Christoph Kappes fasste in seinem, vor etlichen Tagen veröffentlichtem, Text über Kommentare, Trolle und digitale Kommunikation, die Maßnahmen der Süddeutschen Zeitung in dem folgenden Paradoxon zusammen: »Darf das Meinen (-> Meinungsfreiheit) eingeschränkt werden, um das Meinen (-> Meinungsbildung) sicherzustellen?« Sind also einschränkende Maßnahmen erforderlich um Online-Diskussionen zu ermöglichen, bzw. diese teilweise oder ganz abzuschalten, um einen Raum der Meinungsbildung überhaupt zu erhalten? Ein Recht auf Kommentierung gäbe es nicht1.
Überfluss und Verfügbarkeit von Informationen aller Art stellen, neben unserem Fassungsvermögen, in aller Deutlichkeit die Frage nach ihrer Relevanz: Um die Welt oder eher Teilwelten (noch) verstehen und zusammenhalten zu können, müssen wir zwischen bloßer Information und Wissen (bzw. Relevanz) unterscheiden, in angemessener Zeit, inklusive der Möglichkeit der Verknüpfung und (eventuell) genauerer Prüfung durch das Hinzuziehen weiterer Quellen. Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von relevanter Information und Wissen eine demokratische »Forderung« (Bedingung), da sie die diskursiven Prozesse und die Meinungsbildung unterstützen oder überhaupt erst möglich machen, das Wahlverhalten beeinflussen und die Entscheidungen der Politik.
Die Palmen haben ihre Köpfe wirklich an der Himmelsdecke und zeigen mit den zahllosen starren Fingern ihrer vielen Hände nach unten, wo sich zwischen Erdlöchern Hasen und Menschen tummeln. Die Hochleitungsstrommasten auf Anhöhen und Gipfeln machen Männchen, während sie einander an Seilen, die vom Schwimmbecken aus betrachtet wie Spinnfäden aussehen, über die Inseln der Meeresbucht leiten. Die Häuser, die sich einst in die Vegetation fügten oder ihr trotzten, sind verschwunden, Opfer der Kriegsfabriken und Aussichtstürme, der Lagerplätze und Rampen und Bunker, die ihrerseits verschwunden sind, nicht ganz zwar, die Reste Ruinen Fundamente sind von Schlingpflanzen Büschen Spinnweben umhüllt, von Hasen bewohnt wie auch der Shinto-Schrein, der mit Beginn der Kriegsproduktion hierherkam, weil das zusammengehören mußte: Tenno, Shinto und Krieg.
Nach dem Fatwa-Text eines gewissen Edo Reents über Judith Hermann (am Rande ging es dort auch um ihr Buch »Aller Liebe Anfang«) gab es aus dem erlauchten Kreis nach zeitlicher Verzögerung nur zwei Stimmen, die sich genötigt sahen zu widersprechen. Die eine ist Iris Radisch in der »Zeit«, deren Text zur Sicherheit erst gar nicht ...
Timo Steppat hat für die FAZ einen Menschen besucht, der sein Leben damit verbringt, Onlinekommentare zu schreiben. Dabei liest dieser Mensch die Artikel gar nicht, die er kommentiert, sondern er überfliegt sie nur. Schnell ist ein Statement geschrieben. Dabei gilt: Je provokativer, desto besser. Der Mensch, den Steppat besucht hat, nennt man daher »Troll«. An ...
Wie Josef Winkler seinen Erinnerungskosmos erweitert
»Requiem für einen Vater« untertitelte Josef Winkler seine Erzählung »Roppongi« aus dem Jahr 2007. Auf einer Vortragsreise in Japan erfährt der Ich-Erzähler, der große Ähnlichkeiten mit Josef Winkler besitzt, vom Tod seines Vaters, jenem über- und allmächtigen »Ackermann aus Kärnten« mit dem Winkler in seinen Büchern, vor allem in den ersten Romanen, wuchtig, expressiv und anklagend grollte. Der Vater symbolisierte Enge, Archaik und Stumpfsinn, atemlos wird eine schreckliche Kindheit und Jugend aus dem schrecklichen Dorf Kamering in Kärnten in den 1950er/1960er Jahren erzählt. Der »Ackermann aus Kärnten« wurde zum Archetyp für eine ganze Region, eine ganze Epoche. Auffallend in »Roppongi« war aber die Milde mit der Winkler erzählte, eine Milde, die zwar die Schrecken der Kindheit und Jugend immer wieder blitzartig aufleuchten ließ, aber am Ende dann doch vor dem 99jährigen Toten (Jahrgang 1905) den Respekt nicht versagte. Der Ich-Erzähler seiner Bücher hatte sich von seinem Leiden emanzipiert, losgeschrieben und konnte damit nun vorurteilsfreier auf seine Figuren blicken und, in Grenzen, ihre Motivationen erforschen. Die Expressivität verschwand nicht, wurde aber aufgefüllt mit anekdotischem. Dahinter durchaus spürbar: die Furcht, der Fluch des Vaters, nach seinem Tod könne er, der Sohn, nicht mehr schreiben, weil er niemanden mehr habe, über den er schreiben könne, könnte sich vielleicht erfüllen.
Sechs Jahre später leuchtet Winkler eine weitere Facette seines Kindheit und Jugend aus, die im Titel schon anklingt: »Mutter und der Bleistift«. Wie so manches Winkler-Buch ist auch diese knapp 60seitige Erzählung ein Triptychon. Vorangestellt ist ihr als eine Art Prolog eine kleinere Erzählung (30 Seiten) mit dem Titel »Da flog das Wort auf«. Mit Zitaten von Ilse Aichinger wird eine düstere Welt evoziert, die nach den Schrecken des Krieges (die Großmutter mütterlicherseits versank in Apathie, als sie kurz hintereinander die Botschaft erreichte, dass drei ihrer Söhne – 18, 20 und 22 Jahre alt – im Krieg »gefallen« waren) nicht mehr gottes- sondern satansfürchtig wurde und (für Winklersche Verhältnisse) früh mit 60 Jahren an »gebrochenem Herzen« starb.
Josef Winkler: Mutter und der BleistiftIn »Mutter und der Bleistift« werden die Eindrücke über die Mutter des Erzählers dominant, einer Mutter, die bisher in den Büchern Winklers keine wesentliche Rolle spielte. Das könnte daran liegen, dass er, der Erzähler, die Mutter schonen wollte und jetzt, nachdem sie um 2012 gestorben ist (wenn die Daten denn stimmen, wobei Winkler einmal [absichtsvoll!] schreibt, die Mutter sei mit 86 gestorben und einmal mit 87) mehr erzählen möchte. Zum anderen war sie für viele Jahre, aus denen schließlich zwei Jahrzehnte wurden, wie ihre Mutter in Apathie und Schwermut verfallen und träumte sich dabei in eine Totenwelt hinein. Zwar erledigte sie ihre hausfraulichen Tätigkeiten (was großartig evoziert wird, beispielsweise wenn sie ihn, den »Seppl«, durchaus mit Inbrunst verprügelte), aber alles nur schweigend bzw. nahezu schweigend, wobei es dann passte, dass sie am Hof eine taub-stumme Magd hatten, die aber trotzdem mehr redete als die Mutter. Jedes Wort, das die Mutter sprach wurde zum Ereignis, zur Manifestation und ihr »Na!« (Nein) als der Vater nach der Geburt des Nachzüglers mit noch einem weiteren, einem 7. Kind kokettierte, grenzte schon an Auflehnung. Die nahezu schweigende Mutter lebte »völlig zurückgezogen«, d. h. ausschließlich auf dem Hof, betrat keine anderen Höfe im Dorf. Besuche gab es auch fast keine (nur die beiden Schwestern ab und an).
Postskriptum »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.« Seit ich diesen berühmten Definitionssatz zum ersten Mal las, und das ist nun schon ziemlich lange her, frage ich mich immer aufs Neue, inwiefern die von Kant konstatierte Unmündigkeit denn selbstverschuldet sei. Ich habe bis heute keine Antwort gefunden. Mit einer zusätzlichen Definition erläutert ...
Um es vorweg zu sagen. Ich habe Judith Hermanns Roman »Aller Liebe Anfang« nicht gelesen. Ich kenne nur ihre drei Geschichtenbände. Als ganz große Literatur kamen mir Hermanns Geschichten nicht vor. Aber in ihren besten Momenten spiegelten sie sehr wohl eine gewisse Stimmung einer Generation und zeigten der älteren Generation (aus denen sich viele Kritiker rekrutier[t]en) eine neue, bisher unbekannte Welt.
»Aller Liebe Anfang« wurde mit großem Marketing vorgestellt. Endlich hat die Geschichtenerzählerin einen Roman geschrieben. Der Roman gilt (völlig unverständlicherweise) als Königsdisziplin im Literaturbetrieb. Dass die Literaturkritik diese Fixierung immer wieder moniert, ist etwas heuchlerisch, weil gefühlt die zweite Frage an Geschichtenschreiber immer wieder lautet, wann denn der erste Roman kommt. Für mich hatte ich beschlossen, dieses Buch nicht zu lesen, zumal mich auch das vermeintliche Thema (Stalking) nicht besonders interessiert.
Die Stimmen der Kritik zu »Aller Liebe Anfang« waren fast alle verhalten bis ablehnend; bei Helmut Böttiger, Eberhard Falcke oder Ijoma Mangold gut begründet.
Aber diese literarisch orientierten Kritiken gefallen dem stellvertretenden Feuilletonchef der FAZ Edo Reents nicht. Mit großem Aplomb hat er vermeintliche Kritik zu dem Buch geschrieben, die in Wahrheit die Autorin treffen soll. Reents Text ist von einer Niedertracht, die ein bisschen genauer betrachtet werden soll (alle Kursivsetzungen aus dem Text):