Astrid Her­bold: Das gro­ße Rau­schen

Astrid Herbold: Das große Rauschen

Astrid Her­bold: Das gro­ße Rau­schen


Es geht ums ganz Gro­ße: »Die Le­bens­lü­gen der di­gi­ta­len Ge­sell­schaft« will Astrid Her­bold »bis­sig im Ton und scharf an der Ana­ly­se« (Klap­pen­text) ent­lar­ven. Rasch wird noch das At­tri­but »schlag­fer­tig« hin­zu­ge­fügt und die ein­zel­nen My­then, die de­kon­stru­iert wer­den sol­len, auf­ge­führt. Wo­bei man ir­gend­wann fragt, ob die Au­torin nur die My­then zer­stört, die sie sel­ber ge­schaf­fen hat. Aber ge­mach.

Nun sind (oder wa­ren?) die Ver­hei­ssun­gen des »glo­ba­len Dorfs«, des mo­bi­len Zeit­ge­nos­sen und der so ein­fa­chen Hand­hab­bar­keit des vir­tu­el­len Wis­sens ja durch­aus enorm. Tech­nik­af­fi­ne Ent­wick­ler ver­spre­chen uns à la longue im­mer noch das schö­ne, gu­te, ein­fa­che – das bes­se­re Le­ben. Aber so man­ches Ver­spre­chen hat sich schon als ve­ri­ta­ble Luft­bla­se ent­puppt. Man glaubt ja längst nicht mehr an das ein­zig weiß­ma­chen­de Wasch­mit­tel. So kön­nen, ja müs­sen, die Ent­wick­lun­gen der ver­än­der­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­wohn­hei­ten bei­spiels­wei­se in Un­ter­neh­men durch­aus be­fragt wer­den. Und ob es dau­er­haft er­stre­bens­wert ist an fast je­dem öf­fent­li­chen Ort die in­ti­men Ge­sprä­che an­de­rer un­frei­wil­lig mit zu hö­ren, ist ei­ne durch­aus dis­ku­ta­ble Fra­ge.

Aber mit sol­chen Klei­nig­kei­ten be­schäf­tigt sich die Au­torin von »Das gro­ße Rau­schen« erst gar nicht. Das Buch ist ein Rund­um­schlag wi­der das, was nur ent­fernt mit »neu­en Me­di­en« in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den kann. Da­bei ist nicht das chir­ur­gi­sche Skal­pell das Ar­beits­ge­rät von Astrid Her­bold son­dern der Holz­ham­mer.

Von Wi­ki­pe­dia nach you­porn

Da wer­den die di­gi­ta­len Bild­spei­cher der Ur­laubs- und Ge­le­gen­heits­fo­to­gra­fien mit der glei­chen Ver­ve ka­ri­kiert wie fa­mi­liä­re Han­dy­kom­mu­ni­ka­ti­on. Die Re­ak­ti­vie­rung des mit­tel­al­ter­li­chen Pran­gers durch mob­ben­de Netzgemeinschaft[en] in omi­nö­sen On­line­fo­ren oder dif­fu­sen Netz­wer­ken wird her­auf­be­schwo­ren und der kul­tu­rel­le So­zia­lis­mus ei­ner gra­tis­af­fi­nen Com­mu­ni­ty, die auf Ur­he­ber­rech­te scheißt ist na­tür­lich auch ver­werf­lich. Auch die Schwarm­in­tel­li­genz be­kommt ihr Fett weg. Nach­dem die­se zu­nächst von Wi­ki­pe­dia nach »you­porn« ab­ge­wan­dert sein soll, er­fährt man sieb­zig Sei­ten spä­ter, dass die Ent­wick­ler der ul­ti­ma­ti­ven, zwar un­les­ba­ren, weil mit un­zäh­li­gen Quer­ver­wei­sen ge­spick­ten, aber per­fek­ten Hy­per­tex­te auf die selbst­er­nann­ten ‘Ex­per­ten’ gar kei­ne Lust mehr ha­ben und ih­re gro­ße Book-Sha­ring-Vi­si­on ganz ger­ne oh­ne Wi­ki­pe­dia­ner et. al. ver­rich­ten möch­ten.

Le­sen war ge­stern, so die Au­torin, die da­bei non­cha­lant die seit Jah­ren stei­gen­den Ver­kaufs­zah­len von Bü­chern igno­riert (okay, sie kon­sta­tiert – na­tür­lich se­xu­al­psy­cho­lo­gisch un­ter­füt­tert -, dass der deut­sche Bil­dungs­bür­ger das Buch ei­gent­lich nur als Tro­phäe braucht) und den Kul­tur­kampf Down­loads ge­gen Le­sen aus­ruft. Dass die­se Down­loads dann auf den Rech­nern ein eher stief­müt­ter­li­ches Da­sein fri­sten und nur sel­ten aus­ge­druckt oder gar ge­le­sen wer­den, mag ja stim­men aber la­stet man dem Buch auch an, dass es un­ge­le­sen in der Ecke liegt?

Wie der Klas­si­ker zu sei­ner mehr oder we­ni­ger kon­ge­nia­len Ver­fil­mung ver­hal­te sich das Down­load zum Wi­ki­pe­dia-Zwan­zig­zei­ler, so ei­nes der noch ge­lun­ge­nen Bil­der in die­sem Buch. Aber hat ei­ne Li­te­ra­tur­ver­fil­mung je­mals nach­weis­bar den Ver­kauf der li­te­ra­ri­schen Vor­la­ge be­hin­dert? Na­tür­lich gibt es ei­ne Häpp­chen­kul­tur des Par­ty­schwät­zers, der mal eben die knap­pe In­halts­an­ga­be des Tau­send Sei­ten Ro­mans nach­ge­le­sen hat – aber die gab es auch durch En­zy­klo­pä­dien oder Re­zen­sio­nen in Zei­tun­gen vor­her auch schon. Das Ab­itu­ri­en­ten und Sach­buch­au­to­ren statt sich mit zeit­auf­wen­di­ger li­nea­rer Lek­tü­re zu pla­gen lie­ber Hy­po­the­sen mit Text­bau­stei­nen aus der Voll­text­su­che ver­wen­den steht für Her­bold na­tür­lich auch au­ßer Dis­kus­si­on. Aber das am En­de noch ein Le­ser sitzt, der die zu­sam­men­ge­ba­stel­ten Voll­text­fet­zen mü­he­los als das er­kennt was es ist, kommt ihr merk­wür­di­ger­wei­se nicht in den Sinn. Im wei­te­ren Ver­lauf des Bu­ches er­kennt man: Das ist Pro­gramm bei die­ser Au­torin.

Da wird selbst­re­dend auch über den In­ter­net­jour­na­lis­mus ge­schimpft – oh­ne die Kon­di­tio­nen, die in den je­wei­li­gen Re­dak­tio­nen für die ober­fläch­li­chen Be­richt­erstat­tun­gen ver­ant­wort­lich sind, auch nur mit ei­nem Wort zu er­wäh­nen. Hin­zu kommt, dass die von ihr an­ge­pran­ger­ten Drei-Wort-Kurz­ge­schich­ten beim nä­he­ren An­se­hen nicht un­be­dingt »ex­klu­siv« für die In­ter­net­kul­tur ste­hen. Hier wird be­son­ders deut­lich, dass die Au­torin vor al­lem zeit­gei­sti­ge Res­sen­ti­ments spa­zie­ren führt (das Fahr­was­ser der mo­der­nen In­ter­net­ex­or­zi­stIn­nen wie bei­spiels­wei­se Su­san­ne Gasch­ke bie­tet an­ge­neh­mes Sur­fen) und ih­re in­duk­ti­ven Schlüs­se un­ter hart­näcki­ger Ver­wei­ge­rung von sich ih­ren The­sen ent­ge­gen­ste­hen­den Fak­ten zieht.

Ein­mal goog­len = 11 Watt

Hier­zu ist ihr na­he­zu je­des rhe­to­ri­sche Mit­tel recht. Was der Ver­lag als »ful­mi­nan­te Ab­rech­nung« dar­stellt ist ei­ne al­ber­ne Mi­schung zwi­schen El­ke Hei­den­reich und dem Jar­gon ei­ner un­ab­läs­sig ze­tern­den Pu­ber­tie­ren­den (was zu zwang­haft ori­gi­nel­len For­mu­lie­run­gen führt wie Whe­re have all the Hemm­schwel­len go­ne? oder We ha­te fo­kus­sie­ren und dann tat­säch­lich auch das in­zwi­schen in die­sen Krei­sen wohl un­ver­meind­li­che nicht wirk­lich).

Mit Gran­dez­za greift Her­bold die Selbst­de­kla­rie­rung der Bran­che als »grün« an und be­merkt gar nicht, wie vie­le of­fe­ne Tü­ren sie ein­rennt. Ih­re Me­tho­de: Al­le ir­gend­wann aus­ge­spro­che­nen Heils­ver­spre­chen von mög­lich­keits­tau­meln­den (ge­le­gent­lich ins eso­te­risch ab­drif­ten­den) In­ter­net­idea­li­sten mit den Wer­be­ver­spre­chen der In­du­strie zu­sam­men­ge­mischt an­bie­ten und dann die Rea­li­tät da­mit ver­glei­chen. Als Schul­auf­satz zur Fest­stel­lung der Tricks der Wer­be­indu­strie mag dies noch an­ge­hen – als An­spruch die Le­bens­lü­gen (von wem auch im­mer) zu des­avou­ie­ren, wirkt dies arm­se­lig. Je­der Hof­narr hat­te mehr Kennt­nis vom Ge­gen­stand sei­nes Spotts.

Ein­mal den ei­ge­nen Na­men zu goog­len ver­braucht so viel En­er­gie wie ei­ne 11-Watt-En­er­gie­spar­lam­pe in ei­ner Stun­de. Die Such­ma­schi­ne kä­me da­mit – so Her­bold – aufs Jahr hochgerechnet…angeblich auf ei­nen ähn­li­chen En­er­gie­ver­brauch wie ei­ne Vier­tel­mil­li­on Pri­vat­haus­hal­te zu­sam­men. Lei­der schreibt sie nicht, wie vie­le Bäu­me und wel­che Men­gen von Che­mi­ka­li­en für die vor­lie­gen­de Schmäh­schrift her­hal­ten muss­ten. Zu Sen­kung des ex­zes­si­ven En­er­gie­ver­brauchs von Com­pu­tern kommt sie auf die Idee, die je­wei­li­gen Fest­plat­ten der PCs zu ex­ter­na­li­sie­ren, was sie dann aber wie­der ver­wirft, weil man eher un­gern sei­ne Da­ten aus­häu­sig la­gert. Aber gut, dass man mal drü­ber ge­schrie­ben hat.

So­gar der Kör­per­kult des ed­len Bio­au­to­ma­ten Mensch wird als Fol­ge des un­zu­läs­si­gen Ver­gleichs zum ed­len Tech­nik­au­to­ma­ten der pri­va­ten Di­gi­ta­li­sie­rung an­ge­la­stet und das Sport­schau­en als be­sten­falls di­gi­ta­le Glied­ma­ssen­ani­mie­rung aus­ge­macht. Das er­in­nert stark an lu­sti­ge 80er Jah­re-Film­chen, die den Fern­seh­sport­ler als ul­ti­ma­ti­ve Be­dro­hung für die Volks­ge­sund­heit aus­mach­te. Of­fen­sicht­lich hat es Her­bold ver­säumt durch Wäl­der, Stadt­parks oder Ufer­pro­me­na­den zu spa­zie­ren und auch das Stu­di­um der ste­tig stei­gen­den Mel­de­li­sten di­ver­ser Stadt­läu­fe un­ter­blieb wohl.

Ge­le­gent­lich wird die Au­torin so­gar hä­misch und ver­fällt in den glei­chen Zy­nis­mus, den sie an an­de­rer Stel­le den fröh­lich-skep­ti­schen Nach­rich­ten­freaks vor­wirft. Dass der po­ten­ti­el­le Kran­ke den ega­li­tä­ren Wis­sens­wei­ten des Net­zes mehr traut als sei­nem Arzt ist ei­ner­seits we­der aus­ge­macht (man ge­he an ei­nem Mon­tag mor­gen nur ein­mal in ei­ne be­lie­bi­ge Arzt­pra­xis) noch be­fragt Her­bold die Grün­de für den seit Jah­ren schlei­chen­den An­se­hens­ver­lust von Ärz­ten. Auf je­de Fra­ge min­de­stens drei Ant­wor­ten lau­tet ihr ver­nich­ten­des Ur­teil – über­se­hend, dass auch die Kon­sul­ta­ti­on ver­schie­de­ner Ärz­te ge­le­gent­lich zu un­ter­schied­li­chen Dia­gno­sen führt und es – tja, so hart ist das Le­ben – auch sel­ten ei­ne »ein­heit­li­che« Fach­li­te­ra­tur gibt. Lo­gisch, dass ne­ben­bei den Be­trof­fen­heits­fo­ren mit ih­ren ver­netz­ten Laienkollektiv[en] und de­ren flos­kel­haf­ten Auf­mun­te­run­gen auch noch ein Tritt mit­ge­ge­ben wird.

»Sy­ste­ma­ti­sche Ent­ka­be­lung«

Na­tür­lich er­set­zen »Selbst­hil­fe­fo­ren« kei­ne The­ra­pie. Aber wer hat das be­haup­tet? Und selbst­ver­ständ­lich gibt es Web­logs, in de­nen enorm viel Un­sinn oder auch ein­fach nur Ba­na­les steht. Aber wer nimmt die Zei­tung oder das Me­di­um Buch in Haf­tung für ih­re un­zäh­li­gen schlech­ten Pro­duk­te? War­um wird ein Blog­ger als geld­geil de­nun­ziert, weil er Wer­be­ban­ner in sei­nem Blog ein­bin­det und/oder sich frü­her oder spä­ter für ei­ne Re­zen­si­on be­zah­len lässt, ein Jour­na­list aber nicht? An­de­rer­seits be­klagt sie, dass die wirk­lich »er­folg­rei­chen« Blogs (wie misst man die­sen Er­folg?) von Jour­na­li­sten ge­schrie­ben wer­den, die dies so­zu­sa­gen in ih­rer Frei­zeit ma­chen müs­sen, weil mit dem Me­di­um »Blog« kein Geld zu ver­die­nen sei.

Es mag ja pos­sier­lich sein, die Un­bil­len der Han­dy­stö­ren­frie­de ge­nüss­lich zu be­schrei­ben (man lacht ge­le­gent­lich un­ter Ni­veau durch­aus mit). Aber wo steht ge­schrie­ben, dass ich die­sem tat­säch­lich oft ge­nug vi­ru­len­ten Mahl­strom des Schwach­sin­ni­gen schutz­los aus­ge­lie­fert bin? Gibt es kei­nen Aus­schalt­knopf beim Mo­bil­te­le­fon? Nie sind Ka­nä­le wirk­lich ge­kappt be­haup­tet Her­bold trot­zig und er­in­nert sich im Sti­le ei­nes Ve­te­ra­nen an ei­nen USA-Auf­ent­halt als Teen­ager, als das An­ru­fen noch was Be­son­de­res war.

Es gibt für sie auch kei­nen (vir­tu­el­len) Pa­pier­korb für un­nüt­ze Da­tei­en. Und ein Un­ter­neh­men kann kei­ne Richt­li­ni­en für die ge­ziel­te und ein­heit­li­che Ver­wen­dung des In­tra­net­sy­stems for­mu­lie­ren (ähn­lich wie Ver­fah­rens­an­wei­sun­gen für an­de­re Be­rei­che)? Wo steht ge­schrie­ben, dass das Goog­le-Ran­king in ir­gend­ei­ner Form et­was über die Qua­li­tät des je­wei­li­gen Fund­stücks aus­sagt? War­um nicht die Ober­fläch­lich­keit ei­ni­ger Me­di­en­er­zeug­nis­se als Chan­ce be­trach­ten ge­gen den Strom des Tri­via­len so et­was wie Ni­veau als Ge­gen­an­ge­bot zu of­fe­rie­ren? Un­flä­ti­ge Kom­men­ta­ren in On­line­fo­ren – kön­nen die nicht ge­löscht wer­den?

Wie der Com­pu­ter kennt sie nur 0 oder 1. Für Zwi­schen­tö­ne ist kei­ne Zeit – da ist sie schon ganz auf der Wel­le de­rer, die sie so scharf kri­ti­siert. Es geht ihr letzt­lich um die sy­ste­ma­ti­sche Ent­ka­be­lung. Der ana­lo­ge Mü­ßig­gang als ei­ne Zeit­rei­se in die 50er Jah­re? Her­bolds Ide­al ist der lah­me Li­ne­ar­den­ker. Das ist je­mand, den es al­ler­dings seit dem Mit­tel­al­ter schon nicht mehr gibt.

Pa­ter­na­li­sti­scher Stil

Her­bold zeich­net nicht nur ein Zerr­bild, son­dern ver­greift sich an ih­rem Un­ter­su­chungs­ge­gen­stand, weil sie ei­ne Bran­che kol­lek­tiv in Haf­tung für ih­re ei­ge­nen ent­täusch­ten Er­war­tun­gen nimmt. Dass sie die ar­che­ty­pi­schen Schlag­wör­ter der In­ter­net­kri­ti­ker wie »Kil­ler­spie­le« und »Kin­der­por­no­gra­fie« nur ganz am Ran­de er­wähnt und ei­ne ge­naue­re Un­ter­su­chung nicht vor­nimmt dürf­te da­mit zu­sam­men­hän­gen, dass die­ses Buch ex­pli­zit für die Kli­en­tel der eher not­ge­drun­gen im Main­stream hin­ein­tau­meln­den Mitt­drei­ßi­ger ge­schrie­ben wur­de, die sich zu­nächst ein­mal nicht als in­ter­net­af­fin be­zeich­nen wür­den und durch das Buch mit ei­ner Art Schock­the­ra­pie zur Be­sin­nung kom­men sol­len. Die Au­torin agiert und agi­tiert pa­ter­na­li­stisch, in dem sie dem po­ten­ti­el­len An­wen­der Al­ter­na­ti­ven ab­spricht, die ver­teu­fel­ten Ge­gen­stän­de an­thro­po­mor­phi­siert, als per­ma­nen­te Be­dro­hung schil­dert und mit ei­nem für den User ge­fähr­li­chen Ei­gen­le­ben ver­sieht. Da be­en­den dann kei­ne Men­schen mehr ih­re Lieb­schaf­ten, son­dern ver­dutz­te Da­ten­sät­ze emp­fan­gen (oder schicken) ei­ne SMS oder vom In­ter­net vor­wärts­ge­peitsch­te News­zy­klen ok­ku­pie­ren un­se­re Auf­merk­sam­keit.

Da Her­bolds Men­schen­bild das des wil­len­lo­sen und ei­ner bös­ar­ti­gen Ma­schi­nen­welt aus­ge­lie­fer­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­jun­kies ist, muß die­ser vor der Welt der Un­ter­ord­ner, Mo­bil­te­le­fo­ne, E‑­Mail-Pro­gram­me und Blogs ge­schützt und ge­ge­be­nen­falls ei­ner Art Ent­zie­hungs­kur un­ter­zo­gen wer­den. Her­bold ver­nach­läs­sigt das, was sie in ih­rem ge­lun­gen­sten Ka­pi­tel über die Ge­fah­ren der all­zu früh­zei­ti­gen Com­pu­te­ri­sie­rung der Kin­der­zim­mer und Schu­len em­pha­tisch ein­for­dert: Den mensch­li­chen In­tel­lekt, die Mög­lich­kei­ten und Not­wen­dig­kei­ten des Un­ter­schei­dens und Ent­schei­dens.

Statt Chan­cen und Ri­si­ken auf­zu­füh­ren und ei­nen sinn­vol­len und frucht­ba­ren Um­gang mit Such­ma­schi­nen, Spei­cher­pro­gram­men und Black­ber­rys (die tem­po­rä­ren Or­den der Ma­na­ger) her­aus­zu­ar­bei­ten, statt das Gol­de­ne Kalb des di­gi­ta­len Ar­beits­markts (so sieht Her­bold »Kom­mu­ni­ka­ti­on« in Un­ter­neh­men in­zwi­schen de­ge­ne­riert) zu do­me­sti­zie­ren, er­götzt sie sich in ih­ren Zu­kunfts­aus­sich­ten in lä­cher­li­chen Gei­ster­be­schwö­run­gen über ei­ne Ge­sell­schaft, de­ren Mit­glie­der RFID-Chips im­plan­tiert wer­den, um stän­dig über die ak­tu­el­len Ge­sund­heits­wer­te auf dem lau­fen­den sein zu kön­nen, das kom­plett durch­pro­gram­mier­te Bett im Al­ten­heim oder Din­ge, die plötz­lich Oh­ren be­kom­men.

Man spürt ge­le­gent­lich die Neil-Post­man-At­ti­tü­de, die na­tür­lich nur Ab­klatsch ist. Kon­se­quen­te Ver­wei­ge­rungs­hal­tun­gen sind sel­ten frucht­bar. Boy­kot­te schei­tern fast im­mer an den zu gu­ten Vor­sät­zen. Es müß­te längst Kon­sens sein, dass Ver­än­de­run­gen nicht au­sser­halb von Sy­ste­men ge­sche­hen sol­len, son­dern in ih­nen. Das Ent­net­zen vom In­ter­net (na­tür­lich in­klu­si­ve Ver­wei­ge­rung des Mo­bil­te­le­fons) bleibt schwach, wenn es sich nur um Re-Ak­tio­nen, al­so um rei­ne Af­fek­te han­delt, die dann noch mit gro­ßem Brim­bo­ri­um als »Aus­stieg« he­roi­siert wer­den. So er­setzt man den Es­ka­pis­mus, den man at­tackiert, durch ei­ne an­de­re Welt­flucht. Die wah­ren Auf­klä­rer sind sel­ten Ra­di­kal-Ver­wei­ge­rer und dür­fen nicht mit Re­vo­lu­tio­nä­ren ver­wech­selt wer­den. Letz­te­re än­dern Zu­stän­de nur, um sich selbst in ih­nen er­höht wie­der­zu­fin­den.

Trotz ge­le­gent­lich bil­dungs­bür­ger­li­cher Pa­ra­phra­sen (das Sal­bei­blatt in der Nu­del­so­ße er­in­nert mich…an ei­nen Ur­laub im Schwarz­wald oder Ich tip­pe al­so bin ich noch) ist der Ti­tel (wohl eher un­frei­wil­lig) die Kurz­be­schrei­bung für die­ses Buch: Es ist nur ein gro­ßes Rau­schen. Nein, nicht mal ein gro­ßes.


Die kur­siv ge­druck­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

11 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Wenn der Ver­fas­ser...
    ... denn auch noch sei­ne Kon­juk­tio­nen (daß!) auf die Rei­he bräch­te, wä­re der Text noch bes­ser les­bar. Aber lei­der im­mer noch um 70 Pro­zent zu lang. Zu viel der Wor­te und da­mit der Eh­re für so ei­nen Schin­ken.

  2. Flim­mern & Rau­schen
    Ja, scha­de für das Rau­schen in­ter­es­sier­te ich mich ei­gent­lich auch. Und die Ent­hül­lun­gen der „Le­bens­lü­gen“ – das ist ja im­mer die gro­ße Ge­ste. Aber sol­ches un­in­spi­rier­tes Ge­schimp­fe be­dient, glau­be ich, ein an­de­res Be­dürf­nis. Schon ei­ne län­ge­re Zeit kann man ein va­ges Un­wohl­sein mit der schö­nen neu­en Me­di­en­welt spü­ren (von dem dann et­wa der „Hei­del­ber­ger Ap­pell“ so et­was wie der Rahm auf der ar­gu­men­ta­tiv, weil oft um Zu­sam­men­halt, al­so die Re­zep­te, nicht wirk­lich wis­send, nicht fett zu ma­chen­den Mies-Mu­schel-Sup­pe ist).

    Al­ler­dings mer­ke ich bei mir sel­ber, dass ich so was manch­mal ger­ne le­se, weil ich näm­lich auch oft ge­nervt bin von dem gan­zen Di­gi-Gedödel, ei­ner im­mer selbst­re­fe­ren­ti­el­le­ren Netz-Kul­tur, die ei­gent­lich gar kei­ne rech­te ist (son­dern ei­ner­seits wie­der­um höchst frag­men­ta­risch, an­de­rer­seits nur ei­ne Aus­wei­tung der satt­sam be­kann­ten Kon­sum- und Un­ter­hal­tungs­wel­ten) und die auch nichts Weg­wei­sen­de­res in der Hin­ter­hand zu ha­ben scheint, als im­mer nur neu­en Life­style und Gad­gets und „An­wen­dun­gen“ und neu auf­ge­leg­ten new-Eco­no­my-Hype. Was das al­les macht aus den Be­wussts­ei­nen macht und wie da­durch die Welt zu­neh­mend zu eben rei­nen Be­nut­zer­ober­flä­chen ge­rät – wer will das wis­sen? Und ist das au­ßer­halb der aka­de­mi­schen, sich sel­ber zu­neh­mend in im­mer kom­ple­xe­ren Stel­lun­gen ab­son­dern­den Fra­ge­welt in­ter­es­sant? Ich ver­mu­te, sol­che Bü­cher wer­den eben aus sol­chem Frust her­aus ge­schrie­ben, um „Stim­mun­gen“ zu for­mu­lie­ren und neue Über­sicht­lich­kei­ten zu sug­ge­rie­ren, und sie fal­len dann mit dem Hang und dem Be­darf nach knacki­gen Ver­kür­zun­gen auf ih­re ei­ge­ne Mie­se­pe­trig­keit her­ein, die sich „kri­tisch“ zu ge­ben ver­meint.

    Da fällt mir noch ein: Was ist ei­gent­lich aus den Ge­dan­ken Jo­seph Wei­zen­baums ge­wor­den? Oder Vi­lem Fluss­ers? Be­zeich­nen­der­wei­se „al­te Män­ner“, die für das Ge­klin­gel we­ni­ger an­fäl­lig wa­ren, aber ge­wohnt, ei­ne Sa­che ein paar Ebe­nen „tie­fer“ zu durch­den­ken. Aber das ist viel­leicht sel­ber wie­der ein Zei­chen für Kul­tur-Pes­sis­mis­mus. Die Ent­täu­schung je­den­falls, ne­ben dme Rau­schen flim­mert auch sie...

     

  3. Um von hin­ten an­zu­fan­gen: Un­ter »Aus­ge­wähl­te Li­te­ra­tur­hin­wei­se« steht na­tür­lich Flus­ser (»Me­di­en­kul­tur«) und Wei­zen­baum (»Die Macht der Com­pu­ter und die Ohn­macht der Ver­nunft« und »Com­pu­ter­macht und Ge­sell­schaft: Freie Re­den«). Da steht aber auch Lo­vink und Pe­ter Schaar.

    Al­so was macht sie aus die­ser Li­te­ra­tur? Mei­nes Er­ach­tens: Nichts. Sie op­fert zu Gun­sten des Kla­mauks ih­re Ernst­haf­tig­keit.

    Ein Schrei­ben aus Fru­stra­ti­on – das trifft’s wohl. Na­tür­lich stö­ren ei­nem die Han­dy­te­le­fo­nie­rer im All­tag (war­um man jetzt im Düs­sel­dor­fer U‑­Bahn-Netz te­le­fo­nie­ren kann, ver­ste­he ich eh nicht). Oder die­se Mail­kul­tur, die von ei­ni­gen da­hin­ge­hend miss­ver­stan­den wird, al­les nur noch zu igno­rie­ren.

    Aber das kommt dann doch da­her wie die Oma, die da­vor warnt noch im Bett zu le­sen, weil das so­wie­so al­les Schund sei.

    Das ist na­tür­lich kein Kul­tur­pes­si­mis­mus. Wär’s das doch we­nig­stens ge­wor­den! Tat­säch­lich liest man das am An­fang ganz schmis­sig mit, aber dann wird es red­un­dant. Sie setzt dem teil­wei­se eso­te­ri­schen Idea­lis­mus der Web-Avant­gar­de (der mich ge­nau­so an­wi­dert) nur ihr mie­se­pe­tri­ges Ge­brab­bel ent­ge­gen.

  4. ‘Hei­li­ge Nüch­ter­heit’
    Ich in­ter­es­sie­re mich schon seit ge­rau­mer Zeit le­dig­lich für den ‘Rausch­fak­tor’, aber den ver­neh­me ich le­dig­lich aus die­ser Re­zen­si­on, was grund­sätz­lich für Sie spricht ;-)

  5. Dan­ke für die aus­führ­li­che Re­zen­si­on. Fast bin ich ge­neigt, mich da mei­nem Vor­red­ner an­zu­schlie­ßen, Du hät­test ei­nem bil­li­gen Buch zu­viel Auf­merk­sam­keit ge­wid­met.

    In frei­er Ver­knüp­fung mit ei­ner ganz und gar an­de­ren, ta­ges­ak­tu­el­len Ge­schich­te al­ler­dings – der On­line-Pe­ti­ti­on, die den Ge­setz­ent­wurf zur Sper­rung kin­der­por­no­gra­phi­scher Sei­ten in Fra­ge stellt – scheint es mir mehr als an­ge­bracht, sol­che Pau­schal­ur­tei­le, solch »[k]onsequente Ver­wei­ge­rungs­hal­tun­gen« ge­nau­er un­ter die Lu­pe kri­ti­scher Lek­tü­re zu hal­ten. Weil man fest­stel­len muss, dass ie un­an­ge­nehm weit ver­brei­tet sind ...

  6. In al­ler Freund­schaft
    Um es auf den Punkt zu brin­gen: Mit der On­line-Pe­ti­ti­on kann ich we­nig bis nichts an­fan­gen. Ich ge­ste­he frei­mü­tig: Ich ha­be nichts da­ge­gen, wenn kin­der­por­no­gra­fi­sche Sei­ten ge­sperrt wer­den. Bin ich jetzt ein Pa­ria? Wenn ja, sor­ry, es in­ter­es­siert mich nicht.

    Wenn die­se Sper­run­gen ein­fach zu um­ge­hen sind, be­deu­tet das für mich nicht, dass man die Maß­nah­me ge­ne­rell nicht durch­füh­ren soll. Man müss­te sie im Ge­gen­teil ver­su­chen zu per­fek­tio­nie­ren. Nie­mand wür­de das StGB ab­leh­nen wol­len, weil im­mer noch ein­ge­bro­chen wird in Deutsch­land.

    Dass die­se An­ge­le­gen­heit me­di­al aus­ge­schlach­tet und mit teil­wei­se fal­schen Ar­gu­men­ten ge­führt wird, ge­fällt mir auch nicht. Ob aber ein Mi­ni­ster oder mehr da­von »be­trof­fen« sind – das ist mei­nes Er­ach­tens un­er­heb­lich.

    Ich ver­ste­he das »Weh­ret den An­fän­gen« da­hin­ter schon (sie­he Frank­reich, aber da­zu gä­be es auch et­was zu sa­gen). Ich fra­ge mich nur, ob der Ge­gen­stand der Ent­rü­stung ein ge­eig­ne­ter ist. Und ob es ei­ne On­line-Pe­ti­ti­on ge­ge­ben hät­te, wenn man NS-Pro­pa­gan­da, die ja auch ziem­lich ein­fach im Netz zu fin­den ist, mit ähn­li­chen Mit­teln be­kämpft hät­te (wo­bei der Ver­gleich zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen hinkt: Pä­do­phi­lie kann ein krank­haf­tes Sucht­ver­hal­ten er­zeu­gen; NS-Ge­sin­nung kann man ar­gu­men­ta­tiv be­geg­nen).

    Her­bolds Buch knüpft an die­se ak­tu­el­len The­men NICHT an, was ich im­mer­hin be­mer­kens­wert fand. War­um man ein Buch, dass man kri­ti­siert nicht den­noch mit ei­nem ge­wis­sen Re­spekt be­geg­nen soll, ver­ste­he ich nicht. Ich ent­decke hin­ter der At­ti­tü­de »lohnt sich nicht, dar­über lan­ge zu re­den« ei­ne eher ge­fähr­li­che Dis­kurs­ver­wei­ge­rung nach dem Mot­to ‘Wir wissen’s eh bes­ser’. Die Be­we­gung ge­gen die In­ter­net­kul­tur ist m. E. erst am An­fang. Mit Recht­ha­ber­po­sen kommt man da nicht wei­ter.

  7. Wie so häu­fig scheint mir das Me­di­um mit dem In­halt ver­wech­selt zu wer­den. Das Me­di­um zieht nur den Vor­hang auf und er­laubt ei­nen Blick auf die Welt, der vor­her (im Gu­ten wie im Bö­sen) schlicht nicht mög­lich war. Man mag nicht wis­sen wol­len, wel­cher An­teil der Kom­mu­ni­ka­ti­on bil­li­gen Sex als In­halt hat. Eben­so wird ein frü­her ve­ri­ta­bler, von sei­nem Be­kann­ten­kreis ge­schätz­ter Pia­nist durch You­Tube zum pro­fa­nen Durch­schnitt de­gra­diert.

    Wer sich da ein El­fen­bein­türm­chen mit fünf bis sie­ben zur An­ek­do­te ver­kom­me­nen Su­jets ge­baut hat, wird er­schrecken vor der bun­ten brül­len­den Welt da drau­ßen, die eben­so durch ih­re manch­mal ver­derb­te Sei­te, wie ih­re fast schon ag­gres­si­ve Krea­ti­vi­tät ver­schreckt. Die­se Rück­zugs­ge­fech­te ha­be ich hun­der­te Ma­le ge­hört und er­zeu­gen mitt­ler­wei­le auf­grund ih­rer bil­li­gen At­ti­tü­de nicht mal mehr Mit­leid.

  8. Erst­mal dan­ke für die sehr aus­führ­li­che Re­zen­si­on!
    Al­so ganz ehr­lich... so be­rech­tigt man­che Kri­tik am In­ter­net auch ist... aber ich hof­fe, daß ich nie so alt wer­de – alt im gei­sti­gen Sin­ne mei­ne ich – daß ich al­les Neue so ve­he­ment ab­leh­ne...
    Ich bin ja nun wirk­lich kein Mensch und war es noch nie, der je­de neue Mo­de gleich be­gei­stert mit­macht – es hat et­li­che Jah­re ge­dau­ert, bis ich mich mit dem Han­dy an­ge­freun­det ha­be – aber al­les Neue ver­dam­men... nein das kann ich nicht nach­voll­zie­hen...
    Vie­le Grü­ße
    Klau­dia

  9. Zug ver­passt
    Da hat die Au­torin wohl ei­nen Zug ver­passt. Der Zug in die Zu­kunft. Und an­statt zu ver­su­chen die­sen doch noch zu er­rei­chen, wird ar­gu­men­tiert wie schlecht es doch in die­sem Zug sei.

    Es ist nicht zu über­se­hen, die Au­torin schreibt über Din­ge die Sie mehr vom hö­ren­sa­gen kennt, als das Sie sie selbst er­fah­ren und sich er­ar­bei­tet hat.

    Nun, so­lan­ge Ih­re Bü­cher ver­kauft wer­den, muss Sie we­nig­stens nicht nach Hartz IV nach­fra­gen. Auch ein Er­folg. Und in 10 .. 15 Jah­ren wird Sie, ob Sie will oder nicht, durch ih­re Kin­der das In­ter­net ken­nen­ler­nen. Viel Spass da­bei! Und dann gilt: Will­kom­men im 21. Jahr­hun­dert! Bis da­hin gilt: Ja, auch im 20. Jahr­hun­dert war es ge­müt­lich. Ich weiss das, da ich deut­lich äl­ter als die Au­torin bin. Kör­per­lich.