Be­mer­kun­gen zu Pe­ter Hand­kes »Die Kuckucke von Ve­li­ka Hoca«

Peter Handke: Die Kuckucke von Velika Hoča
Pe­ter Hand­ke:
Die Kuckucke von Ve­li­ka Hoča

Na­tur­ge­mäss fin­det Pe­ter Hand­kes neue­stes Buch »Die Kuckucke von Ve­li­ka Hoča« we­der an­näh­rend die Auf­merk­sam­keit noch die fast ein­hel­li­ge Zu­stim­mung wie sein letz­tes Pro­sa­buch »Die mo­ra­wi­sche Nacht«.

Es scheint fast ein Ge­setz zu sein: Im­mer wenn Hand­ke Bü­cher mit der Pro­ble­ma­tik des Zer­falls sei­nes Ar­ka­di­en (= Ju­go­sla­wi­en) als Zeu­gen­be­richt in der Ich-Form schreibt und Dich­ter und Er­zäh­ler ver­schmel­zen (oder bei­na­he ver­schmel­zen), scheint ein »Skan­dal« (al­so das, was man da­für hält) in der Luft zu lie­gen.

Der ARD-Kor­re­spon­dent An­dre­as Mey­er-Feist lässt sich zum Buch im SWR2 be­fra­gen. Be­mer­kens­wert, denn so ganz ge­nau scheint er es nicht ge­le­sen zu ha­ben, et­wa wenn er be­haup­tet, es han­de­le auch von den Kuckucken, die im Dorf »frü­her dort zu hö­ren« ge­we­sen wä­ren und jetzt – durch die Kli­ma­er­wär­mung – nicht mehr. In Wirk­lich­keit ist Hand­kes Be­ob­ach­tung ge­nau an­ders: Ge­ra­de dort, in Ve­li­ka Hoča, sind die­se Vö­gel noch zu hö­ren (die Sym­bo­lik da­hin­ter streift Mey­er-Feist nur am Ran­de).

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Der Sprung ins Dunk­le

"Der Sprung ins Dunkle" - Karikatur von 1867
»Der Sprung ins Dunk­le« – Ka­ri­ka­tur von 1867

Als Ben­ja­min Dis­rae­li (ge­trieben von Wil­liam Glad­stone) im Jahr 1867 im soge­nannten »Re­form Act« im bri­ti­schen Un­ter­haus ei­ne Re­form durch­setz­te die ei­ne so­zia­le Öff­nung des Wahl­rechts bis weit in die Ar­bei­ter­klas­se hin­ein vor­sah (vom frei­en und all­gemeinen Wahl­recht heu­ti­ger Zeit al­ler­dings noch weit ent­fernt), war die Em­pö­rung im viktori­anischen Eng­land ins­beson­dere beim klassenbe­wussten Adel aber auch in der Pu­bli­zi­stik gross. Ein »Sprung ins Dunk­le« war noch fast die freund­lich­ste Be­schrei­bung die­ses als un­ge­heu­er­lich ein­ge­stuf­ten Vor­gangs. »Ar­bei­ter« wur­de über­setzt mit »Mas­se« – und »Mas­se« und »Pö­bel« gal­ten syn­onym. Konn­te man ernst­haft die Ge­schicke ei­nes Lan­des in die Hän­de der Mas­se ge­ben?

Das Un­be­ha­gen an der Mas­se hat die west­li­che Gei­stes­ge­schich­te bis heu­te nicht ganz ver­las­sen; es han­delt sich um ei­nen ur­alten To­pos. Der Bo­gen kann von Pla­ton über den Vor­märz bis Heid­eg­ger und Eli­as Ca­net­ti ge­spannt wer­den – un­ter­schied­li­cher könn­ten die al­le­samt der Mas­sen­kul­tur ge­gen­über skep­ti­schen bis ab­leh­nen­den Den­ker kaum sein (sieht man von den Den­kern ab, die die Mas­se in ih­rem Sin­ne for­men bzw. ma­ni­pu­lie­ren woll­ten).

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»Es hai­dert in Bay­ern«

Seit ei­ni­gen Wo­chen kann man ein in­ter­es­san­tes Ex­pe­ri­ment be­ob­ach­ten: Mi­cha­el Spreng bloggt. Spreng ist ein Mann, der nicht nur pha­sen­wei­se mit­ten­drin im »po­li­ti­schen Ge­schäft« war (als Wahl­kampf­ma­na­ger von Ed­mund Stoi­ber bei­spiels­wei­se), son­dern der auf Fin­ger­schnip­sen ver­mut­lich so­fort di­ver­se An­ge­bo­te als Leit­ar­tik­ler gän­gi­ger Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten be­kom­men hät­te. Statt­des­sen gibt es nun auf »Spreng­satz« ein­mal in der Wo­che ei­nen Kom­men­tar und ei­ne An­ek­do­te, in der Spreng aus dem Näh­käst­chen plau­dert.

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Al­brecht von Lucke: Die ge­fähr­de­te Re­pu­blik

Albrecht von Lucke: Die gefährdete Republik
Al­brecht von Lucke:
Die ge­fähr­de­te Re­pu­blik

»Die ge­fähr­de­te Re­pu­blik – Von Bonn nach Ber­lin« – ein er­staun­li­cher Ti­tel und wenn man noch da­zu die Jah­res­rei­he »1949 – 1989 – 2009« liest ahnt man, wel­che Me­lo­die hier an­ge­stimmt wird. Das Buch kommt zu­nächst als Bestands­aufnahme so­wohl der so­ge­nann­ten »Bon­ner Re­pu­blik«, die mit dem Mau­er­fall 1989 suk­zes­si­ve »ab­dank­te« (aber erst fast ein Jahr­zehnt spä­ter, 1999 mit der er­sten Ple­nar­sit­zung des Bun­des­ta­ges im neu­en Reichs­tags zu Ber­lin end­gül­tig zu En­de ging) als auch ei­ner Art Zwischen­bilanz der schein­bar noch im­mer sinn- bzw. rol­len­su­chen­den »Ber­li­ner Re­pu­blik« da­her.

Die The­se des Au­tors: Die De­mo­kra­tie der al­ten Bundes­republik war sta­bi­ler (weil bes­ser) in der Be­völ­ke­rung ver­an­kert als im neu­en, sou­ve­rä­nen Deutsch­land. Da­bei wird die fast be­hag­li­che Si­tua­ti­on der »Bon­ner Re­pu­blik« aus ei­ner selbst­ver­ord­ne­ten (und von an­de­ren er­war­te­ten!) Zu­rück­hal­tung her­aus zu agie­ren (bzw. zu re­agie­ren) und sich in die Bi­po­la­ri­tät des Kal­ten Krie­ges, die EWG (spä­ter dann EG bzw. EU) und NATO wil­lig ein­bin­den zu las­sen als un­aus­weich­lich be­trach­tet. »Nie wie­der Krieg« lau­te­te das Grund­be­kennt­nis (und, die in­tel­lek­tu­el­le Va­ri­an­te, »Nie wie­der Ausch­witz«, die al­ler­dings – von Lucke er­wähnt das durch­aus – 1999 plötz­lich zu ei­ner Art Staats­rai­son per­ver­tiert wur­de und als Kriegs­rechtfertigung dien­te). Da die Au­ßen­po­li­tik letzt­lich fast als In­dienst­nah­me von Ausch­witz statt­fand, konn­te man sich auf das In­ne­re kon­zen­trie­ren; zu­tref­fend ist vom Pri­mat der In­nen­po­li­tik die Re­de.

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Kay Pe­ter Jan­krift: Hen­ker, Hu­ren, Han­dels­her­ren

Kay Peter Jankrift: Henker, Huren, Handelsherren
Kay Pe­ter Jan­krift: Hen­ker, Hu­ren, Han­dels­her­ren

Hat man sich nicht schon ein­mal nach ei­nem Be­such ei­nes der in­zwi­schen so zahl­rei­chen mit­tel­al­ter­li­chen Märk­te ge­fragt, wie denn das Le­ben im Mit­tel­al­ter tat­säch­lich ge­we­sen ist? Wie ha­ben die Men­schen ge­lebt? Kay Pe­ter Jan­krift ver­spricht mit sei­nem Buch, die­sen All­tag zu be­schrei­ben. Stö­rend ist da­bei zu­nächst der rei­sse­ri­sche Ti­tel »Hen­ker, Hu­ren, Han­dels­her­ren« – zu­mal ein all­täg­li­ches Le­ben streng ge­nom­men nicht al­lei­ne auf die­se drei Be­rufs­grup­pen ba­sie­ren konn­te.

Be­han­delt wird im We­sent­li­chen das Spät­mit­tel­al­ter von Mit­te des 14. bis Be­ginn des 16. Jahr­hun­derts; der Fo­kus der Be­trach­tung liegt auf der Stadt Augs­burg, ei­ner Stadt mit 15.000–20.000 Ein­woh­nern und seit 1276 »Freie Reichs­stadt«. Aus­führ­lich er­läu­tert Jan­krift war­um sei­ne Wahl auf Augs­burg fiel und nicht et­wa auf Nürn­berg oder Köln (mit 40.000 Ein­woh­nern ei­ne für da­ma­li­ge Ver­hält­nis­se un­ty­pisch gro­sse Stadt).

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Si­byl­le Le­witschar­off: Apo­stol­off

Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff
Si­byl­le Le­witschar­off: Apo­stol­off

Rum­en Apo­stol­off kut­schiert zwei Schwe­stern in ei­nem schon be­tag­ten Daihatsu über die Stra­ssen Bul­ga­ri­ens. Die bei­den Schwe­stern könn­ten nicht un­ter­schied­li­cher sein. Ei­ne ist zap­pe­lig, ge­schwätzig, na­se­weis und be­schallt vom Rück­sitz in schier atem­lo­sen Mo­no­lo­gen die bei­den an­de­ren Rei­sen­den. Sie ist in Si­byl­le Le­witschar­offs Buch »Apo­stol­off« die Ich-Er­zäh­le­rin. Ih­re Schwe­ster, zwei Jah­re äl­ter, ne­ben Rum­en sit­zend (der sie an­him­melt), ist das ru­hi­ge, ge­dul­di­ge, ge­fass­te, manch­mal et­was som­nam­bul wir­ken­de, klein­tragödinnenhafte Pen­dant. Bei­de Schwe­stern blei­ben na­men­los, was den Ti­tel des Bu­ches son­der­bar er­schei­nen lässt, da für den Le­ser nun Rum­en, der den Schwe­stern er­ge­be­ne Ner­vös­ling (und un­ser Her­mes) zum Ti­tel­held mu­tiert und ei­ne ge­wis­se Er­war­tungs­hal­tung auf­ge­baut wird.

Aber so selt­sam wie die drei in ih­ren Dia­lo­gen, Mo­no­lo­gen und ge­le­gent­li­chem Schwei­gen (je­der von uns war an­ders schweig­sam) durch die­ses Ma­l­e­fiz­land Thra­ki­en, ei­nem Ope­ret­ten­land, fah­ren, es­sen, schla­fen, Bur­gen und Häu­ser be­sich­ti­gen und sich er­in­nern, so selt­sam scheint auch mit fort­lau­fen­der Lek­tü­re der Ti­tel ge­wählt, denn Rum­en ist kei­nes­wegs der auf­trump­fen­de »Held« in die­sem Buch, ob­wohl sei­ne Rol­le na­tür­lich weit über das zu­nächst na­he lie­gen­de hin­aus­geht.

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Der Ana­chro­nis­mus

Wirt­schafts­mi­ni­ster Mi­cha­el Glos war ein Spie­gel­bild der In­sti­tu­ti­on des Wirt­schafts­mi­ni­sters; ein Rest al­te Bun­des­re­pu­blik. Glos war jah­re­lang ein Strip­pen­zie­her, Frie­dens- oder Un­ru­he­stif­ter (je nach Be­darf) in der CDU/C­SU-Frak­ti­on und ei­ne Art U‑Boot der CSU in Bonn und spä­ter Ber­lin. Das konn­te der Mann, des­sen Äu­sse­run­gen manch­mal von ein oder zwei Maß Bier be­ein­flusst schie­nen, ganz gut. Zum Wirt­schafts­mi­ni­ster wur­de er weil Stoi­ber hin­warf und der Par­tei­en­pro­porz ein­ge­hal­ten wer­den muss­te. Er, der Un­ge­dien­te, woll­te lie­ber Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster wer­den. (Und ich mal Bus­fah­rer.)

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Jo­na­than Lit­tell: Das Trocke­ne und das Feuch­te

Jo­na­than Lit­tell, Au­tor der Splat­ter-Mocku­men­ta­ry Schar­te­ke »Die Wohl­ge­sinn­ten«, hat das Buch »La cam­pa­gne de Rus­sie« (»Der Russ­land­feld­zug«; er­schie­nen 1949) des ehe­ma­li­gen bel­gi­schen SS-Of­fi­ziers Lé­on De­grel­le ge­le­sen. Und er hat das Buch »Män­ner­phan­ta­sien« von Klaus The­we­leit und des­sen The­sen zum Fa­schis­mus ge­le­sen. Lit­tell ver­sucht nun The­we­leits The­sen von 1977 mit sei­ner Re­zep­ti­on von De­grel­les Buch fort­zu­schrei­ben.

Jonathan Littell: Das Trockene und das Feuchte
Jo­na­than Lit­tell: Das Trocke­ne und das Feuch­te

Lit­tell ist von The­we­leits Buch fas­zi­niert. »Der Fa­schis­mus (ist ei­ne) Form der Pro­duk­ti­on des Realen…keine Fra­ge der Staatsform…auch nicht…der Wirt­schafts­form, über­haupt nicht ei­ne Fra­ge des Sy­stems.« zi­tiert er The­we­leit, der im Nach­wort zu »Das Trocke­ne und das Feuch­te« (wel­ches be­reits im April 2008 in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung ver­öf­fent­licht wur­de) er­gänzt: » ‘Fa­schis­mus’ ist …ein Kör­per­zu­stand, ei­ne ge­fähr­li­che Ma­te­rie, die mit Macht und Ge­walt dar­auf dringt, den Zu­stand der Welt den Zu­stän­den des ei­ge­nen Kör­pers an­zu­glei­chen, zu un­ter­wer­fen«. Das Freud’sche Mo­dell von Es, Ich, Über-Ich und da­mit der ödi­pa­len Kon­stel­la­ti­on lässt sich auf [den Fa­schi­sten] nicht an­wen­den so klä­ren Lit­tell (und The­we­leit) auf, denn der Fa­schist hat die Tren­nung von der Mut­ter nicht ab­ge­schlos­sen und sich nie als Ich im Freud’schen Sin­ne kon­sti­tu­iert. Der Fa­schist ist der »Nicht-zu-En­de-Ge­bo­re­ne«. Aber er ist kein Psy­cho­path; er hat ei­ne par­ti­el­le Tren­nung voll­zo­gen, er ist sozialisiert…er er­greift so­gar ge­le­gent­lich die Macht.

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