Anmerkungen zu einer Handvoll legendärer Sätze
4 – Wer über Dummheit spricht, setzt voraus, daß er sich für klug halte, obwohl es als Zeichen der Dummheit gilt, das zu tun.
In seiner am 11. März 1937, exakt ein Jahr vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland, in Wien gehaltenen Rede Über die Dummheit hielt Robert Musil eingangs die Schwierigkeit fest, »daß jeder, der über Dummheit sprechen oder solchem Gespräch mit Nutzen beiwohnen will, von sich voraussetzen muß, daß er nicht dumm sei; und also zur Schau trägt, daß er sich für klug halte, obwohl es allgemein für ein Zeichen von Dummheit gilt, das zu tun!« Franz Schuh adelte diesen Satz in einer Rezension – ein Genre, das auch Musil pflegte – zum »Musilschen Paradox«, und tatsächlich erinnert er ein wenig an das sokratische. Schuh kommt allerdings zu dem Schluß, daß man Dummheiten mit »relativer Intelligenz« benennen könne, ohne dem Paradox der Dummheit zu verfallen. Wichtig scheint mir hier das Epitheton »relativ«: Der Kluge bleibt sich dessen bewußt, daß seine Ausführungen unzutrefffend sein oder sogar der Dummheit anheim fallen könnten. Ich glaube, man kann weiter gehen und die Musilschen Skrupel – zwar nicht beseitigen, aber auf ein gelinderes Maß zurückstutzen. Eine Aussage über Dummheit kann sinnvoll oder unsinnig, richtig oder falsch, ethisch akzeptabel oder inakzeptabel sein. Selbst ein Dummer kann der eigenen Dummheit gewahr werden und diese persönliche Eigenschaft überwinden. Es ist nicht notwendig, ständig auf Dummheiten hinzuweisen – wer wäre vor ihnen gefeit? –, aber manchmal eben doch, und wer sollte dies auf sich nehmen, wenn nicht die Klugen, unabhängig davon, ob sie ein Damoklesschwert der Paradoxie über ihren Häuptern spüren oder nicht. Ist nicht auch die Angst, sich in zweiter Instanz lächerlich zu machen, eine Spielart der Eitelkeit, der Musil zu Recht die intellektuelle Bescheidenheit entgegensetzt? Weiterlesen