Der Germanist Alan Keele stellte neulich fest: Walter Kempowski hatte aus persönlichen Gründen in den Jahren 1947/48 Kontakt mit dem amerkanischen Geheimdienst CIC. (s. auch »Enthüllungsgeil«) Keele betonte, dass dies keine sensationelle Enthüllung sei, sondern nichts mehr als eine Fußnote, wenn auch eine interessante. Der F.A.Z.-Redakteur Edo Reents machte daraus eine Sensation mit dem effekthascherischen Titel »Walter Kempowski war doch ein Spion«.
Zunächst hatte die F.A.Z. das Interview mit Keele, welches Reents’ »Sensation« schon relativierte, ins Bezahl-Archiv verbracht. Reents legte einige Tage später in einem Artikel nach und suggerierte immer noch eine »spektakuläre« Enthüllung.
Der Germanist Dirk Hempel verfasste daraufhin einen geharnischten Widerspruch, der ebenfalls in der F.A.Z. und faz.net publiziert wurde. Keele fühlte sich in diesem Artikel nicht nur missverstanden sondern offensichtlich auch verunglimpft und verfasste nun seinerseits eine Widerrede, in der er die Lage mit Belegen zurechtrückte.
Diese Gegenrede, die auch einige Details von Kempowskis Tätigkeit beleuchtet, wurde von der F.A.Z. nicht mehr als eigenständiger Artikel veröffentlicht, sondern als (gekürzter) Leserbrief. Damit steht er (ausser den Abonnenten der F.A.Z.) im Netz nicht kostenlos zur Verfügung. (O‑Ton Keele: »I just paid two euros and read it. it’s shorter but ok.«)
Dies soll alleine schon aus Gründen der sauberen Dokumentation nachgeholt werden. Hier also nun Alan Keeles Stellungnahme (von ihm autorisiert).
von Alan Keele, Provo (UTAH), USA
Ich bin ehrlich gesagt, sehr überrascht, dass Professor Dirk Hempel mich in der F.A.Z. so heftig angreift, ohne meinen Vortrag in Rostock gehört zu haben (wo keine der anwesenden Germanisten daran den geringsten Anstoß zu nehmen schienen) und anscheinend ohne das Geringste von der Fülle der CIC-Akten zu wissen, um die es sich in der Sache Walter Kempowski handelt. Jeder hat natürlich das Recht auf seine eigene Meinung, aber kein Recht, seine eigenen Tatsachen frei zu erfinden. Herr Hempel hat in seiner Tirade gegen mich so viele empirisch widerlegbare faktische Fehler begangen, dass eine komplette Aufzählung dieser Fehler mir fast wie eine Art Beihilfe zu Rufmord vorkäme. Hätte mich doch Herr Kollege Hempel mindestens vorher kontaktiert und sich und mir das alles erspart! Aber wir wollen den eigentlichen Tatsachen in der Reihenfolge nachgehen, wie sie in Professor Hempels Artikel meist in der Form von Unwahrheiten vorkommen.
Die köstlichste Ironie fällt gleich am Anfang. Der von mir in Gang gesetzte Mechanismus »erinnere [wen wohl?] an die Plagiatsaffäre aus dem Jahr 1990, als der ‘Stern’ Kempowski als Abschreiber denunzierte«. Obwohl von den großen Zeitungen des Landes entkräftet [stiller Vorwurf an die FAZ von heute?]: »Hängen blieb doch etwas«. Ohne zu begründen, wie mein Vortrag mit dem Plagiatsvorwurf im Geringsten zu vergleichen sei, hat hier Professor Hempel genau die Schlammschlachttaktik angewandt, die er verwerfen will: Die Frage nach der Spionagetätigkeit von Walter Kempowski soll gleich am Anfang seines Artikels mit dem damaligen Plagiatsvorwurf verglichen werden, damit etwas doch hängen bleibt, und zwar bei mir.
Tut mir leid, Herr Hempel, der Vergleich hinkt nicht nur, er geht gar nicht. Erstens war mein Vortrag überhaupt kein Vorwurf an Walter Kempowski, der bis zuletzt mein guter Freund war. Zweitens steht in den Akten des CIC tatsächlich Informationen, die nicht geschummelt ist, sondern die ein wenig mehr Licht auf das künstlerische Schaffen von diesem großen Schriftsteller werfen. Es ist nicht aus der Luft gegriffen und ist auch gar nichts Negatives für Kempowski darin, im Gegenteil. Außerdem kannte Walter Kempowski seit mehreren Jahrzehnten den Inhalt der CIC-Akten – ich hatte ihm damals einen Ausschnitt daraus geschickt – und war es allem Anschein nach wohl zufrieden; er hat sie nie als etwas Alarmierendes empfunden. Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum ausgerechnet Professor Hempel nun so alarmiert um den Ruf Walter Kempowskis ist. Das ihn das Wort Spion so kränkt!
Aber jetzt wenden wir uns diesen Akten zu, von welchen es bei Hempel heißt, sie würden von mir nun als »Sensation präsentiert«. Genau das Gegenteil ist wahr. Ich habe immer behauptet, dies sei alles höchstens einer Fußnote wert, allerdings einer sehr interessanten. Hempel mahnt obendrein genaues Lesen und eine richtige Wiedergabe ihres Inhalts an, als hätte ich sie nicht genau gelesen und dabei irgendwie geschummelt. Dann behauptet er sogar, es handele sich gar nicht um Akten im eigentlichen Sinne, sondern um »ein schmales Memorandum, das zwei Schreibmaschinenseiten umfasst«. Ich sitze jetzt an meinem Schreibtisch und messe mit meinem DAAD-Lineal den Stoss nach, den ich mir damals aus Maryland habe zukommen lassen (und die seit letzter Woche auch in den Archiven in Rostock und Berlin residieren). Es sind 2,5 cm. Meine Sekretärin hat freundlicherweise mal schnell nachgezählt – es sind genau 195 Seiten. Es gibt darunter natürlich Ballast, aber zwei Seiten? Ein Memorandum? Es gibt eine ganze Menge Memoranda, jedes interessanter als das andere, woraus klar hervorgeht, dass Walter Kempowski über den Zeitraum von DREI Monaten, Dezember, Januar und Februar [’47-’48] zum CIC ging. (Wie kommen Sie wohl auf ZWEI Monate, Herr Hempel?) In den Romanen heißt es, Kempowski wäre nur einmal, im Dezember, dort gewesen.
Da erteilt mir der Kollege aus Hamburg einen Nachhilfeunterricht, wohl weil wir Amerikaner, auch wenn sie Germanisten sind, anscheinend sehr, sehr dumm sind? »Muss man ihn [Keele]« fragt Professor Hempel herablassend, »wirklich an den Unterschied zwischen Autor, Erzählerinstanz und literarischer Figur erinnern?« Er holt dann das Kempowskiwort, das der Deutschen Chronik vorausgeht, »Alles frei erfunden!« an den Haaren herbei. (Kann man das Vorwort wirklich so ohne alle Ironie lesen, Herr Hempel?) Ich bin doch selber eine Romanfigur von Walter Kempowski (nämlich Prof. Flower in »Letzte Grüsse«), habe also ein kleines bisschen Gefühl für den Unterschied zwischen Romanfigur und historischer Person. Außerdem handelt es sich bei der Deutschen Chronik um die Gattung »Faction« (Fakt + Fiktion) denn eben das hat mich nämlich Anfangs gereizt, feststellen zu wollen, wo die Grenzen so zwischen Dichtung und Wahrheit hier liegen und dafür Akten heranzuziehen, von denen Kempowski selber beim Schreiben der Romane nicht wusste, dass sie existierten. Es ist z. B. interessant festzustellen, dass Walter Kempowski nicht wie in den Romanen behauptet schon Frachtbriefe im Koffer hatte, sondern nach mehreren Besuchen bei dem CIC über einen Zeitraum von drei Monaten dann bereit war wieder nach Rostock zu reisen, um sich welche zu besorgen.
Hier wird’s eigentlich interessant, denn die Hauptfrage ist am Ende die, ob Kempowski tatsächlich für das CIC auf Spionagemission aus war. Herr Hempel scheint sich auf ein einziges angeblich zweiseitenlanges Memorandum zu beziehen (und das er wohl von Kempowski selbst hatte, denn ich hatte Walter ja damals ein paar zugeschickt), in dem es in der Tat heißt, Kempowski fahre nicht im Auftrage des CIC wieder nach Rostock. Aber wer mich auf dem Symposium in Rostock aus diesem Memorandum zitieren hörte, wird wie ich der Meinung sein – ich habe mich da in der eigenen Rede unterbrochen und die Zuschauer gleich gefragt, was sie dazu meinen; alle schienen mir zuzustimmen – dass es sich in diesem einen Memorandum um ein erlogenes Dementi handelt, das erst nach der Verhaftung der Kempowskis in Rostock geschrieben wurde, meines Erachtens in der ehrwürdigen amerikanischen Militärtradition von »cover your ass«, denn (mit Shakespeare zu reden) »me thinks he doth protest too much«, nämlich der Autor des Memorandums, ein gewisser Fritz Weinschenk, der dieses Memorandum genau so schreibt, als stünden Leute von seinem Legal Department an seinem Ellbogen. Der Sinn liegt in der Versteigerung aller Dementis.
Da muss man sich einfach selber davon überzeugen, dass dieses Memorandum im Nachhinein geschrieben wurde, um das CIC vor seiner Verantwortung der verhafteten Kempowskis gegenüber zu beschützen. (Außerdem sprechen die anderen Indizien alle dagegen, dass Kempowskis Arbeit für das CIC laut Hempel »wertlos« war: der Job im »Schlaraffenland« PX-Commissary, Unterkunft im Hotel Prinz Nickolaus in Wiesbaden, der Besuch des CIC-Mannes in Rostock – siehe unten – , Kempowskis mir gegenüber erwähnten Sorge, diese Akten könnten seinem Bruder schaden, die heftige Warnung Seitens seines Freundes (und vermutlich Doppelagenten Fritz Lejeune/Hans Siegfried) ja nicht nach Rostock zu fahren, und dass dieser selber im letzten Augenblick auf die Fahrt verzichtete – das konspirative Treffen mit Lerche/Merk auf dem Hopfenmarkt – »Hast DU schon was?« usw.) Aber hier anbei die betreffende Stelle aus dem letzten Weinschenk-Memorandum:
»Kempowski offered to obtain general information in Rostock, which he intended to re-visit. He was told that any effort he made to collect information in the Soviet zone would be done on his own initiative and that he would not be considered as on assignment from this office nor connected with this organization in any way. Subject departed with this understanding and left Wiesbaden about 25 February, 1948«.
Hempel behauptet weiter, aus den Akten gehe nicht hervor, ob Kempowski schon bei seinem ersten Besuch dem CIC Frachtpapiere übergab. Doch, doch, Herr Hempel, es geht ganz klar daraus hervor, dass er keine Frachtbriefe hatte (anders als in den Romanen behauptet wurde). Das hat Kempowski mir nachher sogar in einem Brief konstatiert: »Ich hatte keine Frachtbriefe; ich wollte sie verschaffen.« Dazu schreibt Hempel sehr blauäugig: wenn es keine Frachtbriefe gegeben hätte, »Kempowski hätte also buchstäblich gar nichts getan, dem Geheimdienst wirklich nichts geliefert ... Und als Ergebnis bliebe nicht mehr Spionage, sondern im Gegenteil noch weniger.« Hier muss man etwas raffinierter darüber nachdenken, als Hempel das tut: Wenn Walter so mir nichts dir nichts einige Frachtbriefe gegen einen Job ausgetauscht hätte, wie es in den Romanen steht, dann passt das Wort Spion vielleicht doch nicht zu ihm. Wenn er aber nochmals nach Rostock fährt und sich sofort konspirativ mit dem Merk/Lerche auf dem Hopfenmarkt trifft und seinen Codenamen (Pro-Re III) erhält (»Hast DU schon was?«), dann sieht das anders aus.
Und was sagt Herr Hempel von dem Besuch in Rostock nach der Verhaftung von Robert und Walter (bei der noch nicht inhaftierten Mutter) von dem CIC-Mann Katzberger/Okey im Trenchcoat (Kempowski schrieb mir auch in einem Brief, dass dieser Mann tatsächlich in der Kempowskiwohnung erschien und Okey bzw. Oky hiess) der nach Walter schauen wollte, weil er in Rostock Frachtbriefe verschaffen wollte und man da in Wiesbaden nichts mehr von ihm höre? Oder was es bedeutet, wenn Walter schreibt: »Im Morgengrauen holten sie mich aus dem Bett. Zwei trugen Lederjacken. Da hast du was zu melden, wenn du wieder rüberkommst, dachte ich.« (Wem wohl melden, wenn nicht dem CIC?) (Ich rede hier ja erst gar nicht von den Verdachtsgründen der Russen, z.B. von dem Dolmetscher, welcher bei der Verhaftung den von Walter gerade angefangenen Brief in der Schreibmaschine sah – » ‘Lieber Fritz!’ stand da darauf« und sofort sagte: »Aha! Fritz Lejeune in Wiesbaden. Der wusste ganz genau Bescheid.«)
Hempel fragt, warum Kempowski im Romanwerk überhaupt Änderungen von der eigentlichen Wahrheit vornehmen würde und wirft eine sehr frivole Antwort in die Luft: »Wollte er seinen Romanhelden etwas heroischer erscheinen lassen und so einen Grund für die darauf folgende Haft im Zuchthaus Bautzen liefern?« Die Frage – warum schreibt er das anders? – ist für mich auch äußert interessant und einer raffinierteren Antwort würdig. Ich habe zwei Antworten darauf: zum einen wollte Walter beim Romanschreiben seinen Bruder Robert vor weiteren Unannehmlichkeiten beschützen, denn Robert hatte damals nach seiner Entlassung auf die Frage, ob er je zu einem westlichen Geheimdienst Kontakt hatte »Nein« geschrieben und bekam aus Bonn jede Menge Reparationsgeld. Walter hatte dagegen genau acht Monate früher auf demselben Formular auf Seite 23 unten links naiv »Ja« geantwortet, was ihn viel Geld kostete. Aus eben diesem Grund hatte mich Walter schon 1981 gebeten, auf eine Veröffentlichung dieser CIC Sachen in Deutschland bis nach seinem Tod zu verzichten. (Aber ich bitte dabei zu bedenken, was Walter mit seiner Bitte an mich auch vielleicht ungewollt und unausgesprochen zum Ausdruck brachte: Wenn da tatsächlich kein Kontakt gewesen war, besonders Seitens des Bruders, mit dem CIC, wozu seine Sorge, der Bruder käme vielleicht in Schwierigkeiten? Wenn das »Nein« keine Notlüge war, wozu die große Sorgfalt?)
Meine zweite Antwort auf die Frage »Warum?« ist literarischer Natur und ginge hier wohl viel zu weit. Ich glaube aber, kurz ausgedrückt, die Kempowskis sollen in der Chronik eine Art Jedefamilie, Walter eine Art Jedermann werden. Was ihnen in den Romanen passiert ist, hätte damals praktisch jeder deutschen Familie passieren können, das zeigen die Romane. Aber nicht jeder ging dann mehrmals zum CIC und kehrte wieder aus Wiesbaden nach Rostock zurück und wollte Frachtbriefe beschaffen. Das ist schon Spionage, mindestens Vorbereitung zur Spionage, tut mir leid, ich kenne kein besseres Wort dafür, aber es ist ja auch beileibe kein Vorwurf an Walter Kempowski, geschweige denn eine Verdammung.
Klar feststellen möchte ich zuletzt: ich glaube nicht, dass Kempowski seine Haftzeit verdient hätte, um Gotteswillen, Herr Hempel, wie kommen Sie darauf, mir solchen Blödsinn unterbinden zu wollen: »Mit Recht zu fünfundzwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt?« Hempels Geistesausscheidungen nach hätte ich nichts weniger als »die brutale Willkürjustiz eines totalitären Besatzerregimes nachträglich legitimiert.« Wie kommen Sie auf sowas? Die CIC-Akten legen lediglich dar, dass Walter mit dem CIC zu tun hatte, was auch in den Romanen steht, allerdings in leicht geänderter Form. Ich kenne leider kein anderes Wort dafür als Spionage. Hätte ich Opportunist mit Spionageauftrag schreiben sollen? Wo soll die Semantik aufhören? Er war, wie ich in dem Interview ausdrücklich sagte, kein James Bond, hatte keinen Aston Martin, nicht einmal einen Trenchcoat. Hempel schreibt, Kempowski habe nie auf der Gehaltsliste des CIC gestanden. Kann sein. (Woher will das aber Hempel so genau wissen?) Also war er kein bezahlter Spion? Was macht man aber in dieser Hinsicht aus dem Commissary-Job? War das, besonders damals in der Saueregurkenzeit, keine Bezahlung?
Zum Schluss muss ich mich fragen, wie mein lieber Freund Walter Kempowski selber zu alledem äußern würde, wenn er noch lebte. (Frau Hildegard Kempowski hatte neulich jedenfalls nichts Alarmierendes geäußert, als wir zweimal zusammen in Rostock den schönen Spargelgerichten zusetzten und sogar nach dem letzten Essen mit mir und zwei Kollegen Carla Damiano und Daniel Gilfillan nach Warnemünde zum Spazieren mit dem lieben Hund Lilly gefahren sind.) Ich glaube, Walter würde zuerst einmal verschmitzt lächeln, denn so ein Wirbelsturm kann ja seinem Ruf wie auch wohl dem Umsatz seiner Bücher kaum schaden. Außerdem wäre er heilfroh, wie ich ihn kannte, dass sich ENDLICH die Germanisten mit ihm befassen, auch wenn es sich diesmal um einen Wirbelsturm in der Teetasse handelt. Wie isses nun bloß möglich!
Ähnliches hat Alan Keele übrigens – auch als Leserbrief – an den »Spiegel« geschrieben.
bravo keuschnig!
mir faellt dazu ein, dass die lieben CIC/ OSS Leute die den blut-jungen K. da in 1947/8 angeheuert haben ihnen Frachtbriefe ueber Sovietische Ostseeschifferei zu zuschleusen ihren Obrikeiten in Washington oder wo immer damit beweisen wollten wie fleissig sie an der Arbeit waren – damit sie selber noch schoen laenger in Wiesbaden ein Villaschlaraffenlandleben fuehren konnten, mit Maedchen, Zigaretten Tausch, PX Reichtum. Man solle doch mal einen Roman wie Heller’s Catch-22 auch mal wieder lesen.