheit zum Einkaufen wuselte. Der Kollege saß auf dem halb kniehohen Trittbrett seines Fahrzeugs und las Zeitung, (er war der Letzte in der Reihe), und ich sah ein etwas älteres Ehepaar herankommen, das mich an Reisekataloge der Fünfziger Jahre erinnerte. Ich sah, wie das Ehepaar auf ihn zu ging und vor ihm stehen blieb. Der Kollege faltete sofort die Zeitung zusammen. Das Ehepaar redete ihn an mit der Frage: »Woher kommst Du?« und zeigte dabei mit dem Kinn auf ihn.
Du liebe Güte, dachte ich, das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, und wer mich in einem derart abfälligen Ton ansprechen würde, mit dem würde ich gar nicht reden, da würde ich einfach weggehen und den stehen lassen. Der Kollege dagegen senkt unverzüglich den Blick auf den Boden wie ein ertapptes Kind und flüstert fast als er antwortet: »Sri Lanka.«
Und siehe, das Ehepaar wirft die Arme in die Luft und ruft: »Sri Laaanka! Nein, was für ein Zufall! Da waren wir letztes Jahr im Urlaub! Das war schön!« Zwei Augenpaare hellen sich auf, zwei Münder lächeln, und ich kann sehen, wie vor dem geistigen Auge des Ehepaars die Lieblingsurlaubsfotos vorüberziehen: »Ja und wo denn da?«
Der Kollege steht Rede und Antwort, als befände er sich in einem Verhör. Wie aus der Pistole geschossen sagt er ein Wort, das aus mehreren interessanten Vokalen und Konsonanten besteht, ein Wort, das man noch nie gehört hat, von dem man aber sofort weiß, dass es nur der Name eines Ortes in Sri Lanka sein kann, auch wenn man noch nie einen Blick auf die Landkarte Sri Lankas getan hat. »Wie heißt, wo ist, das kennen wir nicht, also wir waren in Colombo, da ist ja dieser Berg, und links davon ist die Hauptstadt, Colombo, und dann sind wir an der Küste ...«
Der Kollege lässt das Ehepaar vom Urlaub schwärmen und erklärt mit ebenso bescheidenem wie stolzem Lächeln, dass sein Heimatort auf der anderen Seite jenes Berges gelegen sei, ein größerer Ort mit einem bedeutenden Markt, den dort jeder im Umkreis von mindestens hundert Kilometern gut kenne, und jetzt hat der Kollege auf einmal so eine Sehnsucht in seinem in die Ferne gerichteten Blick. Das Ehepaar indessen nickt: »Ja, ja, genau, dieser Berg, und Du jetzt also rechts davon, aber wir sind nur links gewesen«, hin und her, links und rechts, die Schönheiten Sri Lankas, und dann fällt dem Ehepaar noch etwas ein und es beugt sich zu meinem Kollegen herunter: »Aber sag mal, wie ist denn da jetzt der Stand mit dem Bürgerkrieg?« und richtet sich wieder auf.
Der Kollege macht eine Pause, bevor er spricht. Die Pause ist lang genug, um das Ehepaar aus seinem Urlaubs-Sri Lanka zurück auf die Straße in Berlin zu holen, um seine Aufmerksamkeit zu sammeln, und sie ist kurz genug, um keine Irritation aufkommen zu lassen. Der hats wirklich drauf, der Kollege. Er schaut dem Ehepaar zum ersten Mal direkt in die Augen, er deutet ein Kopfschütteln an und sagt: »Es tut mir leid, darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Ich lebe seit sechzehn Jahren in Deutschland, ich habe Familie hier, nach Sri Lanka habe ich schon lange keine Verbindung mehr.«
»Aha, achso, achso, aha, na wir müssen dann mal weiter.«
Wir schauen dem Ehepaar nach, wie es zum Shoppen dackelt, und ich sage zu meinem arabischen Kollegen aus dem Libanon:
»Hut ab! Chapeau! Das hätte man sich nicht besser ausdenken können, denn wenn Du jetzt auch noch gesagt hättest, dass Du hier Steuern zahlst, dann wären sie ernstlich nervös geworden. Wo genau liegt noch mal Sri Lanka?«
»Ach, irgendwo da bei Indien.«
»Ah, ja, und in dem Bürgerkrieg gehts um diese Tamilen, oder nicht?«
»Menschenskind, Bürgerkrieg, Bürgerkrieg, irgendwo ist immer Bürgerkrieg.«
Das haben Sie wieder so lebendig geschrieben, stand ich vielleicht hinter dem etwas älterem Ehepaar?
Und die politischen Betrachtungen, auch in Nr. 2, eingebaut in den Alltag der Rikschafahrerin – gelungen.
Und das Buch dazu? Haben Sie es schon verlegen können und wenn ja, unbedingt hier den Titel nennen!
LG l‑s
Gut möglich, dass Sie hinter dem Ehepaar standen, so etwas passiert ja öfter mal.
Das Buch gibt es noch nicht. Bislang existieren nur diese drei Texte. Der vierte ist in der Mache, und es sollen noch weitere folgen. Wenn es dann irgendwann einmal jemand verlegen möchte, obwohl es schon im Netz veröffentlicht ist, dann werd ich natürlich nicht nein sagen ;)
LG S. U. Bart
Es ist eine wirklich gelungene Idee und ich drücke die Daumen, dass Sie einen Verleger dafür finden!
LG :)