»Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en«

Der Jour­na­list, Bio­graph und Re­por­ter Mal­te Her­wig hat­te Ra­do­van Ka­ra­džić, der als ei­ner der Draht­zie­her des Mas­sa­kers von Sre­bre­ni­ca gilt, des größ­ten Kriegs­ver­bre­chens in Eu­ro­pa nach dem Zwei­ten Welt­krieg, im Ge­fäng­nis in Sche­ven­in­gen be­sucht und in ei­ner ein­drucks­vol­len Re­por­ta­ge da­von im letz­ten »SZ-Ma­ga­zin« zu­sam­men mit Ro­nen Stein­ke be­rich­tet.1 Mal­te Her­wig war so freund­lich, ei­ni­ge Fra­gen hier­zu be­ant­wor­ten.2

Be­gleit­schrei­ben: Sie ha­ben Ra­do­van Ka­ra­džić be­sucht und ge­spro­chen. Konn­ten Sie im­mer wäh­rend des Ge­sprächs von den ihm zur Last ge­leg­ten Ta­ten ab­stra­hie­ren?

Mal­te Her­wig: Ja, ein sach­li­cher Zu­gang ist die ein­zi­ge Ge­sprächs­ba­sis für ein gu­tes In­ter­view. Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en – vor­aus­ge­setzt er ist ge­stän­dig. Es ist doch fei­ge und un­ehr­lich ge­gen­über dem Pu­bli­kum, wenn man sich em­pört und Fra­gen stellt im Duk­tus von: »Sie sind ein bö­ser Mensch, was sa­gen Sie da­zu?«. Ich ha­be Mör­der, Gei­stes­kran­ke und Ras­si­sten in­ter­viewt. Aber der In­ter­view­er ist kein Rich­ter. Mich in­ter­es­siert nicht, ob mei­ne Ge­sprächs­part­ner gu­te oder schlech­te Men­schen sind, son­dern was sie zu ih­ren Ta­ten an­ge­trie­ben hat. Wei­ter­le­sen


  1. "Gesichter des Todes" - "Süddeutsche Zeitung Magazin" Nr. 19, 9. Mai 2014, S. 12-18 

  2. Die Fragen und Antworten wurden per E-Mail ausgetauscht. 

Die Kri­se in der Ukrai­ne, die Rol­le der EU und das Po­si­ti­ons­pa­pier der Ne­os

Der Aus­gangs­punkt: Das Un­be­ha­gen mit Po­li­tik und Be­richt­erstat­tung

Es wä­re falsch zu be­haup­ten, dass die Me­di­en oder die Po­li­tik, die als ei­ne sol­che En­ti­tät gar nicht exi­stie­ren, in ih­rer Ge­samt­heit ein schwarz-wei­ßes Bild ge­zeich­net hät­ten und es noch im­mer tun, aber in der Brei­te der Be­richt­erstat­tung, in dem was man so hört, dem das auch der po­li­tisch we­nig In­ter­es­sier­te mit­be­kommt, tritt es deut­lich zu Ta­ge: Das Schwar­ze, das ist Russ­land oder per­so­na­li­siert: Pu­tin.

Die­ses Bild, das vie­le Bür­ger zu­min­dest ih­rem Ge­fühl nach für falsch hal­ten, be­darf der Kor­rek­tur, aber nicht im Sin­ne ei­ner Um­fär­bung, der Far­be Weiß, son­dern in der Wahl an­de­ren Dar­stel­lung, ei­ner in Grau­stu­fen: Aus­ge­wo­gen­heit statt zwei­er­lei Maß. Wei­ter­le­sen

Die Spra­che ver­sagt

TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN APRIL/MAI 1984

Am 23. April, Mon­tag, die Fahrt ins Wald­vier­tel. Ra­sten­berg als Ziel, un­ter­wegs Mittag­essen in Gföhl, im Fo­rel­len­hof. Na­he Ra­sten­berg der klei­ne Ort Losch­berg, No­ras1 Haus be­sich­tigt, dar­in ein Zim­mer für mich – und das ist es! Ich hab’s ge­fun­den! Bin so glück­lich! Mein Schreib­raum ist ge­fun­den! Groß­zü­gig + hell + freund­lich – und der Blick auf die herr­li­che Land­schaft! Wer­de hier, glau­be ich, GUT ar­bei­ten kön­nen. Auch die gan­ze Um­ge­bung ge­fällt mir be­son­ders, kann­te das Wald­vier­tel über­haupt nicht. Und Chri­stia­ne Sin­ger2, No­ras Schwä­ge­rin, als Bei­na­he-Nach­ba­rin, in Ra­sten­berg; sie hin und wie­der zu tref­fen wä­re ja auch nicht schlecht...Werde in et­wa 2 Wo­chen hier­her zie­hen...3

Am 7. Mai, Mon­tag, am Mor­gen den Sta­ti­on Wa­gon im Pelz­haus Lis­ka ab­ge­holt, Lil­li­ans Au­to ist nicht fahr­tüch­tig, even­tu­ell ir­repa­ra­bel. Ich hat­te ge­stern das Mei­ste be­reits in Ki­sten ver­staut, Ba­na­nen­ki­sten von der Fir­ma Meinl be­kom­men. / Packe noch das Wich­tig­ste zu­sam­men. L. kommt nach, wir fah­ren nach Losch­berg. (...) Aus­packen noch nicht, nur das De­po­nie­ren der Ki­sten. Mei­ne Nach­ba­rin und Schlüs­sel­ver­wal­te­rin heißt Frau Wür­stel. Mein schö­ner Raum! / Rück­fahrt nach Wien, Ab­ge­ben des Au­tos (400 Schil­ling Ben­zin ver­braucht) und noch 1½ Stun­den mit L. in der Stadt un­ter­wegs. (...) Re­gen, Trau­rig­keit, L. bringt mich zum Ab­schied noch zum Ta­xi, fah­re in den 20. Be­zirk, Bri­git­ta­platz, Bus um 15h50 nach Ra­sten­berg – lan­ge Fahrt durch he­fi­gen Re­gen, bin strecken­wei­se ein­zi­ger Fahr­gast. In Gföhl kur­zer Auf­ent­halt. H.C.4 und sei­ne Ire­ne be­tre­ten ge­ra­de in die­sem Mo­ment die Te­le­fon-Hüt­te ne­ben der Hal­te­stel­le. Ich wuß­te: H.C. hat na­he­bei ein Haus, aber daß wir uns so wie­der­se­hen? Durch­bre­che mein Preu­ßen­tum, stei­ge aus, wer­de von H.C. und Ire­ne so­fort zum Blei­ben auf­ge­for­dert. Fah­ren zu ih­nen nach Hau­se, kom­me in ei­nen Bau­ern­hof, Mi­cha­el Korth5 auch da­zu, ken­ne ihn aus Salz­bur­ger Ta­gen. Wei­ter­le­sen


  1. Gemeint ist Nora Gräfin Herberstein, die mir ihr Landhaus in Loschberg, im Waldviertel (ca. 100km von Wien entfernt) für die Dauer meiner Arbeit an der Biografie Franz Werfels zur Verfügung stellte. 

  2. Die französische Schriftstellerin (1943 – 2007) war mit einem der Söhne von Nora Herberstein, dem Architekten Giorgio Thurn-Valsassina verheiratet und lebte mit ihm auf dem Stammschloss seiner Familie, in Rastenberg. 

  3. Im Jahr 2004 kam im "profil" in Wien ein Artikel heraus, der das Recherche-Ergebnis beinhaltete, dass Nora Gräfin Herberstein und ihre Mutter sich in der Anschluss-Zeit jüdisches Eigentum angeeignet hatten. Das ist natürlich doppelbödig auch aus dem Grund, da Nora mir Gutes tun wollte, mir ihr Haus fast ohne Miete zur Verfügung zu stellen. Christiane Singer, die Jüdin war, wusste wahrscheinlich nichts von dieser Vergangenheit ihrer Schwiegermutter und der Großmutter ihres Mannes! 

  4. Der Dichter H.C. Artmann (1921 - 2000), mein langjähriger Freund, lebte damals zeitweise mit seiner um vierzig Jahre jüngeren Freundin Irene Schrempf im Waldviertel. 

  5. Der 1946 geborene Schriftsteller, Sänger und Librettist lebt nach wie vor im Waldviertel. 

Le­se­run­de zur Fuß­ball-WM?

Vor ei­ni­gen Wo­chen wur­de auf Nach­fra­ge mei­ner­seits wie die­ser Blog hier zu ver­bes­sern ist, an­ge­regt ei­ne Art Le­se­run­de zu ver­an­stal­ten. Ich ge­ste­he nun, dass ich skep­tisch bin, was das Le­sen und Kom­men­tie­ren in Tei­len oder Ka­pi­teln an­geht. Man kann an­de­ren schwer­lich ein Le­se­tem­po vor­schrei­ben; un­wei­ger­lich gibt es Teil­neh­mer, die schon wei­ter sind und dann von Kom­men­ta­ren ge­lang­weilt wer­den, usw. Der zwei­te Grund mei­ner Skep­sis ist, dass ich das Buch nicht zur Ver­fü­gung stel­len kann, d. h. die po­ten­ti­el­len Mit­ma­cher müss­ten es sich auf ei­ge­ne Rech­nung kau­fen.

Martin Gessmann: Mit Nietzsche im Stadion

Mar­tin Ge­ss­mann:
Mit Nietz­sche im Sta­di­on

Un­ge­ach­tet die­ser Pro­ble­me möch­te ich den­noch ver­su­chen, ei­ne sol­che Le­se­run­de ein­zu­rich­ten. Hier­für bie­tet sich die Fuß­ball-WM an und durch Her­bert De­bes von »Glanz und Elend« ha­be ich mei­nes Er­ach­tens ein Buch ge­fun­den, dass sich zu le­sen und zu dis­ku­tie­ren loh­nen könn­te. Es ist das Buch von Mar­tin Ge­ss­mann mit dem Ti­tel »Mit Nietz­sche im Sta­di­on – Der Fuß­ball der Ge­sell­schaft«, Wil­helm-Fink-Ver­lag, 143 Sei­ten, EUR 16,80 (in D).

Ge­ss­mann ver­sucht Par­al­le­len von Fuß­ball­sy­ste­men und Ge­sell­schafts­sy­ste­men her­aus­zu­ar­bei­ten. Er fin­det ak­tu­ell drei Fuß­ball­sy­ste­me der Mo­der­ne, die das al­te, eher au­to­ri­tä­re Li­be­ro-Spiel­sy­stem seit den 1970er Jah­ren ab­ge­löst ha­ben. Die­sen Sy­ste­men ord­net er so­zio­phi­lo­so­phi­sche Be­grif­fe zu. Stark ver­ein­facht sieht dies so aus:

Li­be­ra­lis­mus -> im wei­te­sten Sin­ne an Tho­mas Hob­bes an­knüp­fend; de­fen­siv (wie der Staat in Li­be­ra­lis­mus); in­di­vi­dua­li­stisch; er­geb­nis­ori­en­tiert -> Mour­in­ho

Re­pu­bli­ka­nis­mus -> an den Idea­len Rous­se­aus er­in­nernd; mann­schafts­dien­lich, fast kol­lek­ti­vi­stisch; Do­mi­nanz­fuß­ball; stra­te­gisch -> Guar­dio­la

Äs­the­ti­zis­mus -> nietz­schea­nisch; ho­hes Ri­si­ko ein­ge­hend; ho­he Lauf­be­reit­schaft; not­falls »in Schön­heit ster­bend« -> Klopp

Die Sy­ste­ma­tik ist von mir sehr grob aus dem Text for­mu­liert und ba­siert auf der Ein­lei­tung; der er­sten 30 Sei­ten. Ich sel­ber ha­be das Buch noch nicht zu En­de ge­le­sen, fin­de es aber dis­kus­si­ons­wür­dig und sehr in­ter­es­sant. Was üb­ri­gens nicht be­deu­tet, dass ich mit al­lem über­ein­stim­me. Ge­ss­mann weist auf ei­ne frü­he­ren Text von ihm über Fuß­ball­sy­ste­me hin und gibt zu, sich da­mals teil­wei­se ge­irrt zu ha­ben. Viel­leicht kennt ei­ner die­ses Buch; ich ha­be es nicht ge­le­sen.

Mein Vor­schlag zur Le­se­run­de: Ich be­spre­che das Buch am 02. Ju­ni in die­sem Blog. Von da an kön­nen dann die Kom­men­ta­re be­gin­nen. Soll­te je­mand In­ter­es­se ha­ben, das Buch vor­her zu be­spre­chen, wür­de ich ihm ger­ne hier den Raum zur Ver­fü­gung stel­len. Dann wür­den meh­re­re Deu­tun­gen zur Dis­kus­si­on ste­hen.

Wenn mög­lich, bit­te In­ter­es­se in den Kom­men­ta­ren an­mel­den. Na­tür­lich auch, wenn es Vor­schlä­ge gibt.

PS: Nein, das ist KEINE Pro­mo­ti­on­mass­nah­me des Ver­la­ges; ich be­kom­me da­für kein Geld.

Hier geht’s dann zur Le­se­run­de (ab 02.6.)

Jens Ditt­mar: So kalt und schön

Jens Dittmar: So kalt und schön

Jens Ditt­mar: So kalt und schön

Wer kennt Jens Ditt­mar? Ei­gent­lich je­der, der Tho­mas Bern­hard et­was in­ten­si­ver ge­le­sen hat. Die von Ditt­mar her­aus­ge­ge­be­ne »Werk­ge­schich­te« in der ak­tua­li­sier­ten Aus­ga­be von 1990 war für mich jah­re­lang wie ei­ne Bi­bel. Chro­no­lo­gisch ist dort je­des Buch, je­der Text Bern­hards auf­ge­führt, mit An­ga­ben zur Auf­la­ge, Hin­wei­se auf Par­al­le­len zu an­de­ren Bern­hard-Tex­ten und, vor al­lem, Aus­zü­gen aus Kri­ti­ken (po­si­ti­ve wie ne­ga­ti­ve). Ei­ne wah­re Fund­gru­be, die auf­zeig­te, wie kon­tro­vers Bern­hard wahr­genommen wur­de – und wie er­folg­reich (im Ver­gleich zu an­de­ren zeit­ge­nös­si­schen Dich­tern). Spä­ter folg­te von Ditt­mar mit »Sehr ge­schätz­te Re­dak­ti­on« ein äu­ßerst ge­lun­ge­nes Kom­pen­di­um mit Le­ser­brie­fen von und über Bern­hard, in dem al­le mög­li­chen (und un­mög­li­chen) Er­re­gun­gen und Skan­da­le um, über und vor al­lem mit Tho­mas Bern­hard auf­ge­li­stet sind. Be­son­ders lehr­reich hier die Le­ser­brie­fe öster­rei­chi­scher Ho­no­ra­tio­ren (fast al­le ge­gen den Dich­ter). Bern­hard wä­re heu­te, so die Über­le­gung nach der Lek­tü­re und den ge­ball­ten Skan­da­len, ein Mei­ster des Shits­torm-Rou­lette in den so­zia­len Me­di­en. Kurz dar­auf pu­bli­zier­te Ditt­mar ei­nen Band über die Salz­bur­ger Jah­re von Tho­mas Bern­hard. Er­schien die »Werk­ge­schich­te« noch bei Suhr­kamp, so gab Ditt­mar sei­ne bei­den an­de­ren Bern­hard-Bü­cher in der »Edi­ti­on S« des »Ver­lags der Öster­rei­chi­schen Staats­drucke­rei« her­aus. Hier hat (hat­te?) sich je­mand ei­nem Dich­ter ver­schrie­ben und um die­sen ver­dient ge­macht. Um­so unver­ständlicher, dass Suhr­kamp die Werk­ge­schich­te nicht mehr neu auf­ge­legt hat­te – just als das In­ter­es­se an Bern­hard wuchs und zeit­wei­se mas­sen­wei­se Epi­go­nen des Öster­rei­chers wie Pil­ze aus dem Bo­den schos­sen. Wei­ter­le­sen

Wä­re der Kapp-Putsch mit der Prä­senz heu­ti­ger Me­di­en viel­leicht ge­lun­gen?

Am 13. März 1920 be­setz­te der Reichs­wehr­ge­ne­ral Walt­her von Lütt­witz, Kom­man­dant der Ma­ri­ne­bri­ga­de Ehr­hardt, die laut Re­gie­rungs­be­schluss vom 29. Fe­bru­ar 1920 auf­gelöst wer­den soll­te, das Ber­li­ner Re­gie­rungs­vier­tel und er­nann­te den deutsch­na­tio­nal ge­son­ne­nen Be­am­ten Wolf­gang Kapp zum Reichs­kanz­ler. Die Re­gie­rung (ei­ne Ko­ali­ti­on aus SPD, den kon­ser­va­ti­ven Zen­trum und der li­be­ra­len DDP) floh zu­nächst aus Ber­lin nach Süd­deutsch­land. Die Un­ter­stüt­zung war trotz der zum Teil fru­strier­ten Reichs­wehr nicht breit ge­nug. So schreibt Go­lo Mann bei­spiels­wei­se über die »iro­nisch-neu­tra­le« Stel­lung Ge­ne­ral von Se­eckts: »…man wür­de se­hen, wie weit Kapp kä­me«. Der Putsch schei­ter­te nach fünf Ta­gen. Zum ei­nen ver­wei­ger­te die Ber­li­ner Mi­ni­ste­ri­al­bü­ro­kra­tie den Put­schisten ih­re Un­ter­stüt­zung. Noch hielt al­so ei­ne ge­wis­se Loya­li­tät der fra­gi­len Wei­ma­rer Re­pu­blik ge­gen­über. Zum an­de­ren rief der SPD-Vor­sit­zen­de Ot­to Wels zu ei­nem Ge­ne­ral­streik aus, des­sen Fol­gen et­wa­ige Sym­pa­thi­san­ten der Put­schi­sten zu­tiefst ver­un­si­cher­te.

Der Kapp-Putsch ist we­ni­ger im Ge­dächt­nis der Deut­schen ge­blie­ben als der 1923 in­iti­ier­te Hit­ler-Putsch, der am 8. No­vem­ber 1923 die baye­ri­sche Re­gie­rung für ab­ge­setzt er­klär­te. Auch die­ser Putsch­ver­such schei­ter­te nach we­ni­gen Ta­gen, die Po­li­zei kämpf­te ihn blu­tig nie­der. Auch hier al­so ei­ne Loya­li­tät den In­sti­tu­tio­nen des Staa­tes ge­gen­über. Dies war er­staun­lich ge­nug, denn Deutsch­land droh­te be­reits da­mals im Bür­ger­krieg zu ver­sin­ken.

Live-Ticker statt Ex­tra­blatt

Es ist nicht Zweck die­ses Tex­tes die hi­sto­ri­schen Im­pli­ka­tio­nen noch­mals zu be­leuch­ten; das ha­ben klü­ge­re Köp­fe schon aus­gie­big ge­tan und wer­den es wei­ter tun. Und na­tür­lich sind Par­al­le­len oder gar Ver­glei­che im­mer mit Vor­sicht zu ge­nie­ßen. In An­be­tracht der Bil­der aus der Ukrai­ne und der Es­ka­la­ti­on im Osten des Lan­des lässt mich aber ei­ne Fra­ge nicht mehr los: Was wä­re ei­gent­lich ge­we­sen, wenn es zu Zei­ten des Kapp-Put­sches (oder auch des Hit­ler-Put­sches) schon die heu­ti­ge me­dia­le Be­glei­tung ge­ge­ben hät­te? Wä­ren die­se Staats­strei­che dann viel­leicht an­ders ver­lau­fen? Gar er­folg­reich? Wei­ter­le­sen

Drei lee­re Sprech­bla­sen oder Die Es­senz von Mu­sils Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten

Nicolas Mahler nach Robert Musil: Mann ohne Eigenschaften

Mahler nach Ro­bert Mu­sil: Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten

Kann man den Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten, Ro­bert Mu­sils un­voll­ende­ten Tau­send-Sei­ten-Ro­man, dem un­ge­fähr eben­so vie­le Sei­ten un­ver­öf­fent­lich­ter Ab­schnit­te und di­ver­ser Bruch­stücke zur Sei­te ste­hen, auf ei­ni­ge we­ni­ge Sät­ze re­du­zie­ren? Mit rhe­to­ri­scher Be­sorgt­heit stel­len die Re­zen­sen­ten von Ni­co­las Mahlers Co­mic-Ad­ap­tie­rung des Werks die­se Fra­ge. Sie ist falsch ge­stellt, denn na­tür­lich kann man. Die da­hin­ter ste­hen­de Fra­ge ist, ob man darf. Und weil nun schon seit Jahr­zehn­ten so­wie­so al­les geht, darf man (eben­so na­tür­lich). Bleibt al­so nur die Rhe­to­rik, um die auch wir nicht her­um­kom­men.

Mahlers gra­phic no­vel, sein Co­mic (auch im wört­li­chen Sinn), bringt nur we­ni­ge Sät­ze aus dem Ro­man, die Ge­ste des Au­tors ist da­bei schnip­pisch oder pat­zig, et­wa in die­ser Be­deu­tung: »Da habt ihr halt wie­der so ein Sätz­chen von un­se­rem be­rühm­ten Mann.« Die Es­senz die­ser Sät­ze drückt der Gra­phiker auf Sei­te 61 des Co­mics aus, in­dem er die drei Sprech­bla­sen der drei Fi­gu­ren im Sa­lon Diot­imas, wo die be­rühm­te Par­al­lel­ak­ti­on aus­ge­heckt wird, leer läßt. Al­les nur Bla­bla, es wird nichts ge­sche­hen, so lau­tet of­fen­bar die In­ter­pre­ta­ti­on Ni­co­las Mahlers; die Paral­lelaktion ist ein fake. Fragt sich, ob sei­ne In­ter­pre­ta­ti­on trif­tig ist. Mu­sils Ab­sich­ten ent­spricht sie nicht, der plan­te näm­lich, den Ro­man mit dem Aus­bruch des er­sten Welt­kriegs en­den zu las­sen, was die zeit­li­che Be­we­gung der er­sten bei­den der Bü­cher, in die der Ro­man un­ter­teilt ist, dem Au­tor ja fast auf­zwingt: die Hand­lung voll­zieht sich unmißver­ständlich im Jahr 1913 und bricht dann Mo­na­te vor dem Som­mer des Fol­ge­jah­res ab. Die schein­bar so zö­ger­li­che, der Pro­pa­gan­da nach fried­fer­ti­ge Par­al­lel­ak­ti­on – Franz Jo­seph II. soll als »Frie­dens­kai­ser« ge­fei­ert wer­den – trägt ihr Scherf­lein zur eu­ro­päi­schen Kata­strophe bei. Des­halb nun die Fra­ge: Läßt sich der hier nur kurz an­ge­deu­te­te Ge­halt des Ro­mans durch lee­re Sprech­bla­sen, die wit­zig wir­ken mö­gen in den ho­hen Räu­men des Sa­lons, auf den Punkt brin­gen? Wei­ter­le­sen

Mar­tin Mo­se­bach: Das Blut­bu­chen­fest

Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest

Mar­tin Mo­se­bach:
Das Blut­bu­chen­fest

»Das Blut­bu­chen­fest« von Mar­tin Mo­se­bach ist nicht nur ein Ro­man, son­dern auch fast schon ein Film. Man sieht die Bil­der schon vor sich: Den in­sze­nier­ten Ma­nie­ris­mus à la Pe­ter Greena­way. Mo­de­ra­tio­nen wie bei »Leo’s«. Und – das Lo­kal der Fi­gur Mer­zin­ger, in dem die ka­ri­kier­te Up­per­class-Cli­que des Ro­mans ein- und aus­geht: das »Ros­si­ni« von Hel­mut Dietl, zu­mal die »mör­de­ri­sche Fra­ge, wer mit wem schlief« auch hier nicht ganz un­wich­tig ist, ob­wohl es dann doch nicht sehr ver­wir­rend ist.

Mit Non­cha­lance wird der Le­ser in die­se Ge­sell­schaft ein­ge­führt: Da ist ein ge­wis­ser We­re­sch­ni­kow, den man sich viel­leicht als jün­ge­ren Leo­nid Bre­sch­new vor­stel­len kann; ein ziem­li­cher Auf­schnei­der (mit ei­nem nur ihm be­kann­ten klei­nen Ver­mö­gen in der Schweiz), des­sen Ruhm sich pri­mär dar­auf grün­det mit Kis­sin­ger oder Bou­tros-Gha­li zu te­le­pho­nie­ren und, fast noch interes­santer für den Zir­kel: er ist der of­fi­zi­el­le Le­bens­part­ner der schö­nen Ma­ru­scha, de­ren Cha­rak­te­ri­sie­rung als Edel­pro­sti­tu­ier­te un­ter­kom­plex und ein biss­chen spie­ßig wä­re. All­zu ver­ständ­lich ist doch, dass sie für ih­re Mai­so­nette-Woh­nung län­ger schon die Miet­zahlungen ein­stel­lend, auch die Er­stat­tung der Ne­ben­ko­sten als wür­de­lo­sen weil all­zu pro­fa­nen Akt auf­fasst. Be­trof­fen hier­von ist der Ex-Plei­tier Bree­gen, ein et­was hüft­stei­fer Im­mo­bi­li­en­ver­käu­fer und Py­ra­mi­den­spie­ler, der sich zu­letzt mit fünf Jah­ren sei­ne Schu­he hat selb­stän­dig bin­den kön­nen, was ihn nicht dar­an hin­dert, Ma­ruschas Lieb­ha­ber für be­stimm­te Nach­mit­ta­ge zu sein, wäh­rend­des­sen sei­ne Frau sich mit dem Ge­sche­hen, wel­ches sie mit Vi­deo­ka­me­ras um ihr Grund­stück her­um be­ob­ach­tet, ver­gnügt. Wei­ter­le­sen