Dror Za­ha­vi / Mi­cha­el Gut­mann: Mein Le­ben (arte/ARD)

Die Fra­ge ob bzw. wie der Film das Buch nun kor­rekt wie­der­ge­be oder nicht, er­weist sich meist als mü­ßig: Zu un­ter­schied­lich sind die Me­di­en, zu grob die Struk­tur des Films, die in den mei­sten Fäl­len die fei­nen Un­ter­tö­ne des li­te­ra­ri­schen Wer­kes nicht im Ent­fern­te­sten zu ent­fal­ten ver­mag. Es gibt die ein oder an­de­re Aus­nah­me, die sich zwar eng am li­te­ra­ri­schen Werk hält, aber dann doch ein ei­gen­stän­di­ges Film-Kunst­werk wird oh­ne die Vor­la­ge zu de­nun­zie­ren, son­dern sie er­gänzt, ja, kla­rer zu macht; lei­der »too few to men­ti­on« (und nicht re­le­vant für die­se Be­trach­tung hier).

Fast selbst­ver­ständ­lich muss­te die Ver­fil­mung von Mar­cel Reich-Ra­nickis Buchs »Mein Le­ben« (es wer­den letzt­lich au­sser der mehr als ober­fläch­lich ein­ge­streu­ten un­mit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit Reich-Ra­nickis als pol­ni­scher Ge­ne­ral­kon­sul nur die er­sten bei­den Tei­le des Bu­ches bis 1944 ge­zeigt) hin­ter dem doch stark be­ein­drucken­den Ge­schrie­be­nen zu­rück­ste­hen. In neun­zig Mi­nu­ten presst man die Ge­schich­te von 1929 bis 1944 und ha­stet von Stich­wort zu Stich­wort. Man spürt das Be­mü­hen, Schlüs­sel­sze­nen des Bu­ches un­ter­zu­brin­gen (was teil­wei­se auch ge­schieht), aber Reich-Ra­nickis an­ek­do­ti­sches Er­zäh­len, was die­ses Buch nicht un­we­sent­lich cha­rak­te­ri­siert und auf ver­blüf­fen­de Wei­se stark macht, fällt die­ser Er­eig­nis-Ral­lye als er­stes zum Op­fer.

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Ni­chol­son Bak­er: Men­schen­rauch

Über­set­zung: Sa­bi­ne He­din­ger und Chri­stia­ne Berg­feld

Nicholson Baker: Menschenrauch
Ni­chol­son Bak­er: Men­schen­rauch

»Men­schen­rauch« von Ni­chol­son Bak­er ist ein küh­nes, ein wag­hal­si­ges, ein fürch­ter­li­ches, ein auf­rüt­teln­des, ein ge­schichts­klit­teri­sches – und ein er­hel­len­des Buch. Es ist der Ver­such, die Zeit zwi­schen 1919 und En­de 1941 aus ei­ner an­de­ren Sicht zu se­hen. Wo in­zwi­schen die Vo­ka­bel des Pa­ra­dig­men­wech­sels ein we­nig ver­braucht er­scheint – hier ist sie an­ge­bracht.

Ta­ge­buch­ähn­lich col­la­giert, zi­tiert und mon­tiert Bak­er aus Brie­fen, Ar­ti­keln, Auf­zeich­nun­gen, Bü­chern und Ver­laut­ba­run­gen von Po­li­ti­kern, Schrift­stel­lern, Jour­na­li­sten oder auch nur »ein­fa­chen« Bür­gern (vor­wie­gend aus dem an­gel­säch­si­schen Be­reich; aus Deutsch­land gibt es vor al­lem Aus­zü­ge aus den Ta­ge­bü­chern von Goeb­bels, Vic­tor Klem­pe­rer und Ul­rich von Has­sel). Der Er­ste Welt­krieg wird nur auf ganz we­ni­gen Sei­ten am An­fang ge­streift, die Jah­re 1920–1933 auf rund 30 Sei­ten. Der Zwei­te Welt­krieg be­ginnt auf Sei­te 152, das Jahr 1940 auf Sei­te 182 und 1941 auf Sei­te 306. Das Buch en­det am 31.12.1941 (Sei­te 518; da­nach gibt es ein sehr kur­zes Nach­wort und um­fang­rei­che Quel­len­nach­wei­se), al­so als die mei­sten Men­schen, die im Zwei­ten Welt­krieg starben…noch am Le­ben [wa­ren] wie Bak­er schreibt.

Der Ge­dan­ke, es han­de­le sich um et­was ana­log zu Kem­pow­skis »Echolot«-Projekt er­weist sich sehr bald als falsch. Bak­ers Zi­ta­te sind fast im­mer be­ar­bei­tet – und er wer­tet, wenn auch manch­mal nur un­ter­schwel­lig. Nur sel­ten wird das »rei­ne« Do­ku­ment zi­tiert. Manch­mal wer­den auch nur die je­wei­li­gen Zi­ta­te ge­gen- oder auf­ein­an­der be­zo­gen. Die­ser Stil ist sug­ge­stiv bis ins klein­ste De­tail. So er­folgt bei­spiels­wei­se kei­ne Da­tums­zei­le, son­dern es wird nar­ra­tiv mit ei­nem be­deu­tungs­vol­len »Es war der …« im Text agiert. Pein­lich ge­nau ach­tet Bak­er dar­auf, dass al­les be­legt ist; er be­nutz­te aus­schließ­lich öf­fent­li­che Quel­len bzw. Ar­chi­ve.

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Sal­man Rush­die: Die be­zau­bern­de Flo­ren­ti­nerin

Saman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin
Sa­man Rush­die: Die be­zau­bern­de Flo­ren­ti­nerin

In ei­nem Och­sen­kar­ren kommt er da­her, der gelb­haa­ri­ge Frem­de, ein an­mu­ti­ger Narr…vielleicht aber auch gar kein Narr. Nicht sit­zend son­dern ste­hend, auf­recht wie ein Gott, im rum­peln­den Ge­fährt ge­schickt die Ba­lan­ce hal­tend. Man schreibt das Jahr 1572 (laut Klap­pen­text) und be­fin­det sich in Fa­teh­pur Sik­ri, ei­nem Ort jen­seits von Re­li­gi­on, Re­gi­on, Rang und Stamm, der Stadt der schö­nen Lü­ge, der Haupt­stadt des Rei­ches von Ja­la­lud­din Mu­ham­mad Ak­bar, dem in­di­schen Gross­mo­gul, dem Welt­ver­schlin­ger.

Der Frem­de sei im Na­men der eng­li­schen Kö­ni­gin un­ter­wegs und müs­se Ak­bar un­be­dingt per­sön­lich ei­ne Bot­schaft der Mon­ar­chin über­mit­teln. Da­für hat er die wei­te Rei­se von Eu­ro­pa über das Kap der Gu­ten Hoff­nung nach In­di­en ge­macht. Zu­nächst geht er al­ler­dings in ein Hu­ren­haus, macht Be­kannt­schaft mit den Hu­ren Ske­lett und Ma­trat­ze. Dort er­probt er erst ein­mal ei­ne Sal­be, die se­xu­el­les Ver­lan­gen stei­gern soll, be­vor die bei­den Hu­ren ihn mit spe­zi­el­len Düf­ten par­fü­mie­ren. Er soll rie­chen wie ein Kö­nig da­mit er die ver­schie­de­nen In­stan­zen am Hof ent­spre­chend über­win­den kann und auch tat­säch­lich zu Ak­bar, dem Schirm­herr der Welt, vor­ge­las­sen wird.

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Be­mer­kun­gen zu Pe­ter Hand­kes »Die Kuckucke von Ve­li­ka Hoca«

Peter Handke: Die Kuckucke von Velika Hoča
Pe­ter Hand­ke:
Die Kuckucke von Ve­li­ka Hoča

Na­tur­ge­mäss fin­det Pe­ter Hand­kes neue­stes Buch »Die Kuckucke von Ve­li­ka Hoča« we­der an­näh­rend die Auf­merk­sam­keit noch die fast ein­hel­li­ge Zu­stim­mung wie sein letz­tes Pro­sa­buch »Die mo­ra­wi­sche Nacht«.

Es scheint fast ein Ge­setz zu sein: Im­mer wenn Hand­ke Bü­cher mit der Pro­ble­ma­tik des Zer­falls sei­nes Ar­ka­di­en (= Ju­go­sla­wi­en) als Zeu­gen­be­richt in der Ich-Form schreibt und Dich­ter und Er­zäh­ler ver­schmel­zen (oder bei­na­he ver­schmel­zen), scheint ein »Skan­dal« (al­so das, was man da­für hält) in der Luft zu lie­gen.

Der ARD-Kor­re­spon­dent An­dre­as Mey­er-Feist lässt sich zum Buch im SWR2 be­fra­gen. Be­mer­kens­wert, denn so ganz ge­nau scheint er es nicht ge­le­sen zu ha­ben, et­wa wenn er be­haup­tet, es han­de­le auch von den Kuckucken, die im Dorf »frü­her dort zu hö­ren« ge­we­sen wä­ren und jetzt – durch die Kli­ma­er­wär­mung – nicht mehr. In Wirk­lich­keit ist Hand­kes Be­ob­ach­tung ge­nau an­ders: Ge­ra­de dort, in Ve­li­ka Hoča, sind die­se Vö­gel noch zu hö­ren (die Sym­bo­lik da­hin­ter streift Mey­er-Feist nur am Ran­de).

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Der Sprung ins Dunk­le

"Der Sprung ins Dunkle" - Karikatur von 1867
»Der Sprung ins Dunk­le« – Ka­ri­ka­tur von 1867

Als Ben­ja­min Dis­rae­li (ge­trieben von Wil­liam Glad­stone) im Jahr 1867 im soge­nannten »Re­form Act« im bri­ti­schen Un­ter­haus ei­ne Re­form durch­setz­te die ei­ne so­zia­le Öff­nung des Wahl­rechts bis weit in die Ar­bei­ter­klas­se hin­ein vor­sah (vom frei­en und all­gemeinen Wahl­recht heu­ti­ger Zeit al­ler­dings noch weit ent­fernt), war die Em­pö­rung im viktori­anischen Eng­land ins­beson­dere beim klassenbe­wussten Adel aber auch in der Pu­bli­zi­stik gross. Ein »Sprung ins Dunk­le« war noch fast die freund­lich­ste Be­schrei­bung die­ses als un­ge­heu­er­lich ein­ge­stuf­ten Vor­gangs. »Ar­bei­ter« wur­de über­setzt mit »Mas­se« – und »Mas­se« und »Pö­bel« gal­ten syn­onym. Konn­te man ernst­haft die Ge­schicke ei­nes Lan­des in die Hän­de der Mas­se ge­ben?

Das Un­be­ha­gen an der Mas­se hat die west­li­che Gei­stes­ge­schich­te bis heu­te nicht ganz ver­las­sen; es han­delt sich um ei­nen ur­alten To­pos. Der Bo­gen kann von Pla­ton über den Vor­märz bis Heid­eg­ger und Eli­as Ca­net­ti ge­spannt wer­den – un­ter­schied­li­cher könn­ten die al­le­samt der Mas­sen­kul­tur ge­gen­über skep­ti­schen bis ab­leh­nen­den Den­ker kaum sein (sieht man von den Den­kern ab, die die Mas­se in ih­rem Sin­ne for­men bzw. ma­ni­pu­lie­ren woll­ten).

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»Es hai­dert in Bay­ern«

Seit ei­ni­gen Wo­chen kann man ein in­ter­es­san­tes Ex­pe­ri­ment be­ob­ach­ten: Mi­cha­el Spreng bloggt. Spreng ist ein Mann, der nicht nur pha­sen­wei­se mit­ten­drin im »po­li­ti­schen Ge­schäft« war (als Wahl­kampf­ma­na­ger von Ed­mund Stoi­ber bei­spiels­wei­se), son­dern der auf Fin­ger­schnip­sen ver­mut­lich so­fort di­ver­se An­ge­bo­te als Leit­ar­tik­ler gän­gi­ger Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten be­kom­men hät­te. Statt­des­sen gibt es nun auf »Spreng­satz« ein­mal in der Wo­che ei­nen Kom­men­tar und ei­ne An­ek­do­te, in der Spreng aus dem Näh­käst­chen plau­dert.

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Al­brecht von Lucke: Die ge­fähr­de­te Re­pu­blik

Albrecht von Lucke: Die gefährdete Republik
Al­brecht von Lucke:
Die ge­fähr­de­te Re­pu­blik

»Die ge­fähr­de­te Re­pu­blik – Von Bonn nach Ber­lin« – ein er­staun­li­cher Ti­tel und wenn man noch da­zu die Jah­res­rei­he »1949 – 1989 – 2009« liest ahnt man, wel­che Me­lo­die hier an­ge­stimmt wird. Das Buch kommt zu­nächst als Bestands­aufnahme so­wohl der so­ge­nann­ten »Bon­ner Re­pu­blik«, die mit dem Mau­er­fall 1989 suk­zes­si­ve »ab­dank­te« (aber erst fast ein Jahr­zehnt spä­ter, 1999 mit der er­sten Ple­nar­sit­zung des Bun­des­ta­ges im neu­en Reichs­tags zu Ber­lin end­gül­tig zu En­de ging) als auch ei­ner Art Zwischen­bilanz der schein­bar noch im­mer sinn- bzw. rol­len­su­chen­den »Ber­li­ner Re­pu­blik« da­her.

Die The­se des Au­tors: Die De­mo­kra­tie der al­ten Bundes­republik war sta­bi­ler (weil bes­ser) in der Be­völ­ke­rung ver­an­kert als im neu­en, sou­ve­rä­nen Deutsch­land. Da­bei wird die fast be­hag­li­che Si­tua­ti­on der »Bon­ner Re­pu­blik« aus ei­ner selbst­ver­ord­ne­ten (und von an­de­ren er­war­te­ten!) Zu­rück­hal­tung her­aus zu agie­ren (bzw. zu re­agie­ren) und sich in die Bi­po­la­ri­tät des Kal­ten Krie­ges, die EWG (spä­ter dann EG bzw. EU) und NATO wil­lig ein­bin­den zu las­sen als un­aus­weich­lich be­trach­tet. »Nie wie­der Krieg« lau­te­te das Grund­be­kennt­nis (und, die in­tel­lek­tu­el­le Va­ri­an­te, »Nie wie­der Ausch­witz«, die al­ler­dings – von Lucke er­wähnt das durch­aus – 1999 plötz­lich zu ei­ner Art Staats­rai­son per­ver­tiert wur­de und als Kriegs­rechtfertigung dien­te). Da die Au­ßen­po­li­tik letzt­lich fast als In­dienst­nah­me von Ausch­witz statt­fand, konn­te man sich auf das In­ne­re kon­zen­trie­ren; zu­tref­fend ist vom Pri­mat der In­nen­po­li­tik die Re­de.

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