Der Wich­tig­tu­er

Um es vor­weg zu sa­gen. Ich ha­be Ju­dith Her­manns Ro­man »Al­ler Lie­be An­fang« nicht ge­le­sen. Ich ken­ne nur ih­re drei Ge­schich­ten­bän­de. Als ganz gro­ße Li­te­ra­tur ka­men mir Her­manns Ge­schich­ten nicht vor. Aber in ih­ren be­sten Mo­men­ten spie­gel­ten sie sehr wohl ei­ne ge­wis­se Stim­mung ei­ner Ge­ne­ra­ti­on und zeig­ten der äl­te­ren Ge­ne­ra­ti­on (aus de­nen sich vie­le Kri­ti­ker rekrutier[t]en) ei­ne neue, bis­her un­be­kann­te Welt.

»Al­ler Lie­be An­fang« wur­de mit gro­ßem Mar­ke­ting vor­ge­stellt. End­lich hat die Ge­schich­ten­er­zäh­le­rin ei­nen Ro­man ge­schrie­ben. Der Ro­man gilt (völ­lig unverständlicher­weise) als Kö­nigs­dis­zi­plin im Li­te­ra­tur­be­trieb. Dass die Li­te­ra­tur­kri­tik die­se Fi­xie­rung im­mer wie­der mo­niert, ist et­was heuch­le­risch, weil ge­fühlt die zwei­te Fra­ge an Ge­schich­ten­schrei­ber im­mer wie­der lau­tet, wann denn der er­ste Ro­man kommt. Für mich hat­te ich be­schlos­sen, die­ses Buch nicht zu le­sen, zu­mal mich auch das ver­meint­li­che The­ma (Stal­king) nicht be­son­ders in­ter­es­siert.

Die Stim­men der Kri­tik zu »Al­ler Lie­be An­fang« wa­ren fast al­le ver­hal­ten bis ab­leh­nend; bei Hel­mut Böt­ti­ger, Eber­hard Falcke oder Ijo­ma Man­gold gut be­grün­det.

Aber die­se li­te­ra­risch ori­en­tier­ten Kri­ti­ken ge­fal­len dem stell­ver­tre­ten­den Feuil­le­ton­chef der FAZ Edo Re­ents nicht. Mit gro­ßem Aplomb hat er ver­meint­li­che Kri­tik zu dem Buch ge­schrie­ben, die in Wahr­heit die Au­torin tref­fen soll. Re­ents Text ist von ei­ner Nie­der­tracht, die ein biss­chen ge­nau­er be­trach­tet wer­den soll (al­le Kur­siv­set­zun­gen aus dem Text):

Er be­ginnt so­fort mit dem Pau­ken­schlag:

Ju­dith Her­mann hat zwei Pro­ble­me: Sie kann nicht schrei­ben, und sie hat nichts zu sa­gen.

Re­ents be­spricht ja ei­gent­lich ein Buch, aber ka­pri­ziert sich so­fort, an­satz­los, auf die ver­meint­li­chen Pro­ble­me der Au­torin. Da­bei be­schäf­tigt er sich vor al­lem mit den Zu­wei­sun­gen an­de­rer Kri­ti­ker der letz­ten Jah­re. Die Kri­tik ha­be Her­mann als

ei­ner der „wich­tig­sten Stim­men“ der jün­ge­ren Li­te­ra­tur

ge­nannt, sie als „Mei­ste­rin“ gar be­zeich­net. Das dicke Lob für ih­ren De­bü­ter­zäh­lungs­band »Som­mer­haus, spä­ter« sei reich­lich über­trie­ben aus­ge­fal­len. War­um es über­trie­ben war, bleibt im Dunk­len.

Ju­dith Her­manns Stil gilt ja als „kunst­voll“. Er ist es in­so­fern, als es ihm ge­lingt, trotz star­ker, freund­lich for­mu­liert: Re­duk­ti­on be­acht­li­che Red­un­danz zu er­zie­len.

Der Satz ist un­ver­ständ­lich und of­fen­sicht­lich Murks. Kom­pli­zier­te Sät­ze sind nicht je­der­manns Sa­che. Ver­su­chen wir zwei Um­stel­lun­gen:

Er [Der Stil von Ju­dith Her­mann] ist es in­so­fern, als es ihm ge­lingt, trotz star­ker Re­duk­ti­on, freund­lich for­mu­liert, be­acht­li­che Red­un­danz zu er­zie­len.

Oder viel­leicht:

Er [Der Stil von Ju­dith Her­mann] ist es in­so­fern, als es ihm ge­lingt, trotz – freund­lich for­mu­liert – star­ker Re­duk­ti­on be­acht­li­che Red­un­danz zu er­zie­len.

In bei­den Fäl­len bleibt die Quint­essenz un­klar. Wie bzw. wann führt ei­ne Re­duk­ti­on zu Red­un­dan­zen? Gibt es da­für Bei­spie­le? Schein­bar nicht, denn Re­ents fährt fort:

Für ei­ne Sti­li­stin ver­steht es sich von selbst, Ver­ben weg­zu­las­sen, so gut wie je­de Aus­sa­ge in wört­li­cher Re­de min­de­stens ein­mal zu wie­der­ho­len, auf die üb­li­chen Satz­zei­chen, vor al­lem Fra­ge­zei­chen, zu ver­zich­ten.

Heißt das jetzt, dass Ju­dith Her­mann die­se Ver­fah­ren an­wen­det? Oder heißt es, dass dies ei­ne Sti­li­stin macht? Oder, noch ei­ne Mög­lich­keit, be­deu­tet es, dass Ju­dith Her­mann ei­ne Sti­li­stin im Re­ent­s’chen Sinn ist? Wenn ja, was ist das? Re­ents küm­mern sol­che Fra­gen nicht. Er schreibt wei­ter:

Zei­ten­fol­gen und er­zäh­le­ri­sche Per­spek­ti­ven ge­hen zu­wei­len durch­ein­an­der.

Das ist wirk­lich ei­ne Frech­heit! Hat man die Au­toren der Mo­der­ne ins­ge­samt schon zum Straf­ge­richt ge­ru­fen, dass man nicht mehr li­ne­ar und aukt­ori­al er­zählt? Wie lau­tet die Höchst­stra­fe für die­se Ver­ge­hen?

Aus­flü­ge in die Hy­po­ta­xe gibt es nur, wenn es gar nicht an­ders geht.

Wann wä­re die­ses »nicht-mehr-an­ders-ge­hen« bei­spiels­wei­se der Fall? Und: Was be­deu­tet dies für den Ro­man? Der Le­ser wird rat­los, zu­mal er bei Hel­mut Böt­ti­ger in der SZ ge­le­sen hat, dass Her­mann ih­ren Stil ver­än­dert ha­be. Aber Re­ents hält sich mit sol­chen lä­cher­li­chen li­te­ra­ri­schen Fra­gen nicht auf und holt zu ei­ner wei­te­ren Schmä­hung ad ho­mi­nem aus:

Syn­tak­ti­sche Schlicht­heit gilt als Ju­dith Her­manns Mar­ken­zei­chen. Was aber, wenn sich da­hin­ter ge­dank­li­che Schlicht­heit ver­birgt?

Und das be­reits im er­sten Satz ver­kün­de­te Dik­tum wird ma­ni­fe­stiert – um die Form zu wah­ren als rhe­to­ri­sche Fra­ge:

Oder ein­fach nur Un­ver­mö­gen?

Und jetzt be­ginnt Re­ents Bei­spie­le für die sach­li­chen Un­ge­reimt­hei­ten im Buch aufzu­führen. So kön­ne ein Mau­rer kein gan­zes Haus bau­en, son­dern nur ein Ar­chi­tekt. Und Al­ko­hol kön­ne nicht »süß und kräf­tig« schmecken, so Vor­ko­ster Re­ents, der es als che­mi­sche Un­mög­lich­keit (sic!) be­zeich­net. Mehr als ein Dut­zend sol­cher Un­ge­reimt­hei­ten wer­den nun auf­ge­zählt. Ei­ni­ge sind Tau­to­lo­gien, an­de­re wir­ken tat­säch­lich un­be­hol­fen, könn­ten je­doch im Kon­text des Ge­schrie­be­nen durch­aus ei­ne an­de­re Wir­kung er­zeu­gen, auf neu­deutsch al­so: Sinn ma­chen. Wenn Re­ents al­so mo­niert „Stel­la sieht ir­gend­wo­hin“ – das tut je­der, so kann dies durch­aus ei­ne an­de­re Be­deu­tung ha­ben, als dies im aus dem Zu­sam­men­hang ge­ris­se­nen Zi­tat er­scheint.

Zur Ka­ri­ka­tur macht sich Re­ents Auf­zäh­lungs­fe­ti­schis­mus al­ler­dings da­durch, in dem er bei der Au­torin ex­akt das kon­sta­tiert, was er sel­ber vor­her prak­ti­ziert hat;

So wer­den lau­fend Nich­tig­kei­ten auf­ge­bauscht, Tri­via­les macht sich wich­tig.

Der ein­zi­ge, der sich hier wich­tig macht, ist der Kri­ti­ker. Er kri­ti­siert kein Buch, er ver­sucht, die Au­torin zu ver­nich­ten, in dem er ihr pau­schal das Schrift­stel­ler­tum ab­spricht.

Über den Schmäh­schrei­ber Edo Re­ents, der vor Jah­ren den Schrift­stel­ler Wal­ter Kem­pow­ski in ei­ner Kam­pa­gne de­nun­zie­ren woll­te, braucht man kei­ne Wor­te mehr zu ver­lie­ren. Noch er­bärm­li­cher ist das Vor­ge­hen der FAZ-On­line­re­dak­ti­on, die mei­nen Kom­men­tar nicht aus­hal­ten konn­te und ihn nicht nur nicht pu­bli­zier­te, son­dern auch aus mei­nem Kom­men­tar­ar­chiv ent­fern­te. Er lau­te­te:

»Ju­dith Her­mann hat zwei Pro­ble­me: Sie kann nicht schrei­ben, und sie hat nichts zu sa­gen.« Er­ste­res stimmt nicht, zwei­te­res kann ich nicht be­ur­tei­len, da ich den Ro­man nicht ge­le­sen ha­ben (nur die Ge­schich­ten­bän­de der Au­torin). Re­ents scheint aber für sei­ne ver­nich­ten­den Ur­tei­le nicht viel in der Hand zu ha­ben. Zum ei­nen kri­ti­siert er die Ur­tei­le, die die Li­ter­ta­tur­kri­ti­ker an Ju­dith Her­mann ir­gend­wann ein­mal vor­ge­nom­men ha­ben. Da­für kann aber Her­mann und, vor al­lem, der Ro­man, nichts. Zum an­de­ren ent­deckt er nich­ti­ge Un­stim­mig­kei­ten (die sich bei ähn­li­cher Pe­dan­te­rie auch bei Tho­mas Mann oder an­de­ren He­ro­en fin­den).

Das war wohl zu­viel. Ei­ne sol­che Ma­je­stäts­be­lei­di­gung fällt bei der FAZ in den Pa­pier­korb. Und da fin­det sich jetzt mein Book­mark für das FAZ-Feuil­le­ton. Weil es dort auch hin­ge­hört.

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  1. Die Le­ser der FAZ ha­ben es in­zwi­schen auch ger­ne et­was ein­fa­cher. Der Le­ser weiß so­fort, dass ihn ein Ver­riss er­war­tet – wer da wei­ter­liest, will der Hin­rich­tung be­woh­nen. Die Kom­men­ta­re, die durch­ge­las­sen wur­den, sa­gen »Mer­ci« für das Er­leb­nis – es ge­fällt, wenn der Kri­ti­ker nicht mehr lan­ge ab­wägt und schon gar nicht um­ständ­lich.
    Was viel­leicht zu er­ör­tern wä­re, ist die­se Mi­schung aus Öf­fent­lich­keits­ar­beit der Ver­la­ge und Kri­ti­ken, die aufs ei­ge­ne Sen­ti­ment fo­kus­siert sind und sich kol­la­bo­ra­tiv zu den sai­so­na­len Ka­rus­sell­fahr­ten der Groß­ver­la­ge ver­hal­ten.
    Wir ha­ben ja bald wie­der Buch­mes­se, dann geht das al­les wie­der los. Un­wich­ti­ges wird für wich­tig ge­hal­ten, Mit­tel­mä­ßi­ges in die Ka­me­ra ge­ho­ben, die Er­fol­ge wer­den mehr ge­macht als ge­schrie­ben. Das ist ja re­gel­mä­ßig die größ­te Ent­täu­schung, dass die Kri­ti­ker Elo­gen und Ver­ris­se fa­bri­zie­ren wie be­stellt, aber prak­tisch kaum noch et­was ent­decken. Frü­her wa­ren Kri­ti­ker manch­mal noch Schein­wer­fer, die auf et­was ihr Licht war­fen, was sonst nicht zu se­hen ge­we­sen wä­re – heu­te schei­nen die Ver­la­ge die Schein­wer­fer zu steu­ern.
    Das Re­ents das Buch ein­fach nicht mag, mag ja an­ge­hen. Dass er sich in Klei­nig­kei­ten ver­beißt, um die Stra­te­gie des Tex­tes nicht be­grei­fen zu müs­sen – viel­licht gei­stig be­schei­den, aber mei­net­we­gen darf er auch das. Dass dann aber un­ter sei­nem be­tont seich­ten Ver­riss kein Wi­der­wort, kei­ne Ein­schrän­kung, kei­ne Ab­wä­gung er­schei­nen darf, das wirkt neu­ro­tisch. Ich muss zu­ge­ben: Ich ver­ste­he das gar nicht. Viel­leicht wer­den die »Kri­ti­ker in den Zei­tun­gen« aus di­ver­sen Grün­den auch schon dünn­häu­ti­ger? Viel­leicht gibt es Ab­wehr­re­fle­xe ge­gen die li­te­ra­ri­sche Kul­tur im Netz, die ja – nicht im­mer, aber viel­fach – tie­fer geht, als sich das ir­gend­ei­ne Zei­tung heu­te noch lei­sten könn­te, oh­ne sol­che Le­ser zu ver­prel­len, die jauch­zen, wenn sie ei­nen »rich­ti­gen Ver­riss« le­sen dür­fen?
    Viel­leicht kann man das The­ma noch mal in 4 Wo­chen auf­rol­len. Ich bin wirk­lich ge­spannt, ob die Zei­tun­gen im Ok­to­ber et­was an­de­res als das her­aus­stel­len, was sie laut Ti­tel­bil­der der Ver­lags­ka­ta­lo­ge her­aus­stel­len sol­len.

  2. Die Über­for­de­rung der Kri­ti­ker, die sie na­tür­lich in die Ar­me der gro­ßen Ver­la­ge treibt, ist im­ma­nent. Sie recht­fer­tigt aber ei­nen sol­chen auf Ver­nich­tung zie­len­den Text nicht (das be­haup­ten Sie ja auch nicht). Na­tür­lich ist der Li­te­ra­tur­be­trieb längst tri­via­li­siert wor­den und die Le­ser, die so et­was als gu­te Re­zen­si­on lo­ben soll­ten viel­leicht bes­ser Big Brot­her schau­en. Aber ge­nau das tun sie ja nicht.

    Re­ents ver­sucht sich viel­leicht ein biss­chen als Neu-Reich-Ra­nicki in Stel­lung zu brin­gen; im FAZ-Kos­mos wer­den ja bald Stüh­le ge­rückt.

  3. Mei­ne Gü­te, was für ein an­ge­streng­ter Ver­riss, man kommt sich ja wie vor wie bei RTL. Ju­dith Her­mann will ich jetzt gar nicht groß lo­ben, aber wenn »Der Al­ko­hol ist süß und kräf­tig« für ei­ne Ver­nich­tung her­hal­ten muss, hat man es mit ei­ner plum­pen In­sze­nie­rung zu tun.

    Und die Kom­men­ta­re, die die FAZ durch­lässt, bie­ten ein Bild des Jam­mers (»Man merkt, dass Sie das Buch wirk­lich und gründ­lich (niet­zea­nisch) ge­le­sen ha­ben und Ih­re Kri­tik ist fun­diert und oben­drin wit­zig und iro­nisch«).

  4. Was mir auf­fällt – ich ver­fol­ge Re­ents al­ler­dings sonst nicht, und le­se ei­gent­lich auch kaum noch Zei­tungs­kri­ti­ken (aus den mehr oder min­der glei­chen Man­gel­füh­len dar­an wie Fritz): Dass der Ver­riss auch ein biss­chen in­sze­niert scheint, laut wer­den will – ein klei­ner Pau­ken­schlag sein. In mu­ti­gen, apo­dik­ti­schen Sät­zen (fast wie beim se­li­gen MRR – und ist das die al­te Schu­le?). Und dann auch noch bei die­ser Au­torin!

    Das geht in sei­ner Auf­fäl­lig­keit ja doch über ei­nen Kri­ti­ker-Ehr­geiz hin­aus, fin­de ich. Und ist wo­mög­lich ein biss­chen ei­ne be­triebs­po­li­ti­sche Ge­ste auch, bei der sonst – und wie oft be­klag­ten! – Kum­pe­lei­en der Kri­ti­ker zum Be­trieb. Und dann auch noch bei so ei­ner bei­spiel­ge­ben­den (und auch noch no­to­risch er­folg­rei­chen!) Au­torin.

    Wo­bei ich per­sön­lich nicht al­les an der Kri­tik falsch fin­de. Und dann soll­te von mir aus auch mit die­ser gan­zen Car­ver-Schu­le, mit die­sen sprach­li­chen Ver­hun­gert­hei­ten, die eben auch durch ei­ne ge­stei­ger­te Gei­stig­keit o. ä. nicht aus­ge­gli­chen wird, auch wirk­lich mal Schluss sein. Ein­bahn­stra­ßen der Äs­the­tik ha­ben halt auch Halb­werts­zei­ten. Und ein jeg­li­cher Er­folg fin­det ja im­mer bald auch ei­nen, der ihn wie­der run­ter­schreibt – das ist an­schei­nend Teil des Spiels.

    (Als ich vor Län­ge­rem in „Som­mer­haus spä­ter“ we­gen ei­ner be­stimm­ten Stel­le mal wie­der rein­le­sen woll­te, merk­te ich, dass ich das kaum schaff­te, dass ich das nicht mehr le­sen woll­te. Al­ler­dings war da auch vor­her nicht viel für mich. Aber wie viel Hass aus wahr­lich nicht durch Kunst­fer­tig­keit auf­fal­len­den Ecken ist dem un­gleich in­spi­rier­te­ren Tell­kamp sei­ner­zeit ent­ge­gen ge­schla­gen!)

    Dass die Tan­te FAZ aber Miss­lie­big­kei­ten der­art un­sou­ve­rän aus­sperrt … ist an all dem viel­leicht noch das stärk­ste Stück.

  5. Ko­misch, die­sen Car­ver-Ver­gleich fand ich im­mer über­höht und ganz si­cher ei­ne un­pas­sen­de Be­weih­räu­che­rung der Kri­tik.

    Li­te­ra­risch wa­ren die Er­zäh­lun­gen ja im­mer ein biss­chen arg ge­kün­stelt. Man merk­te ih­nen ge­le­gent­lich über­deut­lich den Form­wil­len an. Her­mann traf aber da­mals ei­nen Ton, den es so in der Pro­gramm­ver­lags­li­te­ra­tur nicht gab. Das hat­te ins­be­son­de­re für al­te Män­ner ei­nen be­son­de­ren Reiz.

    Was man Her­mann dann »vor­wer­fen« könn­te: Sie hat sich nicht wei­ter ent­wickelt und die »Ma­sche« wei­ter­ge­spielt. Für mich war das dann fast nur noch ge­ho­be­ne Un­ter­hal­tungs­li­te­ra­tur, manch­mal ein biss­chen ge­quält auf La­ko­nie zie­lend, ei­ne Cool­ness, die aus­ge­stellt wirk­te. Wie üb­ri­gens auch ih­re Dar­stel­lun­gen in In­ter­views, aber auch das muss man als Re­zen­sent nicht ge­gen sie ver­wen­den.

    Ich möch­te ei­ne küh­ne Pro­gno­se wa­gen: In vier oder sechs Jah­ren legt Ju­dith Her­mann ein neu­es Buch vor. Es wird ge­fei­ert wer­den, sie wird end­gül­tig in den Olymp der Schrift­stel­le­rin­nen über­führt wer­den und ein klei­nes biss­chen ist das dann auch ei­ne Wie­der­gut­ma­chung an ihr. Das al­les ist ein Macht­spiel. Der Döpf­ner-Spruch vom Fahr­stuhl nach oben und dann nach un­ten ist ja nicht an ei­nen Ver­lag ge­bun­den, er gilt uni­ver­sell für die­se gan­ze ver­kom­me­ne Misch­po­ke.

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  7. Be­triebs­macken...
    Klar er­kenn­bar: ein Ver­riss, dem kein Er­eig­nis vor­aus­geht, ist ei­ne »pa­ra­do­xe« Re­ak­ti­on. Für die FAZ, der Nor­mal­fall. Ei­ne Er­war­tung, die ent­täuscht wor­den, ei­ne über­schweng­li­che Wür­di­gung, der zu wi­der­spre­chen wä­re, gab es nicht.
    Wir nä­hern uns ein­mal mehr der Gren­ze des ab­sur­den Thea­ters, wel­che die Ab­we­sen­heit von po­si­ti­ven Wer­ten und un­an­tast­ba­ren Be­stän­den vor­aus­setzt. Re­zen­sie­ren, da­mit es wei­ter geht. Re­zen­sie­ren, auch wenn es ab­surd ist. Re­zen­sie­ren, da­mit die Ab­we­sen­heit von ho­her Li­te­ra­tur in der Ne­ga­ti­vi­tät der Po­se kon­ser­viert bleibt.
    Re­cen­seo quia ab­sur­dum est.

  8. die kal­te So­phie
    Ab­sur­des Thea­ter – ein sehr gu­ter Ver­gleich. Und nun?

    Neu­lich schö­nes Goe­the-Zi­tat ge­fun­den (von 1830). er schreibt an Carl Fried­rich Zel­ter:

    Seit den sechs Wo­chen, daß ich die sämt­li­chen fran­zö­si­schen und deut­schen Zei­tun­gen un­ter ih­rem Kreuz­band lie­gen las­se, ist es un­säg­lich was ich für Zeit ge­wann und was ich al­les weg­schaff­te.

    Das »Kreuz­band« heu­te: der Link, der Book­mark, das Un­ge­le­se­ne, dass dann bes­ser un­ge­le­sen bleibt? Man den­ke sich die Zeit­er­spar­nis...

  9. Der gu­te al­te J.W.G.
    In der Tat, ei­ne selt­sa­me Her­aus­for­de­rung: Ak­ti­vi­tät und Ver­zicht zu­gleich pla­nen. Die Öko­no­mie des Selbst noch mehr straf­fen... S’k­lingt falsch, null dia­lek­tisch, aber es stimmt: nach der kur­zen Epo­che ma­xi­ma­len En­ga­ge­ments auf meh­re­ren Hoch­zei­ten kommt schon das Neue: ma­xi­ma­le Klug­heit, ef­fi­zi­en­te Be­tei­li­gung. Ge­ne­ra­li­sier­te Re­geln für den »Öf­fent­li­chen Dis­kurs« sind wohl nicht drinn. Künst­le­ri­sche bzw. wis­sen­schaft­li­che Ar­beit und (Kultur-)Politik sind hef­tig zu­sam­men ge­sto­ßen. Sie kon­kur­rie­ren. Nach in­nen und au­ßen.
    Man kann sich der Il­lu­si­on hin­ge­ben, bei­des zu­gleich und in Tat­ein­heit er­le­di­gen zu kön­nen. Dann soll man Jour­na­lis­mus trei­ben. Oder kri­tisch kom­men­tie­ren. Ich bin den­noch si­cher: das ist nicht die be­ste Lö­sung. Es ist die ein­fach­ste...

  10. Un­ab­hän­gig von der (ggf. man­geln­den) Qua­li­tät des Her­mann­schen Ro­mans, spie­gelt sol­che Kri­tik, wie Re­ents sie be­treibt, die rein sub­jek­ti­ve Wer­tung wi­der, oh­ne den Ge­halt ei­nes Tex­tes zu er­fas­sen – dar­in gleicht sie der Li­te­ra­tur­be­spre­chung vie­ler Literaturblogger/innen. Die­se Art von Kri­tik in­ter­es­siert sich nicht da­für, was sich in ei­nem li­te­ra­ri­schen Text auf for­ma­ler und in­halt­li­cher Ebe­ne ab­spielt: sei­ne Struk­tur, sein Ge­macht­sein, die Aspek­te, wo ein Text aus bin­nen­äs­the­ti­schen und sprach­li­chen Grün­den und aus sei­ner Kon­struk­ti­on her­aus schei­tert oder aber wo er gran­di­os ge­lingt, und vor al­lem der Aspekt, wo die äs­the­ti­sche Form des Tex­tes und die Wei­se des Er­zäh­lens den Bau der Li­te­ra­tur er­wei­tern, rückt aus dem Fo­kus sol­cher Kri­tik. Im Grun­de müß­te je­de Li­te­ra­tur­kri­tik den Be­zug zu an­de­ren Tex­ten der Li­te­ra­tur her­stel­len, die Ver­bin­dun­gen auf­zei­gen. All dies sind je­doch Aspek­te, die die­ser Kri­tik völ­lig gleich­gül­tig sind. Da­mit be­gibt sie sich der Werk­zeu­ge ei­ner äs­the­ti­schen Li­te­ra­tur­kri­tik, die mehr sein will als ein Face­book-Li­ke mit Dau­men hoch, Dau­men run­ter. Re­ent­s’ Kri­tik an Kem­pow­ski de­mon­striert die­se Un­fä­hig­keit deut­lich. Es ist dies Schnell­schuß­feuil­le­ton, das geist­reich wie Karl Kraus sein will, aber am En­de an den klei­nen Din­gen sich ver­hed­dert und wie der Pin­scher bloß ans Bein beißt und pin­kelt. Schimp­fen, Pö­beln, Be­zich­ti­gen als sol­ches ist ja nicht per se schlecht in­mit­ten der weich­ge­spül­ten Kul­tur­wohl­fühl­welt. Aber es soll­te dann we­nig­stens in der Sa­che (zu)treffen.

    Nun muß man in ei­nem Zei­tungs­feuil­le­ton si­cher­lich nicht die Re­fle­xi­ons­fi­gur der li­te­ra­ri­schen Ro­man­tik ei­nes Schle­gels be­die­nen, der for­der­te, daß die Kunst­kri­tik sel­ber ein Kunst­werk zu sein ha­be, und ein gu­tes Feuil­le­ton ist aus gu­tem Grund kein ger­ma­ni­sti­sches Se­mi­nar. Es ar­bei­tet nicht wis­sen­schaft­lich, son­dern chan­giert (im Ide­al­fall zu­min­dest) zwi­schen Es­say und jour­na­li­sti­schem Be­richt, zwi­schen Glos­se, Kom­men­tar, Ana­ly­se und In­for­ma­ti­on. Aber es soll­te in der Li­te­ra­tur­kri­tik den­noch ein Min­dest­maß an Stil­wil­len ge­ben; die äs­the­ti­sche Form gilt eben­so für die Li­te­ra­tur­kri­ti­ke­rin, den Li­te­ra­tur­kri­ti­ker. Die Kri­tik soll­te von be­stimm­ten For­men des Wis­sens um Li­te­ra­tur ge­tra­gen sein und nicht hin­ter den Stand der Re­fle­xi­on zu­rück­fal­len.

    Auch wenn Re­ents’ Kri­tik dra­stisch aus­fällt und teils per­sön­lich zu­schlägt, un­ter­schei­det sie sich im un­ter­kom­ple­xen Sub­jek­ti­vis­mus nicht von der an­de­rer Li­te­ra­tur­kri­ti­ker. Wer je ei­ne Kri­tik der lar­moy­an­ten Iris Ra­disch oder von dem un­säg­li­chen Kri­ti­ker mit der Kri­ti­ker­bril­le (Ge­org Dietz) las, der weiß auf wel­chem Ni­veau die Li­te­ra­tur­kri­tik an­ge­lang­te. Sie ist für die schnel­le Lek­tü­re und stei­le The­sen ge­macht und es geht um rein per­sön­li­che Be­wer­tun­gen. Nach quan­ti­ta­ti­ven Ge­sichts­punk­ten: Ei­nen Stern, fünf Ster­ne?

    Im­mer­hin: Re­ents geht ins De­tail und lie­fert nicht bloß, wie das in vie­len Kri­ti­ken üb­lich ist, In­halts­an­ga­ben und Klap­pen­tex­te zu Bü­chern. Es scheint mir durch­aus an­ge­mes­sen, ei­nen Blick auf den Stil und den Ton ei­nes Tex­tes zu wer­fen. Die Fra­ge ist al­ler­dings, in wel­cher Wei­se das ge­schieht. Man­golds Ver­riß in der „Zeit“ et­wa scheint mir nach­voll­zieh­bar, wenn ich an Her­manns Er­zäh­lungs­bän­de den­ke.

    Lä­cher­lich von der FAZ ist es, Ih­ren Kom­men­tar nicht frei­zu­schal­ten. Wer die­se doch sehr höf­li­che Kri­tik nicht aus­hält, soll­te sei­ne Bu­de dicht ma­chen und an­de­re ran­las­sen, die es bes­ser und vor al­lem sou­ve­rä­ner kön­nen. Rich­tig auch: un­an­ge­mes­se­ne For­mu­lie­run­gen, schie­fe Me­ta­phern oder ba­na­le Bil­der las­sen sich in vie­len li­te­ra­ri­schen Tex­ten fin­den. Nur we­ni­ge Tex­te sind da­von frei.

    Ju­dith Her­manns Tex­te sind ei­ne Sa­che für sich und wä­ren ei­nen ei­ge­nen Bei­trag wert. Ich ha­be ih­re er­sten bei­den Er­zäh­lungs­bän­de ge­le­sen, da­nach hör­te ich ent­nervt auf, weil sich Fi­gu­ren, Ge­schich­ten, Kon­stel­la­tio­nen und das Ver­hauch­te bis ins Un­er­meß­li­che wie­der­hol­ten. Li­te­ra­tur als Jar­gon. Was von Ju­dith Her­mann hän­gen­blei­ben wird: Die Pho­to­gra­phie, die Isol­de Ohl­baum schoß, die die­se Art von Text noch ein­mal pho­to­gra­phisch als tref­fen­des Bild brach­te. Das trug da­zu bei, ei­ne ge­nia­le Mar­ke­ting­kam­pa­gne um ei­ne Schrift­stel­le­rin ins Le­ben zu ru­fen. Und et­was spä­ter dann – es kam für die Ver­la­ge wie ge­ru­fen: Feuil­le­ton und Ver­lags­welt zo­gen an ei­nem Strang – prä­sen­tier­te man den Le­se­rin­nen und Le­sern das deut­sche (li­te­ra­ri­sche) Fräu­lein­wun­der samt Ber­lin-Hype. Dort hin­ein paß­ten auch die Er­zäh­lun­gen von Her­mann. Was von ihr dem­nächst kommt, ver­mag keine/r zu sa­gen. In­so­fern sind Pro­gno­sen des Schei­terns, die sich aufs gan­ze und ins­be­son­de­re aufs Kom­men­de be­zie­hen, schlich­ter Un­fug.

  11. Just for in­fo: Ha­be ge­ra­de die be­stür­zend dum­me Re­de von Rush­die zur Ver­lei­hung des An­der­sen-Prei­ses ge­le­sen. Schon ei­ne Wo­che her. Da­ge­gen ist der Ego­tripp von Re­ents noch harm­los, was Se­kun­där­schä­den an­be­langt.
    Ich fra­ge mich, wann end­lich wie­der auf Schrift­stel­ler ge­schos­sen wird...

  12. Ehr­lich ge­sagt ist der Satz

    ‘Ju­dith Her­manns Stil gilt ja als „kunst­voll“. Er ist es in­so­fern, als es ihm ge­lingt, trotz star­ker, freund­lich for­mu­liert: Re­duk­ti­on be­acht­li­che Red­un­danz zu er­zie­len.’

    kein ‘Murks’ und sehr leicht zu ver­ste­hen. Ih­re Um­stel­lun­gen hin­ge­gen ge­ben den Sinn des Sat­zes falsch wie­der.

    Ver­su­chen wir es ein­mal rich­tig:

    Ihr Stil ist in­so­fern ‘kunst­voll’, als es ihm ge­lingt, trotz star­ker Re­duk­ti­on be­acht­li­che Red­un­danz zu er­zie­len. Da­bei ist die Be­zeich­nung ‘Re­duk­ti­on’ noch freund­lich for­mu­liert.

    Es schient mir völ­lig klar, dass Re­ents’ ei­ge­ne re­du­zier­te For­mu­lie­rung par­odi­stisch ge­meint ist! Den Satz

    ‘Für ei­ne Sti­li­stin ver­steht es sich von selbst, Ver­ben weg­zu­las­sen, so gut wie je­de Aus­sa­ge in wört­li­cher Re­de min­de­stens ein­mal zu wie­der­ho­len, auf die üb­li­chen Satz­zei­chen, vor al­lem Fra­ge­zei­chen, zu ver­zich­ten.’

    kann man na­tür­lich auch nur dann ver­ste­hen, wenn ei­nem bei der Mei­ose nicht das Iro­nie­gen ab­han­den ge­kom­men ist.

  13. Iro­nie­gen? Mit wel­chem Blöd­sinn ver­su­chen Sie Re­ents Kunst­ge­stol­pe­re zu adeln? Aus­ge­rech­net der­je­ni­ge, der sich in den ver­meint­li­chen Nich­tig­kei­ten des Ro­mans suhlt (Re­ents) ver­hed­dert sich in ei­nem pseu­doi­ro­ni­schen Ge­stus. Das hat so­viel mit Iro­nie zu tun, wie die DDR de­mo­kra­tisch war. Eher Ona­nie als Iro­nie.

  14. Iro­nie, Sar­kas­mus oder Her­ab­las­sung... Das ist doch völ­lig egal. Wir kön­nen nicht die gan­ze Spät­mo­der­ne, sprich Po­li­tik, Kunst, Le­ben, nur im Stil der Un­ei­gent­lich­keit ver­han­deln. Das ist ei­ne Fra­ge der Mo­ral, al­so von Rich­tig und Falsch. Iro­nie, Sarkasmus,etc. sind Stil­mit­tel, Zu­ta­ten. Aber längst sind Sie zum Nähr­mit­tel, zum gei­sti­gen Koh­le­hy­dra­tum auf­ge­wer­tet wor­den. Sehr bür­ger­lich, sehr selbst­ver­liebt, und da­bei letzt­lich dumm. Es fehlt die Sub­stanz. Der Teig ist ein Salz­teig. Un­ge­nieß­bar! Auf die Mi­schung kommt es an.

  15. An wel­cher Stel­le soll »che­mi­sche Un­mög­lich­keit« – (sic!) -, falsch ge­schrie­ben sein?