Hei­mi­to von Do­de­rer: Se­ra­phi­ca – Mon­te­fal

Heimito von Doderer: Seraphica - Montefal

Hei­mi­to von Do­de­rer: Se­ra­phi­ca – Mon­te­fal

Es gibt mei­stens gu­te Grün­de, war­um Schrift­stel­ler Ma­nu­skrip­te jahr­zehn­te­lang nicht oder so­gar nie­mals ver­öf­fent­li­chen. Sie he­gen bei­spiels­wei­se Rück­sich­ten, weil es um Per­so­nen geht, die sie nicht dis­kre­di­tie­ren wol­len. Oder sie hal­ten ih­ren Stil plötz­lich nicht mehr für ad­äquat oder ein­fach nur schlecht. Viel­leicht reizt sie das The­ma nicht mehr, wel­ches ih­rer Er­zäh­lung zu­grun­de lie­gen soll­te. Manch­mal ver­ges­sen sie auch nur, dass da noch ein Ma­nu­skript im Schreib­tisch liegt.

Vie­les spricht da­für, dass all dies für die bei­den jetzt aus dem Nach­lass von Hei­mi­to von Do­de­rer ver­öf­fent­lich­ten, in den 20er Jah­ren ge­schrie­be­nen Er­zäh­lun­gen »Se­ra­phi­ca – Mon­te­fal« nicht gilt. Im au­ßer­or­dent­lich klu­gen und kennt­nis­rei­chen Nach­wort von Mar­tin Brink­mann wird ein wei­te­res Mo­tiv deut­lich, wel­ches we­nig­stens die Nicht­ver­öf­fent­li­chung von »Se­ra­phi­ca (Fran­zis­cus von As­si­si)« er­klärt: In ei­ner Zeit »un­si­che­rer Zu­kunfts­aus­sich­ten, schuld­be­la­de­ner Se­xua­li­tät und emo­tio­na­ler Tur­bu­len­zen« bot sich aus­ge­rech­net der hei­li­ge Franz von As­si­si als »Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur« an. Durch die über­mä­ßi­ge Rein­heit des Hei­li­gen (»Willst Du voll­kom­men sein, so geh’ und ver­kau­fe, was Du hast, und gib es den Ar­men, so wirst Du ei­nen Schatz im Him­mel ha­ben und komm und fol­ge mir nach«), der so­gar dem Feu­er nicht we­he­tun will, ob­wohl es ihm die Kut­te droht zu ver­bren­nen wird das ei­ge­ne, als ver­dor­ben emp­fun­de­ne Le­ben ge­spie­gelt.


Brink­manns durch die Ta­ge­bü­cher ge­stütz­te Er­klä­run­gen zei­gen, dass sich Do­de­rer hier­mit sei­nen ei­ge­nen Le­bens­wan­del so­zu­sa­gen aus­trei­ben woll­te (ver­mut­lich ver­geb­lich). Ob hier der Keim für die Jahr­zehn­te spä­ter vor­ge­nom­me­ne Kon­ver­si­on zum Ka­tho­li­zis­mus zu se­hen ist, bleibt of­fen. Bei nicht ver­öf­fent­lich­ten Er­zäh­lun­gen scheint es not­wen­di­ger und le­gi­ti­mer zu sein, nach den pri­va­ten Hin­ter­grün­den des Ge­schrie­be­nen zu for­schen.

»Se­ra­phi­ca« ist im Stil ei­ner Le­gen­de ge­schrie­ben und um­fasst Le­ben und Ta­ten des Hei­li­gen Franz von As­si­si. Brink­mann be­tont die musikalisch-»prosarhythmische Durch­bil­dung« der Er­zäh­lung. Do­de­rer hat re­gel­recht re­cher­chiert und die Ori­gi­nal-Le­gen­den über Franz von As­si­si ver­wen­det und be­ar­bei­tet. Die Schil­de­run­gen der gu­ten Ta­ten wir­ken auf den heu­ti­gen Le­ser in ih­rer über­mä­ssi­gen Rein­heit fast pro­te­stan­tisch-fun­da­men­ta­li­stisch. Nur ge­le­gent­lich kom­men phi­lo­so­phi­sche Ein­spreng­sel zum Vor­schein, et­wa wenn es fau­stisch heisst, dass die­je­ni­gen, wel­che von Wis­sens­neu­gier ge­lei­tet sind…am Ta­ge der Be­dräng­nis ih­re Hän­de leer fin­den wer­den. Die vir­tuo­se Spra­che Do­de­rers las­sen die­se Art der fast über­trie­ben poin­tier­ten Er­bau­ungs­li­te­ra­tur nicht in plum­pen Pre­di­ger­kitsch ab­glei­ten; man soll­te sich die Fein­heit die­ser Pro­sa un­ab­hän­gig vom Su­jet durch ein zwei­tes Le­sen er­schlie­ssen. Die ein­lei­ten­den Orts­be­schrei­bun­gen, nein: Orts­er­zäh­lun­gen zu Be­ginn sind oh­ne­hin groß­ar­tig und ein­fach wun­der­bar (in der Le­se­pro­be sind sie glück­li­cher­wei­se zu­gäng­lich).

Den­noch über­strahlt die per­sön­li­che Mo­ti­va­ti­on des Au­tors Anfang/Mitte der 20er Jah­re die­se Er­zäh­lung fast über Ge­bühr. Li­te­ra­risch zö­gert Brink­mann nicht, sie als »un­ty­pisch­stes al­ler Wer­ke« von Hei­mi­to von Do­de­rer ein­zu­ord­nen und be­müht sich nach Kräf­ten, Be­deu­tung zu er­zeu­gen, in dem er zum Bei­spiel auf die Be­grif­fe der Er­kal­tung und Er­star­rung hin­weist und die­se im Kon­text in­ter­pre­tiert.

Die zwei­te, kür­ze­re bis­her un­ver­öf­fent­lich­te Er­zäh­lung »Mon­te­fal – ei­ne avan­ture« (ver­fasst im Som­mer 1922) bie­tet ei­ne wei­te­re In­ter­pre­ta­ti­on, war­um sie vom Au­tor nicht pu­bli­ziert wur­de: Sie halt als ei­ne Art »Vor­fas­sung« des »Rit­ter-Ro­mans« »Das letz­te Aben­teu­er«, der 1936 nie­der­ge­schrie­ben wur­de und 1953 er­schien. Brink­mann zückt auch hier die au­to­bio­gra­fi­sche Kar­te (die bei Do­de­rer na­tur­ge­mäss auch spä­ter in den gro­ßen Ro­man im­mer wie­der ei­ne Rol­le spie­len wird) und er­kennt ei­ne re­si­gna­ti­ve Le­bens­hal­tung der Haupt­fi­gur, des Rit­ters Ruy de Fa­nez, die er trans­for­miert auf Do­de­rers Zu­stand.

Den Aus­gangs­punkt zu »Mon­te­fal« sieht Brink­mann schon in ei­nem klei­nen Feuil­le­ton­bei­trag Do­de­rers »mit dem auf­trump­fen­den Ti­tel: ‘Der Aben­teu­rer und sein Ty­pus’ «. 1921 ist er nach­weis­lich von ei­nem Bild von Ar­nold Böck­lin (»Der Aben­teu­rer«) be­ein­druckt. In »Mon­te­fal« streift der spa­ni­sche Rit­ter Ruy de Fa­nez, oh­ne Rast, kaum drei­ßig Jah­re alt, mit sei­nem Ecuy­er (Knap­pen) Gau­vain durch die Ge­gend. Er kommt an ei­nen Ort, an dem für die Er­le­gung ei­nes Dra­chens die Hand der Her­zo­gin Li­doi­ne an­ge­bo­ten wird. An­fangs ein biss­chen lust­los sieht er für sich end­lich ei­ne Art Le­bens­sinn auf­flackern: Der Sinn des Spa­ni­ers stand zwar we­nig nach ei­nem fe­sten Ehe­bun­de und sess­haf­ten Le­ben, sei es auch als Ge­mahl der Her­zo­gin Li­doi­ne und als Herr­scher über ein aus­ge­dehn­tes und frucht­ba­res Land; in­des­sen schien ihm hier end­lich das wahr­haft gro­ße Aben­teu­er ge­fun­den, wel­ches sein stets mü­de­res und gleich­wohl ru­he­lo­ses Ge­müt von En­de zu En­de ver­ge­bens ge­sucht hat­te.

Ruy be­geg­net dem Dra­chen, tö­tet ihn aber nicht, son­dern schlägt ihm nur ein Horn ab. Am Ho­fe wird er ge­fei­ert und als zu­künf­ti­ger Ge­mahl der Her­zo­gin an­ge­se­hen, ob­wohl der Dra­chen nicht ge­tö­tet wur­de. Mit spar­sa­men Mit­teln aber schon gross auf­blit­zen­der Er­zähl­kunst er­zählt Do­de­rer auf we­ni­gen Sei­ten die­se sich merk­wür­dig di­stan­ziert ent­wickeln­de Be­zie­hung zwi­schen Ruy und Li­doi­ne. Die Angst vor Sess­haf­tig­keit von Ruy siegt letzt­lich über die Zu­nei­gung zu Li­doi­ne. Und als schließ­lich ein Neu­an­kömm­ling (ein Deut­scher!) am Hof auf­taucht der tat­säch­lich den Dra­chen ge­tö­tet ha­ben will, und sich schnell als neu­er Herr auf­spielt, ritt [Ruy] ei­nes Ta­ges al­lein von dan­nen; selbst die Spra­che in den Au­gen der Her­zo­gin, als er den Ab­schied nahm, ver­stand er nun nicht mehr: ihr Mund aber blieb von Schmerz und Stolz ver­sie­gelt aber auch jetzt wird er nicht froh, denn [w]ie es denn geht, wenn Ei­ner nach lan­gem Schwan­ken das ei­ne oder an­de­re Teil frei­wil­lig oder ge­nö­tigt er­wählt hat: so­gleicht er­schei­nen ihm nur die Nach­tei­le des er­wähl­ten We­ges, den Vor­teil aber sieht er ganz auf der an­de­ren Sei­te...

Ruy muß oh­ne sei­nen Knap­pen aus­kom­men, der in ei­nem hö­fi­schen Tur­nier töd­lich ver­letzt wur­de. Er streift durch den Wald, be­geg­net er­neut dem Dra­chen, der wi­der Er­war­ten noch im­mer lebt und tö­tet ihn mit To­des­schweiß aus den Glie­dern her­vor­tre­tend end­gül­tig. Am En­de er­schrickt er über sein schlohweiße[s] Haar, lag noch et­li­che Ta­ge in der Schen­ke auf ei­nem Ru­he­bet­te und dach­te an vie­les be­vor er in ei­nen Hau­fen wil­der Ge­sel­len zu Pfer­de mit ge­zück­ten Schwer­tern hin­ein­rei­tet.

Sehr an­schau­lich er­läu­tert Mar­tin Brink­mann den Un­ter­schied zwi­schen der frü­hen Er­zäh­lung und dem »Letz­ten Aben­teu­er«, in dem sich bei­spiels­wei­se die »Sympathiewerte…zu Un­gun­sten der Her­zo­gin Li­doi­ne ver­schie­ben« und, so Brink­manns Über­nah­me der Deu­tung von Mar­tin Mo­se­bach, der Dra­chen »eher der Freund als der Feind des Rit­ters« zei­ge, weil er als »Pro­to­typ des An­ti­zi­vi­li­sa­to­ri­schen« ge­deu­tet wird.

Ein klei­nes, aber fei­nes Büch­lein; nicht nur für »Hei­mi­ti­sten«.


Die kur­siv ge­druck­ten Pas­sa­ge sind Zi­ta­te aus den bei­den Er­zäh­lun­gen von Hei­mi­to von Do­de­rer; die Be­mer­kun­gen von Mar­tin Brink­mann im Nach­wort sind in An­füh­rungs­zei­chen ge­setzt