Als im Mai 2018 diese ungustiöse Geschichte mit der Ökopolitikerin und dem Bierwirt in der Wiener Josefstadt bekannt wurde, schienen mir der Fall und die Person nur ein weiterer Beleg für die Problematik der Identitätsverwischungen im Internet und die dadurch begünstigte moralische Verrohung. Jemand hatte der Nationalratsabgeordneten der österreichischen Grünen Sigi Maurer obszöne, beleidigende, mit sexueller Gewalt drohende Nachrichten geschickt. Die junge Frau ging damals oft in der Strozzigasse im 8. Wiener Gemeindebezirk an einem Bierlokal vorbei, und vom Facebook-Account dieses Lokals stammten die unerwünschten Emails. Maurer machte sie öffentlich, weil sie auf diese Art von Gewalt im Internet aufmerksam machen wollte. Sie nannte dabei auch das Lokal und seinen Betreiber. Der Mann behauptete, die obszönen Nachrichten nicht geschrieben und abgeschickt zu haben; sein Computer und der Account seien seinen Kunden zugänglich, die Emails könne »irgendwer« geschrieben haben. Er verklagte die Abgeordnete wegen Ehrenbeleidigung, in der Folge kam es zu Gerichtsverhandlungen, bei denen nun Maurer als Täterin dastand. Als dem Bierwirt die juristischen Felle davonzuschwimmen begannen, zog er seine Klage zurück. Knapp drei Jahre später wurde bekannt, daß ebendieser Mann seine Freundin und Mutter seiner zwei minderjährigen Kinder in deren Wohnung im 20. Bezirk erschoß. Er befindet sich derzeit (2021) in der Josefstadt in Untersuchungshaft, nicht weit von seinem ehemaligen Lokal.
Den Streit um die sexistischen Emails führte ich 2018 in einem Essay an, der dieser Problematik nachspürte und versuchte, ihr etwas entgegenzusetzen, freilich im Bewußtsein, daß ich mit der Einmahnung überlieferter humanistischer Werte auf verlorenem Posten stand; abgesehen davon, daß ich damit ohnehin nur ein exquisites Publikum erreichen konnte, genauer, die Leserschaft der Tiroler Kulturzeitschrift Quart. Der Mann oder die Frau, nicht einmal die geschlechtliche Identität schien gesichert, welche oder welcher der Nationalratsabgeordneten Sigi Maurer auf Facebook mit sexueller Gewalt drohte und sie übel beschimpfte, erschien mir als armes Schwein, das seine Aggressionen virtuell ausleben muß, weil er sich im wirklichen Leben nicht traut.
Die Redakteurin der Zeitschrift äußerte vor der Publikation Bedenken, weil sie verständlicherweise keine gerichtliche Klage riskieren wollte, wie sie Maurer inzwischen ereilt hatte, nachdem sie den Absender jener Verbalaggressionen identifiziert zu haben glaubte und öffentlich benannte. Der Bierwirt, von dessen Account die Emails ausgegangen waren, behauptete dagegen, sie weder geschrieben noch abgeschickt zu haben, und warf Maurer Verleumdung vor. Jetzt war er das Opfer und verlangte vor Gericht eine Entschädigung von 50.000 Euro. Nebenbei nützte er die Geschichte als Werbung für sein Geschäft, indem er für den Kurier davor postierte und sich ablichten ließ. Ich wunderte mich, warum im Verlauf des Prozesses kein Linguist zurate gezogen wurde, denn ich war mir sicher, daß ein Fachmann durch einen Vergleich der inkriminierten Emails mit anderen Texten des Bierwirts, die ebenfalls öffentlich waren, auf die Identität des Aggressors schließen konnte. Bestimmte stilistische und orthographische Merkmale schienen mir ganz klar auf seine Identität hinzuweisen.