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Thilo Sarrazin: Deutschland braucht den Euro nicht
Thi­lo Sar­ra­zin: Deutsch­land braucht den Eu­ro nicht
Thi­lo Sar­ra­zins An­ti-Eu­ro-Buch »Eu­ro­pa braucht den Eu­ro nicht« zeigt die öko­no­mi­schen Dilem­mata der Ge­mein­schafts­wäh­rung. Und es zeigt, wo­hin ein un­ter­las­se­ner Dis­kurs füh­ren kann.

Wie wä­re das ei­gent­lich: Ein Buch von Thi­lo Sar­ra­zin er­scheint – und nie­mand regt sich dar­über auf, be­vor er es nicht min­de­stens ge­le­sen hat?

Schwie­rig wohl, denn die Wel­len zu »Deutsch­land schafft sich ab« schla­gen heu­te noch hoch. Da­bei war es nicht da­mit ge­tan, Sar­ra­zin an ei­ni­gen Stel­len sei­nen bio­logistischen Un­sinn vor­zu­hal­ten und ab­zu­ar­bei­ten. Man be­nutz­te die­se Stel­len, um das, was in dem Buch an­sonsten an­ge­spro­chen wur­de, per se zu dis­kre­di­tie­ren. Bei ei­nem zwei­ten Buch – zu ei­nem ver­meint­lich an­de­ren The­ma – soll nun die­se Vor­ge­hens­wei­se per­fek­tio­niert wer­den. »Halt’s [sic!] Maul« pro­te­stiert man dann auch schon vor­her – und be­weist ei­ne be­mer­kens­wer­te Diskussions­kultur. Als die Pro­test­ler am 20.05. vor der Fern­seh­sen­dung »Gün­ther Jauch« ent­sprechend de­mon­strier­ten (Sar­ra­zin war dort zum Ge­spräch mit Peer Stein­brück ge­laden), dürf­ten sie un­mög­lich das Buch ge­le­sen ha­ben, um das es in der Sen­dung ging. Ih­nen und auch den Be­ob­ach­tern der »Nach­denk­sei­ten« stört so et­was nicht: Im Zwei­fel ha­ben sie sich schon ei­ne Mei­nung ge­bil­det be­vor das, was sie das, was sie kri­ti­sie­ren, über­haupt ken­nen. Denn sie wis­sen es ja: Ein »Ras­sist« und ein »rech­ter So­zi­al­de­mo­krat« im Ge­spräch – da kann nichts raus­kom­men. Da­bei re­agie­ren sie wie Paw­low­sche Hun­de und er­set­zen In­tel­lekt be­reit- und frei­wil­lig mit Af­fekt.

Ich hat­te am Mitt­woch (16.05.) ein Le­se­ex­em­plar vom Ver­lag zu­ge­schickt be­kom­men. Es ist kaum mög­lich, in­ner­halb von vier Ta­gen das Buch ver­nünf­tig zu le­sen, durch­zu­ar­bei­ten und ein kon­zi­ses Ur­teil zu fäl­len. Und ob­wohl ich da­von aus­ge­he, dass Leu­te wie Stein­brück ei­ne et­was län­ge­re Zeit zur Ver­fü­gung hat­ten, merk­te man dem Ge­spräch an, dass der Con­tra-An­walt er­heb­li­che Lücken of­fen­bar­te, was Sar­ra­zins Buch an­ging und der Au­tor mit sei­nen Ent­geg­nun­gen ent­spre­chend kon­tern konn­te.

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Jür­gen Ha­ber­mas: Zur Ver­fas­sung Eu­ro­pas

Jürgen Habermas: Zur Verfassung Europas
Jür­gen Ha­ber­mas: Zur Ver­fas­sung Eu­ro­pas
Wenn sich Jür­gen Ha­ber­mas in die Nie­de­run­gen des po­li­ti­schen All­tags be­gibt und die­sen kommen­tiert, of­fen­bart sich sei­ne zu­wei­len ten­den­ziö­se Wahr­nehmung über­deut­lich. Plötz­lich ist die Deckung hin­ter dem Fremdwort­wall wie in sei­nem drei­tei­li­gen Es­say mit dem hüb­schen, dop­pel­deu­ti­gen Ti­tel zur »Ver­fassung Eu­ro­pas«, der den Kern des vor­lie­gen­den, gleich­namigen Ban­des bil­det, ge­lüf­tet. Der rechts­phi­lo­so­phi­sche Uni­versitätsjargon, der ein­fach­ste Sach­verhalte in hoch­ar­ti­fi­zi­el­le Wort­gebilde bis zur Unkennt­lichkeit mas­kie­ren kann, weicht in den bei­den als An­hang be­nann­ten Ar­ti­keln vom Mai 2010 bzw. April 2011 (und dem Inter­view mit Tho­mas Ass­heu­er vom No­vem­ber 2008) dem Ton des kommen­tieren­den Leit­ar­tik­lers. Das hat mehr als nur ein­mal zur Fol­ge, dass der Doy­en der po­li­ti­schen Phi­lo­so­phie in Deutsch­land (oder sol­len wir lie­ber Eu­ro­pa sa­gen?) zu­wei­len ziem­lich nackt da­steht.

Mit Ha­ber­mas’ re­tro­spek­ti­ven Er­läu­te­run­gen zum Markt­fun­da­men­ta­lis­mus, der En­de der 1990er Jah­re auch die po­li­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten in Deutsch­land in­fi­zier­te (wohl vorbe­reitet durch ent­spre­chen­des me­dia­les Pres­sing), geht man noch kon­form. Aber wenn dann aus der rhe­to­ri­schen Mot­ten­ki­ste der Be­griff der »Po­li­tik­ver­dros­sen­heit« hervor­geholt wird, be­gin­nen die Zwei­fel. Wo­bei die­ses Phä­no­men als Pro­dukt ei­ner »po­li­ti­schen Unter­forderung« des Bür­gers ab­ge­lei­tet wird, die­ser da­mit so­zu­sa­gen er­ret­tet wer­den soll und für die wei­te­re Ver­wen­dung als po­li­ti­sches Sub­jekt zur Ver­fü­gung steht. Ha­ber­mas hat na­tür­lich Recht, dass ei­ne am­bi­va­len­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­ons­ba­sis des »Elite­projekts« Eu­ro­päi­sche Uni­on zum Ver- und/oder Über­druss ge­führt hat. Und auch sei­ne Fest­stel­lung, dass Deutsch­land seit Rot-Grün 1998 oh­ne fe­stes (außen-)po­litisches Ziel re­giert wird (er sieht die­se Ent­wick­lung von 2005 an noch ein­mal be­schleunigt), ist zu­tref­fend.

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Ro­bert Ha­beck: Pa­trio­tis­mus – Ein lin­kes Plä­doy­er

Robert Habeck: Patriotismus - Ein linkes Plädoyer
Ro­bert Ha­beck: Pa­trio­tis­mus – Ein lin­kes Plä­doy­er

Die Feind­schaft zum Staat als Re­pres­si­ons­in­stanz, »Atom­staat«, »Bul­len­staat«, als pa­ter­na­li­sti­scher Ak­teur, Hü­ter fau­ler Kom­pro­mis­se, ver­stell­te den grü­nen Blick dar­auf, was (mit ei­nem) ge­sche­hen wür­de, wenn man selbst zu dem ge­hör­te. Der zi­vi­le Mut woll­te im­mer über den Staat hin­aus, ziel­te auf die Idee ei­nes Ge­mein­we­sens oh­ne Staat. Als dann rot-grün 1998 an die Re­gie­rung kam, wa­ren die li­be­ra­len Vor­stel­lun­gen von Ge­mein­wohl nicht mehr ge­gen, son­dern mit dem Staat durch­zu­set­zen. Auf die­sen Schritt wa­ren die pro­gres­si­ven Kräf­te schlecht vor­be­rei­tet und sind es bis heu­te.

Hart geht Ro­bert Ha­beck, 41, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der Grü­nen im schles­wig-hol­stei­ni­schen Land­tag, mit der Lin­ken im All­ge­mei­nen und sei­ner Par­tei im Be­son­de­ren ins Ge­richt (wo­mit die po­li­ti­sche Rich­tung und nicht de­zi­diert die Par­tei »Die Lin­ke« ge­meint ist). Nach rot-grün, so Ha­becks The­se, ha­be das Land in ei­ner Gro­ßen Ko­ali­ti­on, die ih­re Chan­cen lei­der (!) sträf­lich ver­passt ha­be, vier Jah­re ver­lo­ren.

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»Vo­ted No. Not en­ough in­for­ma­ti­on.« – Ir­lands Ab­sa­ge an den Lis­sa­bon-Ver­trag

In sei­nem Buch »De­mo­kra­tie – Zu­mu­tun­gen und Ver­spre­chen« (Zi­ta­te hier­aus kur­siv) stellt Chri­stoph Möl­lers drei De­fi­zi­te des EU-Mi­ni­ster­rats her­aus, die man durch­aus als re­prä­sen­ta­tiv für die EU ins­ge­samt auf­füh­ren könn­te:

  • Kein eu­ro­päi­sches Ge­mein­wohl
    Die Ver­tre­ter der Staa­ten ver­tre­ten die In­ter­es­sen ih­res Staa­tes, nicht der EU im Gan­zen.
  • Kei­ne Öf­fent­lich­keit
    Der Mi­ni­ster­rat ent­schei­det im Er­geb­nis wie ein Ge­setz­ge­ber, doch oh­ne je­de Öf­fent­lich­keit sei­ner Dis­kus­sio­nen. Die Rech­te des eu­ro­päi­schen Par­la­ments sind höchst un­ter­ent­wickelt aus­ge­prägt; sie di­ver­gie­ren je nach Po­li­tik­feld. Das ist wahr­lich ein vor­de­mo­kra­ti­sches Prin­zip.
  • Kein nach­voll­zieh­ba­rer Aus­gleich zwi­schen Sach­in­ter­es­sen
    Die ein­zel­nen Res­sorts re­geln vor sich hin; der Mi­ni­ster­rat be­steht aus vie­len Ein­zel­mi­ni­ster­rä­ten, die oft ge­nug ge­gen­ein­an­der statt mit­ein­an­der ar­bei­ten.

Ins­ge­samt kann das po­li­ti­sche Ent­schei­dungs­sy­stem der EU nicht nur als au­sser­or­dent­lich kom­pli­ziert, son­dern auch als ziem­lich in­trans­pa­rent be­zeich­net wer­den. Al­lei­ne die verwirr­enden Be­zeich­nun­gen für die ein­zel­nen Gre­mi­en ist nicht un­be­dingt an­ge­tan, Klar­heit zu schaf­fen: EU-Rat – EU-Mi­ni­ster­rat – Eu­ro­päi­scher Rat – Eu­ro­pa­rat – na, wis­sen Sie auf An­hieb, wel­cher Be­griff für was steht? Hier ein Ver­such ei­ner Klä­rung – mit Ani­ma­ti­on.)

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Die au­to­ri­tä­re Mo­der­ne – Pao­lo Flo­res d’Arcais schiesst auf Ha­ber­mas und trifft sich selbst

In der ak­tu­el­len Aus­ga­be der »Zeit« ist ein Auf­satz des ita­lie­ni­schen Phi­lo­so­phen Pao­lo Flo­res d’Arcais auf Jür­gen Ha­ber­mas’ Auf­satz­samm­lung »Zwi­schen Na­tu­ra­lis­mus und Re­li­gi­on« mit dem wuch­ti­gen Ti­tel »Elf The­sen zu Ha­ber­mas« er­schie­nen.

We­ni­ger die Kri­tik als der Zeit­punkt über­rascht. Schliess­lich ist Ha­ber­mas’ Buch vor mehr als zwei Jah­ren er­schie­nen. Die von Flo­res d’­Ar­cais vor­ge­brach­ten Vor­wür­fe, Ha­ber­mas wür­de die Mo­der­ne zu Gun­sten ei­ner ver­stärk­ten Re­li­gio­si­tät op­fern sind auch nicht neu. War­um al­so jetzt? Es dürf­te kaum an­zu­neh­men sein, dass der Au­tor bis­her kei­ne Zeit hat­te, das Buch zu le­sen. Viel­mehr er­scheint die Ge­le­gen­heit in An­be­tracht des der­zeit pu­bli­zi­stisch ve­he­ment vor­ge­brach­ten »neu­en Athe­is­mus« gün­stig. Das The­ma ist en vogue, die Ba­stio­nen der Re­li­gio­nen wer­den sturm­reif ge­schos­sen und war­um nicht qua­si als Ne­ben­ef­fekt gleich ei­nen füh­ren­den Re­prä­sen­tan­ten der eu­ro­päi­schen Lin­ken at­tackie­ren.

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Zwei­mal »Ich nicht« oder: War­um er­regt sich Jür­gen Ha­ber­mas ei­gent­lich?

In sei­ner Au­to­bio­gra­fie »Ich nicht« kol­por­tiert Joa­chim Fest ge­gen En­de ei­ne An­ek­do­te: Auf ei­ner Ge­burts­tags­fei­er in den 80er Jah­ren ha­be ein ehe­dem Un­ter­ge­be­ner ihm als sei­nem frü­he­ren HJ-Vor­­­ge­­set­z­ten ein von die­sem im Früh­jahr 1945 ver­faß­tes Schrei­ben über den Tisch ge­reicht, das ein lei­den­schaft­li­ches Be­kennt­nis zum Füh­rer und die un­er­schüt­ter­li­che Er­war­tung des End­sie­ges ent­hielt. Oh­ne ei­nen ...

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