Eu­phe­mis­men in der Po­li­tik – (IV.) Der Hin­ter­bänk­ler

Ih­re Haupt­sai­son ist das Som­mer­loch. Dann be­tre­ten sie für ei­ni­ge Wo­chen die Büh­ne und er­rei­chen je­ne Auf­merk­sam­keit, die sie sonst nicht be­kom­men. Sie ma­chen manch­mal ganz skur­ri­le Vor­schlä­ge. Und jetzt, da die Gro­ßen und Mäch­ti­gen auf Ur­laub wei­len, hört man ih­nen zu.

Ge­meint ist der Hin­ter­bänk­ler (sel­te­ner: die Hin­ter­bänk­le­rin). Es ist ganz leicht, sich über sie zu amü­sie­ren. Jour­na­li­sten ma­chen das sehr ger­ne. Erst ver­schaf­fen sie ih­nen (end­lich ein­mal) ei­nen ge­wis­sen Raum – um sich dann dar­über lä­cher­lich zu ma­chen. Man kennt das ja mit dem Hoch- und Run­ter­schrei­ben. Der Hin­ter­bänk­ler durch­lebt die­se Pha­sen in sechs Wo­chen. An­de­re Po­li­ti­ker brau­chen da­für Jah­re.

Au­ßer­halb des Som­mer­lochs wird der Hin­ter­bänk­ler nur bei ganz be­son­de­ren Er­eig­nis­sen auf die Büh­ne ge­holt. Bei­spiels­wei­se jetzt, da ein Bun­des­prä­si­dent mit sei­nen merk­würdigen Kre­di­ten und ei­nem »Krieg« ge­gen den Sprin­ger-Ver­lag im­mer wei­ter für Schlag­zeilen sorgt. Man lernt FDP- und CDU-Ab­ge­ord­ne­te ken­nen, die sich von Wulff distan­zieren und ihm Rück­tritt na­he­le­gen. Das sind, so liest man al­lent­hal­ben, doch nur Hinter­bänkler mit Pro­fil­neu­ro­se. Noch zei­gen sich die Par­tei­spit­zen re­si­stent, for­dern – in­ter­es­sant ge­nug – ein »En­de der Dis­kus­si­on« (als kön­ne man so et­was per Knopf­druck ab­stel­len). Ins­be­son­de­re die Wulff-Be­für­wor­ter neh­men die Vo­ka­bel des Hin­ter­bänk­lers in den Mund. Es ist ein Eu­phe­mis­mus, der ei­gent­lich sa­gen soll: »Halt das Maul«. Oder: »Ich kann Dei­ne Fres­se nicht mehr se­hen«. Wir wis­sen in­zwi­schen, dass die­se Ver­bal­in­ju­ri­en in der Po­li­tik (eben­so) an der Ta­ges­ord­nung sind (wie sonst über­all auch). So weit, so gut.

Der Hin­ter­bänk­ler ist ge­dul­det, so­lan­ge er exo­ti­sche bis lä­cher­li­che Vor­schlä­ge ab­gibt. Wenn er zu sub­stan­ti­el­len The­men ei­ne »ab­wei­chen­de« Mei­nung ver­tritt, wird er zum Ab­weich­ler. (Eher sin­gu­lär ist der Ab­weich­ler, der mehr ist als nur ein Hin­ter­bänk­ler – man könn­te ihn viel­leicht den »Bos­bach« nen­nen.) Der ab­wei­chen­de Hin­ter­bänk­ler geht ein Ri­si­ko ein: Un­ver­hoh­len dro­hen dann die Strucks, Mün­te­fe­rings und Kau­ders mit Kon­se­quen­zen. Wie war das noch mit dem Li­sten­platz bei der näch­sten Wahl? Viel­leicht doch et­was wei­ter un­ten? Oder, bei Di­rekt­kan­di­da­ten: War­um nicht ei­nen stromlinien­förmigen Kon­kur­ren­ten aus der ei­ge­nen Par­tei als Ge­gen­kan­di­da­ten auf­bau­en? Droh­ungen, hin­ter de­nen sich Wulffs Ru­bi­kon-Ge­quat­sche wie ein Ko­mö­di­en­stadl an­hört.

Der Atem der Par­tei­füh­rung ist lang: Of­fen wer­den Hin­ter­bänk­ler kaum noch kri­ti­siert; dies wür­de dem Image scha­den. In­tern dürf­te dies an­ders aus­se­hen. In zwei Jah­ren wis­sen wir mehr über Herrn Well­mann und Herrn von der Mar­witz.

In sel­te­nen Fäl­len wird der Hin­ter­bänk­ler in­stru­men­ta­li­siert: Die Par­tei­füh­rung war­tet ab, bis sich ein, zwei Ab­ge­ord­ne­te aus der Deckung wa­gen (auch hier al­so das schein­bar un­ver­meid­li­che bel­li­zi­sti­sche Vo­ka­bu­lar). Da­mit te­stet sie die Re­ak­tio­nen in Frak­ti­on und Par­tei. Im fi­li­gra­nen Spiel zwi­schen An­griff, Ge­gen­an­griff und Ver­tei­di­gung kann man nun er­ken­nen, ob der ein­ge­schla­ge­ne Kurs bei­be­hal­ten wer­den soll (die Hin­ter­bänk­ler al­so ab­ge­wie­gelt wer­den) oder die Stim­mung um­schlägt und man sei­ner­seits die Po­si­ti­on zu ver­än­dern hat. Es wä­re üb­ri­gens ein Irr­tum zu glau­ben, der Hin­ter­bänk­ler könn­te im zwei­ten Fall ei­nen Vor­teil aus sei­ner Vor­rei­ter­rol­le zie­hen: Man liebt zwar den Ver­rat, aber nicht den Ver­rä­ter.

Die Qua­li­fi­zie­rung als Hin­ter­bänk­ler ist mehr als nur die Sehn­sucht nach dem Fe­tisch Ge­schlos­sen­heit. Sie ist Aus­druck ei­nes min­de­stens ge­stör­ten Ver­hält­nis­ses zur De­mo­kra­tie. Sie sagt aus, dass es Ab­ge­ord­ne­te un­ter­schied­li­cher Re­le­vanz gibt. Sie de­gra­diert den »nor­ma­len«, d. h. nicht durch be­son­de­re Auf­ga­ben her­vor­ge­ho­be­nen Ab­ge­ord­ne­ten, zum Volks­ver­tre­ter zwei­ter Klas­se. Wer Hin­ter­bänk­ler sagt, meint: ein Stimm­vieh-Ab­ge­ord­ne­ter, der zu »funk­tio­nie­ren«, d. h. im Sin­ne der Frak­ti­ons­füh­rung ab­zu­stim­men hat. Und an­son­sten ist Ru­he die er­ste Ab­ge­ord­ne­ten­pflicht.

Ei­ne De­mo­kra­tie kennt kei­nen Hin­ter­bänk­ler. Wer die­se Vo­ka­bel pe­jo­ra­tiv ver­wen­det de­mas­kiert sein ari­sto­kra­tisch-hier­ar­chi­sches De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis. Man soll­te sich vor sol­chen Leu­ten fürch­ten.

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  1. Man könn­te sich den Hin­ter­bänk­ler auch als öf­fent­lich­keits­scheu vor­stel­len: Ob­wohl er sub­stan­zi­el­le Ar­beit lei­stet, tritt er kaum in Er­schei­nung – sei­ne Öf­fent­lich­keit steht ent­ge­gen sei­ner Be­deu­tung als Ab­ge­ord­ne­ter.

    Ei­ne Wort­mel­dung ge­winnt dann an Be­deu­tung, wenn man sich gut po­si­tio­niert äu­ßert oder in den Chor Gleich­ge­sinn­ter ein­reiht und die­sen noch stimm­ge­wal­ti­ger macht. Das ist die ver­meint­li­che Stun­de der Hin­ter­bänk­ler: Man holt sie her­vor und be­nutzt sie – ih­re Mei­nung ist end­lich ein­mal ge­fragt! -, weil man ei­nem Drit­ten (ei­ner an­de­ren öf­fent­li­chen Per­son) durch die­se (ge­steu­er­te, weil man ei­ne be­stimm­te Ant­wort vor­her­sieht) Mei­nungs­äu­ße­rung scha­den will und kann.

  2. Die­se Deu­tung geht noch wei­ter als mei­ne In­stru­men­ta­li­sie­rungs­the­se, aber auch das ist na­tür­lich denk­bar. In der Pra­xis dürf­te es durch­aus »Misch­for­men« ge­ben: In­stru­men­ta­li­sier­te wie auch »Frei­wil­li­ge«, die sich ge­schmei­chelt füh­len, end­lich ein­mal wahr­ge­nom­men zu wer­den.

  3. Sie ist Aus­druck ei­nes min­de­stens ge­stör­ten Ver­hält­nis­ses zur De­mo­kra­tie. Sie sagt aus, dass es Ab­ge­ord­ne­te un­ter­schied­li­cher Re­le­vanz gibt.

    Ich hal­te so ei­nen Grup­pie­rung für we­sent­lich re­spekt­lo­ser als zum Bei­spiel die Be­zeich­nung ei­nes Prä­si­den­ten als Lüg­ner. Das liegt ja aber nicht an dem Wort, das ja ei­ne sehr bild­li­che und kor­rek­te Be­schrei­bung der Tat­sa­che ist, dass sie meist eben dort sit­zen, son­dern an der In­ter­pre­ta­ti­on.

    Wir (mein Um­feld und ich) spra­chen und spre­chen da im­mer von U‑Bootlern, die, auch wenn man sie ge­ra­de nicht sieht, un­ter der dem Auf­merk­sam­keits­was­ser­spie­gel treu ih­re Ar­beit ver­rich­ten und nur dann auf­tau­chen, wenn es wirk­lich not­wen­dig ist. Im Ge­gen­teil zur öf­fent­li­chen Dar­stel­lung sind das üb­ri­gens Per­sön­lich­kei­ten, die eben nicht plötz­lich »ab­wei­chen«, son­dern treue Strei­ter in der Sa­che sind, auch wenn die gro­ssen Kreu­zer vor­ne wie­der ein­mal den Kurs än­dern. (Nach­teil: Das Kriegs­jar­gon ver­lässt die­se Be­schrei­bung auch nicht. Man kann nicht al­les ha­ben.)