Die Kra­wall­schach­teln

Wenn man erst ein­mal weiß, dass ei­ni­ge (Polit-)Talkshows im (deut­schen) Fern­se­hen nach ge­wis­sen dra­ma­tur­gi­schen In­sze­nie­run­gen be­setzt wer­den – bei­spiels­wei­se um wäh­rend der Sen­dung or­dent­lich Kra­wall zu er­zeu­gen – kann man die­se per­ver­tier­te Form des Dis­kur­ses nur noch als lä­cher­li­ches Schmie­ren­thea­ter er­tra­gen. Sein ei­ge­nes Ur­teil wird man hier kaum schär­fen kön­nen, zu be­schei­den sind die in­tel­lek­tu­el­len Herausfor­derungen. Es spricht lei­der ei­ni­ges da­für, dass das Feuil­le­ton in ähn­li­ches Fahr­was­ser ab­drif­tet. Und nein: Da­mit sind nicht die (teil­wei­se zu Recht dis­kre­di­tier­ten) Twitter­lümmel und Blog­da­men und ‑her­ren ge­meint, die ih­re ge­sin­nungs­trie­fen­de Mei­nungs-Halb­bil­dung in die Welt hin­aus­po­sau­nen und je­des noch so klei­ne Phä­no­men skanda­lisieren. Längst hat das or­ga­ni­sier­te De­nun­zie­ren auch die sich selbst im­mer noch als Qua­li­täts­me­di­en be­zeich­nen­den In­sti­tu­tio­nen er­grif­fen.

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Die ar­chäo­lo­gi­sche Ob­ses­si­on

Ge­fun­den wer­den

        Die ar­chäo­lo­gi­sche Ob­ses­si­on er­klä­re ich mir so: sie ist die Sehn­sucht, end­lich al­les hin­ter sich zu ha­ben, Jahr­tau­sen­de zwi­schen der pein­li­chen, lä­cher­li­chen, nichts­de­sto­trotz un­er­träg­li­chen Mi­se­re des So-zu-Tuns-als-ob-man-leb­te und dem of­fen­sicht­lich uner­wünschten Selbst zu wis­sen. Man wä­re dann un­er­reich­bar für die no­to­ri­schen Lebens­bejaher und die Tu-dir-was-Gu­tes-Mis­sio­na­re, so­gar wenn sie gleich im Grab ne­ben­an lä­gen. Vor al­lem wä­re der Ak­ku ih­rer Han­dies kor­ro­diert und end­lich, end­lich Ru­he.
        Dann wür­de ich viel­leicht aus­ge­gra­ben von je­man­dem, der sich für das in­ter­es­siert, was an mir am we­nig­sten wert­voll war und da­her üb­rig­blieb. Mit Samt­hand­schu­hen wür­de je­ner Je­mand mein Wert­lo­se­stes be­rüh­ren. Er wird. Er wird ein Le­ben für mich er­fin­den, das mein tat­säch­li­ches auch dann noch über­tref­fen wür­de, wenn es ein überdurchschnitt­lich schö­nes ge­we­sen wä­re. Mein Na­me wird zu­min­dest so et­was wie »XX-Prin­zes­sin« ent­hal­ten (der »XX«-Teil ist al­ler­dings un­be­re­chen­bar). Da­für wer­de ich das Glotz­ge­äu­ge an der Mu­se­ums­vi­tri­ne sto­isch über mein Ge­rip­pe er­ge­hen las­sen; im Le­ben gab es durch­aus Blö­de­res zu er­tra­gen.
        Der Ar­chäo­lo­ge wird mich fin­den, wie mich kein Zeit­ge­nos­se je­mals fin­den könn­te. Er wird glück­lich sein über das We­ni­ge, das ich noch sein wer­de, an­statt nur Unzulänglich­keiten zu be­män­geln an dem be­trächt­li­chen Hau­fen di­ver­sen Ma­te­ri­als und Fein­stoffs, der ich le­bend bin.
        Mei­ne ein­zi­ge Ar­beit be­steht dar­in, her­aus­zu­fin­den, wo­hin ich mich le­gen muss, da­mit er mich fin­den wird. Ein paar Jahr­hun­der­te oder Jahr­tau­sen­de kön­nen die To­po­gra­phie ziem­lich ver­än­dern, es kommt al­so dar­auf an, in der rich­ti­gen geo­lo­gi­schen Schicht zu ex­pi­rie­ren. Wenn ich manch­mal ei­nen Zwei­fel schie­be, dann die­sen: ich bin mir nicht ganz si­cher, ob ich ge­fun­den wer­den will. Es soll nur vor­erst ein­mal ein­fach ir­gend­wie auf­hö­ren.

9. Ja­nu­ar 2009

Nein, fin­den

        Sich in ei­ne geo­lo­gi­sche Schicht le­gen, um von ei­nem Ar­chäo­lo­gen des 4. Jahr­tau­sends aus­ge­locht zu wer­den, so ein Quatsch!

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Die Ver­hint­zung

Am Sonn­tag und Mon­tag konn­te man im deut­schen Fern­se­hen zwei Talk­shows an­schau­en, die auf ver­track­te Wei­se die Gren­zen die­ses For­ma­tes of­fen­bar­ten. Es ging wie­der ein­mal um Bun­des­prä­si­dent Wulff und sei­ne di­ver­se Af­fä­ren und Af­fär­chen. Die Ge­mein­sam­keit in den bei­den Sen­dun­gen: de ehe­ma­li­ge CDU-Ge­ne­ral­se­kre­tär Pe­ter Hint­ze trat in sei­ner be­reits zu Kohls Zei­ten be­rühm­ten Mi­schung aus Em­sig­keit und Frech­heit als Ver­tei­di­ger Wulffs auf.

Bei »Gün­ther Jauch« am Sonn­tag sah man am En­de nicht nur beim Mo­de­ra­tor die Er­leich­te­rung: Die Sen­dung ist über­stan­den. In der FAZ hieß es von Mi­cha­el Han­feld am näch­sten mor­gen, Hint­ze ha­be ge­re­det, wie der FC Bay­ern ge­le­gent­lich spielt: 70% Ball­be­sitz, aber trotz­dem ver­lo­ren. Ei­nen Tag spä­ter stand Hint­ze dann wie­der Re­de und Ant­wort – in Frank Plas­bergs »hart aber fair«. Ihm zur Sei­te das ehe­ma­li­ge FDP-Mit­glied Meh­met Dai­ma­gü­ler, ein Rechts­an­walt aus Ber­lin, der sei­ne Sym­pa­thie für Wulff mit des­sen Re­de vom 3. Ok­to­ber 2010 be­grün­de­te (»der Is­lam gehört…zu Deutsch­land«).

An­son­sten war Pe­ter Hint­ze fast al­lein zu Gast. Mit Wu­se­lig­keit und au­to­ri­tä­rem Ge­ha­be wisch­te er al­le An­schul­di­gun­gen vom Tisch. Al­les sei wi­der­legt und auf­ge­klärt, so Hint­ze. Bei Plas­berg ent­fleuch­te ihm so­gar die Aus­sa­ge, dass die Vor­wür­fe durch sei­ne Aus­sa­ge al­lei­ne als wi­der­legt zu gel­ten ha­ben. Da konn­ten die an­de­ren Kom­bat­tan­ten nur ener­viert den Kopf schüt­teln. Und die Zu­schau­er em­pör­ten sich über Hint­ze.

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So sind sie halt...

Ich ge­ste­he dass ich das sonn­täg­li­che Ri­tu­al, sich um 20.15 Uhr den ARD »Tat­ort« an­zu­se­hen im­mer mehr be­reue: Zu schlecht, zu durch­schau­bar, zu holz­schnitt­ar­tig und auch zu zeit­gei­stig ka­men in den letz­ten Mo­na­te di­ver­se Kri­mis die­ser Rei­he da­her. Die Schil­de­run­gen der pri­va­ten Pro­blem­chen und Pro­ble­me der er­mit­teln­den Kom­mis­sa­re nebst def­ti­gem Lo­kal­ko­lo­rit kom­men in­zwi­schen lei­der viel zu rou­ti­niert da­her, dass man sie län­ger als sa­gen wir ein­mal 60 Mi­nu­ten aus­hal­ten kann oh­ne in gäh­nen­de Lan­ge­wei­le aus­zu­bre­chen.

Zu­ge­ge­ben: Das war ge­stern im öster­rei­chi­schen »Tat­ort« »Kein Ent­kom­men« an­ders. Ein Stu­dent – Fah­rer ei­ner Putz­ko­lon­ne – wird an­ge­schos­sen: Die Mör­der ent­decken, dass sie den fal­schen er­wischt ha­ben und strecken ihn mit ei­nem be­dau­ern­den »Du warst zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort« mit zwei Kopf­schüs­sen end­gül­tig nie­der. Ge­meint war ein an­de­rer: Jo­sef Mül­ler, der mit sei­ner Frau und dem 6jährigen Max zu­sam­men­lebt. Mül­ler ist krank; ei­ne Grip­pe­wel­le gras­siert wäh­rend des Films und zieht nach und nach al­le mög­li­chen Prot­ago­ni­sten her­un­ter. Die bei­den Kil­ler su­chen Mül­lers Woh­nung auf (Frau und Kind sind beim Arzt), der knapp ent­kommt und mit nack­tem Ober­kör­per durch Wien bis zu den Ge­päck­schließ­fä­chern am Haupt­bahn­hof irrt. Neu ein­ge­klei­det mel­det er sich bei der Po­li­zei. Mo­ritz Eis­ner (Ha­rald Krass­nit­zer) und Bi­bi Fell­ner (Ade­le Neu­hau­ser) be­stau­nen den Mann, der na­tür­lich nicht Jo­sef Mül­ler heisst son­dern Gra­dić und im ju­go­sla­wi­schen Bür­ger­krieg auf sei­ten der Ser­ben Kriegs­ver­bre­chen in ei­ner paramili­tärischen Or­ga­ni­sa­ti­on be­gan­gen hat. Mül­ler ge­steht al­les und legt das auf den Tisch, was die Mör­der ha­ben wol­len: Sein Büch­lein, in dem er fein säu­ber­lich sei­ne und die Ta­ten sei­ner Ka­me­ra­den auf­ge­führt hat.

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Wi­sła­wa Szym­bor­ska

Und so denn glit­zert der to­te Kä­fer am Weg, un­be­weint der Son­ne ent­ge­gen. Es ge­nügt, an ihn für die Dau­er ei­nes Blicks zu den­ken: er liegt, als wä­re ihm nichts von Be­deu­tung pas­siert. Be­deu­tung be­trifft an­geb­lich nur uns. Nur un­ser Le­ben, nur un­se­ren Tod, den Tod, der er­zwun­ge­nen Vor­rang ge­nießt. aus: Wi­sła­wa Szym­bor­ska – Von ...

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Jür­gen Ha­ber­mas: Zur Ver­fas­sung Eu­ro­pas

Jürgen Habermas: Zur Verfassung Europas
Jür­gen Ha­ber­mas: Zur Ver­fas­sung Eu­ro­pas
Wenn sich Jür­gen Ha­ber­mas in die Nie­de­run­gen des po­li­ti­schen All­tags be­gibt und die­sen kommen­tiert, of­fen­bart sich sei­ne zu­wei­len ten­den­ziö­se Wahr­nehmung über­deut­lich. Plötz­lich ist die Deckung hin­ter dem Fremdwort­wall wie in sei­nem drei­tei­li­gen Es­say mit dem hüb­schen, dop­pel­deu­ti­gen Ti­tel zur »Ver­fassung Eu­ro­pas«, der den Kern des vor­lie­gen­den, gleich­namigen Ban­des bil­det, ge­lüf­tet. Der rechts­phi­lo­so­phi­sche Uni­versitätsjargon, der ein­fach­ste Sach­verhalte in hoch­ar­ti­fi­zi­el­le Wort­gebilde bis zur Unkennt­lichkeit mas­kie­ren kann, weicht in den bei­den als An­hang be­nann­ten Ar­ti­keln vom Mai 2010 bzw. April 2011 (und dem Inter­view mit Tho­mas Ass­heu­er vom No­vem­ber 2008) dem Ton des kommen­tieren­den Leit­ar­tik­lers. Das hat mehr als nur ein­mal zur Fol­ge, dass der Doy­en der po­li­ti­schen Phi­lo­so­phie in Deutsch­land (oder sol­len wir lie­ber Eu­ro­pa sa­gen?) zu­wei­len ziem­lich nackt da­steht.

Mit Ha­ber­mas’ re­tro­spek­ti­ven Er­läu­te­run­gen zum Markt­fun­da­men­ta­lis­mus, der En­de der 1990er Jah­re auch die po­li­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten in Deutsch­land in­fi­zier­te (wohl vorbe­reitet durch ent­spre­chen­des me­dia­les Pres­sing), geht man noch kon­form. Aber wenn dann aus der rhe­to­ri­schen Mot­ten­ki­ste der Be­griff der »Po­li­tik­ver­dros­sen­heit« hervor­geholt wird, be­gin­nen die Zwei­fel. Wo­bei die­ses Phä­no­men als Pro­dukt ei­ner »po­li­ti­schen Unter­forderung« des Bür­gers ab­ge­lei­tet wird, die­ser da­mit so­zu­sa­gen er­ret­tet wer­den soll und für die wei­te­re Ver­wen­dung als po­li­ti­sches Sub­jekt zur Ver­fü­gung steht. Ha­ber­mas hat na­tür­lich Recht, dass ei­ne am­bi­va­len­te de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­ons­ba­sis des »Elite­projekts« Eu­ro­päi­sche Uni­on zum Ver- und/oder Über­druss ge­führt hat. Und auch sei­ne Fest­stel­lung, dass Deutsch­land seit Rot-Grün 1998 oh­ne fe­stes (außen-)po­litisches Ziel re­giert wird (er sieht die­se Ent­wick­lung von 2005 an noch ein­mal be­schleunigt), ist zu­tref­fend.

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Fal­sches Tor­ten­stück­chen

Da staun­te der »tagesschau«-Zuschauer ge­stern nicht schlecht: Die Be­tei­li­gung Deutsch­lands am Euro-»Hilfsfonds« ESM – Ge­samt­vo­lu­men (erst ein­mal) 500 Mil­li­ar­den Eu­ro – be­trägt »nur« 22 Mil­li­ar­den. Kann das sein? Um die Klei­nig­keit zu ver­deut­li­chen be­dien­te man sich in der Re­dak­ti­on der wohl be­kann­ten Tor­ten­gra­phik:

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Eu­phe­mis­men in der Po­li­tik – (IV.) Der Hin­ter­bänk­ler

Ih­re Haupt­sai­son ist das Som­mer­loch. Dann be­tre­ten sie für ei­ni­ge Wo­chen die Büh­ne und er­rei­chen je­ne Auf­merk­sam­keit, die sie sonst nicht be­kom­men. Sie ma­chen manch­mal ganz skur­ri­le Vor­schlä­ge. Und jetzt, da die Gro­ßen und Mäch­ti­gen auf Ur­laub wei­len, hört man ih­nen zu.

Ge­meint ist der Hin­ter­bänk­ler (sel­te­ner: die Hin­ter­bänk­le­rin). Es ist ganz leicht, sich über sie zu amü­sie­ren. Jour­na­li­sten ma­chen das sehr ger­ne. Erst ver­schaf­fen sie ih­nen (end­lich ein­mal) ei­nen ge­wis­sen Raum – um sich dann dar­über lä­cher­lich zu ma­chen. Man kennt das ja mit dem Hoch- und Run­ter­schrei­ben. Der Hin­ter­bänk­ler durch­lebt die­se Pha­sen in sechs Wo­chen. An­de­re Po­li­ti­ker brau­chen da­für Jah­re.

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