
Der Fallmeister
»Eine kurze Geschichte vom Töten« lautet der Untertitel von Christoph Ransmayrs neuestem Roman »Der Fallmeister«. Das Cover zeigt einen Eisvogel, der stoßtauchend unter Wasser einen Fisch erbeutet. Eine für den Roman zutreffende Symbolik.
Tatsächlich beginnt das Buch mit einer fulminanten Beschreibung einer Schleusenfahrt durch den »Großen Fall«, einem Wasserfall auf dem »Weißen Fluß«. Der Schleuser, der den Titel »Fallmeister« trägt, ist der Vater des Erzählers. Er betreibt nicht nur ein Museum, sondern überführt regelmäßig mit großem Geschick die Salztransporte der Grafschaft Bandon, in der die Familie lebt, durch den Wasserfall. Der Ort ist fiktiv (gutwillige Rezensenten forschen – warum auch immer – nach Entsprechungen in der realen Welt). Im Roman ist Europa (und mit ihm die USA) in Kleinstaaten, »bösartige Zwergenreiche«, zerfallen, die restriktive Einwanderungsgesetze veranlassen und untereinander Kriege führen.
Die Familie besteht neben dem Vater und dem Ich-Erzähler (beide bleiben namenlos) aus Mira, der vier Jahre älteren Schwester, die an der Glasknochenkrankheit leidet und der Mutter Jana, einer Einwanderin, die der Vater für das Museum als Graphikerin einstellte und dann heiratete. Irgendwann ist deren Aufenthaltserlaubnis erloschen und Jana muss zurück in ihre Heimat fahren, zur Insel Cres, die, wie man später erfährt, vom venezianischen Triumvirat erobert wurde und nun Cherso heißt. Der Vater ist berüchtigt für seinen Jähzorn bei der kleinsten Gelegenheit; gewalttätig ist er nicht. Die sanftmütige Mutter nennt ihn einen »Teufel«. Im weiteren Verlauf des Romans wird man nicht nur für diese Charakterisierungen Belege vermissen.
Die Familie lebt abgeschieden; nur zu Festen kommen Städter. Das Kind entwickelt eine sadistische Ader, übt sich dabei, im Flug Hornissen mit der Schere zu zerschneiden (einmal wird er von sieben Hornissenstichen in einer Art Racheaktion geplagt und fast getötet), fängt Fische mit der Hand, die er dann ersticken lässt und dabei zuschaut oder fängt Mäuse, die er Katzen zum Spielen überreicht. Dass die Mutter um Gnade für die Tiere bittet, berührt ihn nicht. Mit zunehmendem Alter entwickelt der Erzähler ein erotisches Verhältnis zu seiner Schwester Mira. Man erfährt, dass das Inzestverbot schon lange aufgehoben ist. Damit wirkt der Akt von Mira und ihrem Bruder auf einer geheimnisvollen Flussinsel mit dem Namen »Mesopotamien« nicht mehr ungewöhnlich. Von nun an wird die Schwester idealisiert, er bezeichnet sie als »Pharaonin« (sich selber als »Pharao« – eine Andeutung an den Inzest im vorchristlichen Ägypten).