Sport­un­ter­richt

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 4

Ich hat­te da­mals vom li­ba­ne­si­schen Kol­le­gen ge­lernt, dass es hilf­reich und gut ist, die Er­war­tun­gen der Kun­den zu be­stä­ti­gen, denn wer recht hat fühlt sich wohl. Die­se Er­kennt­nis nutz­te ich für ei­ne je­ner Fra­gen, die uns sehr oft ge­stellt wer­den, und die uns nicht amü­sie­ren, näm­lich für die Fra­ge, was man denn sonst noch so tä­te. Da die mei­sten glau­ben, wir al­le tä­ten sonst noch so stu­die­ren, und da vie­le ein schlech­tes Ge­wis­sen we­gen un­se­rer kör­per­li­chen An­stren­gung ha­ben, ent­schied ich kur­zer­hand, mich zum Woh­le der Kund­schaft als Sport­stu­den­tin aus­zu­ge­ben. Und dann stie­gen ei­nen Tag vor dem Ma­ra­thon ei­ne jun­ge Frau En­de Zwan­zig und ihr On­kel bei mir ein. Wir fuh­ren Rich­tung Reichs­tag auf dem Gro­ßen Weg durch den Tier­gar­ten. Wir kreuz­ten die Gro­ße Stern­al­lee, je­ne im Som­mer von aus­la­den­den Bäu­men zu­ge­wach­se­ne Sicht­ach­se auf die Sie­ges­säu­le, als der On­kel frag­te:


»Und was ma­chen Sie sonst noch so, stu­die­ren Sie?«

Ich sag­te das Zau­ber­wort, ein glat­tes, run­des »Ja«, und fand, dass recht ge­ben viel schö­ner ist als recht ha­ben. Un­ver­züg­lich ver­brei­te­ten On­kel und Nich­te die war­me Zu­frie­den­heit des be­stä­tigt Wer­dens.

»Und was?«

»Sport.«

Ganz an­ders als an­de­re Gä­ste zu­vor, die an die­ser Stel­le der Kon­ver­sa­ti­on be­gei­stert ge­we­sen wa­ren: Toll! Da ham Sie ja be­zahl­tes Trai­ning!, sag­ten nun die­se bei­den wie aus ei­nem Mun­de: »Ach. An wel­cher Uni denn?«

Wir ha­ben in Ber­lin drei Uni­ver­si­tä­ten, über de­ren An­ge­bo­te ich nicht in­for­miert bin. Ich tipp­te auf HU und wur­de nun mei­ner­seits vom On­kel be­stä­tigt: »Nein, was für ein Zu­fall! Da ha­ben wir bei­de auch Sport stu­diert!« Er­in­ne­rungs­se­lig frag­ten mich On­kel und Nich­te nach ih­ren Pro­fes­so­ren. Ist denn der al­te X noch da? Ken­nen sie Y? Wie gehts Z, der hat­te ja da­mals die­se schlim­me Ver­let­zung. Ich sag­te Äh und stot­ter­te mit et­was zu viel Ver­zö­ge­rung, dass X mitt­ler­wei­le eme­ri­tiert und Z ge­ne­sen sei.

»Und wel­che Sport­ar­ten ma­chen Sie?«

Nun galt es Sport­ar­ten zu nen­nen, die so un­kom­pli­ziert wie mög­lich wa­ren, denn ich hat­te von Sport ge­nau so viel Ah­nung wie der li­ba­ne­si­sche Kol­le­ge von Sri Lan­ka. In jun­gen Jah­ren hat­te ich mal Wald­lauf be­trie­ben.

»Lau­fen«, sag­te ich, und auf ein­mal mach­te sich be­merk­bar, dass das Fah­ren auf den Sand­we­gen des Tier­gar­tens doch et­was mehr Kraft er­for­dert als das Da­hin­rol­len auf glat­tem Asphalt.

»Na so­was«, rief die Nich­te, »ich lauf mor­gen den Ma­ra­thon! Sie auch?«

»Nö, ich muss ja ar­bei­ten.«

»Und was ma­chen Sie noch au­ßer Lau­fen?«

Al­le Sport­ar­ten, die ich über­haupt hät­te nen­nen kön­nen, (vie­le wa­rens nicht), er­schie­nen mir un­er­klär­lich kom­pli­ziert. Ich be­fürch­te­te – voll­kom­men zu recht, wie sich zei­gen soll­te – et­was die Sport­art Be­tref­fen­des nicht zu wis­sen, das ich aber als Sport­stu­den­tin auf je­den Fall hät­te wis­sen müs­sen. Ich krieg­te die Zäh­ne nicht aus­ein­an­der. Der Tier­gar­ten in­des: hold wie je. Fried­lich im Was­ser sich spie­geln­de Sträu­cher und Bäu­me. Des­sen un­ge­ach­tet hau­te mir die Nich­te ih­re näch­ste Fra­ge um die Oh­ren: »Wel­che Ge­wichts­klas­se lau­fen Sie denn?«

Sieh­ste, da war es, was ich als Sport­stu­den­tin hät­te wis­sen müs­sen, aber nicht wuss­te: Ge­wichts­klas­sen beim Lau­fen. Noch nie ge­hört. Ich war so über­for­dert, dass mir nicht ein­fiel, was für ein span­nen­des Gro­ße­vent das öf­fent­li­che Wie­gen der über 28.000 Läu­fe­rin­nen und Läu­fer des Ma­ra­thons her­ge­macht hät­te. Ich gab mein Kör­per­ge­wicht an, das rea­le, nicht das ge­fühl­te, mir war, als flös­se Blei an­statt Blut durch die Mus­ku­la­tur. Die Gä­ste mach­ten ein in­ter­es­sier­tes Mhm. Ich un­ter­drück­te ei­nen Rau­cher­hu­sten und stell­te mei­ne Ver­tei­di­gungs­li­nie auf, in­dem ich er­klär­te, dass ich im er­sten Se­me­ster sei, noch in der Ori­en­tie­rungs­pha­se, und we­gen die­ses Jobs hier we­nig Zeit für die Uni hät­te. Da­mit rann­te ich of­fe­ne Tü­ren ein: »Ja, ja, das ha­ben wir gleich ver­stan­den, dass Sie so ei­ne stu­die­ren­de ›Künst­le­rin‹ sind.«, sag­te der On­kel und dehn­te das Wort »Künst­le­rin« mit bö­ser Iro­nie.

Nach­her wür­den die­se bei­den Sports­ka­no­nen über­all her­umer­zäh­len, – ich sah es vor mir – dass so ei­ne Rik­scha­fah­re­rin ver­sucht ha­be, ih­nen ei­nen Bä­ren auf­zu­bin­den, un­mög­lich sei das ge­we­sen, al­so Rik­scha­fah­ren kön­ne man wirk­lich nicht emp­feh­len. Oh­got­toh­got­toh­gott! Die wei­te­re Fahrt ver­lief un­ter be­tre­te­nem Schwei­gen. Als wir am Reichs­tag an­ka­men, woll­te ich noch et­was Net­tes sa­gen und ver­sprach der Nich­te zum Ab­schied, ihr für mor­gen die Dau­men zu drücken.

»Vie­len Dank«, sag­te die Ma­ra­thon­läu­fe­rin, »das las­sen Sie mal lie­ber blei­ben.«

© Ste­pha­nie Bart

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1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Ei­ne schö­ne Ge­schich­te.

    Sie il­lu­striert auch noch ei­ne merk­wür­di­ge Asym­me­trie: Ge­nau­so wie es Tau­send Krank­hei­ten, aber nur ei­ne Ge­sund­heit gibt, ge­nau­so gibt es Tau­send Lü­gen, aber nur ei­ne Wahr­heit. Das heißt, dass es im­mer schwe­rer wird, ei­ne in sich kon­si­sten­te Lü­gen­ge­schich­te durch­zu­hal­ten, je län­ger je­mand an­de­res nach­fragt. Bei der Wahr­heit ist es äu­ßerst ein­fach, auf je­de Fra­ge forscht man nur im Ge­dächt­nis, weil die Rea­li­tät ja selbst da­für sorgt, dass die Ge­schich­te in sich kon­si­stent bleibt, denn sie ist ja pas­siert. Bei Lü­gen­ge­schich­ten muss man al­le be­reits er­zähl­ten De­tails im Ge­dächt­nis be­hal­ten und dann selbst für Kon­si­stenz sor­gen.