Ich gestehe dass ich das sonntägliche Ritual, sich um 20.15 Uhr den ARD »Tatort« anzusehen immer mehr bereue: Zu schlecht, zu durchschaubar, zu holzschnittartig und auch zu zeitgeistig kamen in den letzten Monate diverse Krimis dieser Reihe daher. Die Schilderungen der privaten Problemchen und Probleme der ermittelnden Kommissare nebst deftigem Lokalkolorit kommen inzwischen leider viel zu routiniert daher, dass man sie länger als sagen wir einmal 60 Minuten aushalten kann ohne in gähnende Langeweile auszubrechen.
Zugegeben: Das war gestern im österreichischen »Tatort« »Kein Entkommen« anders. Ein Student – Fahrer einer Putzkolonne – wird angeschossen: Die Mörder entdecken, dass sie den falschen erwischt haben und strecken ihn mit einem bedauernden »Du warst zur falschen Zeit am falschen Ort« mit zwei Kopfschüssen endgültig nieder. Gemeint war ein anderer: Josef Müller, der mit seiner Frau und dem 6jährigen Max zusammenlebt. Müller ist krank; eine Grippewelle grassiert während des Films und zieht nach und nach alle möglichen Protagonisten herunter. Die beiden Killer suchen Müllers Wohnung auf (Frau und Kind sind beim Arzt), der knapp entkommt und mit nacktem Oberkörper durch Wien bis zu den Gepäckschließfächern am Hauptbahnhof irrt. Neu eingekleidet meldet er sich bei der Polizei. Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) bestaunen den Mann, der natürlich nicht Josef Müller heisst sondern Gradić und im jugoslawischen Bürgerkrieg auf seiten der Serben Kriegsverbrechen in einer paramilitärischen Organisation begangen hat. Müller gesteht alles und legt das auf den Tisch, was die Mörder haben wollen: Sein Büchlein, in dem er fein säuberlich seine und die Taten seiner Kameraden aufgeführt hat.
Müller soll als Kronzeuge für diverse Verfahren in Den Haag dienen; die entsprechenden Beamten arbeiten mit Eisner mehr schlecht als recht zusammen (Therese Affolter legt ihre Rolle fast wie eine Karikatur an). Gradić/Müller und seine Familie kommen in ein streng bewachtes Haus (man fragt sich sofort, warum es derart viele und große Fenster hat). Das nutzt alles nichts: In einer beispiellosen Aktion ermorden schwarzmaskierte Serben das gesamte Bewachungspersonal. Einzig Gradić gelingt es, drei der Mörder zu erlegen und einen – Rajko – anzuschiessen. Ein Tatort mit Leichen gepflastert. Auf der Flucht wird dann noch eine Polizistin ermordert und der sterbende Rajko hätte auch noch den heranstürmenden Verkehrspolizisten, der ihm helfen wollte, umgebracht, aber es war keine Kugel mehr in der Pistole.
So sind sie halt, die Serben. Im Café bleibt man lieber unter sich (der Kaffee ist dann plötzlich ausgegangen) und beschimpft die Polizei in serbisch (die das natürlich nicht versteht; der Zuschauer hat die Untertitel). Auf der Toilette gibt es großartig bestückte Waffenkisten. Aus einem hier deponierten Maschinengewehr ballert ein anderer Mörder auf Eisler und Fellner, die im Keller scheinbar verloren sind. Aber keiner der gefühlten hundert Schüsse trifft – dafür Eislers einziger abgegebener Schuss. Aber die Gefahr ist nicht vorbei; es geht an die Hintermänner und ganz am Schluss wird auch noch der Hintermann der Hintermänner, der längst für tot erklärt worden war, entdeckt: Es ist der Arzt Lakić (mit Radovan-Karadžić-Bart), der den kleinen Max behandelt hatte, in Wirklichkeit jedoch das Kind immer kranker gemacht hat, damit die Familie ins Krankenhaus kommt und dort liquidiert werden kann.
Der Schluss ist stark: Der vermeintliche Arzt droht der Polizei, dem Kind eine tödliche Spritze zu setzen. Eisler widersetzt sich und wirft die Waffe nicht weg. Er zückt sie stattdessen und verspricht, ihn zu töten sobald er die Spitze in den Körper des Kindes injiziert. Da stehen sie nun: Eisler mit der Pistole an des Gangsters Kopf – dieser mit einer tödlichen Spitze auf den Arm des Kindes zielend. Für einen Moment denkt man, er könnte doch abdrücken und alle »Tatort«-Gesetze damit über Bord werfen. Und als andere dem Verbrecher längst die Spitze aus der Hand geschlagen haben, bleibt die Pistole Eislers auf dessen Kopf gerichtet. Er spürt die Angst desjenigen, der selber in den 90ern Angst verbreitet hatte. So, wie die Serben die Polizei im Café beschimpften, so macht dies Eisler nun. Am Ende besinnt sich Eisler dann wieder.
Aber es gibt dann doch kein »normales« Tatort-Ende. Zwei schwarzgekleidete Männer gehen auf dem Flur Müller entgegen. Und später folgen sie ihm. Da hält das Bild an – der Abspann beginnt. Man darf davon ausgehen, dass sie ihr Mordwerk doch noch schaffen.
»Kein Entkommen« ist ein Film, der hohe Wellen schlagen würde, wenn es statt um Serben beispielsweise um Türken ginge. Denn bis auf eine Ausnahme werden alle in diesem Film gezeigten Serben negativ dargestellt. Die Ausnahme ist Rajkos Vater, der eine Pizzeria betreibt und die Todesnachricht seines Sohnes erst einmal mit zwei Slivowitz verkraften muss (nein, es wird tatsächlich kein Klischee ausgelassen). Interessant am Rande: Sein Text wird untertitelt – als würde er serbisch sprechen. Nur halbherzig heißt es einmal, dass im Jugoslawienkrieg alle Seiten gemordet hätten, nicht nur die Serben (das sagt ausgerechnet Müller). Oder es gibt einen Ermittler, der ein »Halb-Serbe« sein will. Ansonsten sind alle Serben potentielle Kriegsverbrecher; die Community per se aufsässig, gewalttätig und kriminell. Am Ende stellt Eisner die »Ehre« für die österreichische Polizei wieder her, in dem er Gewalt mit Gewalt beantwortet – und dann auf die Eskalation verzichtet. Damit erweist sich die rechtsstaatliche Vorgehensweise der kruden Gewalt als überlegen – so die Botschaft.
Um eventuellen Einwänden gleich vorzubeugen: Es geht mir ausdrücklich nicht um den politisch-korrekten Film oder gar Kriminalfilm. Das wäre fürchterlich. Ich fände nichts dabei, wenn auch einmal ein sogenannter Ausländer ein Mörder ist (das kommt im übrigen sehr selten vor). Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Man betrachte das Genre der sogenannten »Mafia-Filme«: Hier sind Italiener die Täter (wie auch sonst), aber nicht weil sie Italiener sind, sondern die Täter. In »Kein Entkommen« sind die Serben die Täter, weil sie Serben sind. Jeder »James Bond«-Schinken im Kalten Krieg lieferte mehr Differenzierung.
»Kein Entkommen« in der ARD-Mediathek – das Video ist nur zwischen 20 Uhr und 06 Uhr abrufbar, wg. Jugendschutz.
Ersteinmal fand ich diesen Tatort auch sehr spannend und kurzweilig, den Cliffhanger ohne Chance der Auflösung hat mir nochmal ein Dosis Adrenalin durch die Adern gejagt.
Im Gegensatz zu Ihnen fand ich ihn – insbesondere weil es ja „nur“ ein Tatort war – differenziert und authentisch. Ja, es wurde zu Anfang ganz verallgemeinernd von „den Serben“ gesprochen. Der halbserbische Ermittler erzählte eher beiläufig von seinen Kindern, die in der Yugoszene unterwegs sein, es wurde mehrfach erwähnt, dass es sich um serbische Verbrecher und nicht um verbrecherische Serben handelte. Der Protagonist – auch ein Serbe – war einerseits super-sympathisch angelegt, andererseits immer noch ein eiskalter Killer, der bei Gefahr sofort umschalten konnte. Er wollte nicht mehr morden, ohne wie ein verzweifeltes gebrochenes Wrack zu wirken – nicht wie man das normaler Weise erwartet hätte. Er hat in seinen Vernehmungen die Taten auch nochmals eingeordnet (s.s.).
Nach der großen Schießerei sollte es so wirken, als ob (oh Wunder) Bibi und Moritz nicht mehr differenzieren und – Schwuppdiwupp-Kartoffelsupp – trafen sie auf den Vater Rajkos. Zum sehr spannenden Schluss war es dann vollkommen egal, woher die Täter kamen. Ich schweife ab.
Also ich störe mich eigentlich nie daran, ob es »nur« ein »Tatort« ist oder ein Blockbuster – ob das Budget eine Million beträgt oder 20.000 Euro. Unabhängig davon ist ein »Tatort« natürlich immer Massenware und zumeist eindimensional. Die Ausnahmen kann man ja an den Fingern zweier Hände abzählen. Mit dem Rubrum »authentisch« habe ich so meine Probleme: Vermutlich ist gemeint, dass die Handlung mehr oder weniger in sich stimmig ist. Authentisch im Sinne einer wie auch immer gearteten realistischen Darstellung sind solche Filme ja nie – sonst wären sie schrecklich langweilig.
Im vorliegenden Fall sind Autor und Regisseur mehr als nur die Pferde durchgegangen. Etliches ist derart unglaubwürdig – da hätte auch gleich ein Weihnachtsmann im Schornstein erscheinen können. Hinzu kommt dann noch die eindeutig pejorativen Zuschreibungen »der« Serben. Dazu schreiben Sie dann auch gar nix mehr.
@ Gregor Keuschnig
Dass die Tatortfolgen immer klischeehafter werde, kann ich nur bestätigen und ich habe die letzte Folge nach 15 Minuten ausgeschaltet, weil ich mir diese Folge nicht zumuten wollte.
Ihr eigentlicher Anlass aber, dass die Serben nur pejorativ dargestellt würden, andere Nationalitäten nur als Täter, Beispiel Mafia, kann ich nicht bestätigen.
Da ich den Film nur zu Beginn und am Ende gesehen habe – ich wollte die folgende Sendung sehen, habe aber auch die aus denselben Gründen, klischeehafte Diskussion über deutsche Juden, nach ein paar Minuten abgeschaltet -, kann ich konkret zu den Vorwürfen nichts äußern.
Aber wie sieht es denn aus, wenn russische Menschen mitspielen? Finstere Gestalten, brutale Killer usw. Was bleibt hängen‘? Individuelle Täter oder die schlimmen Kriminellen aus dem Ostblock?
Die letzten Tatorte hatten Kindesmißbrauch, Tötungen, Entführungen zum Thema. Wie war denn da die Darstellung der Täter oder des Milieus?. Auch da reihte sich ein Klischee an das andere.
Es liegt glaube ich an der Vielzahl ähnlicher Sendungen. Es gehen den Sendern interessante Stoffe aus, alles wurde schon durchgespielt.
Um Sie ganz auf die Palme zu bringen, hätte einer der Täter nur noch in einem Buch von Handke lesen müssen.
Man darf, leider, von solcher Massenware nichts Differenziertes erwarten.
Wie man ja liest, beginnt im Ausland, Griechenland, Italien etc., auch wieder eine sehr differenzierte Darstellung von Deutschland.
Deiner generellen „Tatort“-Einschätzung kann ich nur zustimmen und auch, dass dieser Wiener „Tatort“ „anders“ war. Für mich auf jeden Fall interessanter als die herkömmliche Fließbandware dieser Reihe. Deinem kritischen Ansatz wegen der einseitig negativ angelegten Serben kann ich allerdings nicht teilen. Das war nun mal der Plot. Serbische Kriegsverbrecher oder Gangster wehren sich mit aller Brutalität gegen die Aufdeckung ihrer Verbrechen. Das Drehbuch hätte da genau so gut , nur als Beispiel, Kosovo-Albaner, die Russenmafia, Neonazis oder sonstige organisierte Gangsterbanden hernehmen können. Gefühllos und brutal müssen die Typen halt sein und dann läuft die ganze Geschichte nach dem gleichen Schema. Die Klischees hielten sich meines Erachtens in Grenzen und so ein Maschinengewehrdauerfeuer vs. einen Pistolenschuss – ja nun, das ist halt Kino. Der in Deiner Überschrift „So sind sie halt…“ mitschwingende Vorwurf des Bedienens von Vorurteilen habe ich so nicht empfunden. Diesen Tatort habe ich mir jedenfalls ohne zu gähnen bis zum deprimierenden Ende angeschaut.
»Das war nun mal der Plot.« – Ja, das mag sein, aber wenn ich die Aufschreie von vor ein paar Jahren bzgl. des sogenannten »Aleviten«-Tatort höre (damals erstattete man sogar Strafanzeige wegen Volksverhetzung), kommt mir das doch sehr merkwürdig vor. Ich habe diesen Tatort von damals noch in Erinnerung: Hier gab es durchaus innerhalb der alevitischen Protagonisten Gegenfiguren, so dass eigentlich kein ein seitiges Bild gezeichnet wurde. Trotzdem konnte man sich vor Protesten kaum retten (die z. T. sehr skurril daherkamen) .
Auch in Filmen, in denen die organisierte (osteuropäische) Kriminalität gezeigt wird, gibt es immer Figuren, die aus dem Plot-Schema ausbrechen. Ich gebe zu, dass das zuweilen arg angestrengt ist und langweilig wirken mag, aber in dieser Ballung habe ich eigentlich die Verdammung einer Entität lange nicht mehr gesehen. Die Serben haben eben (außer Tennisspieler) keine »Lobby«.
Im weiteren ARD-Programm warnte man dann wieder mit den üblichen routinierten Phrasen vor Rassismus und Antisemitismus.
z.B.: »Aber keiner der gefühlten hundert Schüsse trifft – dafür Eislers einziger abgegebener Schuss.«
Es ist nur ein Film, alles ausgedacht und nur zur Unterhaltung. Nichtv zur Belehrung oder gar unterrichtung; keine Dokumentation. Der Held gewinnt immer. Wer so etwas nicht mag, sollte sich das nicht ansehen.
...und sollte weiterhin keine Krimis sondern Handke (etc.) lesen.
(Das ist nicht böse gemeint)
Ist »Unterhaltung« immer gleichzusetzen mit »in jedem Fall unglaubwürdig«? Da ist ja manches Märchen intellektuell herausfordernder.