Joa­chim Zel­ter: Der Mi­ni­ster­prä­si­dent

Joachim Zelter: Der Ministerpräsident
Joa­chim Zel­ter: Der Mi­ni­ster­prä­si­dent

Dann fällt ihm noch der Mond­tag ein. Fast rich­tig sag­te die Ärz­tin, Frau Dok­tor Wol­ken­bau­er. Nein, er kennt kei­nen die­ser Ta­ge. Er lernt sie aus­wen­dig. Er hat Lücken im Kopf. Na­mens­lücken, Freun­des­lücken, Fa­mi­li­en­lücken, Be­rufs­lücken, Land­schafts­lücken, Er­in­ne­rungs­lücken, Wort­lücken. Er weiß nur, dass er Mi­ni­ster­prä­si­dent ist. Der Mi­ni­ster­prä­si­dent be­kommt von der Ärz­tin ein No­tiz­heft. Hier soll er hin­ein­schrei­ben, was er nicht ver­steht. Er schreibt auch sei­nen Na­men hin­ein: Claus Ur­spring. Schrei­ben kann er im­mer­hin. Und er weiß, dass der Mann, der im­mer zu Be­such kommt, Ju­li­us März heißt.

Der Mi­ni­ster­prä­si­dent hat­te ei­nen Au­to­un­fall und lag meh­re­re Ta­ge im Ko­ma. Er ist nun in ei­ner Kli­nik. Ju­li­us März be­sucht ihn re­gel­mä­ssig, denn schließ­lich ist Wahl­kampf. Ur­spring, so will es die Ärz­tin, soll sich er­in­nern, an die Kind­heit, an schö­ne Er­leb­nis­se. März will, dass er sich an die Lan­des­ver­fas­sung und die Kom­pe­ten­zen der Staats­se­kre­tä­re er­in­nert. Er paukt das mit ihm. Aber ir­gend­wie in­ter­es­siert es Ur­spring nicht.

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Ro­man-Ar­ron­die­run­gen

Der un­ab­sicht­li­che Ver­schrei­ber in die­sem an­son­sten sehr hüb­schen Ar­ti­kel von Marc Reich­wein, der die bei­den Ro­man von Pe­ter Hand­ke »Die Wie­derho­lung« und »Lang­sa­me Heim­kehr zu »Wie­der­kehr« un­ver­mit­telt ver­schmolz, hat mich zu an­de­ren Ar­ron­die­run­gen in­spi­riert: Hein­rich Mann: »Pro­fes­sor Un­ter­tan« Tho­mas Bern­hard: »Aus­ge­hen« Her­mann Lenz: »Herbst­zeit« El­frie­de Je­li­nek: »Die Lie­bes­spie­le­rin« Wolf­diet­rich Schnur­re: »Fun­ke im Schat­ten«

Ri­chard Pri­ce: Cash

Richard Price: Cash
Ri­chard Pri­ce: Cash

Den Zeit­punkt, von dem an Kri­mi­nal­ro­ma­ne nur noch am Ran­de mit der ei­gent­li­chen Auf­klä­rung des Ver­bre­chens zu tun ha­ben, kann man ganz gut auf Mit­te der 1970er Jah­re ta­xie­ren. Zwar hat­ten an­gel­säch­si­sche Au­toren zu­vor längst den kau­zi­gen Pri­vat­de­tek­tiv ent­deckt und auch Per­sön­li­ches des Fall-Lö­sers in die Ge­schich­ten ein­ge­wo­ben. Und auch Ge­or­ge Si­me­nons Fi­gur Mai­gret war mehr als nur ein Kom­mis­sar, der In­di­zi­en auf­spür­te, Ali­bis über­prüf­te und Zeu­gen­ver­neh­mun­gen durch­führ­te. Eben­so wur­de die Psy­cho­lo­gie des Tä­ters im­mer wei­ter aus­ge­leuch­tet und als Mo­tiv reich­te nicht mehr nur die üb­li­che Te­sta­ments­klau­sel oder der un­ver­zeih­ba­re Sei­ten­sprung des Ehe­part­ners. Aber den An­spruch, mit der Er­zäh­lung von Kri­mi­nal­fäl­len auch, ja: vor al­lem ge­sell­schafts­po­li­ti­sche und so­zia­le Zu­stän­de zu re­flek­tie­ren, wur­de erst­mals von den bei­den schwe­di­schen Au­toren Maj Sjö­wall und Per Wahl­öö ein­ge­löst. Zehn Ro­ma­ne ent­stan­den vom Au­toren­paar zwi­schen 1965 und 1975. Den De­ka­log nann­te man spä­ter »Ro­man über ein Ver­bre­chen« – die Be­to­nung liegt auf »ein«. Nicht nur, dass die Prot­ago­ni­sten der Stock­hol­mer Mord­kom­mis­si­on, hier vor al­lem Kri­mi­nalas­si­stent bzw. Kom­mis­sar Mar­tin Beck, sein eng­ster Ver­trau­ter Koll­berg oder der ge­le­gent­lich cho­le­risch-un­kon­ven­tio­nel­le Gun­vald Lars­son nebst ih­rem Pri­vat­le­ben im Mit­tel­punkt stan­den. Des­wei­te­ren wur­den die Ar­beits­be­din­gun­gen und Rän­ke­spie­le in­ner­halb der Po­li­zei­ad­mi­ni­stra­ti­on und die ok­troy­ier­ten po­li­ti­schen Rück­sicht­nah­men eben­so the­ma­ti­siert wie die ge­sell­schafts­po­li­ti­schen und so­zia­len Zu­stän­de des Lan­des sel­ber, die sich in der Skur­ri­li­tät und Bru­ta­li­tät der Ver­bre­chen spie­geln soll­ten.

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Oli­vi­er Roy: Hei­li­ge Ein­falt

Olivier Roy: Heilige Einfalt
Oli­vi­er Roy: Hei­li­ge Ein­falt

Seit vie­len Jah­ren ist Oli­vi­er Roy als Ex­per­te auf dem Ge­biet des is­la­mi­schen Fa­na­tis­mus, der ge­mein­hin un­ter dem Be­griff des Is­la­mis­mus sub­su­miert wird, be­kannt. Sein neue­stes Buch »Hei­li­ge Ein­falt« (im fran­zö­si­schen: »La sain­te igno­rance«) trägt in­ter­es­san­ter­wei­se den deut­schen Un­ter­ti­tel »Über die po­li­ti­schen Ge­fah­ren ent­wur­zel­ter Re­li­gio­nen«. Da­bei kommt der fran­zö­si­sche Un­ter­ti­tel weit we­ni­ger vor­ein­ge­nom­men da­her und drückt die In­ten­ti­on des Bu­ches bes­ser aus. Dort heißt es (eher be­schrei­bend): »Le temps de la re­li­gi­on sans cul­tu­re«, was mit un­ge­fähr »Die Zeit der Re­li­gio­nen oh­ne Kul­tur« über­setzt wer­den kann.

Roy schreibt be­reits im er­sten Satz, dass sei­ne Aus­füh­run­gen nicht al­lei­ne als Kri­tik am Is­lam und des­sen (so­ge­nann­ter) fun­da­men­ta­li­sti­scher Aus­prä­gun­gen zu le­sen sind. Und so wird die Sicht auf das Chri­sten­tum und den zeit­ge­nös­si­schen Pro­te­stan­tis­mus, der sich im­mer mehr zum Evan­ge­li­ka­lis­mus ra­di­ka­li­siert, aus­ge­wei­tet. Ge­le­gent­lich be­zieht Roy so­gar das Ju­den­tum und den »Hin­du­is­mus« in sei­ne Be­trach­tun­gen ein. Gleich zu Be­ginn wird mit ei­nem all­zu be­lieb­ten Talk­show-To­pos auf­ge­räumt: Es gibt kei­ne »Rück­kehr« des Re­li­giö­sen, son­dern ei­ne Ver­än­de­rung. Wir sind nicht Zeu­gen ei­ner Ex­plo­si­on der Pra­xis, son­dern eher von neu­en For­men der Sicht­bar­keit des Re­li­giö­sen. Das, was wir der­zeit be­ob­ach­ten, ist in er­ster Li­nie die Auf­leh­nung des Gläu­bi­gen, der sei­nen Glau­ben be­droht sieht und mit den kul­tu­rel­len »Her­aus­for­de­run­gen« ei­ner sä­ku­la­ren Ge­sell­schaft Pro­ble­me hat. Da­bei wirkt die Sä­ku­la­ri­sie­rung we­ni­ger in der Wei­se, dass sie die Re­li­gi­on an den Rand drängt, son­dern in­dem sie Re­li­gi­on und Kul­tur von­ein­an­der ent­kop­pelt und die Re­li­gi­on au­to­nom wer­den lässt.

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Vom Macht­kampf

Pres­se­frei­heit und – viel­falt sind ein we­sent­li­cher Kern un­se­rer frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­scher Grund­ord­nung. Um­so schö­ner ist es, das Funk­tio­nie­ren die­ser Viel­falt in der Pra­xis zu be­ob­ach­ten. Da kan­di­diert der am­tie­ren­de Um­welt­mi­ni­ster Nor­bert Rött­gen für den Vor­sitz der CDU in Nord­rhein-West­fa­len. Da­mit gibt es plötz­lich zwei Kan­di­da­ten für die­se Po­si­ti­on, denn der ehe­ma­li­ge NRW-In­te­gra­ti­ons­mi­ni­ster Ar­min La­schet kan­di­diert eben­falls für die­ses Amt. Aus dem voll­kom­men nor­ma­len, de­mo­kra­ti­schen Vor­gang, dass sich für ein Amt meh­re­re Kan­di­da­ten zur Wahl stel­len, wird nun ein Skan­da­lon pro­du­ziert. Es herrscht, so wird sug­ge­riert, »Streit« in der Par­tei. Die am mei­sten ver­wand­te Vo­ka­bel ist nicht die der Kan­di­da­tur, son­dern des »Macht­kamp­fes«. Meh­re­re Kan­di­da­ten für ein Amt, die im de­mo­kra­ti­schen Ver­fah­ren ge­fun­den wer­den, sind dem­nach kei­ne Be­rei­che­rung, son­dern wer­den mit leicht bel­li­zi­sti­schen Vo­ka­beln per se ne­ga­tiv kon­no­tiert.

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Ver-kohlt

Seit heu­te wis­sen wir es ganz ge­nau: 8,8% al­ler Wa­ren, die in die Bun­des­re­pu­blik ein­ge­führt wer­den, kom­men aus Chi­na. Sagt An­ja Kohl in »boer­se im Er­sten« am 09.08.2010 kurz vor 20 Uhr. Man dach­te, das ist mehr. Über­ra­schend ist dann, dass auf Platz 2 die Nie­der­lan­de steht (mit 8,3 %). Hopp­la: So­viel Obst und Ge­mü­se ...

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Sa­bi­ne Pe­ters: Feu­er­freund

Sabine Peters: Feuerfreund
Sa­bi­ne Pe­ters: Feu­er­freund
Ma­rie ist 26, Prak­ti­kan­tin in ei­nem Ver­lag und be­geg­net dem Schrift­stel­ler Ru­pert, 59, im De­zem­ber 1986 zum er­sten Mal. Nach dem Tref­fen gibt es ei­nen zor­ni­gen Brief an den Ver­le­ger mit ei­nem freund­li­chen Gruß an die Prak­ti­kan­tin. Man schreibt sich schließ­lich di­rekt, fügt den Brie­fen klei­ne Pre­tio­sen bei; Stein­chen und Fe­dern zum Bei­spiel. Die bei­den wer­den ein Lie­bes­paar, hei­ra­ten und zie­hen ins Rhei­der­land.

Ru­pert ist ein be­kann­ter Schrift­stel­ler und schreibt Hör­spie­le. Ma­rie be­ginnt mit dem Schrei­ben, ver­öf­fent­licht 1990 ihr er­stes Buch. Er ist ein po­li­ti­scher Kopf, der mit RAF-Ge­fan­ge­nen kor­re­spon­diert und sich als Kom­mu­nist be­zeich­net. Er hat ei­ne manch­mal ener­vie­ren­de Ra­di­ka­li­tät, schimpft auf den Klein­bür­ger­dreck an­de­rer (und bei sich selbst) und zieht sich an klei­nen Din­gen hoch, wie bei­spiels­wei­se am Trin­ken von Co­la (sei­ner Frau bringt er sie dann doch vom Ki­osk mit).

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Jour­na­li­sten sind kei­ne Mei­nungs­e­u­nu­chen

Aus­ge­rech­net in der sich mei­nungs­freu­dig ge­rie­ren­den Blogo­sphä­re stößt das neue En­ga­ge­ment des ZDF-Jour­na­li­sten Stef­fen Sei­bert als zu­künf­ti­ger Re­gie­rungs­spre­cher auf zum Teil dra­sti­sche Ab­leh­nung. So kann man bei­spiels­wei­se nach­le­sen: »Wo Jour­na­li­sten, und sei­en sie vor­mals auch noch so re­gie­rungs­freund­lich ge­we­sen, zu Pro­pa­gan­di­sten wer­den – und das ganz oh­ne sich vor der Öf­fent­lich­keit zu schä­men, oh­ne ei­nen Rest von Ali­bi vor­zu­schie­ben -, da ist die un­auf­dring­li­che Ber­lus­co­ni­sie­rung der Ge­sell­schaft zum Ta­ges­ord­nungs­punkt er­klärt wor­den.«

Was vie­len ge­schichts­ver­ges­se­nen Kom­men­ta­to­ren viel­leicht nicht prä­sent ist: Es gab im­mer schon Jour­na­li­sten, die von ih­rem Amt in die Re­gie­rungs­ad­mi­ni­stra­ti­on wech­sel­ten. Und es wa­ren nicht die schlech­te­sten: Con­rad Ah­lers bei­spiels­wei­se (ein »Spiegel«-Mann und spä­ter, nach Auf­ga­be sei­nes Re­gie­rungs­spre­cher­am­tes, ein po­le­mi­scher Regierungs­kritiker). Oder – eben­falls für die so­zi­al-li­be­ra­le Re­gie­rung, Klaus Böl­ling und Rü­di­ger von Wech­mar. Spä­ter dann für die Kohl-Re­gie­rung Pe­ter Bo­e­nisch und – auch vom ZDF – Fried­helm Ost. Für die Re­gie­rung Schrö­der sprach mit Uwe-Car­sten He­ye auch ein ge­lern­ter Jour­na­list.

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